Ernährungssouveränität als weltweites Konzept, das in allen Ländern Wurzeln schlägt

Ernährungssouveränität als weltweites Konzept, das in allen Ländern Wurzeln schlägt

 

Nur problemlösungsorientiertes Denken hilft weiter

zf. Unter den jungen Biobauern der Schweiz, die zu einem grossen Teil auch 1 bis 3 Jahre in anderen Teilen der Welt verbracht haben, wird schon seit etwa 10 Jahren die Frage gewälzt, wie die Bevölkerung aller Länder angesichts der wachsenden Agromultis wie Monsanto und Syngenta ihre eigene Ernährung und das Recht auf diese eigene Ernährungssouveränität besser zum Tragen bringen könnte. Der Weltagrarbericht ist deshalb ein wichtiges Zwischenresultat, aus dem man die vorläufigen Schlüsse ziehen und an die Arbeit gehen kann. Uniterre formuliert dieses Anliegen für die Schweizer Situation aus und wird es im Rahmen der direkten Demokratie als Volksinitiative einbringen.

Medienmitteilung Uniterre
Ernährungssouveränität bezeichnet das Recht der Staaten und Völker, ihre Landwirtschafts- und Ernährungspolitik selber zu bestimmen, ohne Preis-Dumping gegenüber anderen Ländern.1
Ernährungssouveränität ist ein weltweites Konzept, das in den Regionen Wurzeln schlägt.
Seit 15 Jahren setzt sich Uniterre in der Schweiz für Ernährungssouveränität ein. Sie hat namentlich vorgeschlagen, die Ernährungssouveränität im Entwurf für die AP 2002, die AP 2007 und die AP 2011 [AP = Agrarpolitik] zu integrieren – vergeblich. Zugleich hat Uniterre erfolgreich darauf hingewirkt, die kantonale Gesetzgebung zur Landwirtschaft oder die kantonalen Verfassungen (Genf, Neuenburg, Waadt, Jura) entsprechend anzupassen. Nach der 5. Weltkonferenz von La Via Campesina (2008) hat Uniterre das Projekt einer Volksinitiative für Ernährungssouveränität angepackt, um dieses Konzept in der Bundesverfassung zu verankern. Zwei Ziele würden dabei bestimmt erreicht:
–    das Volk hätte die Möglichkeit, sich zu diesem Thema zu äussern (was einem Grundsatz der Ernährungssouveränität entspricht);
–    bei einer Annahme durch das Volk könnten verschiedene Gesetze angepasst werden (nicht nur das Landwirtschaftsgesetz, wie zurzeit von der AP 2014 – 2017 vorgeschlagen).
Die Ernährungssouveränität – ein wichtiges Element der AP 2014 – 2017.
Wirklich?

Der Entwurf zur Agrarpolitik 2014 – 2017 wurde kürzlich in die Vernehmlassung geschickt. Nach der parlamentarischen Initiative Bourgeois sollten wir uns freuen können, dass die Ernährungssouveränität berücksichtigt wird – und laut der offiziellen Medienmitteilung des Bundes ist die Ernährungssouveränität auch ein «wichtiges Element».
Aber: Die vorgeschlagene Gesetzgebung ist mehr als minimalistisch (Art. 2 Abs. 4 LwG: Die Massnahmen des Bundes orientieren sich am Grundsatz der Ernährungssouveränität zur Berücksichtigung der Bedürfnisse der Konsumentinnen und Konsumenten nach qualitativ hochwertigen, vielfältigen und nachhaltigen inländischen Produkten). Sie steht im Widerspruch zur ursprünglichen Definition von La Via Campesina, und zahlreiche Aspekte des Entwurfs zur AP 2014 – 2017 kollidieren mit den Grundsätzen der Ernährungssouveränität.
Natürlich kann Uniterre einer solchen Täuschung nicht zustimmen! Wir fordern, dass alle Aspekte der Ernährungssouveränität berücksichtigt werden und eine neue, innovative Agrarpolitik geschaffen wird, die den Bauernfamilien eine Zukunftsperspektive bietet und den Bedürfnissen der Konsumentinnen und Konsumenten gerecht wird .                                                                                 1    Das Konzept wurde 1996 von La Via Campesina erarbeitet, einer weltweiten Bauernbewegung, in der 170 Kleinbauern- und Landarbeiterorganisationen des Nordens und des Südens aus 70 verschiedenen Nationen vertreten sind (in der Schweiz sind Uniterre und l’Autre Syndicat Mitglieder).
2    http://www.uniterre.ch/doc/2008/ProjektVolksinitiativeErnaehrungSouv_oktober08_104bis_Erklaerung_d eutsch.pdf

