«Jeder gemeinsame Einsatz mit der Nato ist fragwürdig» – «Imponiergehabe vor Russlands Toren?»

«Jeder gemeinsame Einsatz mit der Nato ist fragwürdig» – «Imponiergehabe vor Russlands Toren?»

von Thomas Kaiser

Mit Erstaunen musste der Frühaufsteher am Montag vor zwei Wochen in den Nachrichten um sechs Uhr zur Kenntnis nehmen, dass die Schweizer Luftwaffe mit Kampffliegern an einem internationalen Manöver in Schweden, Norwegen und Finnland, also nahe der Grenze zu Russland, beteiligt ist. Besonders stossend daran: Neben Norwegen haben noch fünf weitere Nato-Staaten an diesem Manöver, das von Russland als Provokation wahrgenommen wird, teilgenommen. Der vielsagende Name dieses Manövers lautet «Arctic Challenge Exercise», und es wird euphemistisch als «multinationale Verteidigungsübung» deklariert.
Das fiktive Szenario bestand darin, über der Arktis eine von der Uno verhängte Flugverbotszone zu errichten, so wie diese die Uno mit Hilfe der Nato 2011 in Libyen mit verheerenden Auswirkungen für Land und Leute durchgesetzt hat. Die Auswirkungen der damals errichteten Flugverbotszone sind bis heute spürbar. Das Land ist zerrüttet, eine funktionierende Regierung gibt es nicht mehr, und die Menschen fliehen in Scharen nach Europa. Ziel dieser Flugverbotszone war es, die Lufthoheit über Libyen zu erringen, um so das Land in den Griff zu bekommen und einen Regime change durchzuführen. Vom Schutz der Zivilbevölkerung, den man damals ins Feld führte, war weit und breit keine Spur. Im Gegenteil, man hat das Land ins Mittelalter zurückgebombt und Zehntausende unschuldiger Zivilisten getötet. Davon spricht heute niemand mehr, ausser die betroffenen Menschen selbst. Aber wen interessiert das schon?

Flugverbotszone über Russland?

So also sieht eine Flugverbotszone à la Nato aus. Und an solch einer Übung beteiligten sich 8 Kampfflugzeuge der Schweizer Luftwaffe zusammen mit den Nato-Mitgliedstaaten Norwegen, Holland, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und den USA. Alles Staaten, die in den letzten Jahren an teilweise völkerrechtswidrigen Kriegen beteiligt waren, am beschämendsten der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen Serbien 1999.
4000 Soldaten kamen zum Einsatz und übten, wie das VBS in einer Presseerklärung mitteilt, «die Vertiefung der multinationalen Zusammenarbeit in aktuellen Krisenszenarien […], die Vertiefung der operationellen, technischen und logistischen Zusammenarbeitsfähigkeit (Interoperabilität)». Die Schweiz ist neben den Kampffliegern mit 16 Piloten und 45 Mann Bodenpersonal vor Ort. Als rechtliche Grundlage für diesen Einsatz erwähnt das VBS das «Memorandum of Understanding (MOU)», das man im Juni 2002 mit dem Königreich Schweden abgeschlossen habe. Irritierend dabei ist nur, dass den Oberbefehl dieser Übung nicht Schweden, sondern das Nato-Land Norwegen hat …
Offiziell wird eine «Friedensmission» geübt, aber wie selbst die konservative deutsche Tageszeitung Welt Online vom 25. Mai schreibt, hat «die Militärpräsenz vor allem geologische Gründe […]. Das Grossmanöver findet vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen mit Russland und der Rivalität um Bodenschätze im Polargebiet statt.» Wer sich mit der neuen Nato-Doktrin von 1999 auseinandergesetzt hat, der weiss, dass die Sicherung von Bodenschätzen Grund für militärische Interventionen sein kann. Wer hier tatsächlich glaubt, es gehe um eine «Friedensmission», der verschliesst die Augen vor der Realität und könnte noch ein böses Erwachen erleben.
Kritik an der Schweizer Beteiligung hagelt es von allen Seiten. Im Schweizer Parlament zeigt man sich wenig erfreut über das Schweizer Engagement an einem Nato-Manöver an der Grenze zu Russland.
Der Sicherheitspolitiker der CVP und ehemaliger Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission Jakob Büchler hat zunächst Verständnis dafür, dass die Schweizer Luftwaffe im Ausland trainieren muss, da es im Land selber nicht mehr möglich ist. Die Toleranz der Bevölkerung gegenüber solchen Übungen ist sehr klein. Bedenken hat er bezüglich der Nato: «Wir brauchen solche Trainingsmöglichkeiten, es müsste aber nicht mit der Nato sein. Sie ist ein Angriffs- und Verteidigungsbündnis, etwas, was die Schweiz als neutrales Land nicht kennt.»
Roland Rino Büchel, SVP St. Gallen, Vizepräsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates, möchte sich nicht gross dazu äussern, findet aber ein derart angelegtes Manöver problematisch: «Jeder gemeinsame Einsatz mit der Nato ist fragwürdig, dieser ganz besonders.»

