Die Zusammenarbeit mit der EU kann nur durch Staatsverträge geregelt werden

Die Zusammenarbeit mit der EU kann nur durch Staatsverträge geregelt werden

Interview mit Nationalrat Rudolf Joder, SVP Bern

thk. Im folgenden Interview legt Nationalrat Rudolf Joder dar, dass die Idee des Freihandelsabkommens nicht von der EU ausging, sondern ein Vorstoss des Bundesrates war – gegen den Widerstand grosser Teile des Parlaments und der landwirtschaftlichen Verbände.
Als der Bundesrat im Januar verlauten liess, das Agrarfreihandelsabkommen in eine Paketlösung, nämlich in die Bilateralen III einzubinden, hagelte es erneut starke Kritik an dieser Absicht. Bei einem solchen Vorgehen kann das Volk nicht mehr über die einzelnen Verträge abstimmen, sondern nur zu dem Gesamtpaket ja oder nein sagen. Aus diesem Grund darf eine Zusammenarbeit mit der EU nur auf der Grundlage von referendumsfähigen Staatsverträgen stattfinden, deren Inhalt genau festgelegt ist und die nicht einer ständigen Weiterentwicklung, zu der das Volk nichts mehr sagen kann, unterworfen ist. Kein automatischer Nachvollzug, sondern nur ehrliche und gleichwertige Verhandlungen können eine Zusammenarbeit zum Wohle aller ermöglichen.

Zeit-Fragen: Der Bundesrat äussert immer wieder die Behauptung, dass die Schweiz ohne ein Agrarfreihandelsabkommen isoliert und abgeschottet sei. Ist das realistisch?

Nationalrat ­Rudolf Joder: Nein, 40 Prozent der heutigen Agrarprodukte werden importiert. Das heisst, der Agrarhandel der Schweiz ist schon liberalisiert. Beim Käse haben wir seit dem 1. Juli 2007 die totale Liberalisierung, und hier ist das Resultat sehr negativ. Hier haben wir in zwei Jahren 4 700 000 Kilo Marktanteil verloren. Der Export hat um 13 Prozent zugenommen und der Import um 40 Prozent. Unter dem Strich haben wir mengenmässig grosse Marktanteile verloren. Das Problem, das sich bei der Milch stellt, zeigt die ganze Schwierigkeit. Wenn die Qualitätsstrategie des Bundesrats stimmen würde, müssten Schweizer Milchprodukte, weil sie qualitativ gut sind, den Markt von 500 Millionen Bürgern im EU-Raum erobern. Dann hätten wir kein Milchproblem, wir hätten keine Milch mehr in der Schweiz und keinen Käse, weil ganz Europa nach diesen Produkten schreien würde. Nichts dergleichen. Und dann ist der Schweizer Käse im Premium-Segment. Verkaufszahlen gehen auch in Europa im wesentlichen über den Preis. Hier fehlt uns absolut die Konkurrenzfähigkeit. Schon die kleinräumige Topographie, die hohen Produktionsauflagen wie Tierschutz, Umweltschutz, Naturschutz, die Auflagen bei der Raumplanung, bei der Baugesetzgebung und die hohen Kosten, die wir in der Schweiz haben, ergeben keine gleich langen Spiesse. Man muss das ganz klar sagen, das Erobern von Marktanteilen durch die Schweizer Landwirtschaft in der EU findet nicht statt. Wir müssen uns verabschieden von dieser Idee.

Die vorberatende Kommission des Ständerats (Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben WAK) hat Ihre Parlamentarische Initiative abgelehnt. Was war der Grund?

1.    Kein Vertreter der WAK des Nationalrats war an der Kommissionssitzung anwesend. Das ist ein grosser Fauxpas, wenn die nationalrätliche Kommission nicht einmal die Meinung des Nationalrats vertritt.
2.    Vielleicht hat man die politische Dimension vom Ganzen nicht erkannt.
3.    Man will sich vor den Wahlen bewusst zurückhalten und sich daher nicht die Finger verbrennen.
Aber in der Sommersession im Juni kommt das ins Plenum, und die CVP hat bereits letzten Sommer erklärt, sie wolle keinen Agrarfreihandel, und im Ständerat hat es 15 CVP-Vertreter. Ich bin gespannt, wie dann die Situation ist.

