Eine Rehabilitation der pädagogischen Aufgabe des Lehrers im Klassenunterricht

Eine Rehabilitation der pädagogischen Aufgabe des Lehrers im Klassenunterricht

Warum «selbstgesteuerte, kompetenzorientierte Lernprozesse» nicht halten, was sie versprechen

von Elsbeth Schaffner

Es rumort in der schweizerischen Bildungslandschaft. Die Zeitungen sind voll von kritischen und empörten Reaktionen auf die Umstellung vom Klassenunterricht zum «selbstorganisierten Lernen in altersdurchmischten Klassen» (AdL). Die Vertreter dieser Reformen bringen oft vordergründig ansprechende Argumente vor und die dahinterstehenden Theorien klingen auch irgendwie faszinierend. Aber leider scheinen viele der in den Schulen ausprobierten Konzepte in der Praxis zu scheitern. Ich gehe einig mit den Ausführungen von Lucien Scherrer, wenn er im kürzlich in der «Neuen Zürcher Zeitung» erschienenen Artikel «Versuchslabor Volksschule» schreibt:
«Kaum eine Reform der letzten Jahre hat wirklich gehalten, was von ihr versprochen wurde. So wurde die Integration von behinderten und verhaltensauffälligen Schülern in Regelklassen einst mit dem Argument verkauft, dass alle Kinder voneinander profitierten und niemand mehr ausgeschlossen werde. In der Praxis kostet das Konzept viel Geld, und trotzdem ist die Zahl der Sonderschüler nicht gesunken, sondern gestiegen. Sozialere Kinder versprachen sich Bildungstheoretiker und -politiker auch von einer ‹Grundstufe› aus Kindergarten und Primarschule. Doch nachhaltige Effekte waren auch hier nicht messbar, abgesehen von höheren Kosten. Die Zürcher Stimmbürger erteilten dem Projekt 2012 eine deutliche Abfuhr. Der Glaube der tonangebenden Bildungs-Gilde an die eigenen Möglichkeiten ist trotz allen ernüchternden Resultaten unerschütterlich. Das zeigt der Lehrplan 21, mit dem den Schülern über einen ‹selbstgesteuerten Prozess› rund 4000 ‹Kompetenzen› (Stand heute) vermittelt werden sollen. Für die Volksschule ist das keine gute Nachricht. Denn je weiter Anspruch und Wirklichkeit auseinanderdriften, desto schlechter steht es um ihre Glaubwürdigkeit.» («Neue Zürcher Zeitung» vom 26. Juli)
Bereits im März vor zwei Jahren stand in der «Neuen Zürcher Zeitung»: «Pro Jahr stellen hunderte von Klassen an den Schweizer Volksschulen von Jahrgangsklassenunterricht auf den gemischten Unterricht um. Jürg Brühlmann vom Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) redet von einer ‹Bewegung, die durch die Schweiz rollt›.» («Neue Zürcher Zeitung» vom 26.3.2012)

