Griechenland, Deutschland und die Eurozone

Griechenland, Deutschland und die Eurozone

Rede von Prof. Dr. Yanis Varoufakis, Finanzminister Griechenlands, bei der Hans-Böckler-Stiftung in Berlin (8. Juni 2015)

zf. Weil im allgemeinen die griechische Position nicht zu Wort kommt, druckt Zeit-Fragen die Rede von Yanis Varoufakis als Dokumentation ungekürzt ab.

Danke, dass Sie mich eingeladen haben. Danke, dass Sie hier sind. Danke für den warmen Empfang. Und vor allem danke für die Möglichkeit, Brücken zu bauen, Gemeinsamkeiten zu festigen, Eintracht herbeizuführen angesichts offensichtlicher Versuche, Zwietracht zwischen Völkern zu säen, deren historische Pflicht es ist, zusammenzukommen.
Seit dem Ende des Krieges haben sich Griechen und Deutsche zusammen mit anderen Europäern geeint. Wir haben uns vereinigt trotz unterschiedlicher Sprachen, vielfältiger Kulturen, charakteristischer Temperamente. Im Prozess des Zusammenkommens entdecken wir mit grosser Freude, dass weniger Unterschiede zwischen unseren Nationen bestehen, als es Unterschiede gibt, die wir innerhalb unserer Nationen beobachten.
Dann kam das globale Finanzdesaster von 2008, und ein oder zwei Jahre später kamen Länder, die sich bisher so grossartig vereinigt hatten, schliesslich dazu, sich zu entzweien durch eine ... gemeinsame Währung – ein Paradox, das einen erheitern könnte, wenn es nur nicht so voller Gefahren wäre. Gefahren für unsere Völker. Gefahren für die Zukunft. Gefahren für die Idee eines gemeinsamen europäischen Wohlstandes.
Die Geschichte scheint ein Gespür für Possen zu haben, wenn man danach urteilt, wie sie sich manchmal selbst wiederholt. Der Kalte Krieg begann nicht in Berlin im Dezember 1944, sondern in den Strassen von Athen. Die Euro-Krise begann auch in Athen, 2010, entfacht durch das Schuldenproblem Griechenlands. Griechenland war, durch eine Wendung des Schicksals, Geburtsort sowohl des Kalten Krieges als auch der Euro-Krise. Aber die Gründe gehen viel weiter auseinander und erstrecken sich über unseren ganzen Kontinent.
Was waren die Gründe für die Euro-Krise? Nachrichtenmedien und Politiker lieben einfache Geschichten. Wie Hollywood vergöttern sie Moralgeschichten mit Bösewichten und Opfern. Aesops Fabel von der Ameise und der Heuschrecke erwies sich als sofortiger Treffer. Seit 2010 geht die Geschichte in etwa folgendermassen: Die griechischen Heuschrecken haben ihre Hausaufgaben nicht erledigt und ihr schulden-getriebener Sommer endete eines Tages abrupt. Die Ameisen waren dann aufgefordert, sie durch finanzielle Stützung zu retten. Heute sagt man der deutschen Bevölkerung, dass die griechischen Grillen (Heuschrecken) ihre Schulden nicht zurückzahlen wollen. Sie wollen eine weitere Runde eines lockeren Lebenswandels, mehr Fun in der Sonne und eine weitere Finanzrettung, damit sie das finanzieren können.
Es ist eine schlagkräftige Geschichte. Eine Geschichte, die den harten Standpunkt des Geldes gegen die Griechen, gegen unsere Regierung untermauert. Das Problem ist, dass das eine irreführende Geschichte ist. Eine Geschichte, die einen langen Schatten auf die Wahrheit wirft. Eine Allegorie, die ein stolzes Volk gegen ein anderes aufbringt. Mit Verlierern überall. Mit Ausnahme vielleicht der Feinde Europas und der Demokratie, die ihren grossen Tag haben.
Lassen Sie mich mit einer Binsenwahrheit beginnen: Die Schuld einer Person ist das Vermögen einer anderen. Vergleichbar ist so das Defizit eines Staates der Überschuss eines anderen. Wenn eine Nation oder eine Region stärker industrialisiert ist als eine andere, wenn sie die meisten der handelbaren Güter mit grosser Wertschöpfung produziert, während die andere sich auf renditeschwache, nicht handelbare mit geringer Wertschöpfung konzentriert, dann ist die Asymmetrie etabliert. Denken Sie nicht nur einfach an Griechenland in Beziehung zu Deutschland. Denken Sie auch Ostdeutschland im Verhältnis zu Westdeutschland, an Missouri im Verhältnis zum benachbarten Texas, Nord­england im Verhältnis zur Greater London Area – alles Fälle von Handelsungleichgewichten mit eindrücklichem Stehvermögen.
Ein sich frei bewegender Wechselkurs, wie der zwischen Japan und Brasilien, hilft die Ungleichgewichte unter Kontrolle zu halten – zum Preis der Volatilität. Aber wenn wir den Wechselkurs fixieren, um dem Geschäft mehr Sicherheit zu geben (oder sogar noch mächtiger, wenn wir eine gemeinsame Währung einführen), geschieht etwas anderes: Banken beginnen die Überschüsse und die Defizite zu übertreiben. Sie blähen die Ungleichgewichte auf und machen sie gefährlicher. Automatisch. Ohne die Wählerschaft oder Parlamente zu fragen. Sogar ohne dass die Regierung des Landes davon Kenntnis nimmt. Es ist das, was ich als toxische Schulden und Überfluss-Recycling bezeichne. Durch die Banken.
