Wohlstand für alle?

Wohlstand für alle?

von Thomas Kaiser

In seinem Buch «Vom Grossen Krieg zur permanenten Krise»1 legt Marc Chesney, Professor für Quantitative Finance an der Universität Zürich, dar, dass die Globalisierung nicht zu dem geführt hat, was die Apostel des «freien Marktes» versprochen und geistreiche Wirtschaftsauguren vorausgesagt haben. Das Märchen vom Wohlstand für alle hat sich als das erwiesen, was es ist. Nutzniesser dieser neoliberalen Finanz- und Wirtschaftspolitik sind ein paar wenige multinationale Finanzinstitute und international agierende Industriekonzerne, die Milliarden angehäuft haben. Chesney schreibt, dass laut dem «Bloomberg Billionaires Index» aus dem Jahr 2012 «die grössten 200 Vermögen weltweit zusammen 2 700 000 000 000 Dollar zählen, was der Höhe des französischen Bruttosozialprodukts entspricht», (S. 44). Von diesen 200 sind es allein 100, die ein Vermögen von 1900 Milliarden Dollar ihr eigen nennen. Laut dem Ranking der Agentur Bloomberg, so Chesney weiter, «konnten die 300 reichsten Milliardäre der Welt 2013 ihr Vermögen um 524 Milliarden Dollar vermehren. […] Sie sind das Symptom einer unersättlichen Gefrässigkeit der Finanzwelt und der Logik, die dieser Sektor auferlegt». (S. 44) Diesen Menschen, die solche exorbitanten Gewinne einheimsen und ihre Vermögen in schwindelerregende Höhen treiben – sicher nicht von Hand und mit Schweiss erarbeitet – mag die Globalisierung das gebracht haben, was sie selbst der Welt versprochen haben. Aber wie geht es den übrigen Milliarden Menschen auf diesem Globus? Allein in der EU steht dem gegenüber die horrende Zahl von über 30 Millionen Langzeitarbeitslosen, wie Jean Ziegler in seinem neusten Buch «Ändere die Welt»2 darlegt. Betrachtet man aktuelle politische Entwicklungen weltweit und auch in unserem Land, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in vielen Bevölkerungsschichten die Mär vom «Wohlstand für alle» schon lange nicht mehr geglaubt wird und dies bei den internationalen Finanz- und Industriekonzernen auch schon angekommen ist. Doch anstatt ihre Fehler einzugestehen und eine Korrektur ihrer Wirtschaftstheorien, allesamt aus den 50er Jahren, einzuleiten, denken sich Finanzjongleure und ihre Theoretiker neue Instrumente aus, wie sie ihre Vermögen weiter vergrössern, die Welt weiter ausbeuten und die Menschen manipulieren können. Internationale Verträge wie TiSA und TTIP, die bis heute noch viel zu wenig in der Öffentlichkeit diskutiert werden, sind neue Töne auf der alten Klaviatur. Allen voran bestimmen immer noch US-amerikanische, international agierende Konzerne die Wirtschaftspolitik, solange wir sie lassen, und versuchen so, ihre Pfründe zu sichern, auch wenn ihre Ausgangsbasis, nämlich das US-Imperium, seit einigen Jahren immer mehr am Bröckeln ist. So sind die im Moment auszuhandelnden Verträge nichts anderes als der Versuch, sich weitere Stücke vom Finanz- und Wirtschaftskuchen weltweit zu sichern. Jochen Scholz, Politik- und Geschichtswissenschaftler, der jahrelang im deutschen Verteidigungsministerium und bei der Nato tätig war, schreibt in seinem Aufsatz «Worum geht es – Die Ukraine-Krise und die geo­politische Konstante aus dem eurasischen Kontinent3»: «Auch das derzeit verhandelte Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TIPP) dient primär dazu … Deutschland und die EU wieder enger an die USA zu binden, den gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok zu verhindern und die EU für internationale Interessen der USA zu instrumentalisieren.» (S. 103) Dass die Schweizer Regierung diesem Ansinnen gegenüber bisher wenig kritische Distanz gewahrt hat – wenn Bundesrat Johann Schneider-Ammann darüber nachdenkt, wie die Schweiz hier «andocken könnte» – und eine Wirtschaftspolitik betreibt, die die Vermutung nahelegt, dass sie aus der Küche dieser Machtzirkel stammt, fordert mehr Wachsamkeit von der Bevölkerung und ihren gewählten Vertretern im Parlament.
Dass besonders sensible Bereiche wie der Service public, der in der Schweiz einzigartig ist (vgl. in dieser Ausgabe Interviews mit den Nationalräten Badran und Büchel), ebenfalls dem grenzenlosen Handel übergeben werden sollen, muss unseren Widerstand hervorrufen, genauso wie das Vorgehen des Bundesrates in der Agrarpolitik. Was das Anbeten des Freihandel-Gottes bewirkt, hat Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre, in seiner Schrift «Globalisierung und Landwirtschaft – Mehr Wohlstand durch weniger Freihandel»4 bereits 2007 dargelegt und genau aufgezeigt, dass es nicht zu einer Stärkung der inländischen Landwirtschaft führen wird – Nutzniesser wird wie auch sonst im sogenannten Freihandel nicht der Mittelstand sein, sondern die multinationalen Konzerne. Das schreibt er, bevor die grosse und bis heute noch immer andauernde Finanz- und Wirtschaftskrise – die Bundesrätin Doris Leuthard in Verkennung der Realität schon sehr früh überwunden glaubte – so richtig offensichtlich wurde. Welche Auswirkungen die Öffnung der Agrarmärkte haben wird, lässt sich vor allem in den Entwicklungsländern, aber auch bei uns erkennen. Eine Verdrängung der kleinräumigen, lokal verankerten Landwirtschaft und eine zunehmende Übernahme der kleineren landwirtschaftlichen Betriebe durch Agrarriesen. Es ist ein Segen, dass immer mehr Persönlichkeiten in der Schweizer Politik diesen Irrweg erkennen und dieser unheilvollen Entwicklung auf der politische Ebene etwas entgegensetzen wollen.    •

1    Marc Chesney: Vom Grossen Krieg zur permanenten Krise, 2014, ISBN 978-3-03909-171-3
2    Jean Ziegler: Ändere die Welt!, 2014, ISBN 978-3-570-10256-5
3    Ronald Thoden, Sabine Schiffer (hg.): Ukraine im Visier, 2014, ISBN 978-3-9816963-0-1
4    Mathias Binswanger: Globalisierung und Landwirtschaft. Mehr Wohlstand durch weniger Freihandel, 2009. ISBN 978-3-85452-583-7

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