Kinder funktionieren anders, als Reformer es sich vorstellen

Was quasi als unaufhaltsames Naturgesetz beschrieben wurde, wurde durch einen Reformaktivismus verursacht, auf den viele Praktiker und Fachleute seit bald einem Vierteljahrhundert immer wieder hinweisen. Kernpunkte dieser Reformprogramme sind die Abschaffung des Klassenunterrichts und der traditionellen pädagogischen Aufgabe des Lehrers. Zu Unrecht wurde jahrelang der Klassenunterricht als «autoritärer Frontalunterricht» gebrandmarkt. Auch die seit Jahrzehnten herumgereichte Karikatur, die den Begriff der «Heterogenität» der Schüler geprägt hat, wird dem modernen Klassenunterricht nicht gerecht: Ein strenger Lehrer, der mit einem Zeigestock hinter einem Pult sitzt, erteilt den «Schülern» die Aufgabe, auf einen Baum zu klettern. Da die Klasse aus verschiedenen Tieren besteht (Elefant, Affe, Papagei, Fisch im Glas), ist es natürlich ungerecht, allen die gleiche Aufgabe zu stellen. Anknüpfend an die zutreffende Beobachtung, dass gleichaltrige Kinder individuell verschieden und die Zusammensetzung der Klassen von Vielfalt geprägt ist, lautet das neue Bildungsparadigma, guter Unterricht dürfe nicht mehr «lehrerzentriert», er müsse «schülerzentriert» sein. Lernwege und Lernziele seien zu «individualisieren» oder, wie es neuerdings auch heisst, zu «personalisieren». In der Praxis hat sich aber gezeigt, dass die meisten Kinder und Jugendlichen nicht so funktionieren, wie es die Theoretiker sich vorstellen.
Dies bezeugen auch folgende Auszüge aus Zeitungsberichten:
«Quer durch die Schweiz lösen Gemeinden ihre Klassen auf und stellen auf alterdurchmischtes Lernen um. Die Bildungsforschung schwärmt vom pädagogischen Mehrwert des Schulmodells. Eltern und Lehrer sind skeptisch. […] Kritik am geplanten oder bereits vollzogenen Systemwechsel wurde jüngst in einzelnen Gemeinden der Kantone Bern, St. Gallen, Zürich und Luzern laut. Und vereinzelt haben Proteste die politischen Behörden dazu gebracht, die Einführung von AdL entweder zu stoppen oder zu vertagen. […] Der Druck, AdL zu befürworten, ist – ähnlich wie beim Thema ‹integrative Schulung› – gross. Wer den Systemwechsel hinterfragt, Fragen nach Aufwand und Ertrag nur schon zu stellen wagt, gilt als Spielverderber, wer die vorbehaltlose Zustimmung zum Projekt ablehnt, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, pädagogisch nicht auf der Höhe der Zeit zu sein. […] Unbestritten ist: Der Systemwechsel auf AdL ist komplex, wird von Behörden oft völlig unterschätzt und zieht einen Rattenschwanz an Veränderungen mit sich.» («Neue Zürcher Zeitung» vom 26.3.2012)
Die damals kritisierten Mängel sind keine «Kinderkrankheiten» der Reformen, sondern werden bis heute mehr denn je beklagt. So erschien kürzlich ein Artikel über die Einführung eines «modernen» Unterrichtsmodells in der Zürcher Gemeinde Niederhasli mit dem Titel «Streit um ein neues Schulmodell – Lehrer kündigen wegen geplanter Einführung des ‹selbstorganisierten Lernens›.» Darin heisst es:
«Die Schüler werden in einem ‹Office› von ‹Lerncoaches› betreut, und statt Jahrgangsklassen gibt es altersdurchmischte ‹Homebases›. […] Wie der ‹Zürcher Unterländer› (‹ZU›) am Dienstag berichtete, haben 13 von 30 Lehrern im Schulhaus Eichi gekündigt. Der ‹überwiegende Teil›, so berichteten anonyme Lehrpersonen gegenüber der Zeitung, verlasse die Schule ‹wegen des neuen Schulmodells›. Wer die neuen Unterrichtsformen nicht gutheisse, werde so unter Druck gesetzt, dass vielen nur die Kündigung geblieben sei.» Aufgegriffen wird auch der Protest in Zumikon. Dort wehren sich Eltern mit einer Petition gegen das Altersdurchmischte Lernen, weil die Unruhe in den Klassenzimmern ihrer Ansicht nach zu gross ist («Neue Zürcher Zeitung» vom 8. Juli). Zu einem heftigen Streit um AdL kam es auch in Feusisberg (SZ), worauf die Schule ihre Schützlinge mit Armee-Gehörschutzgeräten ausrüstete; denn die Lautstärke der Schüler im Raum war unerträglich geworden. In der Zürichseegemeinde Uetikon führte die Einführung des selbstorganisierten Lernens zu einem regelrechten Dorfstreit, der in Petitionen, Rücktritten, Kündigungen und einem Exodus von Kindern an Privatschulen gipfelte. («Neue Zürcher Zeitung» vom 16. Juli)
Es stellt sich erneut die Frage: Warum werden kritische Eltern und Lehrer nicht ernst genommen, obwohl Lehrmeister im ganzen Land sich schon lange über ungenügend vorbereitete Volksschulabgänger beklagen und Wissenschaftler schon mehrfach einen Stopp der Reformen im Bildungswesen forderten?
Der pädagogische Mehrwert dieser auf der Theorie des «Konstruktivismus» gegründeten Konzepte ist auch laut den Erkenntnissen der vielzitierten Hattie-Studie nicht nachgewiesen. Nicht nur das: Sind sie doch «fast das genaue Gegenteil eines erfolgreichen Rezepts für Lehren und Lernen».1 Sogar die massgeblichen Schulreformer scheinen das zu wissen. So wird der Leiter der privaten Gesamtschule Unterstrass – einem «Entwicklungslabor» – wie folgt zitiert: «Ob allerdings die neuen Unterrichtsmodelle längerfristig bessere fachliche Schulleistungen hervorbrächten, sei noch unklar, bestätigt Rüttimann.» («Neue Zürcher Zeitung» vom 21. Juli)

