«Eine Zivilisation, die auf eigene moralische Ideale verzichtet, verliert an geistlicher Kraft»

«Eine Zivilisation, die auf eigene moralische Ideale verzichtet, verliert an geistlicher Kraft»

Hochrangige Podiumsveranstaltung an der Uno in Genf zu den verheerenden Auswirkungen der Christenverfolgung im Nahen Osten und in der Ukraine

von Thomas Kaiser

Es war eine hochkarätige Veranstaltung im Rahmen der Frühjahrssession des Uno-Menschenrechtsrates in Genf. Auf dem ­Podium sassen keine Geringeren als der russische Aussenminister Sergej Lawrow, sein libanesischer Amtskollege Gebran Bassil und Armeniens Aussenminister Eduard Nalbandian. Weitere Referenten waren unter anderem geistliche Würdenträger der christlich Orthodoxen Kirche und andere engagierte Persönlichkeiten. Geleitet wurde das Podium von John Laughland. Er gab einleitend zu verstehen, dass mit dieser Veranstaltung erreicht werden soll, die Verfolgung der Christen auf die Agenda des Uno-Menschenrechtsrats zu setzen.

Als erster sprach der russische Aussenminister Sergej Lawrow über die Situation der Christen im Nahen Osten und am Rande auch über die Christen in der Ukraine. In seinen Ausführungen ging er auf die verheerende Situation im Nahen Osten ein. «Seit Beginn des Arabischen Frühlings hat Russland davor gewarnt, die Veränderungen in der Region nicht der Kontrolle religiösen Extremismus zu überlassen.» «Diese Region», so der russische Aussenminister, «wurde von einer Welle des Extremismus erfasst, die zwischenkonfessionellen, zwischenzivilisatorischen Widersprüche verstärkten sich. Eine normale Tätigkeit und selbst die Existenz mehrerer religiöser Gemeinden sind bedroht.» Besonders dramatisch sei die Situation in Syrien, denn «in diesem Land gab es das einmalige Modell einer friedlichen, gegenseitig respektvollen Existenz von verschiedenen religiösen Gemeinden. Durch das Nichtverhindern der Tätigkeit der Extremistenkräfte – man versuchte, sie im Kampf gegen das Regime von Baschar Assad zu nutzen – wird diese Konstellation zerstört.»  
Mit dem Entstehen des Kalifats in Syrien und im Irak wurden Dutzende von Kirchen zerstört, und es begann ein regelrechter Exodus. In Städten wie Mosul, in welchen schon seit Jahrhunderten Christen lebten, wurden diese getötet oder versklavt. Was sich auch im Zusammenhang mit dem IS in Syrien und im Irak abspielt, muss als Genozid angesehen werden, im Sinne der Konvention von 1948. Es muss dringend ein Ende der Verfolgung von Christen erreicht werden, aber auch von allen anderen Religionen.
Das Vernichten der Christen hat zudem negative Auswirkungen auf die arabische Gesellschaft. Die historischen Wurzeln sind für den Erhalt der Humanität äusserst wichtig. «Unsere gemeinsame Aufgabe ist die Bündelung der Anstrengungen im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus im Nahen Osten und Nordafrika. Wichtige Schritte in dieser Richtung wurden durch die Verabschiedung der Resolutionen des Uno-Sicherheitsrats unternommen, darunter der Resolution 2170 und 2199. Doch von entscheidender Bedeutung ist unsere gemeinsame Fähigkeit, alle Kanäle zur Unterstützung der Terroristen zu sperren, darunter ‹Islamischer Staat›, Dschabhat al-Nusra unter anderem, wobei die im Sicherheitsrat geschaffenen Mechanismen eingesetzt werden.» Wir müssen alles unternehmen, «damit die Verfolgung von Christen beendet wird», aber auch die der anderen Religionen. Es muss dringend verhindert werden, «dass Dschihadisten auf die Herzen und den Geist der jungen Menschen Einfluss nehmen. Wir fördern die Initiative von christlichen und muslimischen Führern, eine geeinte Front gegen die Ausbreitung von Extremismus aufzubauen und die hohen respektvollen Werte der Religionen zu vermitteln und zu verteidigen. Eine weitere Lehre aus den tragischen Ereignissen im Nahen Osten besteht im Verzicht auf die Versuchung, die Schicksale ganzer Völker zu Geiseln geopolitischer Ambitionen zu machen, die durch eine grobe Einmischung in die Angelegenheiten von souveränen Staaten umgesetzt werden.»
