«Den Luchs hat man künstlich angesiedelt»

«Den Luchs hat man künstlich angesiedelt»

Der Mensch ist fähig, Prioritäten zu setzen

Interview mit Nationalrat Ruedi Lustenberger, CVP Luzern
thk. Am 16. März werden drei Motionen zum Umgang mit Grossraubtieren im Ständerat verhandelt. Nachdem der Nationalrat die entsprechenden Motionen überwiesen hat, muss nun der Ständerat darüber befinden. Während das Senken des Schutzstatus’ beim Wolf unbestritten scheint, sind Fragen bezüglich des Umgangs mit dem Luchs noch offen. In den letzten Jahren hat er sich in der Schweiz enorm vermehrt und ausgebreitet und bereitet Jägern und anderen Naturfreunden ernsthafte Sorgen. In manchen Gebieten sind Reh- und Gemswild nahezu ausgestorben, weil der Luchs dort bisher ungehindert jagen kann. Damit ist das Gleichgewicht empfindlich gestört, und wertvolles Wildfleisch wird von einem unserem Land fremden Grossraubtier gerissen. Eine vernünftige Regelung ist dringend geboten.

Zeit-Fragen: Nächste Woche kommt das Geschäft zu Wolf und Luchs in den Ständerat. Wie ist der Stand der Dinge?
Nationalrat Ruedi Lustenberger: Die vorberatende Kommission des Ständerats hat die drei Motionen, die sich um den Umgang mit Grossraubtieren kümmern, geprüft und kommt zum Schluss, dass man den Schutz von Luchs und Wolf lockern sollte. Insofern sind wir mit der Arbeit der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) im grossen und ganzen zufrieden. Es gibt allerdings einen Punkt, der unter anderem uns Jägern nicht sonderlich Freude bereitet. Man hat nämlich in den Motionen eine Änderung beantragt, dass bedeutende Einbussen am jagdwirtschaftlichen Ertrag nicht zu  Lockerung des Schutzes von Luchs und Wolf führen sollen. Die Alpwirtschaft, also die Schafhalter, können – absolut zu Recht – ihre Schäden geltend machen; der Eingriff der Raubtiere auf die Wildbestände aber würde nicht berücksichtigt.

Was heisst das?
Nach der geplanten Änderung in der eidg. Jagdverordnung dürfte man eingreifen, wenn grosse Schäden an Nutztieren, zum Beispiel bei Schafen entstanden sind. Die Vorstellung des Nationalrats ist es, dass auch Handlungsbedarf besteht – selbstverständlich auf Anordnung und Erlaubnis der entsprechenden Amtstellen in den Kantonen oder beim Bund –, wenn der Luchs beim Reh- und Gamswildbestand übermässig grosse Schäden anrichtet. Es kann doch nicht sein, dass eine geschützte Tierart so viel Einfluss bekommt und so viel Beute macht, dass Reh und Gams regional nicht nur gefährdet sind, sondern fast verschwinden. Aus diesem Grund wären wir natürlich sehr dankbar, wenn der Ständerat die Anliegen vollumfänglich übernehmen würde, wie das der Nationalrat bereits getan hat.

Welche Kantone sind besonders betroffen? Wo hat sich die Luchspopulation am stärksten ausgebreitet?
Die Ausbreitung ist in der Schweiz nicht gleichmässig. Es gibt Gegenden, wo der Luchs nicht oder fast nicht vorkommt. Wenn ich die Lage richtig einschätze, haben wir ein Problem in den Kantonen Neuenburg, Waadt und Freiburg, auch in Teilen Berns und Luzerns, dort, wo ich lebe, im Entlebuch. Seit neustem hat man auch im Grenzgebiet zwischen dem Kanton Solothurn und Baselland sowie im Grenzdreieck Zürich, Thurgau, St. Gallen eine erhöhte Luchspopulation festgestellt. Im Alpenraum kann ich die Situation zuwenig gut beurteilen.