Staaten vor Billig­importen schützen

Eingehend weist Uniterre darauf hin, dass die Definition der Ernährungssouveränität von 1996 unzweideutig ist. Auch der Weltagrarbericht (IAASTD) von 2008 bezieht sich darauf. Es geht also nicht darum, die Definition wunschgerecht zurechtzustutzen. Weder im Süden noch im Norden könnte ein Mitglied von La Via Campesina dies akzeptieren.
Was sind die Grundsätze, also die minimalen Kriterien der Ernährungssouveränität, die berücksichtigt werden müssen?
1.    Die lokale Produktion wird begünstigt und so die Ernährung der Bevölkerung sichergestellt (Zugang zu Land, Wasser, Krediten und Saatgut – was auch einen Verzicht auf GVO [genveränderte Organismen] bedeutet), der internationale Handel bleibt zweitrangig.
2.    Die Bäuerinnen und Bauern haben das Recht, Lebensmittel zu erzeugen; die Konsumentinnen und Konsumenten haben das Recht, darüber zu entscheiden, was sie konsumieren und wer ihre Lebensmittel wie produziert.
3.    Die Staaten haben das Recht, sich vor Billigimporten zu schützen, und sie haben die Pflicht, auf Exportsubventionen zu verzichten.
4.    Das Recht auf kostendeckende Produk­tionspreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse, und darauf, damit lokaler sozio-ökonomischer Realität Rechnung zu tragen.
5.    Die Regulierung der Produktion, um strukturelle Überschüsse zu vermeiden.
6.    Die Mitbestimmung der Bevölkerung über die Art der Landwirtschaftspolitik.
7.    Die Anerkennung der Rechte von Bäuerinnen.
Die im Entwurf zur AP 2014 – 2017 enthaltene Änderung von Artikel 2 des Landwirtschaftsgesetztes durch Beifügen eines Absatzes 4 zur Ernährungssouveränität scheint nur den zweiten Aspekt der ursprünglichen Definition ansatzweise zu erfüllen. Alle anderen Aspekte werden systematisch übergangen oder durch den gesamten Entwurf zur AP 2014 – 2017 untergraben:
•    Der Zugang zu Land und Krediten wird erschwert, weil die Gewerbegrenze für die Anerkennung eines Betriebs erhöht und die Berechnungsfaktoren der Standard­arbeitskräfte (SAK) modifiziert werden. Die Aufhebung der Abstufung der Direktzahlungen nach Fläche und Tierzahl und der Begrenzung der Direktzahlungen je SAK werden den Wettkampf um das Land verstärken. (Hinweis: Die fehlende Abstufung bei den Direktzahlungen in der gemeinsamen Agrarpolitik der EU ist besonders umstritten, weil 80% der Zahlungen auf 20% der Betriebe verteilt werden.)
•    Die internationalen Handelsabkommen, welche die Schweiz unterzeichnet, schränken den Zugang zu Saatgut Jahr für Jahr mehr ein. Ausserdem läuft das Moratorium auf GVO bald ab (2013), und die Lobby der Saatgutfirmen fährt ihre Geschütze schon auf.
•    Das Recht der Staaten, sich vor Billig­importen zu schützen, wird verleugnet. Der Bund will uns glauben machen, dass die internationalen Handelsabkommen der Schweiz unwiderruflich sind. Das ist falsch, Handelsabkommen sind (wieder‑) verhandelbar, sie sind kein zwingendes internationales Recht (wie die Menschenrechte oder Kinderrechte), welche unverletzlich sein sollten …
•    Zur Preisbindung an die Produktions­kosten erwähnt die AP 2014 – 2017 zum Beispiel eine mögliche Erhöhung der Milchpreise um 2 bis 5 Prozent (zwischen 1,2 und 3 Rappen). Damit ein kostendeckender Preis von 1 Franken pro Liter erreicht wird und die Bauernfamilien wieder eine Zukunftsperspektive erhalten, braucht es aber viel mehr (der aktuelle Preis liegt zwischen 56 und 60 Rappen pro Liter).
•    Die AP 2014 – 2017 enthält keinen Vorschlag zur Mengensteuerung. In den vergangenen Jahren wurde im Milchmarkt jedoch klar ersichtlich, was passiert, wenn die «unsichtbare Hand des Marktes» freies Spiel hat in einem Oligopol wie dem der Schweiz – nämlich, dass besonders die Bäuerinnen und Bauern darunter leiden. Der Bund muss solide Rahmenbedingungen festlegen, damit alle Akteure mit «gleichen Waffen» kämpfen können.
•    Die Bäuerinnen bleiben auch im Entwurf zur AP 2014 – 2017 wieder einmal aussen vor.
Glauben Sie im Ernst, dass Uniterre angesichts dieser Tatsachen begeistert Beifall klatschen wird, weil das Wort «Ernährungssouveränität» ins Landwirtschaftsgesetz geschrieben werden soll? Es geht der Uniterre nicht darum, dass eine Worthülse mehr im Gesetz steht, sondern, dass unsere Agrarpolitik eine wirkliche Neuausrichtung bekommt.