«Nato probt Arktis-Verteidigung gegen Russland»

Der Präsident der Aussenpolitischen Kommission Carlo Sommaruga (SP/GE) steht internationalen Einsätzen, wenn sie bilateral sind oder unter einem Uno-Mandat stehen, nicht ablehnend gegenüber: «Dass sich die Schweiz in einem internationalen Manöver mit einem anderen Land wie Österreich, Schweden oder anderen nordischen Ländern beteiligt, ist nicht neu. Sehr problematisch ist, die Schweiz in eine Nato-Übung zu integrieren. Denn dann ist es keine Übung in einer bilateralen Partnerschaft. Die Schweiz kann nur mit Uno-Mandat oder in bilateralen Übungen mit anderen Ländern Einsätze machen. Mit der Nato ist es problematisch, dazu bräuchte es eine politische Entscheidung.» Der Punkt, dass das Ganze auch eine erhöhte politische Brisanz hat, da es sich in einer sehr angespannten Situation in Eu­ropa vor den Toren Russlands abspielt, sieht er zunächst als geographische Zwangsläufigkeit: «Dass es in der Nähe Russlands geschieht, ist abhängig von der geographischen Lage Schwedens.» Aber die Teilnahme an einem Nato-Manöver geht ihm entschieden zu weit. «Problematisch ist es erstens, wenn es eine Übung der Nato ist, und zweitens, wenn diese Übung nicht auf die Verteidigung ausgerichtet ist, sondern gegen Russland.» Dass es eine Übung der Nato ist, scheint offensichtlich, auch wenn drei Nicht-Mitglieder mit von der Partie sind. So titelte Welt Online «Nato probt Arktis-Verteidigung gegen Russland», treffender hätte man es wohl nicht formulieren können.
Für Nationalrat Oskar Freysinger (SVP/VS) ist der ganze Vorgang absolut inakzeptabel: «Sie begründen das Ganze mit der Uno. Aber das ist absurd. Sie machen eine Sicherheitsübung unter dem Deckmantel der Uno gegen ein Sicherheitsratsmitglied der Uno. Jenseits des Polarkreises ist nur Russland. Das geht nicht gegen die Fidschi-Inseln. Unter dem Deckmantel der Uno ein Manöver gegen ein Mitglied des Sicherheitsrates zu organisieren – etwas Absurderes habe ich noch nicht erlebt. Man will immer wieder der Nato gefallen, den Amerikanern gefallen. Wir unterstellen uns de facto den Amerikanern. Wenn die Schweiz mit Italien einen Vertrag hat, um über dem Meer Luftkampfübungen zu machen, weil man das in den Walliser Alpen nicht mehr machen kann, dann stört mich das nicht, wenn es ein neutrales Manöver ist, bei dem man mit den Flugzeugen etwas übt. Aber diese Übung hier steht in einem gewissen brisanten politischen Kontext. Das ist nicht mehr neutral.»

