Die unberechenbare Preisentwicklung ist für Kleinbauernfamilien verheerend

Die unberechenbare Preisentwicklung ist für Kleinbauernfamilien verheerend

Interview mit Caroline Morel, Geschäftsleiterin von Swissaid*

Zeit-Fragen: Bundesrat Johann Schneider-Ammann sagte in seiner Stellungnahme im Nationalrat am 17. September 2015: «Die Spekulation hat durchaus positive und nützliche Funktionen. Sie erhöht die Liquidität auf den Märkten. Das ermöglicht den Produzenten und den Verarbeitern, sich zu vernünftigen Konditionen abzusichern. Es geht um Planungssicherheit, es geht um Kosten­effizienz. Wenn die Erträge aus der Kosten­effizienz in einem funktionierenden Markt letztlich an den Konsumenten weitergegeben werden, kann das nicht nur schlecht sein.»
Vermischt der Bundesrat die Spekulation mit der Geschäftsabsicherung, die gemäss Initiativtext auseinandergehalten werden müssen? Oder anders gefragt: Was will die Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!» verbieten, und was wäre weiterhin erlaubt?

Caroline Morel: Ja, der Bundesrat vermischt hier die beiden Sachverhalte.
Weil Ernteerträge schwierig vorauszusehen sind, sichern sich Produzenten und Händler ab. An so genannten Terminmärkten schliessen sie Verträge über den Handel mit einem Agrar-Rohstoff ab, wobei Menge, Fälligkeit und Preis im voraus festgelegt werden. Diese Verträge haben eine Versicherungsfunktion und werden durch die Spekulationsstopp-Initiative nicht in Frage gestellt. Die vom Bundesrat erwähnten «posi­tiven Funktionen» werden also weiterhin möglich sein.
Seit 2000 treten jedoch vermehrt Finanz­investoren, Banken, Hedgefonds und institutionelle Anleger als Akteure auf den Terminmärkten auf. Sie setzen auf langfristig steigende Preise oder spekulieren auf kurzfristige Preisveränderungen. Die Spekulation dieser Gruppe, die vom physischen Handel abgekoppelt ist, ist schädlich und sie soll reguliert werden.
Beängstigend ist das Volumen an Spekulation: Bis 2000 waren 20 Prozent der Verträge spekulativer Natur. Seit der Finanzkrise liegt ihr Anteil wegen neuer Finanzinvestoren bei 80 Prozent und mehr.

Hauptargument der Gegner der Initiative ist, die Spekulation sei gar nicht die Ursache der wuchtigen Preiserhöhungen für Getreide auf dem Weltmarkt in den Jahren 2007/2008 und 2011 gewesen. Wie ist das zu sehen?

Die Nahrungsmittelkrise 2008 schreckte die internationale Gemeinschaft auf. Die Zahl der Hungernden stieg rasch um 100 Millionen und erreichte die traurige Rekordmarke von 1 Milliarde Menschen. Die Hauptgründe: Die Preise für Grundnahrungsmittel waren wegen Ernteausfällen nach Dürren und Überschwemmungen markant gestiegen. Hinzu kamen der politisch geförderte Anbau von Agrotreibstoffen sowie die zunehmende Tierfutterproduktion wegen steigendem Fleischkonsum. Doch auch die Spekulation mit Agrarrohstoffen wie Weizen oder Reis trieb die Preise in die Höhe.
Es ist klar, dass verschiedene Faktoren zu den wuchtigen Preiserhöhungen führten. Einige Faktoren sind jedoch schwer beeinflussbar (Wetterkapriolen), andere können politisch gelöst werden. Hohe Nahrungsmittelpreise führen zu Hunger, Rückschritten in der Armutsbekämpfung und sozialen Unruhen. In Entwicklungsländern geben arme Haushalte 60 bis 80 Prozent ihres Einkommens fürs Essen aus – prozentual gesehen viel mehr als bei uns. Steigen die Preise für Grundnahrungsmittel, sind diese Familien daher in ihrer Existenz bedroht. Darum gilt es, die verschiedenen Faktoren, die zu den Preiserhöhungen führten, möglichst rasch zu minimieren. Mit der Spekulationsstopp-Initiative konzentrieren wir uns auf einen wichtigen Faktor, der zu Preiserhöhungen beiträgt.

Wäre denn ein Spekulationsverbot dann dringend nötig, wenn bereits andere Faktoren die Getreidepreise in die Höhe treiben?

