Mehr soziale Verbundenheit

Mehr soziale Verbundenheit

von Dr. Annemarie Buchholz-Kaiser

Als der Eiserne Vorhang geöffnet und mit einer ökonomischen Operation Schock-Behandlung Russland in die Knie gezwungen wurde, wusste noch keiner von uns, was Hochmut und Grössenwahn im westlichen Bündnis ausrichten würden. Mit Schrecken hatten die Mediziner 1985 das «Erscheinen» eines neuen Virus zur Kenntnis genommen, das aus zwei in der Natur nicht vereinbaren Teilen zusammengesetzt war. Im Nu stiegen die Zahlen der Ansteckungen, die letztlich zu einem qualvollen Tod der angesteckten Menschen führten. Zuerst kamen die Zahlen aus Afrika. «Dort musste man aber auch etwas unternehmen gegen die Überbevölkerung», sagte ein versierter älterer Chemiker offen in einem Gespräch. Doch dann zeigte das Buch «And the Band Played on» noch eine ganz andere Dimension des Benützens von ganzen Bevölkerungsgruppen auch in unseren Ländern der 1. Welt. Dann kam die offene Drogenszene – zum Schrecken von Eltern, Lehrern und Mitbürgern allgemein. Thomas Zeltner verteidigt diesen «Paradigmenwechsel» noch heute.
Dr. Franziska Haller und ich setzten uns zu diesem Zeitpunkt – Ende der 80er Jahre –  in den USA mit Elternorganisationen in Verbindung, die der gleichen Entwicklung bedrückt und voller Trauer über die verlorenen Söhne und Töchter gegenüberstanden. Sie entwickelten bereits Aufklärungsprogramme für Schulen und Jugend-Organisationen.
Im Zuge dieser gemeinsamen Bemühung des Suchens nach Wegen der Besserung, im Zuge auch weiterer Mitarbeit in den Organen der Uno und des Ecosoc (Economic and Social Council der Uno) lernten wir die eigene Generation aus den 60er Jahren neu kennen. Sie waren als Bürgerrechtler, als Pädagogen, auch im Marsch durch die Institutionen anders – reifer – geworden. Nur ein Teil hatte sich ganz einbinden lassen und fortan zu allen destruktiven Entwicklungen geschwiegen. Die meisten aber waren als Privatmensch ausserhalb des Berufes weiter aktiv. Sie wussten inzwischen um die Schwierigkeit nachhaltiger Verbesserung angesichts eines militärisch-industriellen Komplexes, der keineswegs nachzugeben bereit war. Ein Teil war religiösem Denken verpflichtet, viele eher säkularer Weltanschauung zugetan. Allen aber waren Ziele gemeinsam: die Kriege beenden, die Bildung der Unterschicht-Kinder verbessern, der Umwelt Sorge zu tragen beginnen.
Dieses breite Spektrum hatte auch im Jahrhundert zuvor sich die Hand reichen müssen. Dass ein Plattwalzen aller Kultur-Unterschiede nicht mit napoleonischen Dekreten erzwungen werden kann, hat in der Schweiz Jahre dauernde Grundsatz-Diskussionen nötig gemacht, bis 1848 aus dem losen Staatenbund ein Bundesstaat gebildet werden konnte: Damit begann erst eigentlich der konsequente Weg in Richtung Willensnation mit religiösen, sprachlichen, mentalitätsmässi­gen, auch geistig-seelischen Unterschieden. Eine Generation nach der andern war an der Arbeit, das politische Leben in offene, sachorientierte, entwicklungsfähige Gemeinsamkeit überzuführen.
Ob wir uns Pestalozzis Pädagogik und ­politische Haltung zum Vorbild nehmen, ob Niklaus von Flüe, der als Oberrichter sich aus der Tagespolitik zurückzog, um grundsätzlich beraten zu können, ob Gottfried Keller, der mit mehr säkular-liberalem Denken die Grundlage für aufrechten Bürgersinn formulierte, ihnen allen war die Sorge um Masshalten, innere Bescheidenheit und gegenseitigen Respekt heilig.
Dass wir (erstmals in der Tagsatzung von 1796 und dann 1832) den Eidgenössischen Dank-, Bitt-, Buss- und Bettag beschlossen zum Zeitpunkt des Sommerendes, da die Natur gegeben hat, was sie kann, war nicht nur der Gefahr von Hungersnöten wegen, sondern war Friedensarbeit an unserem eigenen Inneren. Andere Länder haben den Thanks-Giving-Day, das Erntedankfest oder ähnliches: Dieser Tag der Besinnung hat für sie alle die Bedeutung der Verpflichtung für eine sorgsame, friedliche Weiterentwicklung der Welt – nach dem Deutsch-Französischen Krieg erst recht.
Man weiss heute kaum, wo beginnen, um die Unterschiede in der Geschichte nicht nur unserer europäischen Länder, sondern vor allem auch unserer schweizerischen Eidgenossenschaft zu erklären. Eines aber hat die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges gelehrt: noch mehr Krieg, noch mehr Sieger-Wahn, noch weitere zerstörerische Waffen, das geht nicht mehr.
Auch in der heutigen Welt kommen wir aus unterschiedlichen Lagern, verschiedenen Kulturen und Religionen – doch dieses gemeinsame Nein zu weiterem Krieg ist der Mehrheit gemeinsam. Das Gedicht, das Joe McCaroll vor über 10 Jahren formulierte und als Zeichen der Verbundenheit schenkte, sei darum an dieses ganze offene menschliche Feld weitergereicht. Es möge verbinden und ermutigen – nicht zuletzt auch unsere Freunde in den USA im Herzen der Kriegsmacht. England, Kanada, Australien und Neuseeland haben keinen Grund, den Krieg, der die Welt nur ökonomisch an den Rand des Abgrundes geführt hat, weiterzuführen. 1965 wurde die Nachkriegspolitik in Verträge für 50 Jahre gegossen. Sie laufen in zwei Jahren aus. Das Fiasko könnte grösser nicht sein für eine moderne Welt, der alles an Wissenschaft und Kommunikation zur Verfügung stand.
Nun ist das Spiel zu Ende. Die multi­polare, vernetzt arbeitende Welt muss sozialere und demokratischere Wege einschlagen, und sie wird es tun. Sie muss nach Ländern getrennt die Verantwortung übernehmen und an der Behebung der Schäden zu arbeiten beginnen. Reichen wir einander die Hand, aus welchem weltanschaulichen Lager auch immer wir kommen. «Seid grossmütig», empfahl Bruder Klaus der Stadt Konstanz. Vergesst alles Kleinliche, Trennende – es hat keinen Sinn. «Join us to work for peace. War is obsolete in todays world», rief Doug Rokke uns vor einigen Jahren an der Konferenz «Mut zur Ethik» über den Atlantik zu – im Wissen um die endlosen Schäden des Uran-Desasters nicht nur in Somalia und nach den Balkan-Kriegen. Dass in Falludjah, in Libanon und in Gaza noch schlimmere Waffen im Feldtest zum Einsatz kamen, macht das Ganze nur dringlicher.    •

 

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