Wasserschloss Wallis in Gefahr

Wasserschloss Wallis in Gefahr

Die Stromversorgung ist ein Gemeinschaftswerk – es gilt, ihr Sorge zu tragen (Teil 1)

von Dr. rer. publ. Werner Wüthrich

Das Wasser und die Wasserrechte haben im Wallis schon immer eine zentrale Rolle gespielt. Wer sich zu Fuss im Wallis bewegt, trifft unweigerlich an vielen Orten auf die Suonen. Diese kunstvoll angelegten Bewässerungskanäle haben es der Bevölkerung möglich gemacht, auf den Terrassen hoch über dem Talgrund und an den sonnenverwöhnten, aber wasserarmen Hängen zu wohnen und zu wirtschaften. Die Suonen führen das Wasser oft von weit entfernten Bergbächen her – an Steilhängen entlang in liebevoll konstruierten Leitungen. Sie verschwinden in Tunneln und werden gelegentlich auch an senkrechten Wänden aufgehängt, um das Wasser dorthin zu leiten, wo es zum Leben dringend benötigt wird. Von der Trockenheit ist vor allem das Kulturland betroffen, weil die hohen Bergkämme die Regenwolken abhalten. In den Bergen regnet es häufiger, und in den Gletschern sind riesige Mengen Wasser gespeichert. In den Tälern muss es jedoch umsichtig genutzt und verteilt werden.
Die Suonen durchziehen die Landschaft wie die Blutadern den menschlichen Körper. Und schliesslich führen die «Rüüsä» das Wasser der Suonen auf die Wiesen. Die «Schrapfjini» verteilen das kostbare Nass in feinen Vertiefungen und Verästelungen auf dem Kulturland. Dieses viele Jahrhunderte alte Bewässerungssystem wird auch heute noch genutzt und soll als Weltkulturerbe von der Unesco geschützt werden.
Die Suonen sind ein Gemeinschaftswerk der Bevölkerung. Im Frühjahr müssen die Schäden des Winters wieder in Ordnung gebracht werden. Die Bewohner treffen sich im früher oft nicht ungefährlichen «Gemeinwerk». Die Wasserrechte sind in den Gemeinden auf genossenschaftliche Art geregelt. Jedermann weiss, wann und wie lange er das Wasser auf seine Felder leiten kann. Ein Schiedsgericht schlichtet die Streitigkeiten. Heute haben neue Materialien, Rohre und neue Techniken vieles einfacher und ungefährlicher gemacht. Viele der kunstvoll angelegten Suonen, die schon seit langem ihren Dienst tun, sind nach wie vor in Betrieb und leiten ihr Wasser Tag für Tag auf die Felder und Alpweiden. Die Suonen wurden zum Lebensquell für die Walliser Bergdörfer – bis heute.

Wasserkraft macht Schweiz unabhängiger

Vor etwa hundert Jahren hat das Wasser im Wallis noch eine ganz andere Bedeutung bekommen. Die Industrielle Revolution hatte im 19. Jahrhundert das Gesicht der Schweiz nachhaltig verändert. Das Energieproblem musste gelöst werden. Die Fabriken arbeiteten mehrheitlich mit Kohle – und Kohle muss­te zu hundert Prozent importiert werden. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg zeigte es sich, dass diese Abhängigkeit durchaus bedrohliche Ausmasse annehmen konnte. Elektrizität konnte Kohle und später zum Teil auch das Erdöl ersetzen. Sie liess sich mit Turbinen erzeugen, die mit Wasserkraft betrieben werden. Auch die Eisenbahnen fuhren mit Kohle, und es lag nahe, auch diese zu elektrifizieren. Bereits 1917 beschloss die Schweizerische Bundesbahn, den Bahnbetrieb zu elektrifizieren. Die Gotthardstrecke war eine der ersten Strecken, die von dieser Neuerung profitierte. 1939 präsentierte die Schweiz an der Landesausstellung mit Stolz die stärkste E-Lok der Welt, die in der Lage war, elf vollbesetzte Wagen über die Steigungen und durch die Kehren des Gotthards zu ziehen. Auch viele Industriebetriebe stellten schnell auf die neue Energieform um. Die Elektrifizierung der Bahn, der Industrie und der Haushalte sollte zu einer Grossaufgabe für das ganze Land werden und war eine der Voraussetzungen für die beeindruckende industrielle Entwicklung. Bereits im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Flusskraftwerke errichtet. Bald kamen die ersten Stauseen dazu, die das Wasser der Gletscher sammelten. Diese Entwicklung sollte in den 1950er und 60er Jahren mit dem Bau von zahlreichen Grossanlagen ihren Höhepunkt erreichen.
Als Beispiel soll hier der Bau der Grande-Dixence-Staumauer geschildert werden. Der 2012 verstorbene Hans Wyer, langjähriger Staatsrat im Kanton Wallis und Präsident der CVP-Schweiz, hat 2008 ein grosses, umfassendes Werk mit dem Titel «Die Nutzung der Wasserkraft im Wallis» veröffentlicht. Er beschreibt darin die Ereignisse von damals in allen Einzelheiten.

