«Die Struktur der Polizei soll völlig zerschlagen und auf den Kopf gestellt werden»

«Die Struktur der Polizei soll völlig zerschlagen und auf den Kopf gestellt werden»

Die Polizeireform der grün-roten Landesregierung von Baden-Württemberg

von Joachim Lautensack, Landesvorsitzender der Deutschen Polizei Gewerkschaft in Baden-Württemberg

km. Wie im Bereich der Schulen mit der Einführung sogenannter Gemeinschaftsschulen (Zeit-Fragen berichtete), so ist Winfried Kretschmanns grün-rote Regierung des benachbarten Bundeslandes Baden-Württemberg auch in anderen zentralen Bereichen der Landespolitik dabei, bewährte Strukturen aufzulösen. Aus den bislang noch recht bürgernahen 41 Polizeidirektionen und Poli­zeipräsidien sollen 12 neue grosse Behörden geschaffen werden. Auch diese Strukturveränderung wurde in Windeseile und gegen starken Protest durchgezogen. Sie soll, so ist zu hören, Teil einer grundlegenden Auflösung der bisherigen Landesstrukturen sein; einer Auflösung, die sich am EU-Regionalisierungskonzept orientiert – auch mit Plänen für Übergriffe in die Schweiz hinein.
Zur Verdeutlichung dokumentieren wir im folgenden die Rede des baden-württembergischen Landesvorsitzenden der Deutschen ­Polizei Gewerkschaft, Joachim Lautensack, die dieser am 21. April 2012 bei einer landesweiten Protestkundgebung (www.dpolg-bw.de) hielt.

