Anspruch auf Weltherrschaft: Krieg gegen Jugoslawien als Paradebeispiel

Anspruch auf Weltherrschaft: Krieg gegen Jugoslawien als Paradebeispiel

Von der Realität …

von Ralph Hartmann
«Es gibt ein paar Vokabeln, die wenig gebraucht werden, jedenfalls in den Erklärungen von Regierungen. Dazu gehören Macht, Herrschaft und Einfluss. Das war anders zu Zeiten, in denen die Verteidigungsminister noch Kriegsminister genannt wurden. Aber auch wenn ich von meiner Intimsphäre nicht gern spreche, so gibt es sie doch. Und auch, wenn die Staaten von ihren intimen Erwägungen nicht gern sprechen, so spielen Macht, Herrschaft und Einfluss ihre unveränderte Rolle, gewichtig, bewegend, oft entscheidend. Wer das nicht berücksichtigt oder leugnet, wird die Lage und die Entwicklung falsch analysieren und zu Fehleinschätzungen kommen.»1
Im Nato-Krieg gegen Jugoslawien gab es derartige machtpolitische Ziele, «Erwägungen», die mit «Macht, Herrschaft und Einfluss» verbunden waren, reichlich, im Übermass. Ziel der Nato war es unter anderem, Jugoslawien endgültig zu zerschlagen, die Ost-Erweiterung des Paktes voranzubringen, den Einfluss Russlands auf dem Balkan weiter zurückzudrängen und seine Einkreisung zu vollenden. Dafür, dass gerade das im kalten Krieg vom Westen so umworbene Jugoslawien nach der politischen Zeitenwende am Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre in das Visier der Nato geriet, gibt es viele Gründe. Sie wurden an anderer Stelle ausführlich behandelt.2 Hier soll nur an vier Einschätzungen erinnert werden, die allein schon ausreichen, um sich ein Bild von einigen Motiven bundesdeutscher und Nato-Jugoslawienpolitik zu machen.
Die erste nannte sich «Positionspapier», erarbeitet worden war es im Mai 1991 im Auswärtigen Amt, damals geleitet von Hans-Dietrich Genscher, und «Position» wurde zum Konflikt zwischen Kroatien und Slowenien einerseits und Serbien andererseits um die Zukunft des jugoslawischen Vielvölkerstaates bezogen: «Es geht vor allem um einen Kampf der Marktwirtschaft gegen zentralistische Kommandowirtschaft, von demokratischem Pluralismus gegen Einparteienherrschaft, von Rechtsstaatlichkeit gegen militärische Repression.»3 Es versteht sich, dass im Auswärtigen Amt Serbien als Hort der «zentralistischen Kommandowirtschaft», der «Einparteienherrschaft» und der «militärischen Repression» galt, hatte sich doch dort in demokratischen Wahlen im Unterschied zu den beiden nördlichen Republiken die Sozialistische Partei durchgesetzt, die partout nicht völlig von der Selbstverwaltung lassen wollte und zudem für den Erhalt der jugoslawischen Föderation eintrat. «Kommandowirtschaft», «Einparteienherrschaft», «Repression» waren die Schlagworte, mit denen in der Systemaus­einandersetzung die europäischen sozialistischen Länder – mit Ausnahme Jugoslawiens – bedacht worden waren; nun, nach dem Untergang des Realsozialismus in Europa, wurden diese Totschlagsargumente gegen Serbien und Restjugoslawien verwandt, die stellvertretend für die Untergegangenen zu Aussätzigen erklärt wurden. […]
Political Affairs schrieb: «Alle abgefallenen Republiken sind auf den kapitalistischen Weg eingeschworen, während die Bevölkerung der bei Jugoslawien verbliebenen Republiken (Serbien und Montenegro), trotz massiver US-Finanzhilfe für die Opposition, auch 1993 sozialistische Kandidaten unterstützt hat. Der Hass des Westens ist aber nicht nur auf die sozialistische Wahl, sondern auch auf den Widerstand der Serben gegen die neue Weltordnung zurückzuführen.»4 […]
