Gedenkfeier zu General Guisans Rütli-Rapport von 1940

Gedenkfeier zu General Guisans Rütli-Rapport von 1940

von Dr. Elisabeth Nussbaumer und Trudi Sprock

Am Samstag, den 25. Juli 2015, luden die Schweizerische Offiziersgesellschaft und der Kanton Waadt zum Gedenken an General Guisans Rütli-Rapport vom 25. Juli 1940 auf das Rütli, den Gründungsort der Eidgenossenschaft, ein. 450 geladene Gäste aus Militär und Politik sowie Angehörige Henri Guisans fuhren mit einem Sonderschiff von Luzern über den Vierwaldstättersee bis zur Station Rütli.
Sie fuhren mit der «Stadt Luzern», demselben Dampfschiff wie 75 Jahre davor General Henri Guisan, der Oberbefehlshaber der Schweizer Armee, mit allen befehlshabenden Offizieren der mobilisierten Truppen. Angesichts der Umzingelung durch die Achsenmächte hatte er die Armeespitze auf dem Rütli versammelt, ihnen die Reduit-Strategie vorgestellt und sie von der Notwendigkeit von Einheit und Widerstand überzeugt. Wie wir wissen, wurde mit dieser Rede der unumstössliche Wille zur Verteidigung unseres freien und unabhängigen Landes sowohl im Militär wie auch in der Zivilbevölkerung neu verankert.
Der Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, Brigadier Denis Froidevaux, begrüsste alle Anwesenden, darunter Ständeratspräsident Claude Hêche, Bundesrat Ueli Maurer, Armeechef André Blattmann, die Regierungsrätinnen Béatrice Métraux (VD), Heidi Z’graggen (UR) und der Historiker Prof. Dr. Rudolf Jaun. Brigadier Froidevaux forderte alle Anwesenden, mehrheitlich Soldaten, auf, sich zu erheben und im Halbkreis, aufrecht stehend, so wie vor 75 Jahren, den folgenden Reden zuzuhören. Die Stimmung wurde ernst und ruhig, voller Respekt gegenüber dem Andenken an General Guisan und seinem mutigen Einsatz für die Freiheit und Neutralität unseres Landes.
Begleitet durch das Militärspiel sangen alle Anwsenden gemeinsam unsere Nationalhymne. Alle Redner würdigten General Guisans Rapport als glaubwürdigen Akt für mehr Widerstandsgeist und zogen Parallelen zu heute: Was braucht es zur Verteidigung der Souveränität der Schweiz? Die von General Guisan betonten Werte wie Willensstärke und Selbstvertrauen sind auch heute sehr aktuell.
Sicher dachten viele der Anwesenden an ihre Eltern oder Grosseltern, wie sie uns schon als Kindern von General Guisan erzählten und dass sie grosse Achtung vor ihm hatten und ihm voll vertrauten. Unser Dank gehört auch dieser ganzen Kriegsgeneration, die schwere Jahre erleiden musste, gleichzeitig jedoch aktiv dazu beitrug, dass unser Land frei und unabhängig blieb.
Die Begrüssungsrede aus der Urschweiz ist im Kasten gekürzt wiedergegeben.

«Existensrecht der Schweiz»

