Wofür Deutschland wirklich Verantwortung trägt

Wofür Deutschland wirklich Verantwortung trägt

Griechische Reparationsforderungen sind sehr berechtigt

von Dr. phil. Henriette Hanke Güttinger

Seit längerer Zeit steht Griechenland unter massivstem Druck von Internationalem Währungsfond (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU unter deutscher Ägide. Winfried Wolf1 verglich diese Situation nicht zu Unrecht mit einem Krieg: «Die griechische Wirtschaft wird mit den Sparpaket-Angriffen der ‹Troika›, bestehend aus IWF, EZB und EU-Kommission förmlich zusammengeschossen.» Nicht erst die heutige griechische Regierung, sondern schon 2012 schlug Griechenland als Gegenwehr einen politischen Weg ein. Im griechischen Parlament wurde zu einer Mass­nahme gegriffen, die schon längst überfällig war. Das griechische Finanzministerium in Athen erhielt den Auftrag, in seinen Archiven zu recherchieren, wie hoch Deutschland bei Griechenland bis zum heutigen Tag noch immer in der Kreide steht. Dabei handelt es sich in erster Linie um Reparationsschulden aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Im September 2012 orientierte Vizefinanzminister Christos Staikouras das griechische Parlament über die laufenden Ermittlungen: Das Archivmaterial werde zusammengetragen und von einer Gruppe von Sachverständigen gesichtet und ausgewertet. Am 7. April 2015 legte der neue Vize-Finanzminster Dimitris Mardas dem griechischen Parlament ein vorläufiges Ergebnis der Ermittlungen vor: Deutschland steht mit 278,7 Milliarden Euro Reparationen bei Griechenland in der Schuld.

Um die griechische Finanzkrise und die überfälligen deutschen Reparationsschulden vertieft zu verstehen, muss man sich gedanklich in die 40er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückversetzen und nicht nur die deutschen, sondern auch die Nachkriegsverbrechen der Alliierten mit in Rechnung stellen.

Der deutsche Raubüberfall auf Griechenland

Im Herbst 1940 hatten die Griechen einen Angriff von Mussolinis Truppen abgewehrt und wurden neu durch ein englisches Expeditionskorps unterstützt. Hitler sah damit den Zugriff auf das rumänische Erdöl und den geplanten Angriff auf die Sowjetunion gefährdet. Daher überfielen anfangs April 1941 deutsche Truppen neben Jugoslawien auch Griechenland, das sie zügig besetzten.
Die kleine, gut funktionierende griechische Volkswirtschaft wurde von den Besatzern sofort systematisch geplündert. Was an Wirtschaftsgütern nicht niet- und nagelfest war, wurde nach Deutschland verfrachtet. Dann wurde die griechische Volkswirtschaft auf die Kriegswirtschaft des Reiches ausgerichtet: Lieferung von Rohstoffen für die Achsenmächte, die Versorgung der Besatzungstruppen sowie das Aufkommen für die Besatzungskosten. Auf Grund einer Untersuchung2 geht der Historiker Karl Heinz Roth davon aus, dass jährlich Rohstoffe im Wert von 45 bis 50 Millionen Reichsmark ins Reich geliefert werden mussten, so Bauxit, Blei, Chromerz, Kupfer, Kohle, Mangan, Mineralöl, Molybdän, Nickel, Schwefelkies, Zink und Zinn. Auch die landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Baumwolle, Harz, Olivenöl, Reis, Rosinen, Seidenkokons, Tabak und Zucker gingen ans Reich.
Zudem wurde Griechenland zur Basis für den deutschen Griff nach Nordafrika und den Suezkanal ausgebaut. Die entsprechenden Kosten für Logistik und Nachschub hatten ebenfalls die Griechen zu berappen.

Hungersnot in Griechenland

Im Winter 1941/42 hatte die griechische Bevölkerung die verheerenden Folgen der deutschen Besatzungspolitik zu tragen. Durch die Hungersnot und ihre Folgen verloren vor allem in den mittleren und grossen Städten mehr als 100 000 Menschen ihr Leben, in erster Linie Kinder und Betagte, obwohl das IKRK mit Lebensmittellieferungen sein Möglichstes tat, um die Katastrophe einzudämmen.

