Asien hat genug davon, den Westen zu entschuldigen

Asien hat genug davon, den Westen zu entschuldigen

von Kishore Mahbubani
ev. Obwohl der Gründer des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, erklärte, das WEF sei als Weltgipfel so gefragt wie nie und die Teilnehmerliste einzigartig in Qualität und Vielfältigkeit, fand das diesjährige WEF in den Medien vergleichsweise wenig Echo. Neben der Schuldenkrise westlicher Staaten und in der Eurozone drehten sich laut sda viele Veranstaltungen um die Verlagerung politischer und wirtschaftlicher Macht nach Osten und Süden – die Delegationen aus China, Indien und Russland seien entsprechend gewachsen. Dafür, dass Klaus Schwab in einem TV-Gespräch mit «cash» äusserte: «Wir leben in einer komplett neuen Realität», und auch das Thema des Forums um «Gemeinsame Normen für eine neue Realität» kreiste, war die Berichterstattung darüber, wie sich die Wirtschaftsgrössen der Welt und Regierungsvertreter aus über 30 Staaten – darunter 19 Regierungschefs der G-20-Staaten – darauf einzustellen gedenken, eher mager.
«Die Verlagerung der politischen und wirtschaftlichen Macht von Westen nach Osten und Norden nach Süden sowie die rasante Entwicklung technologischer Innovationen haben eine vollkommen neue Realität geschaffen. Die globalen Systeme und Modelle der Entscheidungsfindung werden dem Tempo und der Komplexität dieser Veränderungen nicht mehr gerecht. Wir werden dieses Jahr in Davos nicht nur die Nachbeben der jüngsten Krise thematisieren, sondern uns auf die Definition dieser neuen Realität konzentrieren und darüber diskutieren, welche gemeinsamen Normen erforderlich sind, um eine globale Kooperation in diesem neuen Zeitalter zu ermöglichen», sagte Klaus Schwab, Gründer und Executive Chairman des World Economic Forum. Ein sicher umfassendes Thema, das die Menschen in aller Welt unmittelbar tangiert und das sicher eine breite Diskussion rechtfertigen würde.
In diesem Sinne sind auch die Ausführungen des Dekans an der National University von Singapur, Kishore Mahbubani, zu verstehen, die wir im folgenden abdrucken, flankiert von Aussagen des US-Ökonomen Nouriel Roubini.
Die meisten Krisen kennt man von ihrer Entstehung her, von der mexikanischen Peso-Krise 1994/95 bis hin zur Asien-Krise 1997/98. Angenommen, es bestünde kein Zweifel darüber, wer die kürzlichen Schwierigkeiten unserer Welt verursacht hat, man sollte das Kind beim Namen nennen: die westliche Finanzkrise. Diese Widerwilligkeit, das Kind beim Namen zu nennen, spiegelt ein Unvermögen wider, mit Änderungen zu rechnen, die die USA und Europa vornehmen müssen, um eine Wiederholung zu verhindern. Das beunruhigt die übrige Welt und insbesondere Asien – wenn auch die westlichen Führer erschreckend wenig wissen, wie sie gesehen werden.
Vor dieser Krise fügten sich politische Entscheidungsträger aus Asien gegenüber ihren westlichen Kollegen. Wir nahmen an, dass der Westen sich am besten bei den Finanzen und der Wirtschaft auskenne. Die enormen Missgriffe, seit sie von den USA und Eu­ropa begangen wurden, bedeuten, dass Achtung/Ehrerbietung durch Unbehagen ersetzt wurde. Es gibt einen einfachen Grund, warum es der Westen nicht bemerkt hat: Die Asiaten sind zu höflich. Manchmal braucht es einen ziemlich ungezogenen Asiaten wie mich, um das wahre Empfinden unseres Kontinents auszudrücken.