Wie wird sich das in Zukunft weiterentwickeln?
So wie ich das einschätze, wird sich die Anzahl der Luchse sicher nicht zurückbilden, sondern sie wird weiter ansteigen. Der Handlungsbedarf ist offensichtlich; deshalb ist jetzt der Zeitpunkt gegeben, um entsprechend zu legiferieren, und zwar auf der Verordnungsstufe beim Bund, in Zusammenarbeit mit den Kantonen.

Was wollen die Jäger?
Die Jäger verlangen keinesfalls finanziellen Schadenersatz für die getöteten Tiere, wie das irrtümlich behauptet wird. Die Jäger haben nie irgend etwas in diese Richtung geäussert oder beansprucht. Das wäre auch komplett falsch. Was wir fordern, ist ein vernünftiges Management, wenn der Luchs zu stark in die Bestände von Reh und Gemse eingreift. Die Aufgabe des Jägers ist es – und das verstehe ich auch unter der vielzitierten Biodiversität –, das Gleichgewicht unter den Wildtieren zu erhalten. Dazu braucht es vor allem den gesunden Menschenverstand. Der Nationalrat hat das Machbare aufgezeigt, und es wäre wünschenswert, wenn der Ständerat dem folgen würde.
Das sieht übrigens auch der Bundesrat so. Er empfiehlt dem Parlament alle drei Motionen vollumfänglich zur Annahme. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) hat eine entsprechende Änderung der eidg. Jagdverordnung pfannenfertig für die Vernehmlassung bei den Kantonen bereit.

Im Ständerat stehen die Chancen nicht schlecht?
Es war dort ein sehr knapper Kommissionsentscheid, und ich gehe davon aus, dass wir eine interessante Diskussion im Plenum des Ständerats erleben. Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Ständeräte und -rätinnen davon überzeugen können, dass die Forderungen der Motionen des Nationalrats und die geplante Umsetzung des Bafu nicht überrissen sind, sondern dass sie eine langfristige vernünftige Nutzungspolitik zwischen Jägern und Tierschützern ermöglichen. Damit geben wir den Kantonen die Möglichkeit, situativ vor Ort reagieren zu können; dort, wo die Schäden übermässig auftreten.

Welche Rolle spielen die Tier- und Naturschützer in dieser Frage?
Es gibt zweierlei Naturschützer. Die pragmatischen, welche die Problematik durchaus erkennen. Sie haben noch etwas Mühe, den Perspektivenwechsel vom Schützer auch zum Nutzer zu machen. Dafür habe ich auch Verständnis. Aber ich merke, dass es sehr wohl Leute gibt, mit denen man das diskutieren kann.
Und dann gibt es die fundamentalen, und dort ist die Bereitschaft oder besser gesagt die Einsicht in diese Dinge nicht vorhanden. Aber das ist nicht das einzige Gebiet in der Politik, wo wir das feststellen können. Da geht es um Ideologie oder manchmal ganz einfach auch um die Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes.

Wie kam der Luchs zu uns?
Den Luchs hat man künstlich angesiedelt, man hat ihn aus dem Ausland importiert und anfänglich ein paar Exemplare ausgesetzt. Das geht auf das Jahr 1971 im Kanton Obwalden zurück. Im Lauf der Zeit hat man den Luchs mit staatlichen Massnahmen und sehr viel Steuergeld in vielen Regionen unseres Landes ausgesetzt. Dann wurde ein Monitoring eingerichtet, den Tieren ein Sender umgehängt, und man hat sie überwacht und beobachtet. Das alles liegt in den Händen von teuer bezahlten Wildbiologen des Bundes und der Kantone. Da stellt sich mir schon die Frage, ob wir in der Schweiz nicht noch wichtigere Aufgaben hätten, als solch teure Konzepte zu realisieren. Der gesunde Menschenverstand sagt: Man kann es auch übertreiben.
Was die Jäger sehr erstaunt hat, ist die vom Bafu bestätigte Tatsache, dass es in mehreren Fällen ein illegales Aussetzen von Luchsen gegeben hat. Das hat zu einem gewissen Unmut und zu Misstrauen in Jägerkreisen geführt.
Das ganze Monitoring und Ausstatten mit einem Sender, das Verfolgen, Überwachen des Luchses und Beobachten, die Implantierung von neuen Chips ist zum heutigen Zeitpunkt unverhältnismässig. Die Luchspopulation hat ein Ausmass erreicht, dass es das nicht mehr braucht. Mit einer eingeschränkten Regulierungsmassnahme kann ich mir vorstellen, dass es in Zukunft ein vernünftiges Miteinander zwischen Schützer und Nutzer geben kann. Dazu sollten beide Seiten Hand bieten; denn sie sind sich in ihrer Grundaufgabe ja grundsätzlich einig.