«Nato hat schon mehrere Angriffskriege geführt»

Nationalrat Geri Müller, Aussenpolitiker der Grünen Partei, findet klare Worte zum Einsatz der Schweizer Luftwaffe im Verbund mit der Nato. «Flugtrainings mit der Nato gehen für die Schweizer Flugwaffe gar nicht. Die Nato ist ein Staatenbündnis, das schon mehrere Angriffskriege geführt hat, unter anderem gegen Serbien. Und jetzt Imponiergehabe vor Russlands Toren? Das kann unseren Beziehungen zu Russ­land enorm schaden.»
In russischen diplomatischen Kreisen ist man denn auch reichlich darüber befremdet, dass sich die Schweiz als neutrales Land an solch einem Manöver beteiligt. Man zeigt sogar noch Verständnis dafür, dass die Schweizer Luftwaffe ausserhalb des Landes trainieren muss, und dies auch mit anderen Ländern tut, aber ein gemeinsames Kriegsszenario vor den Toren Russland zusammen mit Nato-Ländern zu üben ist etwas anderes. Es scheint das Verhältnis sehr zu belasten, und die Schweiz läuft Gefahr, das Vertrauen, das sie während ihrer OSZE-Präsidentschaft aufgebaut hat, leichtfertig zu verspielen.
Oskar Freysinger verlangt daher, dass die Schweiz sich um ein besseres Verhältnis zu Russland bemühen müsste: «Man sollte mit Russland ein Freihandelsabkommen machen. Wir müssten ein privilegierter Partner von Russland werden. Wir könnten so unheimlich viele wirtschaftliche Interessen fördern, aber wir haben immer Angst. Es heisst immer, die USA sind unser Freund, dabei haben sie uns seit den 90er Jahren ein faules Ei nach dem anderen beschert. Die Russen haben das nie getan. Jetzt sollte man auf Freihandelsabkommen setzen, auf die multilaterale Welt, und dazu gehören auch die Russen. Wir sind ein freies Land.»    •

Evi Allemann stramm auf Nato-Kurs?

thk. Während von links bis rechts die Teilnahme der Schweiz an der Nato-Übung kritisiert wird, geht für SP-Nationalrätin und «Sicherheitspolitikerin» Evi Allemann «die Zusammenarbeit mit dem Ausland», wie die «Aargauer Zeitung» vom 26. Mai schreibt, «zu wenig weit». Sie spricht von einem «Ausbau multilateralen Missionen». Frau Allemann hatte sich stark gegen die Beschaffung eines neuen Kampfflugzeugs, des Gripen, engagiert, unter anderem mit der Begründung, die Schweiz könne im Bedrohungsfall verstärkt mit der EU oder der Nato zusammenarbeiten. Das ist schon ein sehr sonderbares Souveränitätsverständnis.

Rückzug aus der PfP – lieber heute als morgen

thk. Die Schweiz wurde 1996 in einer Nacht- und Nebelaktion in die Nato-Unterorganisation Partnership for Peace (PfP, auf deutsch Partnerschaft für den Frieden) hineingeführt. Die damals amtierenden Bundesräte Flavio Cotti (EDA) und Adolf Ogi (VBS) haben die Beitrittserklärung unterschrieben, ohne mit dem Parlament eine Debatte darüber zu führen. Die USA mit der Nato hatten die PfP eingerichtet, um vor allem die ehemaligen Ostblockstaaten und Sowjetrepubliken näher an die Nato heranzuführen und sie so sukzessive auf eine Nato-(Voll-)Mitgliedschaft vorzubereiten. Obwohl die USA Gorbatschow versprochen haben, sich nicht weiter Richtung Osten auszudehnen. Mit der Neutralität der Schweiz ist das nicht im geringsten zu vereinbaren. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Entstehung einer unipolaren Welt hatte die Neutralität bei der Mehrheit des Bundesrates nicht mehr diese Bedeutung, die ihr grundsätzlich während des Kalten Krieges zukam. In den letzten Jahren hat sich aber die geopolitische Lage grundlegend geändert. Die unipolare Welt hat sich zu einer multipolaren entwickelt, was der einstige Hegemon USA nur schwerlich akzeptieren will. In dieser Situation kommt der Neutralität der Schweiz höchste Priorität zu. Sie allein kann daher überzeugend zwischen den Machtblöcken vermitteln. Glaubhaft wird das nur sein, wenn sich die Schweiz hoch offiziell aus der PfP zurückzieht: Lieber heute als morgen.

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