Die Opfer: Nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund

In öffentlichen Schulen, an denen die Lehrer seit vielen Jahren von den pädagogischen Hochschulen und in ihren Weiterbildungen – leider oft auch unter Einbezug der verantwortlichen Schulbehörden – in diesen «entwickelten» Unterrichtsmodellen geschult werden, sind die Nachteile des «individualisierten» oder «selbstgesteuerten» Lernens offensichtlich: Immer mehr Kinder haben beispielsweise nach der ersten Klasse die Plus- und Minusrechnung im Zahlenraum bis 10 nicht automatisiert und den sogenannten Zehnerübergang (zum Beispiel 6 + 7 = 13 bzw. 13 – 7 = 6) nicht gelernt. Wichtige Grundlagen wie das kleine Einmaleins werden nicht systematisch erarbeitet und gefestigt. Die Kinder sind auf sich gestellt, was dazu führt, dass sie überall dort, wo ihnen etwas nicht auf Anhieb von alleine gelingt, entmutigt ausweichen. An sich normale Lernschwierigkeiten, die im Klassenunterricht gut aufgefangen werden könnten, werden von den Kindern umschifft und allenfalls mit kreativem Blödsinn überspielt. (Jeder, der mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, weiss, dass sie im Ausweichen sehr einfallsreich sein können.)
Die Zunahme von Lese- und Rechtschreibproblemen ist die Folge. Die fehlenden Grundlagen sind dann die Ursache für die Schwierigkeiten, die in den späteren Schuljahren auftauchen. Am meisten betroffen sind Kinder mit einem Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Familien. Das führt dazu, dass die Schere zwischen starken und schwächeren Schülern immer noch weiter auseinandergeht. Was den Kindern fehlt, ist die vertrauensvolle Beziehung zum Lehrer.
Es braucht die Lehrerpersönlichkeit, die den Schülern den Schulstoff im Klassenunterricht vermittelt. Dies wird auch in der vielzitierten Hattie-Studie bestätigt. Der Unterricht ist nur erfolgreich, wenn er die altersgemässe Entwicklungsstufe berücksichtigt.2 Der Lehrer muss den ausgewählten Stoff im fachlich sowie didaktisch sauber aufgebauten Unterricht vermitteln und die Schüler ihrem Alter entsprechend schrittweise anleiten.
Wie viele der Verfechter des «selbstorganisierten Lernens in altersgemischten Gruppen» (AdL) schwärmt auch der bereits oben zitierte Leiter der Gesamtschule Unterstrass von «überragenden sozialen Kompetenzen» und einer «optimistischen Einstellung zur Schule». Das mag man dem erfahrenen Sonderpädagogen Rüttimann abnehmen, zumal er es in der finanziell bevorzugten Laborschule mit Kindern von Eltern zu tun hat, die diese Privatschule wählen und sie auch bezahlen wollen und können.
Aber auch der Erwerb von «sozialen Kompetenzen» im geschützten Rahmen einer Privatschule ist kein Argument für die Verallgemeinerung dieser Schulreform.