Neue Absatzmärkte würden geöffnet ist die Argumentation des Bundesrats.

Das wird widerlegt durch die Realität. Da geht es um das Verhandlungsmandat. Es geht um eine Paketlösung, und die lehne ich ab. Wenn die Landwirtschaft in das Paket Bilaterale III kommt, wird es natürlich schwieriger, den Agrarfreihandel zu bekämpfen. Es wird darin natürlich positive wie negative Elemente haben, aber das Parlament ist dagegen. Die Idee kam von den Bundesräten Micheline Calmy-Rey und Johann Schneider-Ammann, und ich habe den Eindruck, dass die EU kein Interesse daran hat. Die EU will zuerst die institutionellen Fragen klären, bevor weitergehende Verhandlungen geführt werden. Die Verhandlungsblockade hilft natürlich der Ausklammerung des Agrarfreihandels. Die EU möchte natürlich die automatische Übernahme von EU-Recht, möchte die Kompetenzen des EU-Gerichtshofs erhöhen. Bevor das nicht geklärt ist, wollen sie nicht weiterfahren.

Was heisst denn das für die Schweiz? Eine weitere Anpassung in Richtung EU-Recht?

Wir müssen unsere wirtschaftliche Bedeutung gegenüber der EU stärker in die Waagschale werfen. Die Schweiz ist neben den USA, China, Russland weltweit der viertwichtigste Handelspartner der EU. Im Jahre 2009 ist die Schweiz weltweit der zweitwichtigste Absatzmarkt der EU gewesen.
Wir können nur den bilateralen Weg gehen, indem wir uns überlegen, in welchen Gebieten wir zusammenarbeiten wollen und in welchen nicht. Das kann nur in Form von Staatsverträgen geschehen, bei welchen das Volk auch entscheiden kann. Alles andere wäre eine komplette Transformation von unserer Rechtsordnung und ein weiterer Verlust an Souveränität. Das ist in unserem Land meines Erachtens absolut nicht mehrheitsfähig.
Wir haben bereits bilaterale Verträge, über die man heute schon sagen kann, dass sie einigermassen funktionieren. Wir haben aber auch andere Beispiele im Rahmen der Aviatik, den Beitritt zur Europäischen Agentur für Flugsicherheit (Easa). Dort hat sich die Schweiz bereit erklärt, kommende Rechtsregeln, die in Zukunft auf europäischer Ebene erarbeitet werden, automatisch zu übernehmen. Das ist heute ein grosses Problem.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, an dem man deutlich sieht, was das für Auswirkungen haben kann?

Zum Beispiel Rettungsflüge mit Helikoptern. Nach dem EU-Recht darf man Rettungsflüge nur noch mit zweimotorigen Helikoptern durchführen, was für uns in der Schweiz sehr problematisch ist. Dadurch können eine gewisse Anzahl von Rettungsflügen nicht mehr durchgeführt werden. Ein zweimotoriger Helikopter ist viel schwerer, kann nicht so hoch steigen, ist an Felswänden zu wenig wendig, zum Beispiel bei der Leinenrettung usw.

Das scheint mir aber für unser Land etwas ganz Wichtiges zu sein, es werden doch jährlich unzählige dieser Einsätze geflogen.

Ja, die Schweiz ist weltweit der Pionier der Luftrettung mit Helikoptern. Das geht so überhaupt nicht. Wenn wir Verträge vorgelegt bekommen, in welchen die Regelungen festgelegt sind, können wir ja oder nein sagen und das dann auch vor dem Volk vertreten. Wenn wir aber in eine Entwicklung hineinkommen, die in der Zukunft offen ist, und wir sagen müssen, es werde telquel alles übernommen, dann haben wir ein echtes Problem: Wir schaffen uns selbst ab. Das kann nicht unsere Zukunft sein.

Das darf nicht geschehen. Was heisst das jetzt für das Helikopter-Beispiel?

Das ist ein sehr grosser Aufwand. Wir haben das Gespräch mit Frau Leuthard gesucht und versucht, es dort einzubringen. Sie hat dafür Verständnis gezeigt und versprochen, es bei der EU im Kreise der Verkehrsminister einzubringen. Das ist natürlich aufwendig.

Gilt das für die Heli-Fliegerei jetzt schon?

Wenn das Gesetz von der EU angenommen wird, dann gilt es.

