Lehrplan 21 aus rechtlicher Sicht

Lehrplan 21 aus rechtlicher Sicht

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Der Lehrplan 21 (LP21) ist aus folgenden rechtlichen Gründen abzulehnen:

1. Aus Artikel 62 der Bundesverfassung kann keine Pflicht der Kantone auf Einführung des LP21 abgeleitet werden.

Art. 62 BV schreibt in Absatz 4 ( in Kraft seit 21. Mai 2006) die «Harmonisierung des Schulwesens im Bereich des Schuleintrittsalters und der Schulpflicht, der Dauer und Ziele der Bildungsstufen und von deren Übergängen sowie der Anerkennung von Abschlüssen» vor.
Aus dieser allgemein gehaltenen Formulierung kann nicht geschlossen werden, dass die Kantone einem Lehrplan zustimmen müss​ten, der auf Verwaltungsebene unter Ausschluss der Öffentlichkeit zustandegekommen ist.
Aus BV 62 kann nicht einmal geschlossen werden, dass die Kantone überhaupt zur Übernahme eines gemeinsamen Lehrplans verpflichtet wären.


2. Die «Ziele der Bildungsstufen» gemäss Art. 62 BV sind so zu formulieren, dass die Bildungshoheit der Kantone gewahrt bleibt.

Gemäss Art. 62 Abs. 1 BV sind die Kantone für das Schulwesen zuständig. Der Lehrplan 21 greift massiv in die Bildungshoheit der Kantone ein, indem er sich über die Vorgaben der kantonalen Schulgesetze hinwegsetzt.
Hier als Beispiel der Zweckartikel im Volksschulgesetz (VSG) des Kantons Zürich (vom 7. Februar 2005), zu dessen Zielen der LP21 in diametralem Gegensatz steht. Dies gilt für sämtliche Kantone. Alle Schulgesetze schreiben Ziele vor, deren geistiges Niveau und deren hochstehende menschliche Gesinnung der LP21 in keiner Weise erreicht.

§ 2. 1 Die Volksschule erzieht zu einem Verhalten, das sich an christlichen, humanistischen und demokratischen Wertvorstellungen orientiert. Dabei wahrt sie die Glaubens- und Gewissensfreiheit und nimmt auf Minderheiten Rücksicht. Sie fördert Mädchen und Knaben gleichermassen.
2 Die Volksschule ergänzt die Erziehung in der Familie. Schulbehörden, Lehrkräfte, Eltern und bei Bedarf die zuständigen Organe der Jugendhilfe arbeiten zusammen.
3 Die Volksschule erfüllt ihren Bildungsauftrag durch die Gestaltung des Unterrichts und des Zusammenlebens in der Schule.
4 Die Volksschule vermittelt grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten; sie führt zum Erkennen von Zusammenhängen. Sie fördert die Achtung vor Mitmenschen und Umwelt und strebt die ganzheitliche Entwicklung der Kinder zu selbstständigen und gemeinschaftsfähigen Menschen an. Die Schule ist bestrebt, die Freude am Lernen und an der Leistung zu wecken und zu erhalten. Sie fördert insbesondere Verantwortungswillen, Leistungsbereitschaft, Urteils- und Kritikvermögen sowie Dialogfähigkeit. Der Unterricht berücksichtigt die individuellen Begabungen und Neigungen der Kinder und schafft die Grundlage zu lebenslangem Lernen.


3. Die EDK besitzt keine demokratische Legitimierung.

Die Erziehungsdirektorenkonferenz EDK ist nicht gleich «die Kantone» und besitzt keine demokratische Legitimierung, um den Kantonen einen Lehrplan – oder irgend etwas anderes – vorzuschreiben. Sie besteht aus einer Ansammlung von einzelnen Exekutivmitgliedern, die je als Einzelperson in ihrem Kanton vom Volk gewählt worden sind, um die kantonalen Geschäfte zu erledigen und insbesondere die Aufträge ihres Souveräns und des kantonalen Parlamentes auszuführen. Beschlüsse der EDK sind (ebenso wie Beschlüsse der übrigen «Direktorenkonferenzen») in keiner Weise verbindlich für die einzelnen Kantone. Die Erziehungsdirektoren können ihrem Kanton, das heisst dem Parlament und dem Volk, ausschliesslich Vorschläge für Konkordate (interkantonale Verträge) oder für kantonale Gesetze unterbreiten.