Lehrplan 21 zementiert Fehlentwicklungen

Im Gegenteil kann der Lehrer gerade im pädagogisch sorgfältig geführten Klassenunterricht die Kinder viel besser zu einem sozialen Miteinander anleiten, weil er ständig mit ihnen in Beziehung ist. Es ist seine Aufgabe, mit seiner Persönlichkeit eine Atmosphäre zu schaffen, in der alle miteinander und voneinander lernen können. Gemeinschaft entsteht dann, wenn ein pädagogisch geschulter Lehrer zum Beispiel im «fragend-entwickelnden Unterricht» die Kinder auf einen gemeinsamen Unterrichtsgegenstand und aufeinander bezieht. Mit seinem Einfühlungsvermögen nimmt ein guter Lehrer wahr, wie es jedem einzelnen geht – ob die Kinderaugen leuchten oder abgelöscht sind –, und er achtet darauf, dass kein Kind sich blamiert fühlen muss und Leistungen angemessen zur Geltung kommen. So kann über drei Jahre hinweg eine Klassengemeinschaft wachsen, die von gegenseitiger Hilfe, Zusammenarbeit und Freundschaft getragen ist.
Hingegen erleiden viele Kinder, die nach dem Konzept, das auch «Individualisierende Gemeinschaftsschule» genannt wird, gerade dadurch einen Mangel an Beziehung und Gemeinschaftsbildung, weil sie nicht mehr gemeinsam mit den Gleichaltrigen unterrichtet werden.
Leider ist zu befürchten, dass mit dem Lehrplan 21 die oben kritisierten Unterrichtsmodelle zementiert werden, indem die gesamte Volksschulbildung auf das Konzept der «selbstgesteuerten, kompetenzorientierten Lernprozesse» festgelegt wird. Damit dies nicht geschieht, sollten fehlgeleitete Entwicklungen rechtzeitig erkannt und korrigiert werden.
Vordringlich wäre beispielsweise, den Ursachen der Mängel nachzugehen, auf die das Gewerbe bei den auszubildenden Lehrlingen schon seit einigen Jahren hinweist. Immer mehr Volksschulabgänger verfügen demnach bereits nicht mehr über gefestigte Grundlagen in den Fächern Deutsch und Mathematik. Dies, obwohl die meisten Lehrer sich mitsamt der Reformen ehrlich bemühen, allen Schülern den Erwerb des Schulstoffes zu ermöglichen.
Den Zusammenhang zwischen der in den letzten Jahren schleichend eingeführten Kompetenzorientierung und dem sinkenden Leistungsstand der Schüler bestätigt auch das kürzlich veröffentlichte Interview «Mit der Kompetenz sinkt das Bildungsniveau – Warum der Didaktikprofessor Jochen Krautz den Pisa-Test abschaffen würde und was er vom selbstorganisierten Lernen hält». Was er schreibt, müsste eigentlich dazu führen, dass die Verantwortlichen für den Lehrplan 21 die Kompetenzorientierung überdenken und ihn auf einen einfachen, an Fächern, Inhalten und Zielen orientierten gemeinsamen Rahmenlehrplan reduzieren: «Das Kompetenzsystem ist ein Konstrukt der OECD. Trotzdem hält die OECD daran fest. Dabei müssten die Reformer zuerst einmal beweisen, dass dieses neue System tatsächlich besser ist als das alte. Diesen Beweis gibt es aber nicht. Man darf in der Pädagogik nicht einfach etwas ausprobieren, denn damit verbaut man möglicherweise ganzen Generationen von Schülern die Lebenschancen.» («Neue Zürcher Zeitung» vom 14. Juli)