Grande Dixence – ein Jahrhundertprojekt

Im Jahr 1950 begannen im Vallée des Dix die Bauarbeiten. Die Planung war kühn. Das Konzept war visionär und übertraf hinsichtlich der Grösse und der veranschlagten Geldsummen alles je Dagewesene. Die 285 Meter hohe Staumauer – bis vor kurzem die höchste Staumauer der Welt – ist an ihrem Fuss 200 Meter dick. Sie sammelt das Wasser von 35 Gletschern und zahllosen Wasserläufen. 80 Wasserfassungen und 100 Kilometer Stollen fassen das kostbare Nass auch in entfernten Regionen wie zum Beispiel Zermatt und leiten es in den künstlichen See. 1960, nach einer Bauzeit von zehn Jahren, war die Staumauer fertig. Weitere fünf Jahre dauerten die Arbeiten an, bis die Stromerzeugung vollumfänglich aufgenommen werden konnte. In den letzten Jahren wurden die Anlagen erneuert und ausgebaut, so dass die Stromerzeugung fast verdoppelt werden konnte.
An diesem Projekt waren etwa 3000 Personen beteiligt, die unter oft schwierigsten Bedingungen arbeiteten. Aber es war ein grosses Abenteuer. Es war zuweilen kalt und stürmisch, und auch die grosse Höhe machte den Arbeitern und Ingenieuren zu schaffen. Anfänglich wurde fast unter Kriegsbedingungen gearbeitet. Die Arbeitsbedingungen verbesserten sich jedoch bald. Ende der 50er Jahre wurden die Schichtzeiten auf 8 Stunden verkürzt, und am Wochenende wurde nicht mehr gearbeitet. Im Tal entstand für die Mitarbeiter ein Barackendorf mit Einkaufsmöglichkeiten, einem Restaurant, einem Kiosk, einem Kino und einem Sportplatz, auf dem Fussballspiele gegen Mannschaften aus den umliegenden Dörfern ausgetragen wurden. In der Freizeit trafen sich die Arbeiter im Turn- oder im Gesangverein. Eine Bankfiliale half ihnen, ihren Lohn an ihre Familien, vor allem in Italien, zu überweisen. Das Leben sollte so normal wie möglich ablaufen, was laut den Berichten von Zeitzeugen auch gelungen ist.
Dazu zwei Ausschnitte aus dem oben erwähnten Werk von Hans Wyer:

  • «Zahlreiche Bergbauern […] und Arbeiter, die aus allen Himmelsrichtungen zusammenströmten, verbrachten mehrere Jahre in der fremden und feindlichen Umwelt der Gebirgseinöden. Sie höhlten den Fels aus, trieben Stollen und Schächte vor und sprengten Kavernen aus: die unterirdischen Zentralen. Sie setzten ihre Gesundheit aufs Spiel und oft auch das Leben – tödliche Unfälle waren nichts Aussergewöhnliches.»
  • «Die Bergbauern begrüssten die Errichtung der Grossbaustelle als ein Geschenk des Himmels. Endlich waren die lang ersehnten Verdienstmöglichkeiten da. Sie griffen begierig zu, denn sie brauchten ihr Dorf nicht zu verlassen und konnten ihr Heimwesen weiterführen. Die Last der Armut, die sie bisher zu Boden gedrückt hatte, wurde leichter.»