Sergej Lawrow bedauerte sehr, dass Christen nicht nur im Nahen Osten verfolgt werden, sondern dass auch im Ukraine-Konflikt orthodoxe Kirchen und Klöster zerstört wurden und orthodoxe Priester fliehen mussten. Nationalistische Extremisten hätten begonnen, religiösen Hass zu säen. Er verurteilte das aggressive Zerstören von Kirchen und christlichen Symbolen. Drei orthodoxe Priester wurden umgebracht, und viele Gläubige flohen nach Russland, um sich der Bedrohung durch Extremisten zu entziehen. Für Lawrow führt das dazu, dass Christen sich nicht mehr zu ihrem Glauben bekennen, was einen Verlust unserer kulturellen Werte zur Folge hat. Statt dessen macht sich ein aggressiver Säkularismus breit, in dessen Auswirkung christliche Werte und Vorstellungen von Moral weggespült werden. Damit wird die kulturelle und nationale Identität verwischt. Ein zunehmender Vandalismus zeigt sich im Zerstören von Kirchen, Tempeln, heiligen Orten, Friedhöfen und religiösen Symbolen. So wird es für Gläubige immer schwieriger, ihre eigene Überzeugung zu leben. Dessen muss man sich bewusst sein, «die Lehren der Geschichte zeigen, dass die Zivilisation, die auf eigene moralische Ideale verzichtet, an geistlicher Kraft verliert».
Wenn dieses Jahr zum 70sten Mal dem Ende des Zweiten Weltkriegs gedacht werde, in dem Millionen von Menschen mit unterschiedlichen Religionen und Nationalitäten getötet wurden, muss man sich dessen bewusst sein. Das Einstehen für die eigenen Werte ist äusserst wichtig. «Wir begrüssen die Tätigkeit der OSZE, wo es bereits Konferenzen zum Widerstand gegen den Islamhass und Antisemitismus gab und eine weitere Konferenz zur Problematik des Christenhasses vorbereitet wird. Wir rufen dazu auf, in der Uno, der Unesco, dem Europarat, darunter beim Dialog der Zivilisationen, diesen Fragen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Wir sind davon überzeugt, dass auch der Menschenrechtsrat seinen Beitrag leisten soll.»
Der libanesische Aussenminister begann seinen Vortrag mit einem Wort von Papst ­Johannes Paul II, der sagte: «Libanon ist nicht nur ein Staat, er ist eine Botschaft.» Libanon, so der Aussenminister, trage ein Ideal der Toleranz und des friedlichen Zusammenlebens in sich, und er sei stolz darauf, hier zu sein und diese Werte in die Welt hinauszutragen. Libanon stehe am Scheideweg, sich entweder zu einem Ort zu entwickeln, der Extremisten gebiert, oder zu einem Ort für Verhandlungen und einer Vielfalt, die weiterverbreitet werden müsse. Libanon ist ein Staat im Nahen Osten, in dem unterschiedliche Religionen und Kulturen über alle sozialen Schichten hinweg ­positiv zusammenarbeiten. Seit Jahren wird versucht, mit gewalttätigem Extremismus die Region auf Jahre hinaus zu destabilisieren. «Der IS und seine Gefolgsleute sind eine Version dieser Entwicklung, die einen Kampf gegen Minderheiten führt, insbesondere gegen Christen.» Heute im Jahre 2015 erinnern wir uns des Völkermords an den Armeniern vor hundert Jahren, die damals nur wegen ihres Glaubens vertrieben wurden. Damals war auch Libanon in Mitleidenschaft gezogen, zu dieser Zeit Teil des Osmanischen Reiches. Diese ­historische Parallele zeigt, «dass die Entstehung und Existenz des IS kein neues Phänomen in der Region ist.» Libanon sei in der Geschichte immer für alle Menschen, die unterdrückt worden sind, ein freiheitlicher Hafen gewesen. «Das ist der Geist unseres Staates.» Seit dem Ende der türkischen Herrschaft spielen die Christen «eine entscheidende Rolle zwischen den verschiedenen islamischen Richtungen.» Libanon, das wurde in den Ausführungen des Aussenministers deutlich, steht an der Frontlinie im Kampf gegen den Terrorismus, und die Menschen fühlen sich im Stich gelassen vom Rest der Welt, «der nichts anderes tue, als nur Lippenbekenntnisse abzugeben, aber weder Christen schützt noch verteidigt.» Im Irak lebten vor 20 Jahren 1 Millionen Christen. Anfang 2014 waren es noch 400 000. Heute sind es weniger als 200 000. Es ist ein Krieg gegen die Kultur. Christliche Stätten werden verwüstet, und die Menschen systematisch erniedrigt oder vertrieben. Er appellierte an die internationale Gemeinschaft, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Hinter den Vertreibungen sieht er nicht nur religiösen Fanatismus, sondern seiner Meinung nach sind das Werkzeuge, um ein politische Strategie durchzusetzen, deren Ziel es ist, den Nahen Osten neu zu organisieren. Die Angst geht um, dass der Dominoeffekt den