Vielerorts wird heute denn auch schon festgestellt, dass immer mehr Jugendliche weder die für eine Berufslehre erforderliche Arbeitshaltung noch eine realistische Einstellung zum Leben mitbringen. Anstatt, wider besseres Wissen, die «heterogene» moderne Gesellschaft und die Familien dafür verantwortlich zu machen, müssten die Widersprüche zwischen Theorie und Praxis erkannt und daraus die richtigen Konsequenzen gezogen werden. Warum also nicht wieder am bewährten schweizerischen Bildungsverständnis anknüpfen und weiterentwickeln, was mit Johann Heinrich Pestalozzi eine lange und auf der ganzen Welt modellhafte Tradition hat?
In der Geschichte der Pädagogik gilt die Jahrgangsklasse und die Einführung der Jahrgangsziele als grosse Errungenschaft, die es ermöglicht hat, die Kinder entsprechend ihrem Alter im Klassenunterricht gemeinsam voranzubringen. Die frühere Lehrerausbildung an den ehemaligen Lehrerseminarien fand auf der Grundlage der breit abgestützten pädagogischen Tradition des humanistischen Bildungsverständnisses statt, Grundlage war und bleibt die personale Auffassung des Menschen, die die Entwicklung des Gemeinschaftsgefühls als Ziel der individuellen Förderung in der Klassengemeinschaft beinhaltet. Individuum und Gemeinschaft stehen naturgemäss nicht im Widerspruch zueinander, sondern bedingen sich im Gegenteil gerade, denn der Mensch kann sich nur in der Beziehung und durch die Gemeinschaft in seiner individuellen Persönlichkeit entfalten. (vgl. auch Kasten auf Seite III)
Die Volksschule hat bis heute die Erziehung und Bildung zum mündigen Bürger zum Ziel. Lernen ist also nicht Selbstzweck, sondern dient dazu, später selbständig und verantwortungsbewusst seinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Nicht zuletzt hängt von der Bildung auch das Gemeinwohl und damit das friedliche, demokratisch ausgestaltete Zusammenleben in unserem Lande ab.
Den «modernen» Konzepten scheint hingegen ein «ökonomistisches Menschenbild» zugrunde zu liegen. Genauso wie der «freie» globalisierte Markt zu einem erbitterten Kampf um Ressourcen und Marktanteile und damit zum «survival of the fittest» respektive einer 80 : 20-Gesellschaft zu führen droht, kommen mit den – ebenfalls globalisierten – Lernsystemen offensichtlich nur diejenigen zurecht, die von zu Hause zusätzlich Unterstützung erhalten. Wer soll sich dann allen anderen annehmen, denen in der Schule nicht eine umfassende Bildung vermittelt wird? Oder glauben wir wirklich, dass Kinder «selbstwirksame» Wesen sind, die ihr «Potential» in einer anregenden «Lernumgebung» oder einer «Lernlandschaft» von selbst «entfalten», und dass man deshalb den von einem pädagogisch gut ausgebildeten Lehrer geführten Klassenunterricht durch «IT-Tools», «Kompetenzraster» und vielfältiges «didaktisches Material» ersetzen kann? Droht unsere Gesellschaft nicht nachhaltig Schaden zu nehmen, wenn weiterhin Geld für diese Projekte ausgegeben wird?
Die erfreulichen Initiativen in den verschiedenen Kantonen zeigen einen Weg, die in den letzten Jahren diskussionslos eingeführten Schulreformen zu überdenken und wieder an die Grundlagen des humanistischen Bildungsverständnisses anzuknüpfen. Über alle unerheblichen Unterschiede in den weltanschaulichen Ansichten hinweg können die verbindenden Werte in Schule und Gesellschaft wieder ins Zentrum der Politik gerückt werden. Die direkte Demokratie wird es ermöglichen, sich über die wichtigsten Inhalte und Ziele der Volksschule zu einigen, ohne den Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip zu schwächen.     •