In seinem vielzitierten Buch «Die einzige Weltmacht» schrieb Zbigniew Brzezinski in aller Offenheit: «Der Zusammenbruch ihres Rivalen versetzte die Vereinigten Staaten in eine aussergewöhnliche Lage. Sie wurden gleichzeitig die erste und die einzig wirkliche Weltmacht.5 Und Madeleine Albright führte am 30. Oktober 1998 – kurz nach dem Miloševic-Holbrooke-Abkommen – aus: «Fast während meines ganzen Lebens hat Amerika im internationalen System eine führende Rolle gespielt. Und heute ist dieser Einfluss der amerikanischen Führungsrolle von den Strassen Sarajevos bis zu den Dörfern im Nahen Osten, von den Klassenzimmern Zentralamerikas bis zu den Gerichtssälen Den Haags spürbarer denn je.»6
Wie dieser Anspruch auf Weltherrschaft notfalls durchzusetzen ist, dafür sollte der Krieg gegen Jugoslawien ein Paradebeispiel sein. Das war er nun nicht gerade, aber noch nach dem Krieg erklärte der Nato-Oberkommandeur Wesley Clark, dass der Krieg gegen Jugoslawien «ein ganz entscheidender Präzedenzfall für das kommende Jahrhundert» gewesen sei.7 […]
Die Raketen flogen gegen Belgrad, gegen Nis, Kragujevac, Pristina, aber im Visier der Nato- und US-Strategen lagen auch fernere, östlichere Gebiete, und darunter die zentral­asiatische Region und das Kaspische Becken, die laut Zbigniew Brzezinski «über Erdgas- und Erdölvorräte verfügen, die jene Kuwaits, des Golfs von Mexiko oder der Nordsee weit in den Schatten stellen».8 Hier – so Brzezinski – müsse es «Amerikas primäres Interesse folglich sein, mit dafür zu sorgen, dass keine einzelne Macht» (also Russland) «die Kontrolle über dieses Gebiet erlangt und dass die Weltgemeinschaft» (sprich: die USA und mit ihr die Nato, die sich, wie zum Beispiel in Kosovo, so gern als «internationale» oder «Weltgemeinschaft» ausgeben) «ungehinderten finanziellen und wirtschaftlichen Zugang zu ihm hat.»9
Noch deutlicher äusserte sich der damalige Vize-Direktor im Büro des Staatssekretärs im US-Verteidigungsministerium David Tucker. Noch vor dem «Kosovo-Krieg» schrieb er, dass es für die USA nur eine Region gebe, für die es sich wirklich zu kämpfen lohne. Dies sei «das Gebiet vom Persischen Golf nördlich bis zum Kaspischen Meer und östlich bis nach Zentralasien».10
Verständlicherweise blieb Russland gegenüber diesen Überlegungen nicht tatenlos, zumal ihnen zeitgleich mit dem Krieg gegen Jugoslawien und der Verabschiedung der neuen Nato-Strategie längst Taten, das schrittweise Vordringen des Paktes in die erdölreichen, ehemals zur Sowjetunion gehörenden Länder und die Planung von Erdöltrassen unter Umgehung russischen Staatsterritoriums, gefolgt waren. Moskau fühlt sich durch diese Entwicklung ernsthaft bedroht und durch die Aggression auf dem Balkan ist dieses Bedrohungsgefühl gewachsen. Nicht zufällig verband Aussenminister Iwanow in der Periode nach der Aggression seine Kritik am Vorgehen des Westens in Kosovo mit scharfen Warnungen vor einer Expansionspolitik im Kaukasus. Wiederholt erklärte er, dass Moskau «allen Versuchen, Russland aus dem Kaukasus zu verdrängen, entschieden Widerstand entgegensetzen werde. In der Kaspischen Region und im Kaukasus vollziehe sich ein offensichtlicher Kampf um Einflusszonen. Amerika versuche, Russland und Iran aus der Region zu verdrängen, die gerade für diese beiden Länder lebenswichtig sei.»11
Führende Militärs sprachen eine klare Sprache, so der Chef des Generalstabs der russischen Armee, Anatoli Kwaschnin, nach dessen Worten «die Aggression der Nato gegen Jugoslawien die militärische und poli­tische Lage in Europa grundlegend verändert hat […]. Jetzt gibt es keine Garantien, dass die Nato ihr Szenario gegen Jugoslawien nicht als Grundlage für Handlungen für beliebige andere Länder, darunter auch Russ­land, nimmt.»12 […]