Ja. Die Finanz- und Wirtschaftskrise war der Hauptauslöser, dass die schädliche Spekulation in Nahrungsmittel so stark zunahm – denn die Anleger und Hedgefonds suchten nach neuen Investitionsmöglichkeiten.
Seit der Nahrungsmittelkrise ist weniger die Preiserhöhung das grosse Problem, sondern vielmehr die Preisschwankungen, die durch die schädlichen Spekulationen massiv verstärkt werden.
Die unberechenbare Preisentwicklung ist für Kleinbauernfamilien verheerend, denn sie kann dazu führen, dass weniger in die landwirtschaftliche Produktion investiert oder – in der Not – Saatgut, Vieh oder Land verkauft werden. Die Gefahr wächst, dass die Menschen qualitativ und quantitativ schlechter mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Die Bauern und Bäuerinnen verlieren an Planungssicherheit.

Viele Gegner befürchten im Falle der Annahme der Initiative negative Auswirkungen auf den Schweizer Wirtschaftsstandort, weil vor allem Grossbanken und andere Gross­konzerne ihre Geschäfte ins Ausland verlegen könnten. Andererseits gibt es aber auch viele Anleger, die ihr Geld lieber für ethisch vertretbare Zwecke einsetzen. Könnten wir in der Schweiz da noch zulegen?

Der Schweizer Finanzplatz kann mit der Annahme der Initiative an Ansehen gewinnen, denn er setzt damit ein klares Zeichen gegen Spekulationspraktiken. Dabei geht es auch um eine Prävention vor Reputationsrisiken – was gerade dem Schweizer Finanzplatz nur zugute kommen kann.
In den USA und der EU gibt es bereits Bestrebungen, den Spekulationspraktiken etwas entgegenzusetzen, sie gehen aber weniger weit als die vorliegende Schweizer Volk­s­initiative. Anstatt anschliessend übernehmen zu müssen, was andere beschlossen haben, könnte die Schweiz proaktiv einen Schritt vorangehen.

Gibt es in der Schweiz bereits so etwas wie Fair trade für Finanzunternehmungen, also eine Bescheinigung durch Swissaid und andere Hilfswerke, dass eine Bank oder eine Pensionskasse nur «saubere» Anlagen vermittelt (zum Beispiel keine Fonds mit Waffen- oder Nahrungsmittelaktien)?

Nein, das gibt es meines Wissens nicht. Swiss­aid ist nicht spezialisiert auf dieses Thema. Es gibt verschiedene ethische und nachhaltige Fonds, in die mit gutem Gewissen investiert werden kann. Seit der Diskussion über die Spekulation mit Nahrungsmitteln gab es aber als positive Auswirkung bereits Banken, die sich von den Investitionen in Agrarrohstoffe zurückgezogen haben. Wichtig ist es hier, sich als Kunde oder Kundin bei der eigenen Bank oder Pensionskasse genau darüber zu informieren.

Können Sie zum Schluss uns Stimmberechtigten in Kürze sagen, warum wir am 28. Februar ja sagen sollen zur Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!»?

Angesichts der 800 Millionen Menschen, die heute unter Hunger leiden, ist die Spekulation mit Nahrungsmitteln ein Skandal. Es muss alles unternommen werden, um exzessive Spekulationen zu unterbinden. Darum unterstützt Swissaid die Spekulationsstopp-Initiative. Gerade in der Schweiz, einem der wichtigsten globalen Handelsplätze für Agrarrohstoffe, braucht es einen mutigen ­politischen Schritt zum Schutz des Rechts auf Nahrung für alle.

Frau Morel, vielen Dank für das aufschluss­reiche und klärende Gespräch.    •

(Interview Marianne Wüthrich)

*    Swissaid ist eine der privaten Entwicklungshilfe-Organisationen in der Schweiz.

Spekulationen treiben Preise für Mais in die Höhe

Der Maispreis schwingt sich zu neuen Höhen auf. Grund sind die Maisreserven der USA und die Angst vor Ernteeinbussen.
Frankfurt. Ein Scheffel dieses Lebens- und Futtermittels verteuerte sich am Dienstag um 0,2 Prozent auf 7,6175 Dollar. Am Montag war der Preis zeitweise auf 7,65 Dollar gestiegen und hatte damit den bisherigen Rekord vom Juni 2008 eingeholt.
«Es sind genügend Nachrichten im Markt, die den Mais-Preis weiter in die Höhe treiben können», sagte Rohstoff-Stratege Luke Mathews von der Commonwealth Bank of Australia. Dazu gehörten die niedrigsten US-Maisreserven seit 15 Jahren und die Furcht der An­leger vor Ernte-Einbussen auf der Nordhalbkugel infolge schlechten Wetters.
In den Anbau-Gebieten des US-Mittelwestens kann derzeit wegen Regen kein Mais gepflanzt werden. Verzögert sich die Aussaat zu stark, müssen Bauern von Mais auf Sojabohnen ausweichen.
Im Schlepptau des Mais verteuerte sich Weizen um 0,4 Prozent auf 7,9275 Dollar je Scheffel. Sojabohnen kosteten mit 13,86 Dollar 0,1 Prozent mehr als am Vortag.

Quelle: Handelsblatt vom 5.4.2011, Reuters

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