1    «Konstruktivismus wird zu oft im Sinn eines schülerzentrierten, forschenden, problem- und aufgabenbasierten Lernens gesehen und dann in der Fachwelt mit Begriffen wie ‹authentisches›, ‹entdeckendes› und ‹intrinsisch motiviertes Lernen› belegt. Es wird gesagt, dass die Rolle der konstruktivistischen Lehrperson vor allem darin liege, Gelegenheiten für einzelne Lernende zu schaffen, dass diese durch eigene Aktivität und durch Diskussion, Reflexion und Austausch von Einfällen mit anderen Lernenden Wissen erwerben und Bedeutung konstruieren können, und dass all dies mit minimaler korrigierender Intervention verbunden ist (Cambourne, 2003; Daniels, 2001; Selley, 1999; von Glasersfeld, 1995). Solche Aussagen sind aber fast das genaue Gegenteil eines erfolgreichen Rezepts für Lehren und Lernen, wie es in den folgenden Kapiteln entfaltet wird.» (John Hattie. Lernen sichtbar machen, S. 32 oben)
2    John Hattie stuft auf Grund seiner Analyse die «Kognitive Entwicklungsstufe (nach Piaget)» in der Rangliste der für den Bildungserfolg verantwortlichen Faktoren auf dem 2. Rang ein. Jordan und Brownlee (1081) stellen fest, dass die Beziehung zwischen dem Piaget-Stadium (logische Operationen, konkret-, formal-operational) und der Lernleistung sehr hoch ist. «Daher ist das Wissen darüber, in welcher Art und Weise die Lernenden denken und wie dieses Denken durch ihr Entwicklungsstadium eingeschränkt ist, von höchster Bedeutung für die Auswahl der Stoffe und Aufgaben durch die Lehrperson und für die Realisierung des Konzepts der Schwierigkeit und der Herausforderung in verschiedenen Aufgaben. Dies ist auch für die Entwicklung des sukzessiven und simultanen Denkens von Bedeutung (Naglieri & Das, 1997; Sweller, 2008).»(John Hattie. Lernen sichtbar machen, S. 52)

Das Wirken von Dr. Annemarie Buchholz-Kaiser für eine fundierte Lehrerbildung

es. Ein grosses Verdienst für den Erhalt und die Weiterentwicklung einer Schulbildung, die das demokratische Gemeinwesen stärkt, kommt der wissenschaftlichen und praktischen Arbeit der leider viel zu früh verstorbenen Psychologin und Historikerin Dr. Annemarie Buchholz-Kaiser zu. Ausgehend von den Forschungsergebnissen der Individualpsychologie Alfred Adlers, der Entwicklungspsychologie, der Kulturanthropologie und anderen hat sie die Entstehung und Bedeutung des Gemeinschaftsgefühls untersucht und unter Einbezug der entsprechenden wissenschaftlichen Befunde in Theorie und Praxis laufend weiterentwickelt. Sie hat sich über Jahrzehnte für die Lehrerbildung und damit für die Bildung der heranwachsenden Generationen eingesetzt. Mit ihrem Fachwissen und ihrem politischen und historischen Horizont ebnete sie Wege, die aus Gewalt und Drogen herausführen. Ihre diesbezüglichen Konzepte wurden international gewürdigt und aufgegriffen. Ihrer Aufrichtigkeit und ihrem Mut ist es zu verdanken, dass trotz jahrzehntelangen medialen Angriffen auf ihre Person, viele Lehrer an das Bewährte anknüpfen, die pädagogische Arbeit fortführen und in ihren Kollegien und in ihrem Umfeld unterstützend wirken können.

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