Was heisst eingeschränkte Regulierungsmass­nahme?
Wenn relevante Schäden auftreten, soll man eingreifen dürfen. Natürlich nicht nach Lust und Laune, sondern nur mit dem Segen der kantonalen Jagdstellen.

Wie gross ist die Luchspopulation heute in der Schweiz?
Meine Schätzung geht von annähernd 200 Tieren aus, Tendenz zunehmend; und wenn wir bedenken, dass ein Luchs im Jahr etwa 70 Beutetiere braucht, entweder Rehe oder Gemsen, dann gibt das einen ansehnlichen Verlust an Wild und Wildbret. Problematisch ist im Moment aber nicht primär die Masse, sondern der Umstand, dass sich der Verlust der Tiere regional konzentriert und dort dann zu massiven Einbussen führt.
Es geht uns Jägern, dem Nationalrat und dem Bafu überhaupt nicht darum, den Luchs auszurotten; aber es geht darum, ein sinnvolles Gleichgewicht zwischen dem Tier, das Beute macht, und seinem Opfer zu behalten. Die Erfahrung zeigt – ich komme aus einer solchen Region –, dass schnell, innerhalb von drei, vier Jahren, der Bestand sehr stark rückläufig ist. Die ersten, die das schmerzlich erfahren mussten, waren die Berner Oberländer. Auch dort sind heute die Bestände von Gemse und Reh noch lange nicht dort, wo sie sein sollten. Die ganze Rehpopulation ist eingebrochen, weil man bis heute nicht gegen die zu hohe Luchspopulation vorgehen durfte. Es geht darum, dass die Rehe und die Gemsen neben dem Luchs ebenfalls existieren können. Uns geht es darum, nicht noch länger zuzuwarten, damit nicht überall in der Schweiz das gleiche entsteht wie im Berner Oberland. Das kann weder im Sinne der Tierschützer und sicher nicht im Sinne von uns Jägern sein.
Die Schäden, die der Luchs verursacht, sind immens. Auch beim Wolf haben wir enorme Auswirkungen, wenn nichts geändert wird.
Die Problematik ist offensichtlich. In den letzten 50 Jahren sind grosse Flächen, die früher noch alpwirtschaftlich genutzt wurden, verwaldet und verbuscht. Um so mehr sind wir darauf angewiesen, dass wir auf den noch bestehenden Weiden nach wie vor Schafe halten können. Mehr als 30 Prozent der Schweiz sind heute Waldfläche. Zusätzliche 25 Prozent der Fläche ist und war immer unproduktiv. Damit diese Anteile nicht noch grösser werden, brauchen wir eine gesunde und starke Alpwirtschaft und eben auch die Schafhalter. Es ist doch widersinnig, wenn einerseits – durchaus zu Recht – der grosse Kulturlandverlust im Mittelland beklagt wird, und anderseits die galoppierende Verbuschung und Verwaldung in den Alpenregionen tatenlos zur Kenntnis genommen wird. Da frage ich mich, wer in Zukunft die Schweiz noch ernähren soll? Das sind Widersprüche, die einem Sechstklässler einleuchten.