Also auch für die Schweiz.

Ja, auch für die Schweiz, wir versuchen es zwar zu bekämpfen. Aber grundsätzlich ist das Bundesamt für Zivilluftfahrt dann verpflichtet, bei dem entsprechenden Helikopter-Unternehmen zu intervenieren, wenn es diese Regeln missachtet.

Was heisst das konkret?

Das kann im schlechtesten Fall den Entzug der Betriebsbewilligung bewirken. Hier wird das EU-Recht über unser nationales Recht gestellt, und wir müssen die laufenden Entwicklungen nachvollziehen.

Gilt das seit der Annahme der bilateralen Verträge I?

Ja, im Rahmen des Luftverkehrsabkommens aus dem Jahr 2000. Damals, als das Parlament zugestimmt hat, wusste doch niemand, worauf das hinausläuft. Heute hat die «Swiss» Probleme, «Skyguide», alle, die mit der Fliegerei zu tun haben.

Hat man das wirklich nicht kommen sehen?

Nein, man hat dem Abkommen zugestimmt, aber ohne detaillierte Regeln. Damals hiess es, wir schaffen diese in der Zukunft, und jetzt ist man daran, diese zu schaffen. Die Schweiz ist dabei natürlich ein kleiner Player.

Das heisst doch, hier wird auf die individuellen Bedürfnisse eines Landes nicht mehr Rücksicht genommen, auch wenn es viel sinnvoller und erfolgsversprechender wäre.

Genau, und das können wir in keinem Bereich zulassen.

Kommen wir nochmals auf die Argumentation des Bundesrats im Zusammenhang mit dem Agrarfreihandel zu sprechen. Der Bundesrat erwähnt, dass die EU weitere Verhandlungen abbrechen werde, wenn die Gespräche über den Agrarfreihandel abgebrochen werden. Ist das stichhaltig?

Das ist eine Behauptung. Die Schweiz ist im Alleingang mit dem Agrardossier auf die EU zugegangen. Es ist nicht der Wunsch der EU gewesen, und es ist nicht deren erste Priorität, ein Agrardossier mit der Schweiz abzuschliessen. Das hat die Schweiz definiert. Die EU ist gar nicht gross daran interessiert. Es gab ein Gespräch mit EU-Botschafter ­Michael Reiterer, und der hat das bestätigt. Die EU ist im Moment nicht daran interessiert.

Der Bundesrat argumentiert in bezug auf Ihre Parlamentarische Initiative und Ihre Motion, dass er unter Zeitdruck stehe und es keinen Aufschub dulde.

Der Bundesrat hat gesagt, dass er im Jahre 2013 das Abkommen dem Parlament vorlegen möchte. Das geht alles vom Bundesrat aus. Bei dem Treffen mit Herrn Reiterer und dem stellvertretenden Verhandlungsleiter der EU in der Schweiz wurde klar, die EU will die institutionellen Fragen klären und vorher gebe es nichts. Und Herr Reiterer hat wiederholt gesagt, der Ball sei im Spielfeld der Schweiz und nicht in dem der EU.

Was heisst das für die Schweiz?

Die Schweiz muss entscheiden, was sie will. Wir sind gar nicht so unter Druck. Die EU hat signalisiert, sie wolle den bilateralen Weg nicht mehr gehen, das sei ihre Perspektive. Sie wollen die institutionellen Fragen klären. Wenn die Schweiz das nicht möchte, dann muss sie Gegenvorschläge bringen.

Was wäre jetzt ein vernünftiger Gegenvorschlag?

Zum Beispiel im Bereich des Stroms kann man ein bilaterales Abkommen, einen völkerrechtlichen Vertrag, abschliessen. Man kann das beurteilen, man kann es diskutieren und am Schluss genehmigen oder nicht genehmigen sowie allenfalls das Referendum ergreifen. Als Nichtmitglied der EU sind wir doch gehalten zu sagen, wie wir mit der EU zusammenarbeiten wollen. Das macht man in Form eines Vertrags. Alles andere würde heissen, wir müssten beitreten.

Wo sehen Sie in dieser Beziehung das Hauptproblem?

