von Jean A. Mirimanoff, ehemaliger Richter, Bürger von Genf
Der Wiener Friedensvertrag von 1815 garantiert seit bald zwei Jahrhunderten die Unabhängigkeit und die Neutralität unseres Landes. Die Neutralität hat uns dauerhaft vor Krieg bewahrt und hat uns andererseits ermöglicht, der internationalen Gemeinschaft bei vielerlei Konflikten unsere Vermittlungsdienste anzubieten. Die ukrainische Krise ist der jüngste dieser Konflikte.
Seit kurzem ist die Schweiz der letzte neutrale Staat in Europa, da die anderen Länder es vorgezogen haben, gemeinsam mit der Nato und der EU1 die Russische Föderation zu verurteilen. In der Schweiz füllt unser Bundespräsident innerhalb und ausserhalb der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) seine Aufgabe voll aus, indem er sich für die Wiederherstellung des Friedens einsetzt und vermittelt. Ist es wirklich nötig, ihm seine Aufgabe zu erschweren? Wer steht hinter diesen Behinderungen?
Drei Vorgehensweisen und deren Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung mit unserer Neutralität müssen öffentlich diskutiert werden, denn die Neutralität ist ein Schweizer Wert. Sie darf nicht aufs Spiel gesetzt werden, ohne das souveräne Volk zu befragen.
Die Neutralität erfordert oft Schweigen. Die Verantwortlichen eines Staates, der Vermittler sein will, müssen lernen zu schweigen, nicht zu verurteilen und – manchmal – zu missfallen. Das ist ganz einfach eine Frage des Mutes, der Würde und der Unabhängigkeit. Dies gilt auch für die Mitglieder unseres Parlaments. Eine zweigleisige Neutralität ist kein Betrug, denn sie betrügt hier niemanden, weder das Schweizervolk noch unsere Freunde zu beiden Seiten! Es ist schlimmer: Hinter der Form eines Oxymorons (Widerspruch) verbirgt sich die Zurückweisung eines fundamentalen nationalen Wertes: der Neutralität! •
1 Die Intervention der EU in der Ukraine kann nicht als «Mediation» (Vermittlung) bezeichnet werden, denn die EU ist weder unabhängig (von der Nato) noch neutral (sie hat Sanktionen gegen Russland ergriffen) noch unparteiisch (sie ist beteiligt am Schicksal der Ukraine).
Quelle: Tribune de Genève vom 5. September 2014
(Übersetzung Zeit-Fragen)
zf. Im Anschluss an die traditionelle Rede des Schweizerischen Bundespräsidenten vor der Jahresversammlung der «Vereinigung der ausländischen Presse in der Schweiz und in Lichtenstein» (APES) hat
Didier Burkhalter am 8. September 2014 einige Fragen von Journalisten beantwortet. Die Antwort auf eine Frage nach der Neutralität unseres Landes wird hier dokumentiert.
Frage eines Journalisten: Haben Sie nicht den Eindruck, dass zu viel Neutralität der Neutralität schaden kann?
Didier Burkhalter: Ganz im Gegenteil. Ich sehe das gerade umgekehrt, und das ist auch meine innere Überzeugung. Wissen Sie, wir sind überzeugt, dass es für die Welt ein Vorteil ist, von Zeit zu Zeit auch jemandem zu begegnen, der etwas anders ist. Es ist nicht von grossem Interesse, eine Schweiz zu haben, die den 29. Staat der Europäischen Union bildet. Die EU besteht schon aus 28 Staaten, da braucht es kein 29. Mitglied. Eine Neutralität, die keine mehr ist, nutzt niemandem. Die Welt braucht Neutralität, echte Neutralität, und davon gibt es nicht mehr viel. Somit ist die Frage schnell beantwortet: Ich bin überzeugt, dass unsere Neutralität eine sehr gute
Position ist, da sie allen nützt, nicht nur uns. Natürlich tauchen auch gewisse Widersprüche auf, mit denen wir umgehen müssen. In der Schweiz haben wir eine hohe Sicherheit, wir haben auch ein wirtschaftliches Umfeld, dass bisher sehr stabil war – zurzeit ein bisschen weniger – aber im Vergleich mit dem Rest der Welt ist unsere Wirtschaft doch sehr stabil. Somit sind wir recht attraktiv, was immer auch einen gewissen Neid hervorrufen kann. Es werden auch immer gewisse Fehler gefunden werden, für die man uns kritisieren wird, und das ist auch gut so. Wir werden unser Modell weiter verbessern, und das wird uns in Zukunft nur noch stärker machen. Damit haben wir kein Problem – ganz im Gegenteil.
Quelle: <link http: www.radiozones.com rep_conf_didierburkhalter.php>www.radiozones.com/rep_conf_didierburkhalter.php, vom 8. 9.14
(Übersetzung Zeit-Fragen)
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