Kapitel 1: Ein schwieriger Übergang

Kapitel 1: Ein schwieriger Übergang

Teil II: Studium und Militärdienst von 1939 bis 1943 | 1. Die Wahl von General Henri Guisan

Der erste Kriegsschatten

Meine Studentenzeit war ganz vom Zweiten Weltkrieg überschattet. Die Übersiedlung nach Bern hatte geklappt, und ich hatte mit dem Rechtsstudium an der Universität sehr gut begonnen. Mit meinen Eltern war ich bereits Ende Juni durch ein noch durchaus friedliches Jugoslawien und ein politisch weniger angenehmes Italien im Auto in die Schweiz gereist, vor allem weil mein Vater mir unbedingt die Landesausstellung in Zürich zeigen wollte. Eine gute Möglichkeit, sagte er, mich mit der Schweiz und dem Schweizertum vertraut zu machen. Noch heute träume ich von dem Höhenweg mit den Tausenden von Gemeindefahnen.
Der Schweizer Patriotismus war an der Landi in Zürich auf einem schon lange zurückliegenden und seitdem nie wieder erreichten Höhepunkt. Dabei ist für mich, wie das einmal ein angesehenes Mitglied der französischen Akademie sagte, «Patriotismus, die Liebe zur Heimat», was nicht zu verwechseln ist mit dem Nationalismus, der seine Grundlage im Hass gegen andere Länder hat.
Sicher hatte der von «Erfolg gekrönte» Marsch Hitlers zur Eroberung Europas mit zum Wiedererwachen patriotischer Gefühle in der Schweiz beigetragen. Die Mehrheit des Volkes war aufgeschreckt und empört über die Schlag auf Schlag folgenden militärischen Annexionen der Nazis: 1936 das Rheinland, 1938 Österreich, 1938/39 zunächst das Sudetenland und dann die ganze Tschechoslowakei und zuletzt die Bedrohung Polens mit dem am 1. September 1939 erfolgten Einmarsch. Auch diejenigen, die die Nazis und ihren schweizerischen Ableger, die «Frontisten», auf Grund ihres echten Demokratieverständnisses und des typischen Respekts vor Andersdenkenden bisher gewähren liessen – man denke besonders an den damaligen schweizerischen Aussenminister Pilet-Golaz – waren auf einmal aufgeschreckt oder besser gesagt aufgewacht angesichts der effizienten Okkupations- und Kriegsmaschinerie des Dritten Reichs. Die Landi in Zürich wurde zum Symbol des schweizerischen Unabhängigkeits- und Wehrwillens. Darüber mag so mancher Historiker heute schreiben, was er will, als 18jähriger packte mich dieser patriotische Elan, den die Mehrheit der Schweizer entwickelt hatte, und riss mich mit.