4. Die Entscheidungsträger der Kantone sind nicht an die «Verwaltungsvereinbarung 
über die Durchführung des Erarbeitungsprojekts für einen sprachregionalen Lehrplan (Projektvereinbarung Lehrplan 21)» vom 18. März 2010 gebunden.

Wie den «Rahmeninformationen zur Konsultation» zum LP21 vom 25. Juni 2013 zu entnehmen ist, haben sämtliche Regierungen der 21 deutsch- oder mehrsprachigen Kantone im Laufe des Jahres 2010 eine sogenannte «Verwaltungsvereinbarung» unterschrieben, welche die Organisation, Durchführung und Finanzierung der Erarbeitung eines «sprachregionalen Lehrplans» regelt.
Zur Ausdeutschung dieses harmlos klingenden Vorgangs ist folgendes festzuhalten:

a)    Am Parlament und am Volk vorbei haben die Exekutiven der Ausarbeitung eines gemeinsamen Lehrplans zugestimmt und die Kredite dafür gesprochen.b)    Auch politisch hochmotivierte und -interessierte Bürger haben nichts davon erfahren, weil sie ja nicht alle Verwaltungsentscheide ihrer kantonalen Verwaltung lesen können.c)    Und’s Tüpfli ufs i: Auch die Regierungsräte derjenigen Kantone, die den Beitritt zu HarmoS abgelehnt haben, haben die «Verwaltungsvereinbarung» unterschrieben. Diese Ungeheuerlichkeit in der direkt­demokratischen Schweiz ist einen eigenen Abschnitt wert.

Der Souverän und die kantonalen Parlamente sind nicht an eine Verwaltungsvereinbarung und schon gar nicht ans Resultat, nämlich den Lehrplan 21, gebunden, welcher daraus entstanden ist.
Alle Kantone können nein sagen zum LP21.

5. Nein zum Übergehen und Ausschalten des Souveräns in den Nicht-HarmoS-Kantonen.

Nein zu HarmoS sagte der Souverän an der Urne in den sieben Kantonen Luzern, Graubünden, Thurgau, Nidwalden, Uri, Zug, Appenzell Ausserrhoden. In Appenzell Innerrhoden hat die Landsgemeinde HarmoS abgelehnt, in Obwalden und im Aargau wurde bereits gar nicht darüber abgestimmt – weil es sich bereits deutlich abzeichnete, dass die Bevölkerung gegen ein Scheren aller kantonalen Schulsysteme über einen Kamm stimmen würde. Diesem klaren demokratischen Entscheiden zum Trotz versucht die EDK, auch den Nicht-HarmoS-Kantonen den HarmoS-Lehrplan aufzuzwingen.
Dieser rechtswidrige und undemokratische Vorgang ist sofort zu stoppen.
Die Regierungen der Kantone, die HarmoS nicht beigetreten sind, haben sich an den Volkswillen zu halten. Die kantonalen Parlamente haben die Respektierung der Volksentscheide von der Exekutive einzufordern.

6. Der Lehrplan 21 ist gemäss eigener Erläuterung ein HarmoS-Produkt. Mit dem Nein zum HarmoS-Konkordat haben die Stimmbürger auch nein zum geplanten Einheits-Lehrplan gesagt.