Es ist leicht zu verstehen, wie das geschieht: Ein deutscher Handelsbilanzüberschuss gegenüber Griechenland generiert einen Transfer von Euros von Griechenland nach Deutschland. Per Definition!
Genau das ist während der guten alten Zeiten geschehen – vor der Krise. Euros, die von deutschen Unternehmen in Griechenland und an andern Orten der Peripherie verdient wurden, häuften sich in den Banken in Frankfurt an. Dieses Geld erhöhte Deutschlands Geldvolumen (Geldangebot) und senkte den Preis für Geld. Und was ist der Preis des Geldes? Die Zinsrate! Deshalb waren die Zinssätze in Deutschland so tief im Verhältnis zu andern Mitgliedstaaten der Euro-Zone.
 Schlagartig hatten die Banken des Nordens einen Grund, ihre Reserven wieder zurückzuverleihen, an die Griechen, die Iren, die Spanier – an Staaten, in denen die Zinssätze bedeutend höher waren, da Geld in den Defizitregionen einer Währungsunion immer knapper ist.
Und so kam es, dass sich ein Tsunami von Schulden von Frankfurt, von Holland, von Paris ergoss – über Athen, Dublin, Madrid, ohne sich Gedanken zu machen über die Aussicht einer Abwertung der Drachme oder der Lira, da wir alle den Euro haben, und geködert durch die Phantasie, eines risikolosen Risikos; eine Phantasie, die an der Wall Street gesät worden war, wo die «Finanzialisierung« ihre hässliche Fratze zeigte.
Anders gesagt, die Schuldenströme an Orte wie Griechenland waren die andere Seite der Medaille von Deutschlands Handelsbilanzüberschüssen. Griechenland und Irlands Schulden gegenüber den deutschen Privatbanken hielten die deutschen Exporte nach Griechenland und Irland aufrecht. Das ist vergleichbar mit dem Kauf eines Autos bei einem Händler, der Ihnen auch das Darlehen verschafft, damit Sie sich das Auto leisten können. Anbieterfinanzierung (vendor-finance) ist die übliche Bezeichnung.
Sehen Sie das Problem? Um den Handelsbilanzüberschuss eines Staates innerhalb einer Währungsunion aufrechtzuerhalten, muss das Bankensystem wachsende Schulden bei den Defizitstaaten auftürmen. Ja, der griechische Staat war ein verantwortungsloser Kreditnehmer. Aber, meine Damen und Herren, mit jedem verantwortungslosen Kreditnehmer korrespondiert ein verantwortungsloser Kreditgeber. Nehmen Sie Irland oder Spanien, und vergleichen Sie es mit Griechenland. Deren Regierungen waren, anders als unsere, nicht verantwortungslos. Aber dann nahmen am Ende der irische und der spanische Privatsektor die zusätzlichen Schulden auf, die ihre Regierungen nicht nahmen. Die gesamte Schuld in der Peripherie war das Spiegelbild der Überschüsse der nördlichen Überschuss-Staaten.
Deshalb bringt es nichts, über Schulden in moralischen Begriffen nachzudenken. Wir haben eine Währungsunion, deren Regeln die Generierung von untragbaren Schulden garantierten. So haben wir sie konstruiert. Wir sind alle dafür verantwortlich. Gemeinsam. Gesamthaft. Als Europäer. Und wir sind alle dafür verantwortlich, sie zu beheben. Gesamthaft. Als Europäer. Ohne mit dem Finger auf den andern zu zeigen. Ohne gegenseitige Schuldzuweisungen.
Vor 2009 waren die griechischen Medien so unglaublich stolz, dass Griechenland schneller wuchs als Deutschland. Sie hatten Unrecht. Es war ein nach dem Schneeballsystem funktionierendes, von Schulden befeuertes Wachstum. Als unsere Blasen platzten, beschuldigte die deutsche Presse die Peripherie der Verschwendungssucht und nannte sie schlechte Europäer, die nun bekamen, was sie verdient hätten. Nun war die deutsche Presse an der Reihe, einen Fehler zu begehen. Angesichts des problematischen Banken-gestützten Recycling-Systems, das wir hatten, waren die exorbitanten Schulden der Peripherie wesentlich für das Florieren der Industriemaschinen und der Bankensysteme Deutschlands und Frankreichs.
Kurz zusammengefasst war das Überschuss-Recycling der Euro-Zone der Kern des Problems. Griechenland und Irland steckten einen schweren Schlag ein von seiten der Euro-Zone, die nicht gut konzipiert war. Wir erlebten einen Einbruch, um die Banken zu retten, die das ganze Recycling so schlecht machten. Um eine Euro-Zone zu retten, die ökonomisch unfähig war, die Schockwellen der grossen Finanzkrise zu absorbieren, welche ihre Konstruktion hervorgebracht hatte, und die politisch nicht willens war, unseren Überschuss-Recycling-Mechanismus neu zu gestalten.
Seit fünf Jahren haben Europa und drei verschiedene griechische Regierungen so getan, als hätten sie die Krise gelöst, während sie sie in die Zukunft verlängert haben. Sie taten so, als könne man den Staatsbankrott mit ständig steigenden Krediten abwenden, gewährt unter den Bedingungen einer die Einkommen auslaugenden Austeritäts­politik, mit der die Möglichkeit des Staates zur Rückzahlung unterminiert wird. Inzwischen hat eine Grosse Depression (Great Depression) um sich gegriffen, die politische Mitte ist zusammengebrochen, Kinder werden in der Schule ohnmächtig, weil sie unterernährt sind, und die Nazis tauchen aus der Versenkung auf.