Die immer weitere Übernahme von europäischem Recht, das ist schon unser Problem. Die Macht des Faktischen unabhängig von der Politik. Zum Beispiel in technischen Angelegenheiten für unsere Wirtschaft. Die grösseren Helikopter-Unternehmen sagen, wenn sie einen grösseren Auftrag möchten, dann müssen wir die EU-Normen übernehmen, sonst gibt es keine Aufträge. Das betrifft nicht alle, aber vor allem die grossen Transportunternehmen. Aber das müsste man dann eben bilateral lösen.

Was steht dem denn im Weg?

Ja, zuerst müsste einmal das Gesuch des Bundesrates für einen EU-Beitritt zurückgezogen werden. Wir haben schon mehrere Vorstösse gemacht, das Gesuch zurückzuziehen. Der Bundesrat sagt, es bleibt als eine Option. Aber was ist das für eine Option? Man kann eigentlich keine bilateralen Verträge abschliessen, wenn gleichzeitig ein Gesuch für den Vollbeitritt pendent ist. Das ist doch paradox.

Zurück zur Ernährungs-Souveränität. Ein häufiges Argument des Bundesrats ist, dass der Agrarfreihandel die Schweizer Landwirtschaft stärken wird.

Nein, das ist doch unsinnig. Wir sehen es jetzt schon, es ist ein völliger Einkommensverlust und letztlich das Ende der Schweizer Landwirtschaft. Für mich ist das eine rein ­politische Frage und keine ökonomische. Wenn wir den Agrarfreihandel ökonomisch diskutieren, dann müssen wir sagen, aufhören mit der Schweizer Landwirtschaft. Wir können alles auf der Welt irgendwo billiger beziehen als in der Schweiz …

… solange es in die Schweiz transportiert werden kann und solange es uns die anderen Länder liefern …

… solange es verfügbar ist und – natürlich ganz aktuell – nicht verstrahlt ist. Ja, das will auch keiner. Also, das ist doch eine ­politische Frage. Wir haben die Artikel in der Bundesverfassung, die uns klare Vorgaben machen, was in der Landwirtschaft zu geschehen hat. Das Bauernsterben haben wir heute schon, obwohl die Verfassung eine bäuerliche und keine industrielle Landwirtschaft vorschreibt. Jetzt geht es darum, die Verfassung umzusetzen.

Wie sieht jetzt der weitere politische Weg dieser Vorlagen aus?

Jetzt geht die Parlamentarische Initiative in den Ständerat. Dann muss die Motion behandelt werden. Vor den Wahlen möchte ich von Bundesrat Schneider-Ammann wissen, wie es weitergehen soll mit der Landwirtschaft.
Würde man eine Abstimmung darüber machen, was das Volk möchte, dann wäre der Fall klar. Wir dürfen nicht locker lassen, bis das geklärt ist. Wir haben den Verfassungsartikel, und seit Jahren geht der Prozess schleichend weiter. Über 1000 Bauern geben pro Jahr auf. Wenn wir das unterbinden wollen, dann müssen wir sofort aufhören mit dem Agrarfreihandel. Auch dürfen die Rahmenbedingungen nicht alle zwei, drei Jahre geändert werden. Keiner weiss, ob er noch längerfristig investieren soll, zum Beispiel eine Scheune zu bauen, weil sich die Umstände so schnell verändern. So ist das von den Bauern ständig verlangte unternehmerische Verhalten gar nicht möglich.
Abschliessend möchte ich sagen, es geht darum, dass wir punktuell unsere Beziehungen zur EU klären und dort Verträge abschliessen. Sollten wir europäisches Recht zum Beispiel bei technischen Vorgaben übernehmen, müss­ten wir das als Teil unseres Rechtssetzungsverfahrens machen. Die USA machen das auch so. Internationale Verträge werden ins nationale Recht überführt, indem sie das gesamte Rechtssetzungsverfahren mit Senat und Repräsentantenhaus durchlaufen müssen. So sollte das bei uns auch sein. Wir übernehmen technische Vorschriften, aber diese müssen alle Institutionen des Rechtssetzungsverfahrens durchlaufen, bevor diese zu nationalem Recht werden. Dann ist das ein bewuss­ter Entscheid, wir wollen das so. Aber ein automatischer Nachvollzug kommt nicht in Frage. Zwar ist dann das Völkerrecht dem nationalen Recht übergeordnet, aber das Volk soll dann das Recht haben, darüber abzustimmen.

Herr Nationalrat Joder, herzlichen Dank für das Gespräch.    •

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