«Gestützt auf das HarmoS-Konkordat hat die EDK für die Schulsprache, zwei Fremdsprachen, Mathematik und Naturwissenschaften Grundkompetenzen (nationale Bildungsstandards) entwickelt und veröffentlicht. Die Harmonisierung der Lehrpläne definiert das HarmoS-Konkordat als Aufgabe der Sprachregionen. Lehrpläne, Lehrmittel, Evaluationsinstrumente und Bildungsstandards sollen aufeinander abgestimmt werden. Das HarmoS-Konkordat ist am 1. August 2009 in Kraft getreten. Spätestens 6 Jahre nach Inkrafttreten, das heisst ab Schuljahr 2015/16, sind die beigetretenen Kantone verpflichtet, die Grundkompetenzen (nationale Bildungsstandards) anzuwenden.» («Rahmeninformationen zur Konsultation» vom 25.6.2013, S. 7).
Daraus folgt klar: In den Kantonen, die HarmoS nicht beigetreten sind, darf der LP21 nicht ohne Volksabstimmung eingeführt werden.
In den «Rahmeninformationen zur Konsultation» wird zwar schlankweg behauptet: «Auch die Kantone, die dem HarmoS-Konkordat nicht beigetreten sind, sind durch die Bundesverfassung verpflichtet, die Dauer und die Ziele der Schulstufen zu harmonisieren. Darum beteiligen sich alle deutsch- und mehrsprachigen Kantone am Lehrplanprojekt. Der Lehrplan 21 ist so ausgestaltet, dass ihn alle Kantone einsetzen können, unabhängig davon, ob sie dem HarmoS-Konkordat beigetreten sind oder nicht.»
Diese Argumentationsweise demonstriert höchstens, wie es herauskäme, wenn unserer Jugend in der Schule die «Kompetenz» beigebracht würde, «ihre Meinung zu sagen», ohne mit dem notwendigen Hintergrundwissen ausgerüstet zu sein:
Auf Grund der Pflicht der Kantone gemäss BV Art. 62, «die Dauer und die Ziele der Schulstufen zu harmonisieren», kann kein Kanton zur Übernahme eines Lehrplans gezwungen werden, den irgendein nicht demokratisch legitimiertes Gremium im geheimen produziert hat. Dies würde gegen die Grundlagen des Rechtsstaates, des Föderalismus und der Demokratie verstossen.

7. Auch Kantone, die HarmoS beigetreten sind, sind nicht verpflichtet, den LP21 zu übernehmen.

Das letztgenannte Argument gilt auch für die Kantone, die HarmoS beigetreten sind. Sie haben zwar in Artikel 8 des HarmoS-Konkordats (Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS-Konkordat) vom 14. Juni 2007) der Erarbeitung eines gemeinsamen Lehrplans zugestimmt, damit haben sie aber noch lange nicht die Katze im Sack gekauft.
Der heute konkret vorliegende LP21 darf auch in diesen Kantonen nicht umgesetzt werden, denn er erreicht die im HarmoS-Konkordat vorgegebenen Ziele nicht:
Zum Beispiel werden folgende Ziele des HarmoS-Konkordats nicht erreicht:

Art. 3, Abs.2: «Während der obligatorischen Schule erwirbt jede Schülerin und jeder Schüler die Grundbildung, welche den Zugang zur Berufsbildung oder zu allgemeinbildenden Schulen auf der Sekundarstufe II ermöglicht […].»
Art. 3 Abs.1 a. «Sprachen: eine umfassende Grundbildung in der lokalen Standardsprache (mündliche und schriftliche Sprachbeherrschung) […].»


8. Die kantonale Schulhoheit gemäss BV Art. 62 Abs. 1 ist zu respektieren.

Darauf verweisen auch die «Rahmeninformationen» (S. 7).
Es ist festzuhalten, dass die Schulhoheit der Kantone nicht auf den Zeitpunkt und das Verfahren bei der Umsetzung reduziert werden darf. Auch die «Erlaubnis» der LP21-Autoren, die Kantone dürften «Anpassungen» vornehmen, die Stundentafeln festlegen, die Klasseneinteilung der Zyklen organisieren und ähnliches, stuft die souveränen Kantone zu Ausführungsgehilfen herab.
Eine derartige Aushöhlung der kantonalen Schulhoheit können wir als Bürger aller Kantone – mit oder ohne HarmoS-Konkordat – keinesfalls dulden.    •

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