Wie ich schon sagte: Es ist wirklich mü­ssig, sich gegenseitig die Schuld zuzuweisen. Wessen Fehler war die Krise? Wir schufen eine Euro-Zone mit einem Überschuss-Recycling-Mechanismus, der mit mathematischer Präzision zu einer Krise führte, mit Opfern überall. Je länger wir brauchen, das zu realisieren, desto grösser wird unser kollektiver Fehler.
Vorhin habe ich schon auf die Fabel von Aesop Bezug genommen, die dem Verständnis unserer Völker von ihrer Beziehung und ihrer gegenseitigen Wertschätzung so viel Schaden zugefügt hat. Erlauben Sie mir, sie in einer Weise neu zu erzählen, die besser zu den ökonomischen Umständen der Euro-Zone passt.
Zunächst einmal hoffe ich, Sie stimmen zu, dass die Vorstellung, alle Ameisen leben im Norden Europas und alle Heuschrecken hätten sich im Süden, in der Peripherie versammelt, der Komik nicht entbehrte, wäre sie nicht so beleidigend und so destruktiv für unser gemeinsames europäisches Projekt.
Was in Europa geschah, nachdem wir den Euro schufen, war, dass während der guten Zeiten die Ameisen überall hart arbeiteten, in Deutschland wie in Griechenland. Im Gegensatz dazu hatten die Heuschrecken sowohl in Griechenland wie in Deutschland eine durch das Finanzwesen angeheizte Party.
Der Fluss von privatem Geld aus Deutschland nach Griechenland erlaubte den Heuschrecken des Nordens und den Heuschrecken des Südens, gigantische Papier-Vermögen zu schaffen, auf Kosten der Ameisen – der deutschen und der griechischen Ameisen. Dann, als die Krise einsetzte, waren es die Ameisen des Nordens und vor allem die Ameisen des Südens, von Griechenland, die aufgefordert waren, die Heuschrecken beider Länder zu retten.
Diese Rettungsmassnahmen kommen die Ameisen teuer zu stehen. Vor allem die griechischen Ameisen verloren ihre Stellen, ihre Häuser, ihre Renten, während die deutschen Ameisen sich betrogen fühlten, wenn sie hörten, dass alle diese Milliarden zu den Griechen gingen, während sich ihr Lebensstandard trotz ihrer produktiven Anstrengungen nicht erhöhen wollte. Was die griechischen Heuschrecken betrifft, so haben einige von ihnen auch gelitten, aber die grossen, fetten mussten sich keine Sorgen machen: Sie brachten ihre illegal erworbenen Gelder nach Genf, nach London, nach Frankfurt. Und sie lachten auf dem ganzen Weg zur Bank.
Das ist es, was so falsch war mit den Rettungsmassnahmen. Nicht, dass die Deutschen nicht genug für die Griechen bezahlt hätten. Sie haben viel zu viel bezahlt. Aus falschen Anlässen. Geld, das, anstatt zu helfen, in ein schwarzes Loch von unhaltbaren Schulden geworfen worden war, während die Menschen überall litten. Vom durch Schulden-befeuerten Wachstum gingen wir im Kreis zur Schulden-befeuerten Austeritätspolitik.
Unsere Regierung wurde gewählt, um diesem Teufelskreis ein Ende zu setzen.
Seit 2010 [ist] unsere Party [zu Ende], und ich persönlich war gegen die Rettungspakete, die neue Schulden auf die bestehenden, untragbaren griechischen Staatsschulden häuften, und dies zu Bedingungen einer strikten Sparpolitik, mit der Verpflichtung, alle Einkommen zu senken, womit Griechenland noch tiefer in die Insolvenz, in Depression und Elend sinkt. Wir warnten, dass es reiner Wahnsinn wäre, die griechischen Staatsschulden aus den Büchern der privaten Banken auf die Schultern der Steuerzahler Europas zu laden. Es würde ein Land gegen das andere aufbringen, ohne irgend etwas beizutragen, um die Insolvenz Griechenlands anzugehen.
Die vergangenen fünf Jahre gaben uns recht. Und deshalb sind wir gewählt worden. Schon am ersten Tag im Amt habe ich unseren Partnern in der Euro-Gruppe und anderswo einen einfachen Vorschlag gemacht: In Anbetracht dessen, dass wir gewählt worden sind, um das Programm – an das ihr glaubt und das ihr wollt, dass wir es befolgen sollen – in Frage zu stellen, werden sich die Verhandlungen hinziehen. Lasst uns nach Treu und Glauben verhandeln. Aber einigen wir uns einstweilen auch so schnell wie möglich auf eine Reihe von Reformen, über deren absolute Notwendigkeit wir uns alle einig sind und welche die früheren Regierungen nicht umsetzen wollten. Bringen wir drei oder vier allgemein akzeptierte Gesetze durch unser Parlament, die sich auf die Steuerhinterziehung beziehen, die eine gänzlich unabhängige Steuerbehörde einrichten, die der Korruption einen Schlag versetzen, die das Einkommenssteuergesetz reformieren, die Fernsehkanäle regulieren und besteuern etc. etc. Lasst uns diese Reformen sofort umsetzen, während die «grösseren», «umfassenderen» Verhandlungen weitergehen.