… zum neurolinguistischen RtP-Programm

Angetreten zum Krieg waren die «Gross­kopfigen» der deutschen Bundesrepublik mit dem hehren Ziel, auf dem Balkan «eine humanitäre Katastrophe zu verhindern». Und weil dieses Anliegen so selbstlos und edel, so überzeugend und einleuchtend war, wurde es der Öffentlichkeit immer aufs Neue und nahezu immer in der gleichen Variante nahegebracht. In seinem Buch «Wir dürfen nicht wegsehen» erinnert sich Verteidigungsminister Rudolf Scharping, dass sich der Kanzler, der Aussenminister und er selbst einig waren: «Zu jeder Zeit betonten wir, dass die militärischen Massnahmen ein politisches und ein humanitäres Ziel hatten.»13 In dieser Gemeinsamkeit wurden sie nicht müde, aus dem Aggressionskrieg eine Katastrophenverhinderungs-Aktion zu machen.
Vor dem Überfall, am 23. März, erklärte Scharping in den ARD-Tagesthemen, «das politische Ziel sei unverändert, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen und eine humanitäre Katastrophe zu verhindern». Zugleich mit dem Überfall verabschiedete der Europäische Rat in Berlin eine Erklärung, in der die Staats- und Regierungschefs der Aggressionsstaaten dem angegriffenen Staat die Botschaft übermittelten: «Aggression darf sich nicht lohnen. Ein Aggressor muss wissen, dass er einen hohen Preis bezahlen muss. Das ist die Lehre des 20. Jahrhunderts.»14 Bei der Ausarbeitung des Entwurfs dieses grotesken Dokumentes hatten das Auswärtige Amt, Joseph Fischers Beamte nicht verabsäumt zu formulieren: «An der Schwelle zum 21. Jahrhundert darf Europa eine humanitäre Katastrophe in seiner Mitte nicht tolerieren.»15 […]
In ihrer Antwort vom 11. Oktober 1999 auf eine Kleine Anfrage der PDS-Fraktion im Bundestag bekräftigten sie [die Bundesregierung]: «79 Tage lang führte die Nato mit dem strategischen Ziel, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern … Luftschläge gegen die BRJ durch.»16
Dass die Verhinderung einer «humanitären Katastrophe» und der «Schutz der Menschenrechte» ein Vorwand und zudem ein höchst durchsichtiger waren, war allen politisch halbwegs Gebildeten schon lange vor dem ersten Raketenschlag gegen Jugoslawien klar. Warum sollten ausgerechnet diejenigen, die in Jahrzehnten, von Vietnam bis Kurdistan humanitäre Katastrophen und Menschenrechtsverletzungen schwerster Art zu verantworten, gefördert oder zumindest geduldet haben, plötzlich zu so leidenschaftlichen Verfechtern von Humanität und Bürgerrechten geworden sein, dass sie selbst vor dem offenen Bruch der UN-Charta nicht zurückschreckten? Bis zum heutigen Tag hat keiner der edlen Menschenrechtskrieger diese simple Frage beantwortet; weder im Falle Jugoslawiens noch in den vorangegangenen Fällen völkerrechtswidriger Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Zutreffend stellte Wolfgang Richter, Vorsitzender der Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM), deshalb in einem Beitrag zur Vorbereitung auf das Internationale europäische Tribunal über den Nato-Krieg gegen Jugoslawien nach einer Analyse der westlichen Interventionspolitik nach 1945 sowie des Anspruches der USA auf «Ausübung einer Weltmenschenrechtsgendarmerie» fest, «dass die Begründung des Menschenrechtsinterventionismus der USA und der Nato im Krieg zum Beispiel gegen den Irak und gegen Jugoslawien kein zufälliges und bloss zeitweiliges Moment ihrer gegenwärtigen Politik, sondern Kernstück ihres Bemühens ist, ihrem politischen Wirken die höhere Weihe von ‹Legitmität› zu geben».17
Kritiker des Krieges verwiesen wiederholt darauf, dass die Erklärung, eine «humanitäre Katastrophe» durch Krieg abwehren, Menschenrechte durch militärisch organisierten Menschenmord schützen zu wollen, von einer Perversion des Denkens zeugt. So bestechend diese Diagnose auch sein mag, so billigt sie letztlich den Verantwortlichen für die Aggression edle, wenn schliesslich auch pervertierte, also lediglich unheilvoll angewandte Motive zu. In Wahrheit diente die Menschenrechtsrhetorik auch im Falle des Bombenterrors gegen Jugoslawien der Rechtfertigung, der Legalisierung des Krieges. «Wer wollte sich gegen Menschenrechte und eine ihnen folgende Politik aussprechen?», fragten Wolf-Dieter Narr, Roland Roth und Klaus Vack in ihrer «Pazifistisch-menschenrechtlichen Streitschrift» vom Dezember 1999, um fortzufahren: «Den Menschenrechtszaubersack kann man fast nach Belieben füllen, zubinden oder offenlassen. Menschenrechte eignen sich bestens dazu, dass Menschen ihre Hoffnung darauf projizieren. Eine an sich gute Sache. Darum muss gar nicht lange geprüft werden, ob diejenigen, die die Menschenrechte anbieten, und die Sache, für die sie eingesetzt werden sollen, in bester menschenrechtlicher Ordnung sind. Wie Moral am trickreichsten mit grossem moralischem Aufwand unterwandert wird, so gilt Gleiches für die Menschenrechte. Das nennt man Doppelmoral oder Doppelmenschenrechte.»18    •

