Europa und Russland – wer will den Krieg, wer will den Frieden?

Europa und Russland – wer will den Krieg, wer will den Frieden?

von Karl Müller

Zweieinhalb Wochen nach der Einigung der Präsidenten Frankreichs, der Ukraine und Russ­lands sowie der deutschen Kanzlerin auf eine gemeinsame Erklärung zu einer Waffenruhe im Osten der Ukraine und einem zeitgleich vereinbarten Abkommen über Massnahmen zur Sicherung der Waffenruhe hat es tatsächlich Fortschritte gegeben. Die Anzahl der Kampfhandlungen ist zurückgegangen, Gefangene wurden ausgetauscht und schwere Waffen von der unmittelbaren Frontlinie abgezogen.
Keine Fortschritte gibt es hingegen an der Propagandafront. Im Gegenteil, die Tonlage in westlichen Medien und von seiten westlicher Politiker und Militärs nimmt – von interessanten Ausnahmen abgesehen – weiterhin an Schärfe zu. Auch in Deutschland, dessen Kanzlerin bei der Einigung auf die Waffenruhe mitgewirkt hat.
Sehr übel sind nach wie vor die privaten deutschen Leitmedien. Aber auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und bei öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wie ARD und ZDF wird der russische Präsident weiter auf eine zum Teil nur noch primitiv zu nennende Art und Weise dämonisiert und Russland wie das «Reich des Bösen» dargestellt. Die deutsche Regierung hat sich zwar dagegen ausgesprochen, russischen Journalisten die Arbeit in den Ländern der EU zu verbieten – so lautete ein Vorschlag aus Gremien der Europäischen Union, der vor allem von den Regierungen der baltischen Staaten, Polens und Rumäniens favorisiert wurde –, plant jedoch einen eigenen englischsprachigen Sender bei der öffentlich-rechtlichen Deutschen Welle, der der «russischen Propaganda» etwas entgegensetzen soll. Das deutsche Aussenministerium hat ein «Argumentarium» zu vermeintlichen russischen Behauptungen zum Ost-West-Verhältnis und zur Ukraine verfasst und innerhalb des Ministeriums und im Bundestag in Umlauf gebracht. Dieses Papier ist aber leider keine seriöse wissenschaftliche und um Sachlichkeit bemühte Analyse und Stellungnahme.
Für diese Entwicklung an der Propagandafront gibt es verschiedene Erklärungsversuche.
Die einen sagen: Die westliche Politik ist nicht wirklich an einer Waffenruhe interessiert, sie will die Spannungen mit Russ­land erhöhen und eine Eskalation provozieren! Mit Sicherheit gilt das für eine Vielzahl US-amerikanischer Politiker und führende Nato-Militärs wie den Oberbefehlshaber in Eu­ropa, US-General Philip Breedlove. Die USA «brauchen» ein Feindbild und die Konfrontation, sagen eine Reihe von Analysten. Sie seien wirtschaftlich am Ende und suchten nun den Weg der Polarisierung in der Welt, insbesondere, um EU-Europa an sich zu binden. Aber wird das ohne Europa gehen?
Andere sagen: Europa will keinen Krieg mit Russland. Insbesondere die deutsche Propagandaschlacht ist deshalb keine Vorbereitung auf eine unmittelbar bevorstehende militärische Konfrontation mit Russland, sondern dem Versuch geschuldet, das heimische Publikum zu beeindrucken und politisch auf Linie zu bringen.
In der Tat fällt auf, dass es der deutschen Regierung seit Jahren nicht gelungen ist, die Bevölkerungsmehrheit im Land auf die Seite der Regierungsbehauptung zu ziehen, wonach Deutschland mehr «Verantwortung» in der Welt übernehmen müsse – auch mit kriegerischen Mitteln. Von Sicherheitskonferenz zu Sicherheitskonferenz tragen deutsche ­Politiker wie Joachim Gauck, Ursula von der Leyen oder Frank-Walter Steinmeier Derartiges vor. Die deutsche Verteidigungsministerin will jetzt sogar mit dem Verweis auf Russ­land ein bislang stillgelegtes Panzerbataillon (rund 500 Soldaten mit rund 50 Panzern) wieder einsatzfähig machen. Rein militärisch gesehen ist das weitgehend bedeutungslos, aber es ist doch eine vielsagende Symbolpolitik. Die Deutschen sollen endlich kapieren, dass grosse Gefahren drohen …
Bisherige Umfragen zeigen nämlich, dass die deutsche Bevölkerung in den vergangenen Jahren bei dem Ruf, auch «robust» «Verantwortung» zu übernehmen, eher noch zurückhaltender geworden ist, als sie es ohnehin schon seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war. 2014 hat die deutsche Körber-Stiftung eine repräsentative Umfrage bei TNS Infratest Politikforschung in Auftrag gegeben. Der Titel der Studie lautet «Einmischen oder zurückhalten?» Schon auf Seite 1 fasst die Studie das wesentliche Ergebnis zusammen: «Das Interesse an aussenpolitischen Themen ist gross. Gleichwohl ist die Bereitschaft zu stärkerem internationalen Engagement eher gering ausgeprägt und in den letzten 20 Jahren stark gesunken. Besonders skeptisch sind die Deutschen hinsichtlich des Einsatzes deutscher Soldaten. Die Deutschen haben eine klare Priorität für zivile Möglichkeiten aussenpolitischen Engagements.»
In den USA hat sich die Propaganda­schlacht der letzten Jahre gegen Russland in den Ergebnissen der Meinungsumfragen niedergeschlagen. «Die Haltung der US-Amerikaner zu Russland ist derart negativ wie nie. Nicht einmal in den 1960er Jahren, als der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow den USA direkt drohte, war die Kluft so tief», schreibt die russische Nachrichtenagentur Sputniknews (ehemals Ria Novosti) am 27. Februar. Welchen Weg wird Europa, welchen werden die Deutschen gehen? Die öffentlichen Proteste gegen die mediale Propaganda­schlacht haben in Deutschland nicht nachgelassen. Mittlerweile kann sich jeder Interessierte über eine Reihe aktueller Bücher und eine grosse Anzahl sonstiger Veröffentlichungen kundig machen, wie versucht wird, die Deutschen für eine Konfrontation gegen Russland, aber auch für eine umfassende Kriegsbereitschaft zu manipulieren. Aber funktioniert die Methode «Sportpalast» wirklich noch? Schon damals war es eine Propagandalüge – und widersprach zutiefst der menschlichen Natur. «Wieder Krieg in Euro­pa? Nicht in unserem Namen!» Mit diesem Aufruftitel haben mehr als 60 deutsche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vor einigen Monaten das zum Ausdruck gebracht, was Millionen von Deutschen und Milliarden von Menschen überall auf der Welt denken, empfinden und wollen. Das muss die Grundlage deutscher und europäischer Aussenpolitik werden. Dann gibt es auch keinen Krieg in Europa mehr.    •

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