Die Antwort, die ich erhielt, war unmiss­verständlich: «Nein! Ihr müsst nichts durch das Parlament bringen, bevor die vollständige Überprüfung des griechischen Programms erfolgreich abgeschlossen ist. Jede solche Gesetzgebung wird als unilaterale Handlung betrachtet werden und eure Beziehung mit den Institutionen gefährden.» Und so haben sich die Verhandlungen immer weiter geschleppt und unsere Energien ausgezehrt, während die Wirtschaft stagniert und wichtige Reformen noch immer auf eine Gesetzgebung warten.
Ich werde oft gefragt: «Sei es, wie es will, warum habt ihr die Verhandlungen mit den Institutionen nicht abgeschlossen? Warum einigt ihr euch nicht schnell mit ihnen?» Es gibt drei Gründe dafür.
Erstens: Die Institutionen bestehen auf ökonomisch unhaltbaren makroökonomischen Zahlen. Betrachten wir drei solche entscheidenden Zahlen für die nächsten sieben Jahre: die durchschnittliche Wachstumsrate, den durchschnittlichen Primärüberschuss und die durchschnittliche Grössenordnung von finanzpolitischen Massnahmen (zum Beispiel neue Steuern, Kürzungen von Beihilfen oder Renten). Die Institutionen schlagen uns jeweils Zahlen vor, die unvereinbar miteinander sind. Sie beginnen damit, dass Griechenland eine durchschnittliche Wachstumsrate von etwa 3% erreichen sollte. Das ist schön und gut. Aber um dann mit ihrem «Ziel» in Übereinstimmung zu bleiben, uns zu zeigen, dass unsere Schulden bis zum Jahr 2022 auf 120% unseres Volkseinkommens herunterkommen können, verlangen sie Primärüberschüsse von über 3%, mit grossen fiskalischen Massnahmen, um diese Primärüberschüsse zu erreichen. Die Schwierigkeit hier besteht natürlich darin, dass wir die über 3% Wachstumsrate, die sie annehmen, nie erreichen, wenn wir diese Zahlen annehmen würden und unserer schwachen Wirtschaft diese hoch rezessiven Haushaltsüberschüsse aufbürden. Das Endergebnis eines Eingehens auf die untragbaren fiskalischen Zahlen der Institutionen ist, dass Griechenland einmal mehr kläglich dabei scheitert, die versprochenen Wachstumsraten zu erreichen, mit schrecklichen Auswirkungen für unser Volk und auf unsere Fähigkeit, die Schulden zurückzuzahlen. Mit anderen Worten: Die spektakulären Misserfolge der vergangenen fünf Jahre werden in der Zukunft weitergehen. Wie kann unsere neue Regierung so etwas zustimmen?
Zweitens: Wir mögen eine ideologische Regierung der radikalen Linken sein, aber leider sind es die Institutionen, die ideologische Fixierungen haben, die es unmöglich machen, zu einer Einigung zu gelangen. Nehmen Sie zum Beispiel ihr Insistieren darauf, dass Griechenland eine Zone ohne Arbeitsschutzgesetze sein solle. Vor zwei Jahren lösten die Troika und die damalige Regierung alle Tarifverhandlungen auf. Die griechischen Arbeiter sind ihren eigenen Methoden überlassen, um mit den Arbeitgebern zu verhandeln. Arbeitnehmerrechte, deren Erreichen mehr als ein Jahrhundert gebraucht hat, wurden in wenigen Stunden weggefegt. Das Resultat war nicht höhere Beschäftigung oder ein effizienterer Arbeitsmarkt. Das Resultat war ein Arbeitsmarkt, in dem mehr als ein Drittel der bezahlten Arbeit nicht deklariert ist, was die Pensionskassen und die Steuereinnahmen der Regierung zur permanenten Krise verurteilt. Unsere Regierung hat einen äusserst vernünftigen Vorschlag eingebracht: Die Sache vor die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) zu bringen und diese zu veranlassen, dass sie uns behilflich ist, ein modernes, flexibles, unternehmensfreundliches Gesetz aufzusetzen, das Tarifverhandlungen wieder ihren rechtmässigen Platz in einer zivilisierten Gesellschaft zurückgibt. Die Institutionen lehnten diesen Vorschlag ab und stempelten unseren Standpunkt als «Rückzug von Reformen» ab.
Der dritte Grund, warum wir uns mit den Institutionen nicht einigen konnten, sind die sozial ungerechten und untragbaren Massnahmen, auf denen sie bestehen. Zum Beispiel betragen die tiefsten Renten in Griechenland 300 Euro, davon stammen mehr als 100 Euro aus dem, was als «Solidaritätsrente» oder EKAS bekannt ist. Die Institutionen bestehen darauf, dass wir EKAS abschaffen, und schlagen gleichzeitig vor, dass wir die Umsatzsteuern auf Pharmazeutika (von denen Rentner abhängig sind) von 6% auf 12% und der Elektrizität von 13% auf 23% erhöhen. Einfach gesagt: Keine Regierung, die auch nur ein kleines bisschen Einfühlungsvermögen für die schwächsten Bürger hat, kann solchen Vorschlägen je zustimmen.
Ich könnte so immer weiterfahren und eine Litanei inakzeptabler Forderungen unserer Gläubiger auflisten. Ich werde es nicht tun. Ich bin sicher, dass Sie das Wesentliche erfasst haben.