Solche Schilderungen stehen stellvertretend für viele Bauplätze in den Alpen, wo an ähnlichen Projekten gearbeitet wurde. Eine Vielzahl von Staumauern wurde damals gebaut. Die Schweiz versuchte, sich so schnell wie möglich von der Kohle als Energieträger zu lösen, die sie im Zweiten Weltkrieg in gefährliche Abhängigkeit von Nazi-Deutschland gebracht hatte. Grande Dixence war jedoch bei weitem das grösste Projekt. Ein schwarzer Tag für die Schweiz war der 30. August 1965. Etliche hundert Arbeiter arbeiteten im Saaser Tal – unweit der Grande Dixence – an der Staumauer von Mattmark, als ein Gletscherabsturz des Allalin-Gletschers 88 Bauarbeiter unter einer halben Million Kubikmeter Eis begrub. Eine Gedenkstätte erinnert an diese wohl grösste Katastrophe im Tunnel- und Kraftwerkbau in den Alpen.
Der behutsame Umgang mit der Natur gewinnt heute mehr und mehr an Bedeutung. Im Wallis sitzen die Umweltverbände, das kantonale Energiedepartement und die Kraftwerkgesellschaften an einem runden Tisch, um die Frage des Restwassers einvernehmlich zu lösen. Trockengelegte und nur sehr wenig Wasser führende Bäche sollen bald der Vergangenheit angehören. («Walliser Bote» vom 6.6.2013) Vor kurzem hat die Elektrizitätsgesellschaft des Kantons Wallis bekannt gegeben, den Rotten (die Rhone) in seinem Oberlauf zu einem Laufkraftwerk zu fassen. Das Projekt fasst einen Teil des Flusswassers bei Gletsch unterhalb des Rhone-Gletschers und leitet es über ein Gefälle von 280 Meter nach Oberwald. Leitungen, Turbinen und Zentrale werden ausschliesslich unterirdisch erstellt. Das Werk wird einmal 9000 Haushalte mit Strom versorgen. Die Leistung beträgt knapp ein Zehntel der Grande Dixence. – Das ist aber nur eine Seite. Gleichzeitig wird die heute noch stark verbaute Rhone renaturiert. Sie soll im grossen, geschützten Auengebiet zwischen Gletsch und Oberwald wieder mäandern, das heisst, ihren Lauf wieder freier suchen können. Damit wird dieses Naturschutzgebiet aufgewertet. («Walliser Bote» vom 23.5.2013)

Wem gehört die Grande Dixence?

Die Grande Dixence SA mit Sitz in Sitten ist heute Eigentümerin des grössten Kraftwerkes der Schweiz. Sie ist heute Marktführerin für elektrischen Strom aus Wasserkraft in der Schweiz und in Europa. Die Grande Dixence SA gehört ihrerseits zu 60 Prozent der Alpiq, die 2008 aus dem Zusammenschluss der Atel (Aare-Tessin AG) und der EOS (Energie Ouest Suisse) entstanden ist. Die Axpo (früher Nordostschweizerische Kraftwerke NOK), die BKW (Berner Kraftwerke), die IWB (Industrielle Werke Basel) sind zu je 13 1/3 Prozent beteiligt. 17 Kantone sind direkt oder indirekt beteiligt. Das Wallis jedoch ist selber kaum beteiligt. Seit zwei Jahren ist zum ersten Mal ein Oberwalliser Direktor dieses Unternehmens. Alpiq und BKW sind Aktiengesellschaften, deren Aktien an der Börse gehandelt werden. Sie sind jedoch zu mehr als 80 Prozent in öffentlicher Hand. Die Axpo ist zu hundert Prozent im Besitz der nordostschweizerischen Kantone. Die Grande Dixence gehört also fast gänzlich einigen Kantonen und grossen Städten vor allem aus der deutschen und französischen Schweiz.
Die Grande Dixence ist nur eines von vielen Kraftwerken. Insgesamt gibt es im Wallis rund 50 grössere Kraftwerke, darunter drei der vier grössten Stauseen der Schweiz. Sie decken einen Drittel des Strombedarfs des ganzen Landes. 80 Prozent der Walliser Wasserkraft befindet sich jedoch mehrheitlich in «fremdem» Besitz. Gemäss Expertenbericht fliessen heute lediglich etwa 170 Millionen Franken in die öffentlichen Kassen des Wallis.