Dr. Rudolf Jaun, Professor für Geschichte der Neuzeit und Militärgeschichte, legte dar, aus welcher historischen Situation heraus General Guisans Rede auf dem Rütli entstand und welche Bedeutung sie heute noch für unser Land hat:
«Am 20. Juni 1940 hatte die Wehrmacht die französische Armee samt britischem Expeditionskorps besiegt: damit fiel nicht nur der Feind des Feindes, mit dem man zusammengehen wollte – Frankreich – aus, sondern die Schweiz war von der Achse Deutschland-Italien eingekreist, die Armee sah sich mit einer Rundumbedrohung konfrontiert. […]
Musste sich die Schweiz in irgendeiner Form dem ‹faschistisch-nationalsozialistischen Europa› anschliessen oder mindestens anpassen? Oder sollte die Schweiz versuchen, ein verfassungsmässiger Rechtsstaat zu bleiben, welcher keine Rassenunterschiede kannte und die Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen beachtete? […]
Guisan rang sich durch, den Kampf zu führen. Aber wie? Als Lösung stellten sich 3 mögliche Strategien heraus: Verzögerung an der Grenze und im Mittelland, Entscheidungskampf im Alpenraum: eine operativ-strategische Lösung, die als Reduit in die Geschichte eingehen sollte. […]
Wir haben das Souveränitätsrecht auf unserer Seite, aber das genügt in diesem Moment nicht, es könnte auch Waffengewalt nötig sein, um dieses Recht aufrechtzuerhalten, um die Geschichte der hier gegründeten Eidgenossenschaft fortzuschreiben.
Er wollte auch in verzweifelter Lage kämpfen, Erfolg im schwierigen Kampf suchen, notfalls aus der Niederlage, den Anspruch auf das Existenzrecht der Schweiz wieder begründen. Diese Botschaft wollte Guisan seinen Kommandanten übermitteln. Und er wollte ihnen sagen, wie der Kampf in dieser verzweifelten Lage zu führen sei. […]
‹Unsere einzige Rettung ist unser Wille, uns bis zum Letzten zu verteidigen›, das war die grosse politische und militärische Botschaft Guisans.» […]

«Willenskraft und Zuversicht»

Brigadier Denis Froidevaux führte seinen Gästen auf eindrückliche Weise die Zusammenhänge der Situation der Schweiz von 1940 und von 2015 vor Augen:
«Wir sollten uns also ohne Wehmut erinnern, aber mit Respekt gegenüber dieser Generation, die die Schweiz vor den Schrecken der Geschichte zu bewahren wusste. In diesem Zusammenhang möchte ich die Rolle der Frauen in dieser schwierigen Zeit der vierziger Jahre hervorheben. Sie hatten ganz allein einen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen oder dienten als billige Arbeitskräfte in der Industrie. Das, was wir heute sind, verdanken wir auch ihnen. […]
Wie viele sind es, die ihre persönlichen Interessen, ihre Karriere, ihre Familie, ihr Wohlergehen geopfert haben zugunsten der Gemeinschaft, zugunsten dem übergeordneten Interesse des Vaterlandes? Ich weiss nur zu gut, dass diese Worte hohl klingen für manche heutigen Geister, oft geprägt von Hedonismus, Egoismus und Individualismus ... Aber ich bleibe überzeugt, dass die Werte, welche Henri Guisan an diesem 25. Juli 1940 vertreten hat, nämlich Willenskraft und Zuversicht, ihre ganze Frische und Aktualität bis ins Jahr 2015 behalten haben. Jeder heute Anwesende wird darin übereinstimmen anzuerkennen, dass wir diese Schweiz lieben, so vielfältig, so unterschiedlich, so verschiedenartig, so kompliziert sie manchmal ist, aber so schön. Ja, wir lieben sie über alles, und deshalb hat die Schweizerische Offiziersgesellschaft, ohne jede Nostalgie und über alle politischen Gräben hinweg, gewünscht, hierher zu kommen, um gemeinsam mit Ihnen allen das Herz unseres Vaterlandes auf dieser Wiese schlagen zu fühlen und ihm diese Liebesworte zuzuflüstern, um ihm so unsere Dankbarkeit und Liebe auszudrücken. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie heute hier sind.»
Drei junge Offiziere aus der deutschsprachigen Schweiz, aus dem französischen Landesteil sowie aus dem Tessin sprachen in ihrer Muttersprache zu uns. Sie luden uns alle, vor allem die junge Generation dazu ein, die Zukunft aktiv zu gestalten, damit wir mit Willensstärke und Selbstvertrauen nach vorne blicken können, mit zwei grundlegenden Werten, die General Guisan vor 75 Jahren vertrat und die heute noch genau so wichtig sind.