Manche fragen mich, ob wir bereit sind, den «Grexit» zu riskieren, um die Forderungen der Institutionen nicht zu unterzeichnen. Unsere Antwort ist, dass das ein trauriger Tag für Europa sein wird, wenn seine Integrität zu einem Fussball wird, der herumgekickt wird in einem Spiel, dessen Ziel es ist, ein souveränes Volk dazu zu zwingen, einen unmöglichen Handel abzuschliessen. Sollte unserem Volk ein derart furchtbarer Handel aufgezwungen werden, wird das auf alle Fälle nicht mit unserer Unterschrift sein. Immanuel Kant lehrt uns, dass die Würde der Pflicht nichts zu tun hat mit dem Kalkül der Opportunität. Es ist eine Ironie, dass es eine griechische Regierung braucht, um Europa an das Wort des grossen deutschen Philosophen zu erinnern.
Um auf die Reformen zurückzukommen, die Griechenland braucht: In gewissem Sinne ist das, worum unsere Regierung unsere Partner bittet, uns eine Chance für Reformen zu geben. Unsere Hausaufgaben zu machen. Bitte lasst uns Griechenland nachhaltig reformieren. Denn wenn ihr weiterhin auf logisch unvereinbaren Zahlen besteht, auf ideologischen Fixierungen und auf sozial ungerechten Massnahmen, dann werden wir nicht in der Lage sein, das griechische Volk auf dem Reformweg mitzureissen, den das Land braucht. Griechenland wird unreformierbar bleiben, wenn die Institutionen sich durchsetzen. So einfach ist es.
Um zu rekapitulieren: Wir müssen uns auf angemessene, nachhaltige Reformen einigen und sie in einem grösseren Paket einbinden, einem grösseren Abkommen, das die griechische Krise ein für alle Mal beendet. Neben diesen umfassenden Reformen muss dieses umfassendere Abkommen zwei Elemente enthalten: einen Mechanismus, um die Staatsschuld Griechenlands tragbar zu machen (ohne Schuldenschnitt und ohne neue Gelder für den griechischen Staat), und ein Investitionspaket, das die Wirtschaft ankurbelt und in private Investitionen drängt.
Die Krise Griechenlands begann mit der Untragbarkeit der Staatschulden. Sie wird nur ein Ende finden, wenn die Staatsschulden wieder tragbar werden. Hier unser Vorschlag:
Griechenland erwirbt heute eine neue Verpflichtung von 27 Milliarden gegenüber dem ESM, die uns erlaubt, von der EZB die alten SMP Pfandbriefe [Securities Markets Programme: Programm der EZB zum Ankauf von Staatsanleihen und privaten Anleihen], welche die EZB 2010 verkaufte, zurückzukaufen; und deren Nennwert beträgt genau 27 Milliarden. Dann zahlen wir diese Pfandbriefe sofort zurück. Entsprechend wird die EZB vollständig abgegolten für die verbleibende Schuld Griechenlands ihr gegenüber. Im Ergebnis wird dies unsere kurzfristige Finanzierungslücke beseitigen und griechischen Staatsanleihen ermöglichen, am Programm der quantitativen Lockerung (quantitative easing) der EZB teilzunehmen, was uns helfen würde, in einer Art und Weise an die Finanzmärkte zurückzukehren, welche die Notwendigkeit weiterer zukünftiger Darlehen des öffentlichen Sektors beseitigt. Sind die SMP-Anleihen der EZB einmal zurückbezahlt, wird die EZB, wie bereits vereinbart, die «Gewinne» zurückzahlen (zirka 9 Milliarden Euro), die sie gemacht hat, weil sie diese ursprünglich unter dem Nennwert gekauft hat (gemäss den bestehenden Vereinbarungen für die Rückgabe der SMP-Programm-«Gewinne» der EZB an Griechenland). Griechenland verbraucht diese Summe, um einen Teil seiner verbleibenden Schulden beim IWF (19,96 Milliarden) zurückzuzahlen. Die restliche Schuld gegenüber dem IWF (zirka 11 Milliarden) werden durch den wiedererlangten Marktzugang refinanziert.
Ein offensichtlicher Einwand gegen dieses Tauschgeschäft besteht darin, dass, während Griechenland kein neues Geld erhält, der ESM eine neue Verpflichtung erwerben muss und dafür eine Reihe neuer Bedingungen nötig ist. Das ist wahr. Aber es eröffnet sich sogleich eine einfache Lösung: Die gleichen Bedingungen, das heisst Reformpakete, denen wir für den Abschluss des laufenden Programms zustimmen sollen, können auch als Bedingungen für diese neue Vereinbarung mit dem ESM dienen; ein üblicher Satz von Bedingungen, den unsere Parlamente gutheissen als Basis dafür, das laufende Programm zu beenden und mit der neuen Vereinbarung zu beginnen. So müssen weder Kanzlerin Merkel noch Premierminister Tsipras zweimal durch unsere Parlamente gehen. Eine einfache, effiziente und wirksame Vereinbarung ist damit in Sicht.
Ein Schuldenmanagement ist eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung für die Beendigung der griechischen Krise. Griechenlands Wirtschaft muss angekurbelt werden. Während eine langfristige Erholung privat finanziert wird werden müssen, wird es einen initialen Anschub brauchen, um die Investitionsfinanzierung richtig in Gang zu bringen. Es wird auch ein Mittel brauchen, um mit den voluminösen notleidenden Krediten zu verfahren, die gegenwärtig das Kreditsystem blockieren. Hier unser Vorschlag an dieser Front:
Der Europäische Rat gibt der Europäischen Investment Bank (EIB) grünes Licht, um mit einem Spezial-Investitions-Programm für Griechenland zu beginnen, das vollständig durch eine Spezialausgabe von EIB-Bonds finanziert wird (unter Verzicht auf die Forderung einer nationalen Ko-Finanzierung), wobei die EZB für letztere Sekundärmarkt-Abdeckung gewährt (im Rahmen ihres Quantitative Easing Programms) – verwaltet werden sie durch die EIB und den EIF (Europäischer Investment Fund) in Kooperation mit einer neuen öffentlichen Entwicklungsbank in Zusammenarbeit mit dem EFSI [Europäischen Fonds für strategische Investitionen der EIB], mit dem Hellenic Investment Fund, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung [EBRD European Bank für Reconstruction and Develepment], der Kreditanstalt für Wiederaufbau [deutsche, nationale Förderbank] und anderen europäischen Investitionsinstrumenten und in Verbindung mit neuen Privatisierungen (zum Beispiel Häfen, Eisenbahnen).