Heimfall steht bevor

Die Gewässerhoheit für die Rhone hat der Kanton inne. Für die Seitenbäche, die in den Hauptfluss fliessen, sind die Gemeinden zuständig. Diese Aufteilung bringt den Berggemeinden in den Seitentälern eine starke ­Position, weil fast alle Kraftwerke auf ihrem Gebiet liegen. Zu welchen Bedingungen haben die Gemeinden damals ihre Wasserrechtskonzessionen vergeben?
Die grossen Elektrizitätsgesellschaften der Schweiz nutzen die einheimische Wasserkraft gegen einen jährlichen Wasserzins. Die Walliser waren jedoch kluge Leute. Sie haben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Nutzung der Wasserkraft an eine wichtige Klausel gebunden. Nach Ablauf der meist 80jährigen Konzessionsdauer kommt es zum sogenannten Heimfall. Das heisst: Ein grosser Teil der Kraftwerksanlagen (gut 80 Prozent) fällt ohne Entschädigung an das die Konzession erteilende Gemeinwesen zurück. Das bedeutet konkret: Das Gemeinwesen, also in den meisten Fällen einige Berggemeinden, können die «nassen Anlagen» eines Kraftwerkes, das heisst die Staumauer, die Druckleitungen und Turbinen unentgeltlich in ihr Eigentum übernehmen. Gleichzeitig können die Gemeinden die «trockenen Teile», das heisst die elektrotechnischen Anlagen, gegen eine angemessene Entschädigung vom bisherigen Betreiber erwerben. Anlagen im Wert von vielen Milliarden Franken könnten so den Besitzer wechseln. Die Walliser Medien sprechen von Vermögenswerten von insgesamt gegen 20 Milliarden Franken. Am meisten profitieren werden kleinere Berggemeinden in den Seitentälern der Rhone, worüber allerdings in vielen Gemeinden heftig diskutiert wird.
Die Wasserrechtsverträge, die die Gemeinden und der Kanton Wallis mit den grossen Elektrizitätsgesellschaften der Schweiz abgeschlossen haben, sehen ähnlich aus. Auch sie sehen vor, dass die Anlagen nach Ablauf der Konzessionsdauer «heimfallen».
Die Nutzung der Wasserkraft mit grossen Speicheranlagen war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so neu wie heute die grossen Windparks. Niemand wusste wirklich, ob die gewaltigen Anstrengungen sich auch «rechnen» würden und es zu einer dauerhaften Nutzung kommen würde. Niemand konnte sagen, ob es gelingen würde, die Industrie und die Eisenbahnen in der ganzen Schweiz effizient und kostengünstig mit elektrischem Strom zu betreiben. Niemand wuss­te, ob die teuren Anlagen nicht eines Tages ungenutzt in der Landschaft stehen würden. – Der «Heimfall» in den Verträgen der Walliser Gemeinden war eine Art Versicherung für eine ungewisse Zukunft. Für die heutige Generation ist der Heimfall ein Glücksfall. Sie kann von der Voraussicht und Vorsicht ihrer Gross- und Urgrosseltern profitieren – dies um so mehr, weil die Wasserkraft in der heutigen Energiediskussion an Wert gewinnt.

Wie weiter?

