Ohne Fundament und erst noch auf Sand gebaut

Ohne Fundament und erst noch auf Sand gebaut

Ketzerische Gedanken zu Gemeinschaftsschulen und Lehrplan 21

mw. Mit den Schulreformen ist es so eine Sache. Da werden die Erkenntnisse ganzer Generationen von Erziehungswissenschaftern als «nicht mehr zeitgemäss» abgestempelt und in den Müll geworfen. Die dazu gehörenden Lehrmittel entsorgt man gleich mit. Nicht besser geht’s den Lehrern: Wer sich auf jahrzehntealte praktische Erfahrung im Unterrichten beruft, wird bestenfalls von oben herab belächelt und schlechtestenfalls frühpensioniert.
«Der weiss ja nicht einmal, dass das Wissen heute so schnell veraltet, dass es sich nicht lohnt, es im Gehirn abzuspeichern (‹lernen› nannte man das früher)!» Noch nichts von der Halbwertszeit des Wissens gehört? Also Schluss mit Auswendiglernen! Und wozu sich das Einmaleins oder die Rechtschreiberegeln mühsam einprägen, wo ein Knopfdruck die richtigen Resultate liefert? Klassenunterricht ist übrigens total von gestern – googeln kann schliesslich jeder allein. Und das Geniale am individualisierten Lernen: Jeder findet seine eigenen Lösungen, richtig und falsch gibt es in der Schule nicht mehr. Juhui, keine korrigierten Hefte mehr, alles dürfen die Schüler selbst korrigieren – wozu gibt es Korrekturprogramme? Die Rechtschreibung hat man früher sowieso viel zu wichtig genommen, heute kommt es darauf nicht mehr an, Hauptsache, der andere ferstet es – «meinen Sie ‹versteht›?».
Nachdem die diversen Steuerkassen nun also bereits Millionen und Abermillionen in den Lehrplan 21 (Schweiz) und die Gemeinschaftsschulen (Baden-Württemberg) gesteckt und die Lehrer durch die entsprechenden Aus- und Weiterbildungsprogramme geschleust haben, kommt doch ein Gutachter-Team daher und findet heraus, dass an den schönen neuen Theorien nichts haltbar ist: «Danach gelingt weder die neue Unterrichtsform des selbständigen Lernens mit Lehrern als Lernbegleitern noch die Inklusion oder die besondere Förderung der Schwächsten und Stärksten.» Selbstverständlich alles ganz geheim. Das fehlte noch, dass jeder Bürger da seine Nase hineinstecken kann! (Quelle: Heike Schmoll, Studie zur Gemeinschaftsschule, Schwäbisches Himmelfahrtskommando, «Frankfurter Allgemeine Zeitung» vom 17.8.2015) Also beginnen sie in Baden-Württemberg jetzt rasch mit einer Begleitforschung zu den bereits eingeführten «neuen» Lernformen – etwas spät, finden Sie nicht? Diese Studie wird übrigens von derselben Mannschaft auf die Beine gestellt, welche die Gemeinschaftsschulen und die dahinter stehende Ideologie des individualisierenden Lernens in «offenen» Schulen seit langem puscht (pardon, ich meine «fördert»). (http://www.erziehungswissenschaft.uni-tuebingen.de/forschung.html). Ob die so ganz und gar objektiv urteilen werden?
Nun seien Sie mal nicht so pingelig: Hauptsache, das bisherige Schulsystem wird abgeschafft, lieber heute als morgen. In der Schweiz sind nämlich die meisten kantonalen Lehrpläne mindestens 15 Jahre alt und deshalb an sich schon veraltet, so der Präsident der deutschweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz. Stellen Sie sich das einmal vor, Lehrpläne aus dem Jahr 2000, die sind ja direkt vorsintflutlich! Was drinsteht, ist ohnehin nicht von Belang.