Zerstörte Infrastruktur und hoher menschlicher Blutzoll

Mit dem wachsenden griechischen Widerstand verschärfte die Besatzungsmacht ihr schonungsloses Vorgehen noch weiter. Ganze Dörfer wurden eingeebnet und ihre Bewohner getötet. Auch der Rückzug der deutschen Armee aus Griechenland ab dem Herbst 1944 war gesäumt von flächendeckenden Zerstörungen: 1600 Ortschaften, 350 000 Häuser, Handelsschiffe, Hafenanlagen, Strassen- und Eisenbahnbrücken, Bahnhöfe, Verkehrsnetze sowie die Sprengung des Kanals von Korinth – so Roth. Er geht davon aus, dass die deutsche Besatzungspolitik (bei einer griechischen Bevölkerung von 6,933 Millionen) etwa 520 000 Menschen das Leben gekostet hat.2

Alliierte treten Selbstbestimmungsrecht der Griechen mit Füssen

Wer nun aber denkt, mit der Vertreibung der deutschen Besatzer habe das griechische Volk seine Freiheit wiedererlangt, täuscht sich gewaltig. Obwohl die griechische Volksbefreiungsarmee ELAS (in der Mehrheit Kommunisten und Sozialisten, aber auch viele andere) die deutsche Besatzungsmacht im September 1944 aus eigener Kraft aus dem Land vertrieben hatte, hintertrieben die Alliierten die Schaffung eines freien, souveränen Griechenlands. Im Oktober 1944 hatten sich Churchill und Stalin in einem geheimen Abkommen die Einflusssphären auf dem Balkan aufgeteilt: eine 90%ige Mehrheit in Rumänien für Stalin, eine 90% Mehrheit für Churchill in Griechenland. Jugoslawien sollte 50% zu 50% von der UdSSR und den Briten kontrolliert werden. Für Ungarn waren für die UdSSR 50% und für Bulgarien für die UdSSR 75% vorgesehen.3
Churchill plante für Griechenland eine rechtsgerichtete Regierung mit griechischem König. Um die ehemaligen Mitglieder des griechischen Widerstands niederzuhalten, schuf Churchill eine griechische Geheimarmee aus Royalisten, Anti-Republikanern und ehemaligen Nazikollaborateuren. Dies hatte zur Folge, dass der griechische Widerstand 1946 den bewaffneten Kampf gegen die Briten und die rechtsgerichtete Regierung aufnahm. Die Briten, die in arge Bedrängnis gerieten, riefen die USA nach Griechenland.
Im März 1947 wandte sich Präsident Truman an den Kongress unter anderen mit dem Argument, Griechenland gehöre zu den freien Völkern, «deren Unterstützung in die Politik der USA miteinbezogen werden muss». Mit Zustimmung des Kongresses landeten amerikanische Truppen in Griechenland. Bis Ende 1948 wurden die griechischen Partisanen4 aufgerieben, die Griechenland unter hohem Blutzoll erst von den Nazis befreit und dann die Briten besiegt hatten. «Das Ende des Bürgerkrieges bedeutete den totalen Sieg der griechischen Rechten und ihrer Schutzherren, den Vereinigten Staaten», so der britische Journalist Peter Murtagh in «The Rape of Greece».5 Nun konnten die USA, in der Nachfolge der Briten, zu Beginn des Kalten Krieges ihre künftige Militärmacht im Mittelmeerraum aufbauen. Athen – so Daniele Ganser – wurde «zur Drehscheibe aller Aktivitäten der CIA auf dem Balkan und im mittleren Osten bis hin zum Iran.»6
Es ist dieser historische Hintergrund, auf dem die offene Reparationsfrage diskutiert werden muss.    •

1    Winfried Wolf. Kahlschlag: Sparprogramme zielen auf Staatsbankrott, in: lunapark21, zeitschrift zur kritik der globalen ökonomie, 15/2011, S. 56
2    Karl Heinz Roth. Kahlfrass: Die Zerstörung der griechischen Volkswirtschaft 1941–1944, in: lunapark21, S. 42–51
3    David Horowitz. Kalter Krieg: Hintergründe der US-Aussenpolitik von Jalta bis Vietnam, Berlin 1976, S. 49
4    Auch unter Verwendung chemischer Waffen (Napalm). Vgl. Daniele Ganser. NATO Geheim­armeen in Europa – Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung, Zürich 2008, S. 334    
5    Peter Murtagh, zitiert in: Ganser, S. 334
6    Ganser, S. 337

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