Als Extrembeispiel werden in den Walliser Medien oft die Gemeinden Eisten und Zwischbergen aufgeführt. Sie würden beim Heimfall der Kraftwerke Mattmark und Ackersand I Vermögenswerte von ungefähr 1,5 Millionen Franken je Einwohner erhalten. Ein aktuelles Beispiel gibt es bereits: Die SBB kaufte vor kurzem sechs Gemeinden im Trienttal das Heimfallrecht ab und bezahlte für die Konzessionsverlängerung des Barberine-Kraftwerks 343 Millionen Franken. Davon erhielt die Gemeinde Finhaut mit 367 Einwohnern 112 Millionen Franken. Obwohl der Gemeinderat mit dem Geld teure touristische Pläne realisieren wollte, zeigten die Stimmbürger einmal mehr die Besonnenheit, die in den direktdemokratisch organisierten Schweizer Gemeinden an der Tagesordnung ist: Sie lehnten das Projekt in der Gemeindeversammlung ab.
Es gibt auch noch ein anderes Beispiel: Die Gemeinde Bagnes hat 1945 in ihrem Konzessionsvertrag für die Drances de Bagnes freiwillig auf das Heimfallrecht verzichtet.
Wird der Heimfall in naher Zukunft vertragsgemäss und vollständig ausgeübt, verlieren die grossen Kraftwerkbetreiber der Schweiz nicht nur das Eigentum an den Anlagen, sondern auch die Nutzungsrechte am Wasser, mit dem sie den Strom produzieren. Ab 2030 beginnen die grossen Kraftwerke – darunter auch die Grande Dixence – heimzufallen. Etwa 80 Prozent der Anlagen werden entschädigungslos in das Eigentum der Gemeinden übergehen. In Wirklichkeit wird dies schon viel früher geregelt werden müssen. Die heutigen Betreiber haben – verständlicherweise – bekanntgegeben, dass sie nur dann investieren und die Anlagen erneuern werden, falls sie Gewissheit haben, dass sie auch in Zukunft an der Stromproduktion im Wallis beteiligt sein werden.
Jürg Aeberhard, Leiter der hydraulischen Produktion bei Alpiq, besuchte vor wenigen Jahren das Wallis und bemerkte aus der nicht sehr einfühlsamen Sicht des Unterländers: «Die Gemeinden sind die fröhlichen Gewinner der Heimfälle.» Sie würden jedoch die Voraussetzung nicht mitbringen, um erfolgreich ein grosses Kraftwerk zu betreiben. Sie müssten auch finanziell in der Lage sein, auf Störungen aller Art, Betriebsunfälle und Ersatzinvestitionen zu reagieren, und sie müssten auch Zugang zum europäischen Strommarkt haben. Aeberhard schlug vor, einen – wie er es nannte – «gut eidgenössischen Kompromiss» zu finden. Die heutigen Betreiber und die Gemeinden könnten «halbe – halbe» machen. («Walliser Bote» vom 26.3.2011) Verständlicherweise stiess dieser Vorschlag im Wallis auf wenig positives Echo. Der bekannte Journalist Luzius Theler schrieb im «Walliser Boten» vom 29.3.2011: «Die Alpiq will die Hälfte der Heimfallwerte für die Kraftwerkbetreiber einfordern. Das ist entweder naiv oder unverfroren – oder beides zusammen.»
Auch Staatsrat Jean-Michel Cina, Mitglied der Walliser Regierung, liess die Argumentation von Aeberhard nicht gelten: «Was die Mittellandkantone können, kann das Wallis doch auch: Warum sollen wir nicht auch einen Stromkonzern aufbauen?», fragt er. Zürich und Genf seien die Finanzzentren, Biel das Kompetenzzentrum der Uhrenindustrie. Das Wallis könnte zum Energieland, zum Kompetenzzentrum für Wasserkraft werden. Die ersten Schritte sind bereits eingeleitet. Qualifizierte Arbeitsplätze sollen entstehen. Bis 2015 will die ETH Lausanne in Sitten, Hauptort des Kantons Wallis, ein Institut errichten mit elf Lehrstühlen. Sieben davon sollen den Energiebereich abdecken.
Cina führt weiter aus: Es sei falsch, den Bergkantonen die Fähigkeit abzusprechen, die Kraftwerke selber zu bewirtschaften. Es sei zudem nicht geplant, «die bisherigen Betreiber ganz zu verdrängen». Mit den Heimfällen biete sich die Chance, direkt Mitverantwortung zu übernehmen und zusätzlich zu den Wasserzinsen weitere Einkünfte zu erzielen. «Sind wir bald Wasserscheichs?», fragt Jean-Michel Cina. «Ich hätte nichts dagegen, wenn der Kanton Wallis so reich wird, dass er im Finanzausgleich anderen Kantonen etwas abtreten kann. Heute ist es noch umgekehrt.» (www.1815.ch/wallis/.../sind-wir-schon-bald-wasser-scheichs-49820.h...)

Wer regiert künftig im Wasserschloss?