Der grosse Vorzug dieses Vorschlages ist, dass er Griechenlands Gläubigern keine Kosten verursacht. Die EIB arbeitet nach reinen Bankenkriterien und könnte bei dieser Gelegenheit von Griechenlands schnellem ökonomischen Wachstum und dem unvermeidlichen Anstieg der Preise für Vermögenswerte profitieren. Der blosse «Ankündigungseffekt» dieses Reformpaketes, des Schuldenmanagements und eines EIB-Investitionspaketes, wird, schon bevor irgendeine Investitionsfinanzierung gegeben wurde, zu einem Andrang von wesentlichen Investitionen führen und die griechische Krise zwangsläufig beenden.
Wenn wir die griechische Krise hinter uns haben, wird Europa immer noch sich selbst im Spiegel betrachten und darüber beratschlagen müssen, wie unsere Währungsunion sich festigen kann, um sicherzustellen, dass die nächste Krise nicht eine existentielle wird.
Klar brauchen wir eine politische Union. Aber was für eine? Vergessen wir nicht, dass die Sowjetunion eine politische Union war, wenn auch keine, die wir nachahmen möchten. Nein, was Europa anstreben muss, ist eine demokratische politische Union, die seinen Völkern zusagt.
Wir Europäer müssen uns eine wichtige Frage stellen: Wollen wir eine liberale poli­tische Union, die sich mit denen auseinandersetzt, die der gegenwärtigen europäischen Politik kritisch gegenüberstehen, aber der EU verpflichtet sind (wie unsere Regierung)? Oder wollen wir eine politische Union, die keine Toleranz für Widerspruch gegen neoliberale Strategien kennt und die versucht, unbequeme Pro-Europäer wie die Syriza-Regierung auf Kosten der europäischen Demokratie auszulöschen? Erlauben Sie mir die Vermutung, dass Europa, wenn es sich für Letzteres entscheidet, letztendlich von Anti-Europäern dominiert werden wird, die Eu­ropa und alles, wofür es steht, hassen und es zurück zu nationalistischem Tribalismus führen wollen, der so viele menschliche Verluste über so viele Jahrhunderte verursachte.
Einige führende Europäer glauben unglücklicherweise, dass es hilfreich wäre, Griechenland als moderne Iphigenie zu opfern, damit der Rest unter dem Regime einer eisernen Disziplin, die durch die Angst, die ein «Grexit» in den Herzen und Köpfen anderer Europäer erzeugt haben wird, geformt wird, Richtung politische Union lossegelt. Ich fürchte, das wäre ein Versuch, mit den Mitteln des Autoritarismus und einer rezessiven Volkswirtschaft an einem unhaltbaren Modell festzuhalten. Letztlich würde das die Union spalten und unsägliche wirtschaftliche und menschliche Kosten verursachen.
Lassen Sie mich auf eine andere Heldin des antiken Tragödien-Repertoires hinweisen: Antigone. Antigone symbolisierte die gerechte Anfechtung ungerechter Gesetze; von Regeln, welche gegen die Grundprinzipien von Recht und Billigkeit verstossen. Sie war natürlich keine Anarchistin. Sie glaubte an Regeln. Aber ach, sie glaubte, wenn wir mit schlechten Regeln konfrontiert sind, mit Regeln, die der conditio humana abträglich sind, ist es unsere Pflicht, sie in Frage zu stellen und durch bessere, der menschlichen Bestimmung besser angepasste Regeln zu ersetzen.
Was, denken Sie, entspricht dem europäischen Projekt am besten? Agamemnons Strategie, Iphigenie zu opfern? Oder Antigones Hang für bessere Regeln? Die Idee, Griechenland von der Euro-Zone zu amputieren, um den Rest zu disziplinieren? Oder die Idee, alle auf der Grundlage vernünftiger, sensibler, humanistischer Vorgehensweisen näher zusammenzubringen?
Das wesentliche Problem, vor dem wir stehen, ist, dass die Krise den politischen Willen untergraben hat, die Volkswirtschaften unserer asymmetrischen Währungsunion unter Achtung der nationalen Souveränität einander näherzubringen. Bürger kehren der Währungsunion verständlicherweise den Rücken und beginnen, sich zurückzuziehen auf nationalen Chauvinismus und Stereotypien, nicht auf nationale Souveränität.
Die riesengrosse Frage ist daher: Ist es möglich, den Völkern unserer asymmetrischen Währungsunion mehr Souveränität zu geben, während man gleichzeitig einen wirksamen, nicht-toxischen Überschuss-Recycling-Mechanismus einführt?
Ich denke, es ist möglich. Aber es bräuchte ein weiteres langes Treffen, um zu erläutern und zu diskutieren, wie.
Am 6. September 1946 reiste US-Aussenminster James F. Byrnes nach Stuttgart, um seine historische Hoffnungsrede zu halten. Sie markierte den Sinneswandel Amerikas gegenüber Deutschland und gab der gefallenen Nation eine Chance, um sich Erholung, Wachstum und eine Rückkehr zur Normalität wieder vorstellen zu können.