Um es vorwegzusagen und um ohne Umschweife auf den Punkt zu kommen: Diese Polizeireform ist schlecht – schlecht für die Polizei, schlecht für die innere Sicherheit und schlecht für die Bürgerinnen und Bürger!
Die Ergebnisse dieser Polizeireform mit ihren Eckpunkten, ihren Raumzuschnitten und Standortentscheidungen und vor allem mit ihren weitreichenden Konsequenzen wurden noch in keiner Weise fachlich diskutiert. Eine solche fachliche Diskussion verweigert uns allen ein Innenminister, der in einer neuen Landesregierung mit angetreten ist, einen neuen Politikstil zu wagen, eine ­Politik des Gehörtwerdens und eine Politik auf Augenhöhe zu unternehmen. Nichts davon wurde eingehalten. Es wurde informiert und kommuniziert, es wurde dargestellt, es wurde gerechtfertigt und verteidigt, aber die Fakten, die für die bisherigen Entscheidungen ausschlaggebend sein sollen, wurden bis heute nicht auf den Tisch gelegt und werden wohl auch niemals auf den Tisch gelegt.
Schon daran – aber nicht nur daran – krankt diese Reform!
Diese Reform ist keine «Reform der Polizei», wie es der Innenminister immer wieder versucht glauben zu machen. Er hat den Projektauftrag erteilt. Dieser Projektauftrag gibt eine klare und eindeutige Richtung vor und ist in hohem Masse politisch motiviert.
Und auch die Tatsache, dass die Projektergebnisse polizeiintern erarbeitet wurden, nimmt den Innenminister keinesfalls aus der Verantwortung. Diese Reform ist die Reform von Innenminister Reinhold Gall und sie bleibt die Reform von Reinhold Gall.
Lobenswert ist allenfalls die Grundmotivation des Ministers, die polizeiliche Basis stärken zu wollen und der Polizei die personelle Gesamtstärke und die Finanzmittel erhalten zu wollen. Ob, wie und wann dies aber überhaupt erreicht werden kann, ist mehr als fraglich. Und ob sich das erwartete, reformbedingte Verstärkungspotential gemessen an der gigantischen Dimension der internen und externen Verwerfungen und Umsetzungsrisiken rentiert, ist aus unserer Sicht überhaupt nicht wahrscheinlich.
Diese Polizeireform ist eine hochriskante Operation am offenen Herzen eines gesunden Patienten. Unsere Polizei hat vielleicht einen Schnupfen, aber sie dafür einer lebensgefährlichen Operation zu unterziehen und anschliessend in ein künstliches Koma zu legen, ist grob fahrlässig, um nicht zu sagen vorsätzlich.
Die Polizei Baden-Württemberg ist im Bund-Länder-Vergleich in hohem Masse anerkannt leistungsfähig. Mit dem wenigsten Personal erzielen wir allerbeste Sicherheitsleistungen. Dafür verantwortlich ist nicht zuletzt auch die derzeitige Struktur der Polizei, die jetzt aber völlig zerschlagen und auf den Kopf gestellt werden soll.
Es wird alles verändert, ja, wirklich absolut alles: Alle Geschäftsprozesse müssen neu definiert werden, Vernetzungen müssen neu aufgebaut werden, Kooperationen müssen an die Struktur angepasst werden, viele bekannte Ansprechpartner werden nicht mehr vorhanden sein, Orts- und Personenkenntnisse gehen verloren.
Was örtliche Sicherheit und ein gutes Sicherheitsgefühl z.B. in Pforzheim aus kommunaler, bürgerschaftlicher Sicht ganz konkret bedeutet, wird künftig polizeilich eben nicht mehr in Pforzheim für Pforzheim gedacht und geplant, sondern in Karlsruhe.
Wie z.B. künftig die vier Pforzheimer Poli­zeireviere arbeiten, wo und wie sie ihre Schwerpunkte setzen, welche Einsatzlagen priorisiert werden und von wo die Einsatzkräfte rekrutiert werden, ob sie sich das motorisierte Streifenfahren – angesichts der aktuellen Karlsruher Finanzmisere – überhaupt noch leisten können, wie örtliche Personalengpässe ausgeglichen werden sollen, welche Finanzmittel und welche Ausstattung die Reviere künftig noch bekommen, wird alles in Karlsruhe und eben nicht mehr in Pforzheim entschieden. Darüber hinaus sitzen auch all diejenigen in Karlsruhe, die über Karrierefragen, über Verwendungsfragen und über viele andere ganz persönlichen Dinge der Pforzheimer Kolleginnen und Kollegen entscheiden. Die polizeiliche Arbeit und polizeiliche Ausrichtung von sage und schreibe 17 Polizeirevieren und 49 Polizeiposten wird künftig alles zentral von einer Mammutbehörde in Karlsruhe gesteuert.
Jeder Notruf, jede Meldung über einen Wohnungseinbruch, einen Verkehrsunfall, einen Überfall, über Hausstreitigkeiten oder Schlägereien wird künftig bei der zentralen polizeilichen Leitstelle auflaufen. Wenn zentrale Kräfte wie Verkehrsunfallaufnahme oder Kriminaldauerdienst aufgerufen und beauftragt werden, werden weite Wege zurückzulegen sein. Das bedeutet Wartezeiten und Standzeiten, die selbst für die Betroffenen in Notsituationen zu einer Ewigkeit werden können und die zusätzlich polizeilich Personal binden werden.