«Bedrohungen und Herausforderungen sind vielfältig»

Oberleutnant Simon Waldis, Offiziersgesellschaft Schwyz:
«Wir sind Produkte einer vom Frieden gesegneten Generation. Sicherheit ist für uns selbstverständlich, ist für mich selbstverständlich. Die Aufgabe unter anderem der Armee muss es sein, zu vermitteln, dass die Sicherheit langfristig nur garantiert werden kann, wenn wir sie eben nicht als Selbstverständlichkeit anschauen. […] Dies führt mich zum Schluss, dass in der heutigen Zeit die Kommunikation mehr denn je zu einer sicherheitspolitischen Kernaufgabe geworden ist.
Das Interesse an der Armee ist vorhanden, das spüre ich bei jedem Gespräch. […]
General Guisan hat vor 75 Jahren mit dem Rütli-Rapport eine Art der Kommunikation gefunden, welche verstanden wurde. Mit diesem symbolträchtigen Anlass legte er den Grundstein für den Fortbestand der unabhängigen Schweiz im Zweiten Weltkrieg.
Die heutigen Bedrohungen und Herausforderungen sind vielfältig und anders als damals, die Lösung dafür die gleiche: Kommunikation! Denn sie schafft Willen und Vertrauen!»

«Der Militärdienst ist aktueller denn je»

Leutnant Edouard Hediger, Waadtländer Offiziersgesellschaft:
«Es ist ein junger, besorgter Offizier, der sich nun an Sie wendet. Seine Besorgnis betrifft nicht die uns allen bekannte unsichere Zukunft Europas, sondern die Moral seiner Kameraden. 1940 hatte Henri Guisan vor allem diese Sorge vor Augen. Die Rütli-Botschaft hatte zum Ziel, der Bevölkerung und vor allem auch dem Kader unserer Armee wieder Mut zu machen. Vielleicht ist es eine ähnliche Botschaft, den Sinn der Gemeinschaft, die man den jungen Schweizern in Erinnerung rufen muss. Und Gott weiss, dass wir Glück hatten. Die Schweiz ist nicht eines dieser europäischen Länder, wo für die jungen Menschen kaum Zukunftschancen offen sind. Es ist noch nicht zu spät, das Ruder wieder in die Hand zu nehmen. Ja, die Armee hat sehr wohl einen Sinn, der Militärdienst ist aktueller denn je. […] Vive l’armée suisse, vive la Confédération. Vive le Général.»
(Übersetzung Zeit-Fragen)

«Nationaler Zusammenhalt»

Oberleutnant Michele Bertini, Offiziersgesellschaft Tessin:
«Die Worte von General Guisan sind heute aktueller denn je. Die Schweiz befindet sich in einem sehr komplexen und schwierigen internationalen Kontext, mit schlagartigen Veränderungen im politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich. […]
In einer ähnlichen Situation allgemeiner Verunsicherung hatte Guisan die grundlegende Bedeutung des nationalen Zusammenhaltes als ein Element der Stärke unserer Nation erahnt. […]
Die Aktualität des Konzeptes des nationalen Zusammenhaltes ist offensichtlich. Deswegen ist es heute mehr als notwendig, die Bindungen, die uns Schweizer zusammenhalten zu aktualisieren und zu festigen. […]
Als Vertreter des Tessins und der gesamten italienischen Schweiz ist es mir wichtig, Euch zu versichern, liebe Eidgenossen, dass unsere Anhänglichkeit an die Schweiz und die sehr starken nationalen Gefühle, welche uns an die Eidgenossenschaft binden, ehrlich sind.»
Gegen vier Uhr erwarteten unten auf dem Urnersee die Schiffe die Rütli-Besucher: Langsam machten sich alle auf den steilen Rückweg hinunter zur Schifflände. Plötzlich überflog die Patrouille Suisse das Gelände vor dem Rütli: Die Formation erschien über den Mythen, raste im Bogen hinunter über den schmalen Urnersee, vorbei am Fronalpstock und wieder hinauf entlang der Wände des Chaiserstocks, wo sie für kurze Zeit hinter den Bergen verschwand. Einige Male wiederholte sie diesen Flug – wir standen alle wie gebannt vor diesem Schauspiel. Auf meine Frage an einen Soldaten, ob das geplant war, antwortete er: «Nein, das ist eine Überraschung, unsere Kameraden grüssen uns.» In diesem Moment drehten die Flugzeuge ihre letzte Runde und hinterliessen am Himmel eine Schleife von Lichtern. Alle freuten sich über diesen Gruss.
Weiter ging es hinunter zum Anlegeplatz: Sicher viele in Gedanken über den würdigen Gedenktag und entschlossen, wie Heidi Z’graggen gewünscht hatte, etwas von der Ruhe, Gelassenheit und Erhabenheit des Rütli mit nach Hause zu nehmen und das Gehörte an seine Mitbürgerinnen und Mitbürger weiterzugeben.    •