Favorisiert werden folgende Lösungen:
1.    Die Gemeinden lassen sich auszahlen und verzichten darauf, die Kraftwerke zu übernehmen und selber zu betreiben. Sie erteilen eine neue Konzession an die heutigen Betreiber Alpiq, Axpo oder BKW.
2.    Das Gemeinwesen, das heisst die begünstigten Gemeinden und der Kanton, bringen die in ihr Eigentum gefallenen Kraftwerkanlagen in eine neue Gesellschaft ein. Die bisherigen Betreibergesellschaften würden ihrerseits die «trockenen Teile» (das heisst die elektrotechnischen Einrichtungen), ihr Wissen, ihr technisches Können und ihre geschäftlichen Beziehungen zur europäischen Stromwelt einbringen. Beide Seiten – das Wallis und Alpiq, BKW und Axpo – würden künftig in einer gemeinsamen Gesellschaft die Grossanlagen betreiben.
Umstritten ist die Frage, zu wieviel Prozenten das Gemeinwesen an der künftigen Gesellschaft beteiligt sein wird. Heute beherrschen die grossen Gesellschaften wie Alpiq, BKW und Axpo die Stromerzeugung zu 80 Prozent. Das soll sich ändern. Das Wallis will künftig direkt beteiligt sein und strebt nach Ausübung des Heimfalls einen Anteil von sechzig Prozent an – gegenüber den zwanzig Prozent von heute. «Das Wallis muss wieder das Sagen haben», sagt Staatsrat Jean-Michel Cina. Die Stromerzeugung würde so zum Gemeinschaftswerk, wobei die Einwohner vor Ort die Rolle als «Hausherr» wahrnehmen.
Damit sind aber noch nicht alle Probleme gelöst. Das Wallis muss innerkantonal eine gerechte Lösung erarbeiten und andererseits auch die gesamtschweizerischen Interessen einbeziehen. Der Reichtum, der auf die meist kleineren Berggemeinden zukommt, weckt Begehrlichkeiten. Nur etwa ein Drittel der Gemeinden im Wallis profitiert davon. Das Oberwallis, wo nur etwa ein Viertel der Bevölkerung wohnt, verfügt über die Hälfte der Wasserkraft. Ein Ausgleich erfolgt bereits heute, indem der Kanton mit einer Wasserkraftsteuer sechzig Prozent der Wasserzinsen beansprucht, die die Gemeinden erhalten, und in den kantonalen Haushalt überführt. Heimfall und Wasserrechtskonzessionen sollen neu geregelt werden. CVP-Altständerat Rolf Escher schlägt vor: Die Konzessionsgemeinden sollten zur Hälfte vom Heimfall profitieren und der Kanton und die übrigen Gemeinden zu je einem Viertel.
Am 17. Januar 2013 haben die Oberwalliser Gemeinden mitgeteilt, dass sie mit überwältigender Mehrheit entschieden hätten, dass sie mit einem starken Partner aus der Strombranche arbeiten wollen, der vierzig Prozent an einer gemeinsamen Gesellschaft hält. Die Konzessionsgemeinde soll 30 Prozent, der Staat Wallis sowie die nicht konzedierenden Gemeinden sollen je 15 Prozent halten. Die politische Linke sähe es am liebsten, wenn künftig alle Kraftwerke von einer einzigen zentralen kantonalen Gesellschaft geführt werden. («Walliser Bote» vom 19.1.2013)
Auch zwischen den Kantonen gibt es offene Fragen bezüglich der Wasserkraft, die föderalistisch gelöst werden müssen. Aktuell verhandeln die Gebirgskantone mit einigen Mittellandkantonen, in denen die grossen Kraftwerkgesellschaften ihren Sitz haben. Die Gewinne, die die Kraftwerkgesellschaften mit ihrem Wasser erzielen, sollen vermehrt dort versteuert werden, wo sie entstehen. Heute erwirtschaften die grossen Kraftwerkgesellschaften mit dem Wasser der Gebirgskantone Gewinne, die sie zu einem grossen Teil an ihrem Geschäftssitz im Unterland versteuern. Der Kanton Solothurn (wo Alpiq einen Sitz hat) hat die Verhandlungen abgebrochen, weil die Standpunkte nicht zu vereinbaren seien. Das Bundesgericht wird entscheiden. («Neue Zürcher Zeitung» vom 25.9.2013)

Pumpspeicherwerke als bewährtes Konzept

Die Grande Dixence SA und ihre Partnerin, die Forces Motrices Valaisannes, haben bekanntgegeben, dass sie die Grande Dixence zum Pumpspeicherwerk ausbauen wollen. Heute ist in dieser Region bereits das Pumpspeicherwerk Nantes de Dranse in Bau. Das Projekt RhoDix soll eine Kapazität von 2000 Megawatt haben und damit noch deutlich grösser werden als das riesige Werk Linthal 2015, das im Kanton Glarus gebaut wird. Das Wasser würde der Rhone entnommen und in zwei Stufen von 500 auf 2240 Meter in den Lac de Dix hinaufgepumpt. Dazu sind zwei riesige Pumpkavernen geplant, die im Stande sind, 40 000 Liter Wasser pro Sekunde hochzupumpen. Auf den ersten Blick ist dies ein Verlustgeschäft, weil für das Hochpumpen des Wassers mehr Strom gebraucht wird, als damit später «turbiniert» beziehungsweise erzeugt werden kann. Es rechnet sich trotzdem. Hochgepumpt wird, wenn auf dem Strommarkt ein Überfluss herrscht und die Preise tief sind. Der Strom wird später punktgenau erzeugt, wenn die Nachfrage gross und der Preis hoch ist. Ein Speicherkraftwerk kann innerhalb von zwei Minuten Strom «nach Mass» erzeugen und an das Netz abgeben. Die Kosten für den Umbau werden auf 800 Millionen Franken geschätzt. Alpiq, Axpo, BKW und die Industriewerke Basel, die Besitzer der Grande Dixence SA, werden das Projekt jedoch erst lancieren, wenn sie Klarheit haben, wie der Heimfall ausgestaltet werden soll. («Walliser Bote» vom 9.2.2013)
In den nächsten Jahren werden in Europa wahrscheinlich viele Pumpspeicherwerke gebaut werden – vor allem in bergreichen Ländern wie der Schweiz, Österreich, Spanien und Norwegen. Der Hauptgrund scheint auf der Hand zu liegen. Der Anteil der erneuerbaren Energien nimmt stetig zu. Die grossen Schwankungen in der Stromproduktion, die in den Windparks und in der Photovoltaik zwangsläufig anfallen, lassen sich damit ausgleichen. Nur – funktioniert das wirklich?

