«Erdbeben, Tsunami, Radioaktivität – drei Katastrophen in Kombination»

«Erdbeben, Tsunami, Radioaktivität – drei Katastrophen in Kombination»

von Markus Kocher

zf. Die humanitäre Hilfe des Bundes besteht aus mehreren Organisationen (vgl. «Zeit-Fragen» vom 4. April), die weltweit zum Wohle der Menschen Einsatz leisten. Dazu gehört auch der Schweizerische Verein für Such- und Rettungshunde «Redog». Redog hat sich mit 23 Personen und 9 Hunden nach dem verheerenden Erdbeben und dem darauffolgenden Tsunami nach Japan aufgemacht, um zu helfen und zu retten. Seit 40 Jahren besteht dieses Rettungsteam, das sich weltweit über Jahrzehnte bei der Rettung von Verletzten und der Bergung von Toten einen Namen gemacht hat. Im folgenden druckt «Zeit-Fragen» einen kurzen Bericht über den Einsatz von «Redog» in Japan ab, der in der Zeitschrift «Hunde» am 15. April erschienen ist.

Das Einsatztelefon erreichte mich am Samstagmorgen um halb vier, gut 24 Stunden nach dem Ausbruch des Erdbebens.» Die Erinnerung an den Startschuss zu ihrem ersten Redog-Ernstfalleinsatz wird Nicole Roth mit Sicherheit nicht mehr vergessen. Obwohl sie durch das sehr kurzfristige Aufgebot mit dem Zusammenstellen der Reise-Utensilien voll beschäftigt war, seien ihr tausend Gedanken durch den Kopf gegangen: «Für mich stand bis zum Zeitpunkt des Abfluges vor allem die Frage im Vordergrund, wie Betsy auf den Reisestress, den Flug und die Zeitverschiebung reagieren wird.» Erst im Hangar der Rega in Kloten, nach dem Briefing durch den Equipenleiter, der Passkontrolle und der Equipeneinteilung habe es den einen oder anderen Moment gegeben, in dem sie sich auch Gedanken über ihr eigenes Befinden habe machen können, sagt die 23jährige ehemalige kaufmännische Angestellte und heutige Diensthundeführerin.

«Telefon funktionierte nicht, und es hatte keinen Strom»

Untergebracht waren die insgesamt 23 Personen und 9 Hunde der Rettungskette Schweiz in Tome, rund 50 Kilometer nördlich von Sendai. Das Redog-Team setzte sich aus drei Equipen zusammen; pro Equipe je ein Equipenleiter mit drei Hundeteams. Dazu kamen zwei Personen der technischen Ortung sowie «Chief Search» Linda Hornisberger. Die Gesamt-Einsatzleitung der Mission – inklusive Support, Arzt und weiterer Spezialisten – umfasste total acht Personen.
«Anders als ich es erwartet hatte, konnte man auf der Fahrt von Tokio zu unserem Basislager nicht viel von den Auswirkungen der Naturkatastrophen feststellen», erinnert sich Nicole Roth. «Erst als wir in die Nähe der Stadt Tome kamen, sahen wir das eine oder andere eingestürzte Gebäude. Zusätzlich funktionierten die Telefonleitungen praktisch nicht mehr, und es hatte keinen Strom.» Das enorme Ausmass der Zerstörung bekam das Redog-Team erst im eigentlichen Einsatzge-biet in der Stadt Minamisanriku, rund 30 Kilometer vom Basislager entfernt, zu sehen. Equipenleiterin Denise Affolter: «Auf einer Länge von mindestens vier Kilometern wurde dieses Tal mit den Überresten einer ganzen Stadt bedeckt – Gebäudekonstruktionen aus Holz und Eisen, Hausrat, Spielsachen, Kleider, Schuhe, Autos, Lastwagen, Bäume und Schiffsteile lagen kreuz und quer über das ganze Tal verstreut, mehr oder weniger stark ineinander verschachtelt und verkeilt.»
Und wie genau sah die Aufgabe der Redog-Teams aus? Equipenleiterin Denise Affolter erklärt: «Wir suchten mit unseren Hunden das uns zugeteilte, rund sechs Quadratkilometer grosse Schadengebiet ab, um noch verschüttete Personen zu lokalisieren.» Die japanische Feuerwehr wurde dann an die Stellen hingeführt, die von den Hunden angezeigt wurden, und war anschliessend für die Rettung oder Bergung zuständig. «Die grosse Herausforderung unserer Arbeit lag vor allem in der Kombination von drei grossen Katastrophen: Erdbeben – Tsunami – Radioaktivität», fasst Denise Affolter die Ausgangslage zusammen. Vor allem die sehr vielen und heftigen Nachbeben, die daraus folgenden Tsunami-Warnungen sowie die ständigen neuen Hiobsbotschaften aus dem Atomkraftwerk Fukushima 1 habe eine ständige Fluchtbe-reitschaft des Teams bedingt. «So etwa am ersten Tag, am Montag», erinnert sich Nicole Roth. «Gerade als wir mit der Suche beginnen wollten, mussten wir uns auf Grund einer Tsunami-Warnung aus dem Schadengebiet zurückziehen. Das war sehr frustrierend.»
Am zweiten Tag konnten die drei Equipen dann ihre Arbeit definitiv aufnehmen und einen Teil des zugewiesenen Gebiets absuchen. Denise Affolter: «In der Nacht vom zweiten auf den dritten Tag fing es dann auch noch zu schneien an, was unser Vorhaben zusätzlich erschwerte. Trotzdem nahmen wir am Mittwoch unseren Einsatz wieder auf. Auf Grund der immer schlechter werdenden Witterungsverhältnisse und der nur noch kleinen Chance, Überlebende zu finden, stellten wir unsere Suche allerdings anschliessend ein.»
Und die radioaktive Strahlung? «Diese Gefahr war uns permanent bewusst. Wir waren jedoch mit Messgeräten ausgerüstet und hatten einen Spezialisten vor Ort, der uns jederzeit über den aktuellen Stand informierte. Dies gab mir Sicherheit und die Messgeräte eine gewisse innere Ruhe, da wir die Lage auch selber überprüfen konnten.»

