Wir brauchen eine umfassende Wertediskussion

Wir brauchen eine umfassende Wertediskussion

Lilienberg-Gedanken

Die Entwicklung in Politik und Gesellschaft und die Erkenntnisse aus dem Zyklus «Erfolgreich und menschlich-christliche und andere Werte im Unternehmertum» (2012/2013).

Unsere Welt ist unübersichtlich geworden: Sie wird von gewaltigen Entwicklungen – wie beispielsweise der Globalisierung, der Revolution der Informationstechnologie oder der Finanzkrise – getrieben. Darum ist es wichtig, dass sich die Menschen wieder vermehrt ihrer Werte bewusst werden, um sich orientieren und Halt finden zu können. Das gilt besonders auch für Unternehmerinnen und Unternehmer sowie für Führungspersönlichkeiten in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Aber auch im Hinblick auf die wichtigsten Fragestellungen und die kommenden grossen Herausforderungen – zum Beispiel die Sicherung der Sozialwerke im Zeichen des demographischen Wandels oder die enorme Komplexität des globalen Zusammenlebens –, ist es fast zwingend, dass wir uns einer umfassenden Wertediskussion stellen: Denn nur wenn ein gewisser Wertekonsens in Volk und Land vorhanden ist, lässt sich die Zukunft erfolgreich meistern und der Standort Schweiz mit seinem Wohlstand und seinen Wohlfahrtsleistungen erhalten!

Deutliche Warnsignale aus dem Volk

In der jüngsten Vergangenheit haben sich in der Schweiz die Anzeichen verdichtet, dass in unserem Land einiges nicht mehr im Lot ist und die Unzufriedenheit zunimmt. Vor allem an der Urne und mit ihrer Unterschrift auf den Sammelbögen zahlloser Initiativen und Referenden geben immer mehr Bürgerinnen und Bürger ihrem Unmut – oft aber auch ihrer Anspruchshaltung – freien Lauf.
Gemeint sind hier etwa die Annahme der Initiative gegen die Abzockerei, der Zweitwohnungs- und der Kulturlandinitiative oder die bevorstehenden Abstimmungen über die Mindestlohn- und die 1:12-lnitiative sowie über die Ecopop- und Masseneinwanderungsinitiative.
Diese Initiativen müssen als Warnsignale aus dem Volk verstanden werden. Mit ihrer Summe und mit ihrer inhaltlichen Heterogenität beherrschen sie den politischen Alltag der Regierenden.
Zum einen bringen sie die ohnehin schon rasch laufende Gesetzesmaschinerie auf Hochtouren, was die Regulierungsdichte in unserem Land noch mehr erhöht. Zum anderen sind die Regierenden praktisch handlungsunfähig geworden. Statt selber die Initiative in der Hand zu behalten und sich um die strategischen Interessen und Ziele unseres Landes zu kümmern, sind sie zu Getriebenen ohne Übersicht und Weitsicht geworden.

Die Stärken und Vorteile der Schweiz sind gefährdet

Die meisten der erwähnten Vorstösse und die damit zusammenhängenden Folgen erhöhen nicht nur die Regulierungsdichte in unserem Lande und drohen damit die KMUs zu ersticken, sondern gefährden mittel- bis langfristig die Schweiz und deren Wettbewerbsvorteile in der globalisierten Welt.
Gefährdet sind beispielsweise die Vertrags- und Lohnfreiheit, der liberale Arbeitsmarkt und die Personenfreizügigkeit, kurz wichtige Elemente der unternehmerischen Freiheit, die unabdingbar für eine blühende Wirtschaft sind. Zudem wird mit der zunehmenden Bürokratisierung die Staatsquote, die bisher im internationalen Vergleich sehr tief gewesen ist, erhöht. Eine weitere Gefährdung unseres Standortvorteils bildet der massive Angriff auf das Milizsystem von seiten der Armeegegner. Dieser gefährdet nicht nur die Sicherheit der Schweiz und somit einen nicht zu unterschätzenden Standortvorteil, sondern untergräbt einen Grundpfeiler unseres Staatswesens, indem niemand mehr zu einer Dienstleistung am Gemeinwesen verpflichtet werden darf.
Dies entspricht zwar dem Trend nach noch mehr individueller Freiheit, eliminiert aber letztlich das Verantwortungsbewusstsein gegenüber Staat und Gesellschaft.