Ich hatte in den letzten Tagen und Wochen mehrfach Gelegenheit, die Randlagen der künftigen neuen Polizeipräsidien zu besuchen. Weit über eine Stunde dauerte meine Fahrt vom Autobahnkreuz Heilbronn-Weinsberg nach Wertheim, bei gutem Wetter und ohne Verkehrsbeeinträchtigungen. Heilbronn wird künftig Sitz eines neuen Polizeipräsidiums sein. Wertheim am Main erreicht man über das liebliche Taubertal und man durchfährt zauberhafte Landschaften. Doch das kann und darf nicht polizeiliche Leitlinie sein.
Ein anderer Weg führte mich von Karlsruhe nach Calw und dauerte ebenfalls über eine Stunde – mit Verlaub: Kreuz und quer durch die landschaftlich reizvolle «Pampa», weil die Autobahn zwischen Pforzheim West und Karlsruhe – wie so oft – absolut dicht war.
Aber nahezu idiotisch mutet die neue Raumschaft Oberschwaben/Bodensee an. Von Leutkirch oder Isny im Allgäu im Landkreis Ravensburg zur neuen Polizeimetropole Konstanz dauert die Fahrt laut Routenplaner über 1 Stunde und 30 Minuten. Vorausgesetzt, sie erreichen die Bodenseefähre in Meersburg rechtzeitig oder haben keinerlei Wartezeiten, etwa auf Grund des touristischen Überlaufs in den Sommermonaten oder der Winterpause der Bodenseeflotte.
Oder schauen wir nach Freudenstadt, welches künftig von Tuttlingen aus gesteuert und geführt werden soll. Was hat Freudenstadt mit Tuttlingen gemeinsam? Was verbindet diese Regionen? Wer kennt dort wen? Wer ist wem verbunden? Schwachsinn hoch sieben!!!
All diese unglaublichen Projektentscheidungen sind ausschliesslich der politischen Festlegung geschuldet, dass es künftig nur noch 12 Regionalpräsidien geben darf. Diese Zahl ist wie ein unumstössliches Dogma und zerschlägt, zerschneidet, zergliedert die bisherige Polizeilandschaft ohne Rücksicht auf Verluste. Die Landesregierung und auch der Innenminister scheinen nicht ansatzweise bereit, von dieser irren Zahl 12 abzuweichen. Die Zahl 12 musste wohl so gewählt werden, damit die Kriminalpolizeien der neuen Dienststellen auf die Personalzahl von mindestens 200 kommen. Zahlenspielchen und Rechentricks, die sich ausserordentlich unheilvoll auf die künftige Qualität und Bürgernähe der Polizeiarbeit und vor allem auf die ganz persönlichen und beruflichen Perspektiven der Beschäftigten in der Polizei auswirken werden.
Und trotz der Absicht, möglichst gleich grosse, gleich leistungsfähige Polizeipräsidien zu schaffen, konnte dieses Ziel nicht ansatzweise erreicht werden. Während das neue Polizeipräsidium Karlsruhe/Pforzheim/Calw künftig fast 2400 Personalstellen im Vollzugsbereich haben soll und zur grössten ­Polizeidienststelle im ganzen Land aufgeblasen wird, wird das benachbarte Polizeipräsidium Offenburg/Rastatt gerade einmal halb so viele Personalstellen haben.
Ja, es gibt ausgesprochene «Verlierer» dieser Polizeireform, nicht nur gefühlte Verlierer! Viele haben es schon gemerkt und machen ihrer Kritik Luft. Viele befinden sich aber noch im Tiefschlaf und werden vielleicht erst dann aufwachen, wenn sie von der harten Realität eingeholt worden sind.
Die Reform wird nicht dadurch besser, weil die anfängliche Kritik hier und da etwas verstummt und die Kritiker in höheren Polizeiführungskreisen durch die Übernahme von neuen Projektaufgaben und die damit verbundene zukünftige Postensicherung sozusagen «eingefangen» werden. Sie wird auch nicht dadurch besser, dass sicherlich gute Leute die Umsetzungsaufträge erhalten haben. Eine grundlegende schlechte Reform kann auch nicht durch eine behutsame Detailumsetzung verbessert werden.
Alle Reformergebnisse sind absolut theoretische Überlegungen. Niemand weiss wirklich, ob die Polizei in dieser Form überhaupt und vor allem besser funktionieren wird. Die Gefahr, dass wir die hervorragende Qualität der baden-württembergischen Polizeiarbeit auf Jahre hinaus aufgeben und uns mit weniger Qualität zufriedengeben müssen, ist sehr hoch. Da kann auch die «Inbrunst» der Projektverantwortlichen nicht wirklich überzeugen, die uns das Blaue vom Himmel und glücklichere Zeiten versprechen wollen.
Diese Reform ist überzogen, unnötig und vor allem überdimensioniert.
Und wenn der Innenminister den Kritikern der Reform gerne entgegenhält, ihre Motivation sei nur durch «Kirchturmsdenken» geleitet, dann rufe ich dem Innenminister zu: Lassen Sie bei allem Reformeifer doch bitte die Kirche im Dorf.    •

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