«Spezieller Einsatz mit noch nie dagewesenen Faktoren»

«Ein Einsatz, der mich trotz der grossen Belastung auch ein bisschen stolz macht», fasst Nicole Roth ihre Gemütslage nach der Rückkehr in die Schweiz zusammen. Betsy habe ihre Sache sehr gut gemacht, «obwohl sie beim Hinflug während 13 Stunden in einer Box im Frachtraum hat ausharren müssen und nach der anschliessenden Busfahrt vor Ort mit Kälte, Chaos und Hektik konfrontiert war. Dennoch hat sie sich nicht einmal von Essensresten und toten Fischen ablenken lassen».
Und welches persönliche Fazit zieht Denise Affolter? «Es war ein sehr spezieller Einsatz mit noch nie dagewesenen Faktoren, die von allen Beteiligten viel Flexibilität, Geduld und Abgeklärtheit verlangten.» Besonders beeindruckt sei sie von der japanischen Bevölkerung gewesen – «von der Art und Weise, wie sie mit Verlust, Zerstörung und Desorientierung und der permanenten Bedrohung umging». Die sonst so typische «freundliche Distanziertheit» der Japaner sei in den Hintergrund gerückt; «immer wieder bedankten sich die Einheimischen, zum Teil auch sehr emotional, für unsere Hilfe, unsere Anwesenheit und unser Engagement.»     •

Quelle: Artikel erschienen in Hunde 04/2011, der Zeitschrift der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft SKG, vom 15.4.2011.

 

Erdbeben und Tsunami in Japan
Die japanische Provinz Miyagi wurde am 11. März 2011 gegen 14.45 Uhr Ortszeit von einem verheerenden Erdbeben heimgesucht. Das Epizentrum des schwersten je in Japan registrierten Bebens lag 130 Kilometer östlich der Stadt Sendai und knapp 400 Kilometer nordöstlich von Tokio, hatte eine Stärke von 9,0 und löste einen bis zu zwanzig Meter hohen Tsunami aus. Gut zwei Wochen nach den Naturkatastrophen waren gegen 11 000 Opfer geborgen, noch immer jedoch wurden 16 000 Menschen vermisst. Durch das Erdbeben und den Tsunami wurde zudem das Atomkraftwerk Fuku­shima schwer beschädigt. Experten versuchen zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses (2. April 2011) nach wie vor mit allen Mittein, eine nukleare Katastrophe zu verhindern. (mko)

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