Auszug aus: Hartmann, Ralph. Die glorreichen Sieger. Die Wende in Belgrad und die wundersame Ehrenrettung deutscher Angriffskrieger. Berlin 2001. ISBN 3-320-02003-X. Seite 180ff.

1    Egon Bahr. Selbstbestimmung der Völker und Schutz für Minderheiten, Rede am 26. März 1999 bei Potsdamer Frühjahrsgesprächen.
2    Siehe Ralph Hartmann. Die ehrlichen Makler, S. 183–203
3    Zitiert nach: Die Zeit, 8.3.1996, S. 13
4    Political Affairs, 7/1993
5    Zbigniew Brzezinski. Die einzige Weltmacht, Weinheim und Berlin, 1997, S. 26
6    Zitiert nach UZ, 2.4.1999
7    Berliner Zeitung, 12.7.1999
8    Zbigniew Brzezinski. Die einzige Weltmacht, Weinheim und Berlin, 1997, S. 182
9    Ebenda, S. 215
10    Zitiert nach Wolfgang Gehrcke. Wie zwei Züge, die aufeinander zu rasen, in: Frankfurter Rundschau, 16.2.2000
11    Der Tagesspiegel, 1.12.1999
12    Zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.11.1999
13    Rudolf Scharping. Wir dürfen nicht wegsehen. S. 80
14    Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 30/1999, S. 331
15    Ebenda.
16    14. Deutscher Bundestag, Drucksache 14/1788, S. 2
17    Wolfgang Richter. Der Jugoslawienkrieg und die Menschenrechte, in: Die deutsche Verantwortung für den Nato-Krieg gegen Jugoslawien. S. 43.
18    Wolf-Dieter Narr/Roland Roth/Klaus Vack. Wider kriegerische Menschenrechte. S. 53

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