Ein historischer Tag

Als am 30. August 1939 die Vereinigte Bundesversammlung den Oberstkorpskommandanten Henri Guisan zum General der Schweizer Armee mit all den dazugehörenden und sehr weitgehenden Vollmachten ernannte, wurde uns allen auf einmal bewusst, dass es mit dem Zweiten Weltkrieg wirklich ernst geworden sei und dass der sich an der Landi gezeigte Zusammenhalt nunmehr seinen ersten Härtetest zu bestehen habe. Und als am 2. September 1939 die erste Allgemeine Mobilmachung 430 000 Männer und Frauen und 200 000 Hilfsdienstpflichtige zum Einrücken aufforderte und alle noch nicht oder nicht mehr Dienstpflichtigen, vor allem auch Mädchen und Frauen, aufgefordert wurden, sich freiwillig zum Dienst zu melden, war mein Vater nicht mehr zu halten. Er meldete sich sofort als Oberleutnant der Feldartillerie, so wie er das beim Ersten Weltkrieg auch getan hatte. Zuerst wollte man bei der Kantonalen Militärverwaltung in Bern nichts davon wissen. Unter dem Hinweis auf sein Alter, er war damals 52, bestand mein Vater darauf, dass er wie jeder andere dem Befehl des Generals Folge leisten wolle. Nachdem man seine Erfahrungen aus dem Eisenbahnwesen erkannt hatte, war man froh, ihn beim Munitionsnachschub in Interlaken zur Organisation und Überwachung der einzelnen Transporte aus den dortigen Depots in den Höhlen am Thunersee an die verschiedensten Bestimmungsorte einsetzen zu können.
Meine Bemühungen, auch möglichst rasch einrücken zu können, waren zunächst erfolglos. Immerhin wurde ich am 22. Januar 1940 zur Rekrutenprüfung aufgeboten und nach deren Bestehen als Kanonier den Leichten Motorisierten Truppen zugeteilt. Aber mit der Rekrutenschule klappte es nicht. Dazu kam es erst in der Zeit vom 14. Juli bis zum 8. November 1941. Meine Brüder, Heinz und Erich, waren bereits als erste eingezogen worden: Heinz beim Infanterie Bataillon 37 und Erich bei den Fliegertruppen in Payerne. Hermann, der sich bei Kriegsausbruch in der Schweiz aufhielt, wurde als ältester Sohn und Stellvertreter meines Vaters in der Firma in Sofia relativ rasch, etwa nach 30 oder 40 Tagen, vom Dienst freigestellt. Der Grund war einfach: Mein Vater wollte unbedingt seinen Dienst fürs Vaterland leisten. Die Behörden fanden von sich aus, dass mein Bruder unter diesen Umständen freizustellen sei.

Landdienst statt Rekrutenschule

Selten hat sich wohl jemand während der ersten Kriegsmonate so sehr geschämt wie ich. Es gab genug ausgebildete Soldaten, und ich musste einfach abwarten, bis eine Rekrutenschule für mich Platz hatte. Aus lauter Scham habe ich mich dann sehr rasch im Frühjahr 1940 zum freiwilligen Landdienst gemeldet und landete in der Nähe von Burgdorf beim Grossbauer Hans Bracher. Er hatte über 55 Stück Grossvieh, eine grosse Anzahl von Schweinen und wenig Personal.
Bracher war Kavallerieoberst und Stellungsoffizier für die damals von jedem Kavalleristen bei sich zu Hause gehaltenen Pferde. Er selbst hatte eine Reihe von Pferden, zwei Söhne bei der Kavallerie und einen alten bzw. den ersten Knecht im Dienst. Geblieben waren nur noch ein anderer Knecht, ein Schüler der landwirtschaftlichen Ausbildungsanstalt in Zollikofen und meine Wenigkeit, dazu die zwei Schwiegertöchter, eine Tochter und die Bäuerin. Da Bracher jeweils am Nachmittag und am Abend spät bis Mitternacht für das Militär tätig war, konnte er nur am Vormittag helfen. Dafür weckte er uns alle jeweils um vier Uhr morgens zum Mähen und Einbringen von zwei grossen Fudern Gras für die Kühe, die damals im Stall gehalten wurden. Erstaunlich, was in dieser Zeit die Frauen an Arbeit zu leisten vermochten, beim Mähen und beim Aufgabeln des nassen Grases, um es in einem grossen, schweren Ballen über dem Kopf hochzuheben und auf den Karren zu laden. Ich schämte mich mit meinen kleinen dürftigen Ballen, den unsauber geschnittenen «Grasmädli» (Heuhaufen) und dem übervorsichtigen Wetzen der «Sägesse» (Sense), aber diese Dinger waren scharf wie eine Rasierklinge. Wenn wir dann todmüde um sieben Uhr mit den zwei Fudern am Hof ankamen, die natürlich von den zwei Schwiegertöchtern mit je zwei Pferden pro Fuder gezogen wurden, gab's endlich ein währschaftes «Z'morge»: «Röschti» mit Speck, Milchkaffee und Brot. Aber nach zwanzig Minuten hiess es: «Hopp, an die Arbeit.»    •

Quelle: Frédéric Walthard, Erinnerungen 1921–1944, Band 1, S. 187ff., ISBN 978-3-909234-02-4

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