Deshalb sagen wir:
•    Solange die Produzentinnen und Produzenten keine fairen Preise erhalten, die gerechte Löhne für die Bauernfamilie und die Landarbeiter/-innen garantieren,
•    solange der Strukturwandel einzig im Hinblick auf einen Rückgang der Anzahl Betriebe diskutiert wird und das gängige Denkmuster nicht über den Haufen geworfen wird zugunsten einer grösseren Anzahl erwerbstätiger, namentlich junger Arbeitskräfte in der Landwirtschaftsbranche, die unseren Wohlstand erzeugen,
•    solange man glaubt, grössere Strukturen seien die Zukunft der Landwirtschaft,
•    solange der Zugang zu Krediten und zu Land für kleinbäuerliche Projekte nicht erleichtert wird,
•    solange Freihandelsabkommen unterzeichnet werden, ohne einen Gedanken an deren Konsequenzen für die jeweiligen Landwirtschaftssektoren zu verschwenden,
•    solange die Industrie befriedigt und die Überproduktion nicht eingedämmt wird,
•    solange der Export mit verschleierten Exportsubventionen finanziert wird,
•    solange die Wettbewerbskommission zur Machtkonzentration von Migros und Coop schweigt,
•    solange die Bürgerinnen und Bürger nicht ernsthafter bei der Wahl unserer Landwirtschafts- und Lebensmittelpolitik mit einbezogen werden,
•    solange man bei einem verheerenden Gesetzesentwurf beide Augen schliesst,
•    solange man den Rückzug verordnet, anstatt die Zukunft in Angriff zu nehmen,
wird Uniterre nicht akzeptieren, dass die AP 2014 – 2017 unter dem «Label Ernährungssouveränität» verkauft wird.
Eine andere Agrarpolitik mit internen und internationalen Regeln für mehr Fairness kann erarbeitet werden. Damit dies möglich wird, müssen wir unsere Scheuklappen abnehmen und an eine Veränderung glauben, denn nichts ist unveränderbar. Die Szenarien des BLW für 2025 sind zum Beispiel bereits überholt 3 … Wer hätte im Dezember die Aufstände in der arabischen Welt oder die nukleare Katastrophe in Japan für möglich gehalten?
Die Ernährungssouveränität prägt unsere verschiedenen Forderungen und Projekte – namentlich für die Milchbranche und die Getreidebranche –, die wir Ihnen vorstellen werden, und wir hoffen auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Politik.