Bis Byrnes Hoffnungsrede Lichtstrahlen von Optimismus ins besetzte Deutschland dringen liess, waren die Alliierten geschlossen in ihrem Engagement, «Deutschland in ein Land von vorwiegend landwirtschaftlichem und ländlichem Charakter» zu verwandeln. Die Rede von Byrnes signalisierte dem deutschen Volk eine Abkehr von der Straf­aktion der De-Industrialisierung, die bis Ende der 1940er Jahre die Zerstörung von 706 Industrieanlagen vorgesehen hätte.
Deutschland verdankt seinen Wiederaufbau nach dem Krieg und seinen Wohlstand seinem Volk, seiner harten Arbeit, Innovation und Engagement für ein geeintes, demokratisches Europa. Ohne das, was die Hoffnungsrede signalisierte, wäre es aber nicht zu einer grossartigen Wiedergeburt in der Lage gewesen.
Vor der Rede von Byrnes und auch noch eine Weile darüber hinaus waren die Alliierten Amerikas nicht sehr erpicht darauf, die besiegten Deutschen wieder hoffen zu lassen. Aber nachdem Washington beschlossen hatte, Deutschland zu rehabilitieren, gab es kein Zurück mehr. Seine Wiedergeburt war denkbar, erleichtert durch den Marshall-Plan, die US-gesponserte Schuldenabschreibung, wie auch durch den Zustrom an Arbeitskräften durch die Migranten aus Italien, Jugoslawien und Griechenland.
Ohne diese grundlegende Veränderung hätte sich Europa nicht in Frieden und Demokratie vereinen können. Jemand musste moralistische Einwände beiseiteschieben und leidenschaftslos auf eine Nation blicken, die in einer Reihe von Umständen blockiert war, die nur Unfrieden und Zersplitterung auf dem ganzen Kontinent reproduzieren würden. Die Vereinigten Staaten, die als einzige Gläubiger-Nation aus dem Krieg hervorgegangen waren, taten genau das.
Sieben Jahrzehnte später steckt eine andere Nation in der heillosen Falle, die Wellen in Europa wirft und aus der sie nicht entfliehen kann ohne eine Variante der Hoffnungsrede von Byrnes. Griechenland! Moralistische Einwände sind zahlreich und stehen im Wege, wenn es darum geht, dem griechischen Volk eine Chance zu gewähren, Fluchtgeschwindigkeit zu erreichen. Man verlangt vermehrte Sparmassnahmen von einer Wirtschaft, die am Boden ist, weil sie die kräftigste Dosis an Sparmassnahmen zu ertragen hatte, die je ein Land in Friedenszeiten erlebte. Kein Angebot eines Schuldenerlasses. Kein Plan für einen Investitionsanschub. Und sicher keine für dieses gefallene Volk.
Die griechische Regierung hat eine Reihe von Vorschlägen für tiefgehende Reformen, Schuldenmanagement, aber auch einen Investitionsplan zur Ankurbelung der Wirtschaft eingebracht. Griechenland ist wirklich bereit und willens, mit Europa einen Vertrag einzugehen, der die bösartigen Faktoren ausmerzt, die dafür verantwortlich waren, dass Griechenland der erste Dominostein war, der 2010 fiel. Wir sind bereit, unsere Rolle zu übernehmen, wenn es darum geht, ein korrektes, nachhaltiges [Überschuss-]Recycling-Programm für die Euro-Zone zu entwickeln, unsere Hausaufgaben zu machen und die Regeln einzuhalten, die wir gemeinsam mit unseren deutschen Freunden verfassen.
Aber um diese Reformen umzusetzen, brauchen die Griechen eine fehlende Zutat: Hoffnung!
Eine Hoffnungsrede für Griechenland ist daher genau das, was heute den entscheidenden Unterschied ausmachen würde.
Eine Hoffnungsrede würde tatsächlich auch unseren Gläubigern zugute kommen, weil unsere Wiedergeburt die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalles ausschliessen würde.
Was sollte dazu gehören? Eine Hoffnungsrede muss nicht technisch sein. Sie sollte einfach einen Sinneswandel markieren, einen Bruch mit dem Hinzufügen neuer Kredite auf bereits untragbare Schulden unter der Bedingung von weiteren Dosen strafender Sparmass­nahmen wie in den vergangenen fünf Jahren.
Wer sollte sie halten?
Meiner Meinung nach sollte das die deutsche Kanzlerin sein.
Wo? In Athen oder Thessaloniki oder irgendeiner griechischen Stadt ihrer Wahl.
Sie sollte die Gelegenheit nutzen, um einen neuen Ansatz für die europäische Integration durchblicken zu lassen, der in dem Land beginnt, das am meisten gelitten hat, das Opfer ist sowohl der fehlerhaften monetären Konstruktion Europas als auch der Versäumnisse seiner eigenen Gesellschaft.
Aus Sicht der Praxis möchte ich Sie darüber informieren, dass wir heute in unserer Mitte meinen grossen Freund und Kollegen James Kenneth Galbraith haben – den Sohn und eigentlichen Autor von Byrnes Hoffnungsrede, John Kenneth Galbraith. Wenn nötig, könnte er sicher beim Entwurf einer Rede behilflich sein, die Europa verändern könnte. Genauso wie die Rede von Byrnes 1946.
Erlauben Sie mir, mit einer sehr persönlichen Bemerkung abzuschliessen.
