Europa braucht Frieden – keine US-Truppen

Europa braucht Frieden – keine US-Truppen

Aus deutscher Sicht

von Willy Wimmer

Man kann nicht glauben, was man aus Washington seit Tagen hört. Zunächst lässt man eine weltweit unbekannte zivile Führungskraft aus der amerikanischen Luftwaffe plärren. Etwas später kann man den designierten Generalstabschef der amerikanischen Streitkräfte mit seiner Aussage vor dem US-Kongress hören. Danach ist die Russische Föderation der grösste anzunehmende Gegner für die Vereinigten Staaten. Man muss sich schon die Augen reiben, aber da kommen wilde Zeiten auf uns zu, oder wir stecken tiefer im Bündnis-Schlamassel, als wir ahnen.
Washington ist auf Krawall gebürstet, und es ist mehr als das. Wir haben in Europa eine inzwischen einschlägige Erfahrung mit der Führungsmacht des Bündnisses, dem wir nun einmal angehören. Wir, die wir einmal zur gemeinsamen Verteidigung angetreten waren, führen nur noch Krieg, bringen Elend über weite Teile der Welt und wundern uns, wenn die verzweifelten Menschen aus den von uns bewerkstelligten Kriegsgebieten in ihrer Not zu uns fliehen. Sie kommen zu uns und müssen sehen, dass ihnen dort, wo diese unselige Politik angezettelt worden ist, die Tore hermetisch verschlossen bleiben: in den USA.
Russland kann für sich selbst sprechen, wenn im amerikanischen Kongress derartige Tiraden abgefeuert werden. Aber auch wir haben seit mehr als zwanzig Jahren eine Erfahrung mit unserem grossen östlichen Nachbarn machen können. Diese Erfahrung ist keinesfalls von dem bestimmt, was heutzutage in Washington in aller Öffentlichkeit gesagt wird. Hohe amerikanische Beamte fordern bei Gesprächen in unserem Land dem Vernehmen nach «Gefolgschafts­treue» ein, wenn es um unsere Beziehungen zur Russischen Föderation geht. Hier werden die Dinge auf die Spitze getrieben. Der Papst hat bei seiner Reise auf den Balkan vor wenigen Wochen vor dem nächsten Weltkrieg gewarnt. Etwa gleichzeitig wurde unser Herr Bundespräsident auf einer grossen Kundgebung gefeiert, obwohl er in einer Weise für militärische Einsätze wirbt wie keiner seiner Amtsvorgänger. Die Methoden zeigen Wirkung.
Diese Aussagen in Amerika werden uns wie mit einer Flut mitreissen, denn diejenigen, die in unserem Land zu einer eigenständigen Meinungs- und Willensbildung, zu einer Bestimmung nationaler Interessen in einem eigentlichen Sinne beitragen müssten, kommen dieser zentralen staatlichen Aufgabe seit langem nicht mehr nach. Regierung und Parlament sind auf diesem Feld ausgesprochen zahnlos geworden, und statt dessen regieren die offenen und verdeckten Gremien, die keine Legitimation durch den Wähler haben, in die staatliche Politik hinein. In weiten Teilen erweckt die deutsche Politik den Eindruck, dass unter den Augen aller das Epizentrum der deutschen Politik von Berlin in eine ostwestfälische Grossstadt abgewandert ist. Bei den Medien, die sich in der Bonner Zeit heftige Schlachten um den besten Weg geliefert hatten, geht es nur noch darum, wer für den «mainstream» den «cheerleader» abgeben kann. Was in Washington von ziemlich hoher staatlicher Stelle gesagt wird, entfaltet über die Bündnis- und Vertragsmechanismen eine unglaubliche Bindungswirkung, die nur noch als Sog bezeichnet werden kann. Auch und gerade das, was dieser General öffentlich sagt, denn er wird von seinem Präsidenten als Sprachrohr benutzt.
Wer will sich dem in Berlin mit einer eigenen Beurteilung der Situation in den Weg stellen? Es war doch zum Ende des ersten Kalten Krieges zu bestaunen, wie sehr in Washington die Beurteilung einer damaligen sowjetischen Bedrohung der Opportunität unterworfen werden konnte. Während ganz Westeuropa sich vor dem Angriff aus dem Osten fürchtete, bekamen deutsche Besucher in Washington eine neue Weltsicht präsentiert. In totaler Abkehr zu dem, was jahrzehntelang gepredigt worden war, war die Rote Armee mit ihren Stosskeilen in Mitteleuropa plötzlich eine rein defensive Veranstaltung, die nur darauf ausgerichtet gewesen sei, die logischen militärischen Konsequenzen aus Napoleon und Hitler zu ziehen: Verteidigung von Mütterchen Russ­land gegen das stets aus Westen drohende Unheil und die endlose Verwüstung.