Lausanne, April 2011

3    <link http: www.blw.admin.ch themen>www.blw.admin.ch/themen/00005/01170/index.html
Kontakt: Sekretariat Uniterre
Tel.: +41-21 601 74 67, Fax: +41-21 617 51 75
E-Mail: info@uniterre.ch, <link http: www.uniterre.ch>www.uniterre.ch 

Frühling der Bauernfamilien

Medienmitteilung Uniterre

Mitglieder, Sympathisantinnen und Sympathisanten der Uniterre versammelten sich am 4. April 2011 in Bern auf dem Münsterplatz, um verschiedene Akteure zu interpellieren.
Zum Frühlingsbeginn unterbreitet Uniterre drei klare Schwerpunkte, unabdingbare Voraussetzungen, um auch in Zukunft eine regionale, einträgliche Landwirtschaft zu garantieren, die den Erwartungen der Bevölkerung gerecht wird.

Milchproduktion

•    1 Fr. pro Liter Milch für das A-Segment und der Verzicht, die Mengen der B- und C-Segmente zu produzieren.
•    Einführung eines allgemein verbindlichen Mengenlenkungssystems für Produzenten, damit keine Überschüsse mehr produziert werden und damit endlich Bedingungen geschaffen werden, die faire Verhandlungen ermöglichen.

Ackerbau

•    1 Fr. pro Kilo Brotweizen, damit alle Arbeitskräfte auf den Betrieben korrekt bezahlt werden.
•    0.70 Fr. pro Kilo Futtergetreide, damit die Produktion im Inland gesteigert wird.
•    Besteuerung der Handelsfuttermittel (Schweiz und Import) und die Verteilung der eingenommenen Gelder, um ein ­innovatives, umfassendes Projekt zu finanzieren:
    Förderung von bio- und extenso-Futtergetreide und -Ölpflanzen (garantierter ökologischer und wirtschaftlicher Mehrwert für die Schweiz), Förderung von Ackerbau in der Bergzone und Entwicklung eines Labels «Schweiz» in der Milch- und Fleischbranche, das die Verwendung von bio- und extenso-Futtermitteln aus der Schweiz garantiert.

Agrarpolitik

•    Eine wirkliche Agrarpolitik, die Arbeitsstellen schafft und auf dem Konzept der Ernährungssouveränität von La Via Campesina beruht. Uniterre und La Via Campesina werden nicht akzeptieren, dass dieses Konzept seines Inhalts beraubt als Pfand für eine Politik missbraucht wird, die der regionalen Landwirtschaft keine Zukunftsperspektive bietet (was der Bundesrat gerade mit der AP 2014-2017 versucht).

Bern, 4. April 2011

Kontaktpersonen für Rückfragen:
(F) Nicolas Bezençon, Gewerkschaftssekretär Uniterre,
n.bezencon@uniterre.ch, 079 574 54 12
(F) Valentina Hemmeler Maïga, Gewerkschaftssekretärin,
v.hemmeler@uniterre.ch, 079 672 14 07
(F) Pierre-André Tombez, Präsident Uniterre, h.e.p@bluewin.ch, 079 634 54 87
(F) Eric Ramseyer, Vizepräsident Uniterre, mandyram@bluewin.ch 078 605 65 82
(D) Ulrike Minkner, Vizepräsident Uniterre,
ferme.lasouriche@sunrise.ch, 032 941 29 34
(D-F) Rudi Berli, Gewerkschaftssekretär Uniterre,
r.berli@uniterre.ch, 078 707 78 83

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