Eine meiner bleibenden Erinnerungen aus meiner frühen Kindheit ist der knackende Ton der Radiosendung der Deutschen Welle. Es waren die trostlosen Jahre unserer Diktatur von 1967–1974, als die Deutsche Welle der kostbarste Verbündete gegen die erdrückende Macht der staatlichen Unterdrückung war.
Mama und Papa drängten sich zusammen beim Radioapparat, manchmal mit einer Wolldecke bedeckt, um sicherzugehen, dass neugierige Nachbarn keine Chance bekamen, die Geheimpolizei zu rufen. Nacht für Nacht brachten diese «verbotenen» Radiosendungen in unser Heim einen Hauch von frischer Luft aus einem Land, Deutschland, das fest auf Seiten der griechischen Demokraten stand. Obwohl ich zu jung war, um zu verstehen, was das Radio meinen gebannt hörenden Eltern sagte, identifizierte meine kindliche Vorstellung Deutschland als eine Quelle der Hoffnung.
Darum geht es. Ich beende meine Rede in diesem Sinne als Hommage an meine deutschen Freunde, welche die Erinnerung an jene knackenden Töne der Deutschen Welle lebendig halten, zweckdienlich und dauerhaft inspirierend.    •

Quelle: <link http: yanisvaroufakis.eu greeces-future-in-the-eurozone-keynote-at-the-hans-bockler-stiftung-berlin-8th-june-2015 external-link-new-window external link in new>yanisvaroufakis.eu/2015/06/09/greeces-future-in-the-eurozone-keynote-at-the-hans-bockler-stiftung-berlin-8th-june-2015/ 
(Übersetzung Zeit-Fragen)

Yanis Varoufakis

Yanis Varoufakis (geb. 1961) studierte Wirtschaftsmathematik an der Universität Essex und mathematische Statistik an der Universität Birmingham. 1987 Promotion in Ökonomie in Essex, 1986–1988 Fellow und Lehrkraft an der Universität Cambridge, Dozent an den Universitäten von East Anglia in Norwich/UK(1986-88) sowie Glasgow (1995–96). Von 1988–2002 Fellow und Dozent an der University of Sydney. 2000 wurde er als Professor für Ökonomie an die Universität Athen berufen. Seit 2013 Gastprofessor an der Lyndon B. Johnson Graduate School of Public Affairs an der University of Texas in Austin USA.
2004 von Giorgos Andrea ­Papandreou, Vorsitzender der PASOK, zum Wirtschaftsberater für die ­Partei berufen. Im Dezember 2006 distanzierte sich Varoufakis jedoch von ­Papandreou, weil er die wirtschaftspolitische Haltung der PASOK nicht mitverantworten wollte. 2015 wird er für Syriza ins griechische Parlament gewählt und am 27. Januar 2015 von ­Alexis Tsipras zum Finanzminister berufen.

«Nicht, dass die Deutschen nicht genug für die Griechen bezahlt hätten. Sie haben viel zu viel bezahlt. Aus falschen Anlässen. Geld, das, anstatt zu helfen, in ein schwarzes Loch von unhaltbaren Schulden geworfen worden war, während die Menschen überall litten. Vom durch Schulden-befeuerten Wachstum gingen wir im Kreis zur Schulden-befeuerten Austeritätspolitik.»

«Nebenbei: unsere Löhne sanken um 38 Prozent. Nicht 17, nicht 18, nicht 28 – 38 Prozent. Einige mögen sagen: Nun, ihr habt das verdient. Ihr habt über eure Verhältnisse gelebt, ihr habt nicht genug produziert, ihr wart faul, habt lange Ferien und lange Mittagspausen gemacht. Vielleicht. Lassen wir das. Ich will hier nicht widersprechen. Was ich sagen möchte, ist folgendes: 38 Prozent Rückgang der Löhne, substantieller Rückgang der Produktionskosten, und doch sind die Exporte platt. Das ist noch nie passiert. Zu keiner Zeit, nirgendwo. Das ist ein zentraler Fehlschlag. Die Leute sagen, das liegt daran, dass die Griechen keine Reformen gemacht haben. Nehmen wir an, dass nichts geschah. Es stimmt nicht, dass wir keine Reformen gemacht haben, aber lassen wird das so stehen um des Argumentes willen. Die Tatsache, dass man einen so starken Rückgang der Arbeitskosten hat und dennoch keine Zunahme der Exporte, bedeutet, dass etwas wirklich gravierend falsch lief. Was war es? Die Banken. Wir haben exportorientierte Unternehmen in Griechenland mit vollen Auftragsbüchern, mit Profitabilität, aber sie bekommen keine Kredite. Daher können sie keine Rohstoffe kaufen, um die Kunden ausserhalb Griechenlands mit Produkten zu beliefern, welche die Kunden wollen. Sie gehen zu den Banken, und die Banken sagen, wir können nichts geben, aufgrund des hohen Ausmasses notleidender Kredite. Sie gehen nach Frankfurt oder Paris. Wissen Sie, was man ihnen sagt? Verlegen Sie ihren Hauptsitz hierher, dann werden wir Ihnen Kredite geben. So kann man keine Währungsunion führen.»

Stellungnahme von Prof. Dr. Yanis Varoufakis in der Podiumsdiskussion nach dem
Referat bei der Hans Böckler Stiftung am 8. Juni 2015. (Nachzuhören auf <link http: livestream.com dmake zukunft videos external-link-new-window external link in new>livestream.com/dmake/zukunft/videos/89664402; Übersetzung Zeit-Fragen)

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