Zurück zum Wolf.
Beim Wolf geht es ebenfalls darum, den Schutzstatus herunterzunehmen. Der Wolf macht den Jägern bis jetzt noch wenig Bauchweh. Erstens, weil es von der Anzahl her viel weniger sind, und zweitens, weil er sich eher auf Schafe konzentriert. Der Wolf hat auch ein ganz anderes Jagdverhalten. Er jagt, wenn immer möglich, in der Meute, während der Luchs katzenähnlich das Beutetier abpasst. Dass er dabei immer nur die Schwachen nimmt, ist eine bewusst verbreitete Mähr.
Die Wolfsproblematik ist, was die drei Motionen angeht, im Ständerat nicht strittig. Es geht jetzt vor allem darum, einem vernünftigen Umgang mit dem Luchs zuzustimmen.Vielen Dank für das Gespräch.    •

 

Wie der Luchs in die Schweiz kam

ab. In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts war noch nicht für alles und jedes der «Heli» zu haben. Viele Abläufe in den Bergen waren deshalb anstrengender, menschlich und kräftemässig anspruchsvoller.

Wenn die Jäger in den oberen Gebieten auf ein verendetes Wildtier stiessen, mussten sie klären, ob es verunfallt war (z.B. durch einen Sturz) oder ob es an einer Krankheit gestorben war, und wenn ja, an welcher (z.B. einer ansteckenden). Für letzteres wurde meistens der Kantonstierarzt gebraucht. Der durfte natürlich über die oberen Fahrverbote hinausfahren, soweit es so etwas wie ein Strässchen gab. Doch dann kam der Anstieg zu Fuss. Für ein Schweizer Herz, das die Berge liebt, eine wunderschöne Abwechslung zur Arbeit in der Amtsstube im Tal. Doch manchmal wird einer Kantonsveterinär ohne diese Liebe im Herzen. So war es in einem dieser stotzigen Kantone der Fall. Die Jäger wunderten sich jeweils, wenn der betreffende Amtsinhaber fluchend und stöhnend schliesslich bei ihnen eintraf.
Eines Tages kündigte er an, dass er nun den Luchs in die Schweiz holen werde, damit der ihm diese elende Arbeit mit dem Entsorgen von solchen Tieren und den Krankheitsrisiken abnehmen solle. Bald darauf war auch ein Luchspärchen im Kanton, wie vom Heiligen Geist geschickt. Die zwei hielten sich aber nicht an den Menuplan und ernährten sich fast lieber von gesundem Rotwild, Gemsen, Schafen, Ziegen, auch frischgeborenen Kälbern. Auch liess Nachwuchs nicht auf sich warten. Der Kantonstierarzt war sehr zufrieden – mehr als die Bauern und die Jäger. Sie versuchten, mit ihm zu reden, zu schreiben, Motionen im Kantonsrat einzureichen. Es hiess, das sei nun zu spät, der Luchs sei nun einmal da, basta! Bei den Bürgern aber mottete es: «So kann der mit uns nicht umspringen!»
Als wieder einmal eine Versammlung anstand, bei der Veterinäre, Jäger und Bauern etwas auszuarbeiten und zu beschliessen hatten, meldete sich auch der besagte Kantonstierarzt zu Wort. Als er an die Reihe kam, erteilte der Vorsitzende ihm das Wort: «Der Herr Luchsinger möchte noch etwas sagen …» Schallendes Lachen der Delegierten aus seinem Kanton. Der neue Name bürgerte sich ein, und er bekam jedesmal einen roten Kopf. Das Ganze wurde zu einer Widerstandsbewegung nach Innerschweizer Art. Nach einigen Jahren trat er von seinem Amt zurück …
Dies berichtete vor wenigen Jahren ein alt Ständerat aus diesem Kanton, eine äusserst besonnene Persönlichkeit, der auch im hohen Alter noch an den Delegiertenversammlungen der SAB (Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete) teilnahm, im persönlichen Gespräch. Sein Bericht soll hier weitergegeben werden, vor allem auch, weil er noch beifügte: «So, wie es aussieht, werdet ihr von der jüngeren Generation ja noch manche schwierige politische Situation ausfechten müssen. Manchmal kommt man den Konflikten mit staatsrechtlichen Mitteln allein fast nicht bei und muss sich etwas Zusätzliches überlegen. Darum sage ich Ihnen das!»

14 000 Wildtiere gerissen

Ein Luchs reisst pro Jahr 70 Wildtiere. Bei einer aktuellen Population von ungefähr 200  Luchsen werden in der Schweiz jährlich 14'000 Rehe und Gemsen gerissen.

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