Wenn das in Washington lediglich Taktik gewesen sein sollte, in Anbetracht der tatsächlichen ökonomischen Lage des Riesenreiches, dann müssten wir uns im 25. Jubeljahr der Wiedervereinigung mit dem Gedanken beschäftigen, dass sich die Vereinigten Staaten mit ihren engsten Verbündeten seit dem Ersten Weltkrieg aus welchen Gründen auch immer in Russ­land verbissen haben, es erledigen wollen und dass Moskau mit der Zustimmung zur Wiedervereinigung Ballast abgeworfen hatte, an den in Washington und vor allem London und zunächst auch Paris so recht niemand glauben wollte, von Tel Aviv ganz zu schweigen. Einer der engsten Mitarbeiter des letzten bedeutenden deutschen Aussenministers Hans-Dietrich Genscher, Dr. Frank Elbe, hat vor wenigen Wochen in einem umfangreichen Interview mit dem russischen Medienhaus sputnik darauf aufmerksam gemacht, dass die Betreiber der aus Washington gegen Russland gerichteten Politik im wesentlichen einen bis in die damalige Weltkriegszeit zurückreichenden familiären Hintergrund in Russland selbst haben. Welche Rechnungen werden dabei bis heute beglichen, und was soll sich auf unserem Rücken abspielen?
Zu welchen Dimensionen sich der gesamte Westen dabei versteigt, haben wir alle in Zusammenhang mit dem Putsch im Frühjahr 2014 in Kiew gesehen. Selten hat der Westen, dem man sich durchaus und vor allem anderen verbunden fühlt, seine Werte so sehr verraten wie bei dem Massaker auf dem Maidan-Platz oder den Brandopfern in Odessa sowie der schäbigen Instrumentalisierung der Opfer des Flugzeugabsturzes über der Ukraine. Der Zweck heiligt wieder die Mittel, und es empört auch deshalb, weil wir durch eine dadurch losgetretene Leidenszeit schon einmal gegangen sind.
Welches Risiko wir dabei in tödlicher Hinsicht eingehen, erleben wir bei den Manövern nicht nur durch Nato-Seestreitkräfte vor der Haustüre der russischen Schwarzmeerflotte im Schwarzen Meer, sondern auch durch US-Atombomber in Luftraum der Ukraine oder «Speerspitzen»-Operationen mit deutscher Beteiligung unmittelbar an der russischen Grenze. Die Veränderung der europäischen Grosswetterlage, die sich Moskau mit der Förderung der deutschen staatlichen Einheit und damit die Abwesenheit von Krieg an der Westgrenze erhofft hatte, wurde gezielt und durch den gesamten Westen ins Gegenteil verkehrt.
Warum sollen in Moskau nicht jene Kräfte nach oben gespült werden, die von ähnlicher Geistesgabe sind wie der designierte amerikanische Generalstabschef? Wenn einer der Bomberpiloten, die sich heutzutage in westlichen und russischen Flugzeugen unter Kriegsgesichtspunkten begegnen, einen Fehler machten sollte, gibt es uns anschliessend alle nicht mehr. Eine Diskussion darüber, wer den entscheidenden Fehler begangen hat, wird alleine schon aus diesem Grund nicht stattfinden können. Wollen wir in Europa eigentlich zulassen, dass Washington mit den in Europa kriegsgeneigten Kräften Verhältnisse schafft wie bei den penetranten amerikanisch-südkoreanischen Manövern auf der koreanischen Halbinsel, die jederzeit in einen unbegrenzbaren Krieg umschlagen können? Das tatsächliche Verhalten der USA auf unserem und auch dem Territorium anderer europäischer Staaten hat seit Jahren die Grundlagen für den Nato-Vertrag und damit die Stationierung amerikanischer Truppen in europäischen Ländern weggespült. Die Grundlage für diese Truppen besteht in der gemeinsamen Verteidigung. Dem haben auch die Völker zugestimmt. Zu keinem Zeitpunkt haben die Parlamente dem gemeinsamen Angriff über ein Bündnis zugestimmt. Erst recht nicht der kollektiven Vernichtung, aber dieser Vernichtung wird in Washington das Wort geredet. Auch und gerade im amerikanischen Kongress und jetzt auch durch einen General der Marine-Infanterie.     •

ISBN978-3-593-39097-0
km. Die wohl solideste Studie zum Einfluss der in der ostwestfälischen Stadt Gütersloh ansässigen Bertelsmann-Stiftung hat 2010 Thomas Schuler vorgelegt.
Hermann Ploppa hat in seinem 2014 erschienen Buch «Die Macher hinter den Kulissen. Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern» (ISBN 978-3-93816-22-5) das Wirken dieser Stiftung in den transatlantischen Zusammenhang eingeordnet. Er schreibt: «In den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts drängte sich eine Stiftung immer mehr in den Vordergrund, die alle bisherigen Stiftungen an Grösse und Bedeutung übertreffen sollte: die Bertelsmann-Stftung aus dem westfälischen Städtchen Gütersloh. Die Stiftung kommt amerikanischer als die Amerikaner daher. […] Bereits 1992 hatte sich Reinhard Mohn bemüht, seine Stiftung in die transatlantischen Netzwerke einzubringen. […] die Stiftung macht mittlerweile Politik und hat in manchen Bereichen die gewählten Politiker zu Statisten verkommen lassen.»

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