Gesellschaft und Wirtschaft verstehen sich nicht mehr

Auf den ersten Blick erstaunt diese Entwicklung, nimmt doch die Schweiz in fast allen internationalen Vergleichen und Rankings eine Spitzenposition ein. Wohlstand und Wohlfahrt lassen sich insgesamt gesehen weltweit vorzeigen.
Beim genaueren Hinschauen merkt man aber, dass die Ursachen dieses Trends wohl darin liegen könnten, dass in unserem Lande der Wertekonsens am Zerfallen ist, wenn es ihn überhaupt noch gibt. Diese Entwicklung dürfte vor allem in einem direkten Zusammenhang mit dem Wandel des Verständnisses von Freiheit stehen: Man hat – etwas plakativ formuliert – die Freiheit von allen anderen Werten entkoppelt, die damit untrennbar und zwingend verbunden wären. Und um diese Werte geht es letztlich im hier gemeinten Wertekonsens und in der Forderung nach einer Wertediskussion.
Die von einer Minderheit betriebene Mass­losigkeit in der Entlöhnung, die zugespitzten Renditevorstellungen von immer mehr Unternehmen, die Kasino-Mentalität vieler Finanzakteure, das aktive und passive Auseinanderdividieren von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft haben letztlich zu diesem Unbehagen geführt, das sich seit längerem bemerkbar macht. Betroffen sind hier gleichermassen Wirtschaft und Gesellschaft, die sich untereinander immer weniger verstehen. Die Gefahr ist sehr gross, dass die Reaktion der Gesellschaft auf diese Entfremdung immer radikaler wird und somit die Fundamente unserer Gemeinschaft in Frage stellt, die menschlichen, sachlichen und wirtschaftlichen!
Die Interessenvertreter der Wirtschaft und die Verfechter der Schweizerischen Standortvorteile müssen sich heute und in naher Zukunft einer langen Reihe von Abstimmungskämpfen stellen, die trotz enormem Ressourceneinsatz nur schwer zu gewinnen sind – gegen eine heterogene Gegnerschaft aus dem Volk, welches das Unbehagen, aber vermeintlich auch die richtigen Werte, auf ihrer Seite hat. Dass dabei auch das langfristige und vernetzte Denken auf der Strecke bleibt, muss nicht explizit erwähnt werden.

Welche Werte sind uns wichtig?