Einseitige Fokussierung auf Solar- und Windenergie lässt die Strompreise einbrechen

Seit kurzem herrscht allerdings Skepsis gegenüber dem Bau von Pumpspeicherwerken. Die Berner Kraftwerke BKW haben das Projekt Grimsel 3 zurückgestellt, weil es aktuell nicht kostendeckend betrieben werden könne. «Sind die Pumpspeicherwerke schon Schnee von gestern?», fragt Luzius Theler in seinem Artikel im «Walliser Boten» vom 30. März 2013 mit Besorgnis. Grosse Werke wie Linth-2015 (für 2 Milliarden Franken) im Kanton Glarus und Nantes de Drance-2017 im Wallis (für 1,84 Milliarden Franken) werden zurzeit gebaut und sollen einmal soviel Strom erzeugen wie ein Atomkraftwerk. Was hat die BKW zu ihrem Rückstellungsentscheid bewogen, der so gar nicht in die Energiestrategie 2050 des Bundesrates passt?
Es herrscht heute zeitweise ein massives Überangebot an elektrischer Energie auf dem europäischen Markt, und die Preise sind stark gesunken. Vor allem Deutschland subventioniert Windparks und Photovoltaik massiv und hat riesige Kapazitäten auf dem Meer und auf dem Land aufgebaut. Die deutschen Haushalte zahlen trotzdem einen hohen Preis für den Strom, weil sie einen massiven Zuschlag von mehr als der Hälfte bezahlen müssen, aus dem die hohen Kosten und die Subventionen der Energiewende finanziert werden. Ein Haushalt bezahlt heute im Durchschnitt horrende 35 Rappen pro Kilowattstunde, europaweit den höchsten Preis für Strom. Er soll bis 2020 auf 40 Rappen ansteigen. Wie der ehemalige Bundesminister Altmeier kürzlich ausführte, soll die Energiewende bis 2040 1000 Milliarden Euro kosten, die Steuerzahler und Konsumenten zu bezahlen haben. Deutschland zahlt heute jedes Jahr 20 Milliarden Euro an garantierter Einspeisevergütung, die Wind- und Solarstromanlagen auch für Kleinproduzenten zu einem rentablen Geschäft machen. Kritische Stimmen melden sich vermehrt zu Wort. Sie monieren, dass einiges schief laufe, zu schnell gehe und ein Gesamtkonzept fehle.
Das Hauptproblem liegt darin, dass AKW und Kohlekraftwerke trotz Überschüssen nicht abgeschaltet werden können, weil es Tage gibt, an denen keine Sonne scheint und kein Wind weht. An sonnigen und windigen Tagen dagegen gibt es – zusammen mit den gleichzeitig laufenden AKW und Kohlekraftwerken – viel zu viel Strom, so dass von «Wegwerfstrom» gesprochen wird, dessen Preis zeitweise unter Null sinkt. Dieser wird über den freien Markt der europäischen Strombörse in die Nachbarländer geleitet und drückt dort den Preis. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Wasserkraft in der Schweiz als «alte» erneuerbare Energie ihre Kosten nicht mehr decken kann. An der europäischen Strombörse wird der Strom im Durchschnitt bei 4 bis 5 Rappen gehandelt. Dieser Preis liegt unter den Gestehungskosten von bestehenden schweizerischen Wasserkraftwerken, die bei 7 Rappen liegen. Diese Kosten betragen in neuen oder modernisierten Anlagen gemäss einer Studie des Bundesamtes für Energie 14 Rappen. («Neue Zürcher Zeitung» vom 13.12.2013) Mit anderen Worten: Bestehende Anlagen können ihre Kosten nicht decken und neue Anlagen rechnen sich nicht, weil Importieren in der Schweiz zurzeit viel billiger ist als selber Produzieren – eine für das Land gefährliche Entwicklung.
Der Direktor der Centralschweizerischen Kraftwerke CKW nahm kürzlich wie folgt Stellung: «Die Einspeisung subventionierter Energie aus Solar- und Windkraft verzerrt die Marktpreise um 30 bis 40 Prozent.» Die BKW wird das Atomkraftwerk Mühleberg vorzeitig stillegen – aus betriebswirtschaftlichen Gründen, das heisst, weil auch hier die Kosten nicht mehr gedeckt sind. Die Auslandabhängigkeit wird steigen – sowohl von fossilen Anlagen wie von ausländischen Kernanlagen. Die BKW ist am deutschen Kohlekraftwerk Wilhelmshaven beteiligt, das bald ans Netz gehen soll. Der Anteil der BKW entspricht zwei Dritteln der Kapazität von Mühleberg.