«Wille zur Verteidigung unseres Landes gestärkt»

von Frau Landammann Dr. Heidi Z’graggen, Uri

«Sehr geehrter Herr Bundesrat, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, Frau Staatsrätin, Herr Landammann, Damen und Herren Regierungsräte, Damen und Herren National- und Ständeräte, sehr geehrte Offiziere der Schweizer Armee, sehr geehrte Damen und Herren
Im Namen der Urner Bevölkerung heisse ich Sie herzlich zur Gedenkfeier «75 Jahre Rütli-Rapport» willkommen.
Dieser Anlass reiht sich ein in die reiche Zahl von historischen Jubiläen, die wir in diesem Jahr feiern. Doch während sich die Historiker über Morgarten und Marignano nicht einig sind, steht ausser Zweifel, dass General Henri Guisan am 25. Juli 1940 die höheren Offiziere der Schweizer Armee auf dem Rütli um sich geschart hat, um in Zeiten höchster Gefahr den Wehrwillen der Schweiz zu demonstrieren und Volk und Armee zum bedingungslosen Widerstand aufzurufen.
Die Schweiz war 1940 von den Mittelmächten ernsthaft bedroht. Die Lage war dramatisch. Just in diesem Moment höchster Anspannung, Gefahr und Verunsicherung in Bevölkerung und Politik versammelte General Guisan das höhere Offizierskader wie an einer Landsgemeinde um sich – nicht auf irgendeinem Kasernenplatz – sondern hier auf dem Rütli, auf jener Wiese also, auf der angeblich Anfang August 1291 die Eidgenossen ihren ersten Bund beschworen hatten. […]
Der Wille, zu unserem Land zu stehen, ist in der Rede von Guisan in schwersten Zeiten aktiviert worden. Wir wissen nicht, ob der Widerstand in den schwierigen Jahren des Zweiten Weltkrieges gereicht hätte, die feindlichen Armeen zu bezwingen. Wir wissen aber, dass mit der Rede Guisans der Wille zur Verteidigung unseres Landes gestärkt wurde, ja dass die Schweiz in diesem Willen geeint wurde. Ich bin überzeugt, dass auch heute die Kraft und der Mut der Generation Guisan in unseren Herzen angelegt ist […]. Hoffen wir aber gemeinsam, dass diese Situation uns nie ereilen möge.
Den Willen, für eine erfolgreiche Zukunft des Landes einzustehen, gilt es aber heute tagtäglich hochzuhalten.  Das können wir allerdings nicht aus einem abstrakten nebulösen Jemand-sollte-das-Tun erwarten – denn dieser Wille wird nicht von irgendwoher kommen. Wir können die gute Zukunft der Schweiz nicht delegieren, wir müssen sie tagtäglich selber erarbeiten. Damit übernehmen wir Verantwortung für die gute Zukunft unseres Landes. […]
Das Rütli erinnert daran, dass unser Land auf einem Vertrag dreier Länder beruht, die sich freiwillig zusammentaten, um gemeinsam die Zukunft zu gestalten, und es ist Symbol der Gemeinschaft und Solidarität, des Zusammenstehens gerade in schwierigen Zeiten und der gegenseitigen Hilfe.
Wo konnte der General die Offiziere und die Bevölkerung besser zur Geschlossenheit und Einheit aufrufen als auf dem Rütli? Er beschwor zusammen mit den höchsten Offizieren den Bund von 1291 – ganz im Sinn der Präambel unserer Bundesverfassung ‹im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken›. […]
Sehr geehrter Herr Bundesrat, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass Sie sich heute hier in Erinnerung an den Rütli-Rapport vor 75 Jahren eingefunden haben. Ich wünsche Ihnen einen eindrücklichen Tag und vor allem, dass Sie etwas von der Ruhe, Gelassenheit und Erhabenheit des Rütli mit nach Hause nehmen.»

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