Die Unternehmerinnen und Unternehmer müssen sich einer Wertediskussion stellen oder diese gar lancieren. Denn sie haben zweifellos auch sehr gewichtige Werte ins Feld zu führen und zu verteidigen. Sie müss­ten sie nur bewusst erkennen, sich dazu bekennen sowie auch vorleben – im vollen Bewusstsein, dass es in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung keine Rezepte für eine Wertediskussion gibt, sowenig wie ein absoluter oder einheitlicher Wertekatalog existiert. Wir müssen aber nicht nur über die einzelnen Werte an sich diskutieren, sondern uns die Frage stellen, ob und wo diese Werte überhaupt noch in Erscheinung treten und wie sie wieder stärker ins Bewusstsein gebracht werden können.
Wir wollen daher nur einige wenige Werte aufführen, die uns im Laufe unseres Lilienberg-Zyklus von erfolgreichen Unternehmern und Wirtschaftsführern genannt wurden – und von diesen in ihrem harten Alltag auch gelebt und erprobt werden.
Freiheit: Dieser Wert ist absolut zentral. Er ist aber untrennbar mit anderen Werten verbunden, so vor allem mit Verantwortung, nämlich der Verantwortung gegenüber dem Wohl des Unternehmens, der Mitarbeitenden, der Kunden, der Umwelt und der Gesellschaft. Weiter darf man die Freiheit nicht mehr nur negativ verstehen (Freiheit wovon?), sondern positiv (Freiheit wofür?): Wozu habe ich meine Freiheit und mein materielles und immaterielles «Vermögen»? Was kann ich damit für Staat und Gesellschaft tun? Und hier könnte der Grundsatz gelten: Je mehr Freiheit und «Vermögen», desto grösser die Verantwortung.
Persönliche Integrität: Hier geht es beispielweise um Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Vertrauen, Anstand und Loyalität auch wiederum gegenüber Mitarbeitenden, Kunden, Partnern und Kapitalgebern. Das persönliche Vorbild, das Vorleben von Werten, ist wichtiger als dicke Compliance-Bücher und Schönwetter-Leitbilder. Letztere sind vor allem wertvoll für diejenigen, die sie selber erarbeitet haben.
Bescheidenheit, Demut, Mitmenschlichkeit: Diese Werte ermöglichen den sorgfältigen Umgang mit seinem eigenen Unternehmen, seinen Mitarbeitern, Kunden, Kapitalgebern, aber auch mit den grossen Herausforderungen der globalisierten Welt mit all ihren Erscheinungen wie bitterste Armut und Vernichtung von Ressourcen und Umwelt.
Die Unternehmer, die sich im Laufe des Zyklus zu ihren Werten geäussert haben, sind notabene allesamt erfolgreich – auch in einem harten und umkämpften Markt!

Wer ist gefordert?

Jedes einzelne Individuum muss sich bewusst werden, dass Werte auch in seinem Leben eine Rolle spielen, jeder muss sich für diejenigen Werte entscheiden, welche für ihn wichtig sind. Man müsste sich aber auch die Frage stellen, ob man wegen des grossen Wohlstandes nicht träge geworden ist und den inneren Wert der Freiheit auch versteht und sinnvoll nutzt.
In der Gesellschaft müssen sich die Individuen fragen, wo sie ihre Freiheit und Werte in den Dienst der Gemeinschaft stellen können. Damit tragen sie zur Wertediskussion bei. Vor allem gilt es hier, neben der Freiheit auch die damit verbundenen Werte wie Verantwortung, Bescheidenheit und Mitmenschlichkeit wieder zu fördern.
Die Wirtschaftsverbände haben die Möglichkeit und die Ressourcen, eine Wertediskussion zu lancieren oder zu unterstützen. Das dürfte sich mittel- bis längerfristig mehr auszahlen als teure Abstimmungskampagnen mit bezahlten Agenten.
Die Unternehmer haben sehr vieles in der Hand: Durch verantwortungsbewusstes Handeln gemäss ihren Werten haben sie Einfluss auf ihre Umgebung, ihre Mitarbeitenden, Kunden, Geldgeber und auf die Gesellschaft allgemein. Wichtig ist aber, dass sich die Unternehmer zu ihren Werten bekennen. Weiter ist ein direktes Engagement in Politik (für Ämter) und Gesellschaft (zum Beispiel für die Armee oder in der Freiwilligenarbeit) wünschbar, ja notwendig. Die Verbundenheit mit der Gesellschaft schärft zudem das Bewusstsein für die Werte anderer.
Der Staat darf sich keineswegs direkt in die Wertediskussion einschalten. Die Regierenden müssen alles daran setzen, die Initiative wieder zu erhalten und vorausschauend zu handeln, damit vorhersehbares Unbehagen rechtzeitig erkannt wird.
Und die Stiftung Lilienberg Unternehmerforum bleibt beim Thema und lanciert in den nächsten Wochen und Monaten einen neuen Zyklus im Aktionsfeld Unternehmenskultur und -ethik.    •

Quelle: Stiftung Lilienberg Unternehmerforum Mai 2013

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