Glücklicherweise haben einige wenige andere begonnen, den Mund aufzumachen. Rakesh Mohan, der ehemalige stellvetretende Präsident der Reserve Bank of India bemerkte, dass die «Weltfinanzkrise ihre Wurzeln in den USA hat». Andrew Sheng, leitender Berater bei der China Banking Regulatory Commission (Regulierungskommission der chinesischen Banken), übte deutliche Kritik an den US-Banken und -Behörden; er sagte: «Wenn unsere Lehrer nicht besser sind als wir, dann müssen wir wirklich selbst denken.» Liu Mingkang, oberster Regulierer der chinesischen Banken sagte über die US-Finanzreform: «Nach dem Tod kam der Arzt.» Diese Stimmung findet man nun überall in Asien. In der Tat, wenn die Thais und Indonesier nicht aus von Natur höflichen Gesellschaften kämen, würden sie zu den USA und Europa sagen: «Die Zeit für euch ist gekommen, um die gleiche bittere Medizin, die ihr uns verschrieben habt, selbst einzunehmen: Hört auf, über eure Verhältnisse zu leben.»
Asiens Sorge ist es, dass die Welt bald zu Schaden kommen wird, wenn sowohl die USA als auch Europa es versäumen, grundlegende Umstellungen vorzunehmen. Ein Amerika, das seinen Gürtel enger schnallt, wird den Rest der Welt schmerzen, da Konsum und Importe der USA abnehmen werden. Aber es gibt keine schmerzlose Lösung: Erst wenn Amerika sein Haus in Ordnung bringt, kann Asien auf eine nachhaltigere Zukunft hoffen.
Im Gegenteil, ein Amerika, das weiter herumpfuscht mit quantitativer Lockerung (Vermehrung der Geldmenge) in der Hoffnung, damit seine Wirtschaft zu beleben, schafft damit immense weltweite Instabilität. ­Europa ergeht es inzwischen nicht viel besser. Der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff schrieb: «Die Wirtschaftspolitik in der ­Eurozone ist auf so vielen Ebenen zusammenhangslos, dass man nicht weiss, wo man anfangen soll.»
Was muss getan werden? Zu Hause müssen die USA die Ausgaben kürzen und die Steuern erhöhen, ganz egal, wie schwierig das politisch durchzusetzen ist. Europa muss seine brüchige Währungsunion lösen – mit der Überprüfung seines Rettungsschirms und der Neufassung des «grossen Handels», den Deutschland nach Maastricht einging, so dass die Peripherie Gelegenheit zu einem notwendigen Neubeginn bekommt.
International braucht Asien, dass die USA und die EU eine positivere Rolle bei der Koordination finanzieller Regulierungen übernehmen. Das Versagen der jüngsten Treffen der Gruppe der führenden Industrienationen G 20 zeigt, dass beide noch immer nicht willens sind, Opfer zu bringen. Das nächste Mal müssen sie zeigen, dass sie genügend entschiedene und international kohärente Reformen der Regulierungen zustande bringen können, um eine Wiederholung der globalen Finanzkrise zu vermeiden, auch wenn es ihre eigenen Interessen weh tut.
Amerika und Europa können bei der Gestaltung der Welt wieder mithelfen. Aber sie dürfen sich nicht auf Sündenböcke wie die Währung Chinas konzentrieren. Natürlich muss sie neu bewertet werden, aber selbst wenn sie um 20 Prozent steigt, wird sie ihre Vermögen nicht verändern. Nur grundlegende Umstrukturierungen innerhalb ihrer eignen [Amerikas und Europas] Grenzen können das tun.
Vor allem aber muss Schluss sein mit dem Anspruch der USA und Europas, sie seien die Herren des Universum. Beide müssen lernen, Macht zu teilen. Das bedeutet spezifische Reformen, zum Beispiel bezüglich des Wahlrechts beim IWF. Wir brauchen auch veränderte Grundhaltungen, welche die Asiaten als gleichwertig akzeptieren. Nur mit solchen Veränderungen wird es Ergebnisse bei der Doha-Runde, bei den Verhandlungen zum Klimawandel oder der Koordination der Währungspolitik geben. Was viele Asiaten wirklich erschreckt, ist, dass westliche Regierungen noch immer nicht bereit sind, ihren Völkern die harte Wahrheit zu sagen – dass die Welt sich verändert hat. Ihre Länder müssen nun die Leiden der Sanierungsmassnahmen erleben, die sie einst andern vorgeschrieben haben.    •
Quelle: Financial Times vom 25.1.2011
(Übersetzung Zeit-Fragen)

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