Für die Umsetzung dieser Monumentalprojekte muss der Steuerzahler weitere Abermillionen hinblättern – oder sollen wir gleich Milliarden sagen? Für den Umbau oder Neubau der Schweizer Volksschulen zu Lernlandschaften mit Einzelkojen; für die Ausrüstung mit Hard- und Software; für die Weiterbildung und Überwachung der Lehrer (nicht dass noch einer beim Klassenunterricht mit «Frontalbestuhlung» bleibt!); für die Erstellung, Durchführung und Auswertung der Lernprogramme und der Computertests samt Honorar für die externen Tester. Die gesamten Tests in allen «Fachbereichen» («Fächer» sind ja auch von gestern) werden natürlich für alle drei Zyklen des Lehrplan 21 am Computer stattfinden, beginnend mit der 2. Primarklasse. Ist ja logisch: Kommunikation wird künftig sowieso nur noch digital stattfinden, da ist es gut, wenn bereits die Kindergärtler lernen, auf die richtige Taste zu drücken oder den Konturen eines Kreises oder Vierecks auf dem Bildschim mit dem Finger nachzufahren. Vom digitalen Kreis können die Kleinen dann den gedanklichen Zusammenhang zu einem Kreis aus Karton ziehen – oder geht das doch nicht ganz? Wie war das doch gleich mit den Entwicklungsstufen des Kindes?
Lassen wir solche kleinlichen Überlegungen, denn Bill Gates und andere kinderfreundliche Leute wollen schliesslich ihre Smartphones, Tablets, Laptops und wie sie alle heissen an den Mann bzw. an die Kantone und Gemeinden verkaufen: Jedem Kind ab dem Kindergarten sein eigenes Tablet, mit dem es sich seine eigene Realität zurechtfabulieren kann. Bertels- und andere Männer stehen schon in den Startlöchern, um die vielen teuren Lern- und Testprogramme zu produzieren.
Und dann, wenn alles im Sinne der Schulreformer von OECDs Gnaden bestens läuft, kommt so ein ärgerliches Gutachten, wonach gar nichts funktioniert, was von oben propagiert worden ist … Da fällt mir ein: An unseren Hochschulen werden doch sonst zu allem und jedem x Studien produziert. Nur zu dieser Frage von wahrhaftig grosser Bedeutung, ob es für unsere Kinder besser ist, wenn sie im Klassenunterricht in der Beziehung zu ihrem Lehrer angeleitet werden oder wenn jedes für sich allein seinen Wochenplan abarbeitet – dazu gibt es offenbar hierzulande keine brauchbaren Studien, ausser derjenigen, die in Baden-Württemberg unter Verschluss gehalten wird. Deshalb kann in der Schweiz ein kantonaler Regierungsrat daherkommen mit seiner hemdsärmeligen «Begründung», Lehrpläne müssten ersetzt werden, weil sie schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben. Und deshalb müssen wir uns seit Jahr und Tag allein auf die wertvolle Studie eines Forschers aus dem fernen Neuseeland (John Hattie) abstützen, weil bei uns die Schule ohne irgend­eine vernünftige Beweisführung einfach auf den Kopf gestellt wird, auf Grund blosser Behauptungen aus OECD-Land, die weder Hand noch Fuss haben, wie jeder Lehrer und jedes Elternpaar aus eigener Erfahrung weiss, wenn ihnen nicht der Kopf vernebelt wird.
Na ja, in der Schweiz haben wir glücklicherweise die Möglichkeit, mit einer Volksinitiative den Lehrplan 21 in den einzelnen Kantonen zu verhindern. In Baden-Württemberg gibt es übrigens ein ähnliches Instrument, den Bürgerentscheid, der kürzlich in Rielasingen gegen die Errichtung einer Gemeinschaftsschule durchgeführt und deutlich angenommen wurde. Nur schade, dass es für das vorgeschriebene Quorum von 25% der Stimmberechtigten nicht gereicht hat – aber in einer Demokratie können die Bürger ja auch diese Hürde in Angriff nehmen.    •

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