Ungewisse Zukunft der Wasserkraft

Luzius Theler beurteilt die Zukunftsaussichten der einheimischen Wasserkraftwerke im «Walliser Boten» bereits am 6.7.2013 mit grosser Besorgnis: «Diese stehen mit dem Rücken zur Wand. Angesichts der hoch subventionierten neuen erneuerbaren Energien und deren rasanten Entwicklung sehen sie sich mit unangenehmen Tatsachen konfrontiert. Es kommt hoch subventionierter Strom vorab aus Deutschland zu Preisen auf den Markt, die unter den Gestehungskosten hiesiger Kraftwerke und darunter auch vieler Wasserkraftwerke liegt. Selbst bisher hochrentable Werke müssen mit zusammengestauchten Margen leben. Zudem kommt die Einschätzung der künftigen Entwicklung auf dem Energiesektor dem Lesen im Kaffeesatz gleich. Niemand weiss mehr, wohin die Reise geht – weder kurz- noch langfristig.» Der Preiszerfall werde auch eine Neubewertung der Heimfallwerte zur Folge haben. Die Wasserkraft – so folgert Luzius Theler – mache heute eine der schwierigsten Phasen ihrer Geschichte durch.
Das über viele Jahre bewährte Konzept, zu Spitzenzeiten zu hohen Preisen Strom zu liefern, funktioniert so nicht mehr. In den letzten Jahrzehnten war der Strom der Pumpspeicherwerke jeweils über die Mittagszeit gefragt, wenn überall in Europa gleichzeitig die Kochherde eingeschaltet wurden und sie innerhalb weniger Minuten viel zusätzlichen Strom liefern konnten. Seit kurzem erhalten die Speicherwerke Konkurrenz von den Photovoltaikkraftwerken, die über Mittag am meisten Strom produzieren (wenn die Sonne scheint). Die Pumpspeicherwerke müssen sich neu darauf ausrichten, als «Batterie» zu wirken, die den Strom speichert und damit die grossen Schwankungen der Wind- und Sonnenkraft ausgleicht, die sich zwangsläufig ergeben. Wind und Sonne produzieren in Deutschland während weniger als einem Viertel der 8760 Jahresstunden Strom («Frankfurter Allgemeine Zeitung» vom 19.10.2013). Die bestehenden Kapazitäten der Speicherkraftwerke genügen bei weitem nicht, um die grossen Lücken in der Versorgung zu schliessen. Zahlreiche Kohlekraftwerke übernehmen diese Aufgabe. Weitere werden gebaut. Sie sorgen zusammen mit den verbliebenen Atomkraftwerken für massive Überschüsse – vor allem dann, wenn gleichzeitig der Wind weht und die Sonne scheint.
Fazit: Es ist an der Zeit, dass die Wasserkraftwerke in der Schweiz in Politik und Wirtschaft wieder die Würdigung erfahren, die sie verdient haben. Ebenso wie die Erhaltung und Förderung der landwirtschaftlichen Produktion hochwichtig für unsere Ernährungssouveränität ist, muss der Wasserkraft in unserem Alpen- und Juraland ein vorrangiger Platz für die möglichst hohe Selbstversorgung mit Strom zukommen. Neben den Kleinwasserkraftwerken muss auch den grossen wie Grand Dixence oder Linth-2015 ermöglicht werden, dass sie ihren Strom zu einem angemessenen Preis verkaufen können.     •

Im zweiten Teil dieses Artikels wird noch stärker auf Fragen der Stromversorgung in der EU eingegangen, aber auch eine möglichst unabhängige Schweizer Energiepolitik zur Diskussion gestellt.

Alertswiss lanciert – Hilfen für individuelle Notfallpläne

zf. Anfang Februar 2015 hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnerorganisationen das System Alertswiss lanciert. Ab sofort findet jeder Interessierte über eine Webseite (alertswiss.ch), eine Smartphone-App, über Twitter (@alertswiss) und YouTube Informationen rund um die Vorsorge und das Verhalten bei Katastrophen und Notlagen in der Schweiz. Im Zentrum der neu lancierten Homepage steht ein individueller Notfallplan, den jeder Haushalt für sich erstellen kann. Darin sollen beispielsweise Familientreffpunkte festgelegt, wichtige Informationen hinterlegt oder eine Liste mit Notvorräten abgelegt werden können. In Notfällen sei es entscheidend, dass die zuständigen Behörden und die betroffene Bevölkerung möglichst rasch und richtig handelten, sagte Benno Bühlmann, Direktor des Bundesamtes.

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