Nahen Osten erfassen wird und weitere Regionen der Welt. Die arabische Welt hat es verpasst, rechtzeitig auf den IS und seine Ideologie zu reagieren. Wenn es gelinge, die Christen aus dieser Region zu vertreiben, dann werde die geopolitische Balance der Region in verschiedene Teile zerfallen. «Russ­land», so der Aussenminister, «setzt sich ein, um im Nahen Osten einen Ausgleich zu schaffen. Russland hat sich im Lauf der Geschichte immer für die Unabhängigkeit der Region eingesetzt.» Im Nahen Osten ist die Region, in der die Wurzeln des Christentums liegen. Von hier kommen die Christen, und da sei auch der Ort, an dem sie leben wollten. Niemand, so der Aussenminister, wisse besser, wie sie mit ihren muslimischen Brüdern umgehen müssen. Seit Jahrhunderten lebten sie miteinander und hätten sich gemeinsam entwickelt. Es brauche die Christen, um die verschiedenen Konfessionen miteinander zu verbinden. Am Ende seines Vortrags appellierte er an die internationale Gemeinschaft, die mithelfen müsse, das Problem zu lösen.
Der Aussenminister von Armenien brachte ebenfalls die Bedeutung des Nahen Ostens für die Menschheit zum Ausdruck. «Der Nahe Osten ist eine einzigartige Region in der Multikulturalität Realität ist. Es ist ein Ort, an dem sich unterschiedliche Kulturen entwickelt haben, einschliesslich des Christentums.» Auch er schilderte die Bedrohungslage, der die Christen in der aktuellen Konfliktsituation ausgesetzt sind. Die Verfolgung von Christen in dieser Region sei leider nichts Aussergewöhnliches. Stellten Christen am Anfang des 20. Jahrhunderts noch 20 Prozent der Bevölkerung, sind es zu Beginn der 21. Jahrhunderts nur noch 5 Prozent. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass die Angriffe auf religiöse Gruppen, besonders auf Christen im Irak und in Syrien rein religiös motiviert sind. Wir haben immer wieder betont, dass die Unterstützung der Terroristen von den Nachbarländern aus gestoppt werden muss. Hier unterstützt Armenien die Umsetzung der Sicherheitsrats-Resolution.
In weiteren Referaten wurde die verheerende Konfliktsituation im Nahen Osten dargestellt. Die Mehrheit der Podiumsteilnehmer war der Meinung, dass es hier nicht nur um einen religiös motivierten Konflikt geht, sondern dass dahinter eine machtpolitische Zielsetzung steht. Mother Agnes, eine Ordensschwester aus Syrien, stellte in aller Deutlichkeit klar, dass es eine von den USA angezettelte Auseinandersetzung ist, die zum Ziel hat, in Syrien einen Regime change zu bewirken. Ihrer Meinung nach ist das Erstarken des IS nur unter den Augen der USA möglich. Ein Foto, das den republikanischen Senator Mc Caine mit dem Führer des IS, Al Baghdadi, zeigt, bestätigte die vermutete Verbindung zwischen den USA und dem IS, auch wenn uns die offiziellen Medien etwas anderes glauben machen wollen. Deshalb ist auch klar, warum der IS sich so schnell ausbreiten konnte und warum er von den USA und ihren Verbündeten nur halbherzig bekämpft wird. Durch die Schwächung der Regierung Assad haben sich Extremisten in dieser Region mit Unterstützung der Vereinigten Staaten immer weiter ausgebreitet. Der sogenannte «Clash of Civilizations» sei das Resultat einer Provokation und Manipulation, um geopolitische Ziele zu erreichen. Das Problem besteht nicht zwischen dem Islam, dem Christentum und dem Judentum. Auch besteht der «Clash of Civilizations» nicht, weil «die verschiedenen Religionen nicht kompatibel» wären. Die Zwistigkeiten sind nicht inhärent, sondern das Resultat politischer Manöver. Moderate Muslime haben ihre Einstellung um ein Vielfaches mehr mit dem Leben bezahlt als Christen. Das betroffene Gebiet des Nahen Ostens hat sich zu einem Ort entwickelt, an dem die Menschenrechte ignoriert werden. In Syrien selbst war das Leben für Christen früher problemlos. In den von der sogenannten Freien Syrischen Armee besetzten Gebieten ist ein Leben für Christen kaum noch möglich. Für alle Podiumsteilnehmer ist klar, hier ist nur vordergründig ein «Kulturkrieg» im Gange, im Hintergrund geht es um ein Ringen um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Das müsse thematisiert werden und dem Menschenrechtsrat zu Kenntnis gebracht werden.     •

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK