Kinder des Krieges

Kinder des Krieges

Amerikanische Waffen haben in Falludjah für Ruhe gesorgt – und könnten eine Generation vergiftet haben

von Kelley Beaucar Vlahos*

In seiner diesjährigen Rede zur Lage der Nation erklärte Präsident Barack Obama, dass «der Irak-Krieg zu Ende geht» – zumindest für die Amerikaner, die «erhobenen Hauptes» abziehen, weil «wir uns an unsere Verpflichtung gehalten haben».
Für Millionen Iraker allerdings ist der Krieg alles andere als vorbei – für eine wachsende Zahl von Familien in den Städten, die in den Jahren des Aufstands und der Aufstandsbekämpfung praktisch zerstört worden sind, fängt die Krise in Wirklichkeit erst an. Ob wir die Verantwortung für unsere Rolle darin übernehmen oder nicht, wird darüber entscheiden, ob wir uns aussen­politisch je wieder «erhobenen Hauptes» bewegen können. Denn, wie ein irakischstämmiger Amerikaner gegenüber TAC («The American Conservative») erklärte: «Nur weil wir etwas keine Beachtung schenken, bedeutet das nicht, dass der Rest der Welt ihm keine Beachtung schenkt.»
Gemäss Studien und Augenzeugenberichten der letzten paar Jahre erlebt Falludjah – eine irakische Stadt, die in zwei Gross­offensiven im Jahre 2004 durch schwere US-Artillerie praktisch ausgelöscht worden ist – eine niederschmetternde Rate an Geburtsgebrechen in der lokalen Bevölkerung. Die Situation widerspiegelt ähnliche Berichte aus Basra, die nach dem ersten Golf-Krieg von 1991 zirkulierten.
Der Katalog der Schrecken ist herzzerreissend: Babys, die mit zwei Köpfen geboren werden, mit einem Auge in der Mitte des Gesichtes, mit fehlenden Gliedern, mit zu vielen Gliedmassen, mit Hirnschädigungen, mit Herzfehlern, mit abnorm grossen Köpfen, ohne Augen, ohne Genitalien, von Tumoren übersät. Nach einer Führung durch eine Klinik in Falludjah im März letzten Jahres berichtet John Simpson von BBC: «Man hat uns Einzelheiten über Dutzende und Aberdutzende von Fällen von Kindern mit schweren Geburtsgebrechen gegeben […], eine Fotografie zeigte ein neugeborenes Baby mit drei Köpfen.» Später, im hauptsächlich US-finanzierten Spital in der Stadt, «traf ein Strom von Eltern ein» mit Kindern, die Schäden an den Gliedmassen, Rückenleiden und «andere Probleme» hatten. Es heisst, die Behörden in Falludjah warnen die Frauen, sie sollten vom Kinderbekommen überhaupt Abstand nehmen.
Dr. Ayman Qais, Direktor des Allgemeinkrankenhauses in Falludjah, berichtete der Zeitung «The Guardian», dass er jeden Tag zwei beeinträchtigte Babys sehe, wogegen es 2008 noch zwei in 14 Tagen waren. «Die meisten [Missbildungen] betreffen den Kopf oder das Rückenmark, aber es gibt auch viele Beeinträchtigungen an den unteren Extremitäten», sagte er. «Zudem nimmt die Zahl der Fälle [von Kindern] unter zwei Jahren mit Hirntumoren markant zu. Das ist heute ein Schwerpunktbereich der Mehrfachtumoren.»
Die Bilder und Videos, die schon mit einer schnellen Google-Suche zur Verfügung stehen, sind schlichtweg schockierend.
Aber an diesem Sachverhalt ist nichts einfach. Einerseits ist unter Wissenschaftlern, Ärzten und Entwicklungshelfern weitgehend anerkannt, dass der Krieg die Schuld daran trägt. Die Menge an eingesetzten Waffen, die Abfallprodukte und Trümmer, die riesigen Verbrennungsgruben auf US-Basen und die Ölbrände haben ein giftiges Erbe hinterlassen, das die Luft, das Wasser und den Boden im Irak verseucht. Denkt man sich die äusserst umstrittenen Waffen dazu, deren Einsatz die USA nur angedeutet haben – so etwa abgereichertes Uran –, so erhält man eine poten­tiell radioaktive Landschaft, die zu todgeweihten Kindern und totgeborenen Babys führt.
«Ich denke, wir haben den Irak zerstört», sagt Dr. Adil Shamoo, Biochemiker an der Universität von Maryland und Spezialist für medizinische Ethik und Aussenpolitik. Shamoo, Amerikaner irakischer Herkunft, ist überzeugt, dass es «lediglich Sache des gesunden Menschenverstandes» ist, die beunruhigende Gesundheitssituation im Irak mit der unerbittlichen Bombardierung seiner Dörfer und Städte und den verseuchten Nachwirkungen von Krieg und Besetzung in Verbindung zu bringen.
Das Verteidigungsministerium widerspricht und weist Behauptungen zurück, wonach das Militär für die chronischen Krankheiten, die Geburtsgebrechen und die hohen Krebsraten bei der lokalen Bevölkerung und unter den eigenen Militärdienstleistenden, die im militärischen Einsatzgebiet denselben Bestandteilen ausgesetzt waren, verantwortlich zu machen sei. (Vertreter des Verteidigungsministeriums haben auf Anrufe und E-Mails nicht reagiert, um auf die spezifischen Vorwürfe in diesem Artikel zu antworten.)
Derweil hat die irakische Regierung wenig unternommen, um die Krise der Volksgesundheit in Falludjah und anderswo anzugehen. Den Behörden fehlt das Geld und anscheinend auch der Wille, um die schwärende Umweltverschmutzung rund um die Bevölkerungszentren des Landes zu sanieren, während viele Iraker noch immer lautstark sauberes Trinkwasser und medizinische Grundversorgung verlangen.
«Sie haben das nicht einmal auf ihrem Radarschirm», äusserte Geoff Millard, ein Irak-Kriegsveteran, der im Begriff war, diesen Winter eine Hilfsmission mit Iraq Health Now zu beginnen, die Geld für Spitäler, Kliniken und Flüchtlingslager sammelt. «Wenn Sie über eine entwickelte Demokratie mit einer stabilen Regierung verfügen, können Sie anfangen, über die Folgen für die Umwelt nachzudenken. Sie denken nicht an Einflüsse auf die Umwelt, wenn Todesschwadronen durch die Strassen ziehen.»
Dennoch hat eine gemeinsame Studie der irakischen Ministerien für Umwelt, Gesundheit und Wissenschaft im letzten Sommer gezeigt, dass 40 Orte im Land hochgradig mit Radioaktivität und Dioxinen kontaminiert sind – Restbestände, wie die Studie angibt, von drei Jahrzehnten des Krieges. Kritiker nehmen an, dass es Hunderte weiterer Orte wie diesen gibt.
Gebiete um urbane Zentren wie Falludjah und Basra machen 25 Prozent der verseuchten Orte aus. Die Verschmutzung von Basra geht bis ins Jahr 1982 zurück, als die Operation Ramadan, die grösste Schlacht von Bodentruppen im Iran-Irak-Krieg, die Wüste ausserhalb der Stadt erschütterte – damals standen die USA auf seiten des Irak und versorgten Saddam Hussein für Milliarden Dollars mit Waffen, «Dual-use»-Gütern, Ausbildung und Unterstützung. Aber in den 20 Jahren seit dem ersten Golf-Krieg erlebte Basra eine deutliche Zunahme an Kinderkrankheiten. Gemäss einer Untersuchung der Washington School of Public Health verdoppelte sich die Rate kindlicher Leukämie in den Jahren von 1993 bis 2007.
«Es handelt sich hier um eine ernste Krise der Volksgesundheit, die weltweite Aufmerksamkeit erfordert. Wir brauchen unabhängige und unvoreingenommene Forschung über die möglichen Ursachen dieser Epidemie», erklärte der amerikanische Umwelttoxikologe Mazhgan Savabieasfahani, Mitautor des jüngsten Berichtes über Geburtsgebrechen in Falludjah.
Aber die Ergründung dieser Geissel ist hart; Irak bietet einen schnellen Einstieg in schlechte Umweltpraktiken. So weisen Berichte zum Beispiel darauf hin, dass Abfallprodukte der Schwerindustrie, aus Gerbereien und Farbfabriken sowie Spitälern – selbst ungeklärtes Abwasser – noch immer in die Flüsse Tigris und Euphrat geleitet werden und ins Trinkwasser einsickern. Trotzdem besteht kaum Zweifel am Tribut, den die 30 Jahre an Krieg und Wirtschaftssanktionen hier gefordert haben. Betrachtet man die Fotos von Kindern, die kaum als menschliche Wesen zu erkennen sind, von Kleinkindern, die erschreckend kleingewachsen sind, kraftlos durch ihre eigenen Missbildungen, dann ist der Tribut des Krieges und die Bedingungen, die er hervorbringt, augenfällig.

Was ist Falludjah widerfahren?

Im Dezember machte ein Bericht im International Journal of Environmental Research and Public Health bekannt, dass die seit 2003 festgestellten «angeborenen Missbildungen» im Jahr 2010 bei 15 Prozent aller Geburten in Falludjah zu beobachten waren. Herzfehler waren am häufigsten, gefolgt von Neuralrohrdefekten, die zu irreversiblen und oft fatalen Missbildungen wie Anenzephalie führen – dabei wird das Kind nur mit Teilen des Hirns oder ohne Schädel geboren.
Zum Vergleich: In den USA sind schätzungsweise 3 Prozent der lebendgeborenen Kinder von schwereren Geburtsgebrechen betroffen, weltweit liegt der Durchschnitt bei 6 Prozent.
Die Studie vom Dezember konzentrierte sich auf die Geburten im Allgemeinkrankenhaus von Falludjah während der ersten Hälfte des Jahres 2010. Im Mai stellte sie fest, dass 15 Prozent der insgesamt 547 Geburten Geburtsgebrechen aufwiesen. Im selben Monat gab es zudem 76 Fehlgeburten, 60 Frühgeburten und eine Totgeburt. Ähnliche Zahlen fanden die Forscher in den ersten 4 Monaten des Jahres 2010.
Die Studie untersuchte die gesundheitliche Entwicklung von vier Familien in Falludjah – 4 Väter mit jeweils 2 Frauen und ihre 39 Nachkommen. Bei den Kindern zeigte sich folgendes Bild: 3 Fehlgeburten, 3 wurden totgeboren, 8 hatten Geburtsgebrechen und Missbildungen des Skeletts und 3 – von derselben Mutter und dem gleichen Vater – hatten Leukämie. Alle diese abnormen Geburten ereigneten sich nach 2003, mit Ausnahme eines Kindes, das 2002 mit Leukämie geboren wurde, und zwei Fehlgeburten einer Mutter 1995.
«Der zeitliche Verlauf des Auftretens der Geburtsgebrechen legt nahe, dass sie mit der langfristigen Exposition gegenüber kriegsbedingter Kontamination in Zusammenhang stehen könnte», stellt der Bericht fest. «Zahlreiche bekannte Schadstoffe haben das Poten­tial, um die normale embryonale und fötale Entwicklung zu beeinträchtigen.» Der Bericht weist auch darauf hin, dass Metalle wie abgereichertes Uran, verbunden mit «angereicherten» und «zielorientierten» Waffen potentiell gute Kandidaten sind, um Geburtsfehler zu verursachen, «aber die Autoren bestanden darauf, dass weitere Forschung erforderlich wäre, um einen direkten Zusammenhang nachzuweisen.»
Ein weiterer, im letzten Juli im International Journal of Environmental Research and Public Health erschienener Artikel über «Krebs, Kindersterblichkeit und das Geschlechterverhältnis bei der Geburt in Falludjah, Irak 2005–2009» führte bei 4843 Einwohnern von Falludjah in 711 Häusern eine Umfrage von Tür zu Tür durch. Auch wenn man einräumen muss, dass solche Studien ihre Grenzen haben – die Antworten können zum Beispiel nicht unabhängig verifiziert werden –, stellten die Autoren dennoch drei zwingende Befunde heraus: Dazu gehören ein signifikanter, 18prozentiger Rückgang der männlichen Geburten in der Gruppe nach 2004 und eine Zunahme der Kindersterblichkeit – 13 Prozent bei den Lebendgeburten verglichen mit 2 Prozent in Ägypten und 1,7 Prozent in Jordanien. Und schliess­lich war die Häufigkeit der Krebserkrankungen, die in Zusammenhang mit der Exposition gegenüber Radioaktivität steht, insbesondere der Leukämie, zwischen 2005 und 2010 «alarmierend», wenn man sie mit den landesweiten Raten in Ägypten und Jordanien vergleicht. (Die Studie merkt an, dass der Irak noch immer keine offiziellen Krebsstatistiken führt.)
«Die hier vorgelegten Resultate werfen kein Licht auf die Identität des Wirkstoffs oder der Wirkstoffe, welche die erhöhten Krankheitswerte verursacht haben, und auch wenn wir die Aufmerksamkeit auf den Einsatz von abgereichertem Uran als einer möglichen wichtigen Belastung gelenkt haben, könnte es auch weitere Möglichkeiten geben», schrieben die Autoren. Tatsächlich existiert eine Vielfalt an weiteren möglichen Schadstoffen – aber abgereichertes Uran war lange ein Hauptverdächtiger.

Abgereichertes Uran

Abgereichertes Uran (Depleted Uranium, DU) ist ein dichtes, hochgiftiges, radioaktives Schwermetall, das vom Militär regelmässig wegen seiner Eigenschaften für Panzerungen und Wuchtgeschosse eingesetzt wird. Sowohl bei den Abram-Panzern wie bei den Kampffahrzeugen von Bradley ist es Teil der Panzerung und der Munition.
Zusätzlich zu den weitreichenden Durchschlagsfähigkeiten können DU-bestückte Waffen weiteren Schaden dadurch anrichten, dass sie ihre Ziel unmittelbar in Brand setzen. So heisst es bei GobalSecurity.org: «Beim Aufprall auf ein hartes Ziel (wie zum Beispiel einen Panzer) kann das panzerbrechende Geschoss im Inneren des getroffenen Fahrzeuges eine Wolke von DU-Staub erzeugen, die sich spontan entzündet und ein Feuer entfacht, das den Schaden am Ziel erhöht.»
Nach dem Gefecht produzieren die Überreste der Panzer und die Überbleibsel der explodierten und nichtexplodierten DU-Munition radioaktive Strahlung, während winzige Schwermetallpartikel als Staub über lange Distanzen durch die Luft getragen werden. Dieser Staub kann, wie Ärzte und Umweltwissenschaftler sagen, tödlich sein, wenn man ihn einatmet.
Als Folge von Befürchtungen, dass Soldaten im Golf-Krieg durch «friendly fire» kontaminiert worden sind, führte das Institut für Umweltpolitik der US-Armee 1994 eine Studie durch, die, obwohl sie die äusserlichen Gefahren der Radioaktivität bagatellisierte, anerkannte, dass «DU toxikologisch ein Gesundheitsrisiko darstellt, wenn es internalisiert wird», und dass «der Einsatz von DU auf dem Schlachtfeld potentielle Folgen für die Umwelt hat». Sie empfahl letztlich allerdings weitere Studien und Risikovorsorge, anstatt auf den Einsatz von DU überhaupt zu verzichten.
Die USA hinterliessen nach dem ersten Golf-Krieg schätzungsweise 320 Tonnen DU auf den Schlachtfeldern. DU-Geschosse erwiesen sich als entscheidender Vorteil gegenüber den Irakern und zerstörten rund 4000 von ihren Panzern; viele von ihnen verseuchen noch heute die Wüstenlandschaft. «Die unsichtbaren Partikel, die entstanden sind, als die Geschosse aufschlugen und verbrannten, sind noch immer ‹heiss›. Sie bringen Geigerzähler zum Singen, und sie haften an den Panzern und verseuchen den Boden oder werden vom Wüstenwind fortgetragen, und das werden sie noch in den 4,5 Milliarden Jahren tun, die es braucht, bis DU nur die Hälfte seiner Radioaktivität verloren hat», schrieb Scott Peterson im «Christian Science Monitor».
Später erbrachte Peterson den Nachweis für DU in Bagdad nach dem Krieg von 2003, indem er Gefahrenherde rund um Gefechtstrümmer mit einem Geigerzähler untersuchte. Er hielt fest, dass die Luftwaffe zugegeben hatte, dass ihre A-1-«Warzenschwein»-Flugzeuge im Zuge der «Shock and Awe»-Phase der Invasion 300 000 DU-Projektile verschossen hatten. Der «normale Kampf-Mix» für die 30-mm-Kanone der A-1 umfasst typischerweise 5 DU-Projektile auf eine hochexplosive Brandpatrone.
«Man hat den Kindern nicht gesagt, sie sollten nicht mit dem radioaktiven Schutt spielen», schrieb Peterson. Er hat einen einzigen Ort gesehen, wo die US-Truppen für die Iraker in Arabisch handschriftliche Warnungen angebracht hatten, sich fernzuhalten. «Dort fand man einen 1 Meter langen DU-Bolzen von einer 120-mm-Panzer-Granate, die mehr als das 1300fache der Hintergrundstrahlung produzierte. Sie machte aus dem Staccato der Ausschläge des Geigerzählers ein konstantes Heulen.»
Es war unmöglich, sich ein genaues Bild dessen zu verschaffen, wie DU von den amerikanischen Streitkräften im Irak seit 2003 eingesetzt wurde. Das Militär war aber nicht immer so zugeknöpft. Am Vorabend des Krieges, so merkte der in Kalifornien ansässige Wissenschaftler Dan Fahey an, hat das Pentagon seine eigene DU-Propaganda betrieben. «Die Kampagne verfolgte zwei Ziele: den Einsatz von DU-Munition als militärische Notwendigkeit zu rechtfertigen und die Bedenken bezüglich der Folgen des Einsatzes für Gesundheit und Umwelt zurückzuweisen», schrieb Fahey 2005.
Tatsächlich prahlte Oberst James Naughton vom US-Army Material Command [Kommando für Ausrüstung] an einer Presseinformation am 18. März 2003, zwei Tage vor der Invasion, damit, die Iraker «wollen DU weghaben, weil wir ihnen» – in den Panzerschlachten von 1991 – «damit die Scheisse aus dem Leib schossen. Ihre Soldaten werden sich kaum an der Vorstellung freuen, in den grundsätzlich gleichen Panzern mit ein paar unbedeutenden Verbesserungen auszufahren und es wieder mit Abrams aufzunehmen.»
Die Angeberei hörte nach «Shock and Awe» auf. Behördenmitglieder bestehen heute lediglich darauf, dass eine DU-Exposition nicht für die schwerwiegenden Gesundheitsprobleme im Irak verantwortlich sei. Als der Sprecher des Pentagon, Michael Kil­patrick, mit den Beweisen für die Geburtsgebrechen in Falludjah konfrontiert wurde, erklärte er BBC letztes Jahr, «bis heute habe keine Studien gezeigt, dass Umweltprobleme zu spezifischen Gesundheitsproblemen führen».
Das Pentagon erhält Rückhalt von ausgewählten Studien wie jener, welche die Inter­nationale Atomenergiebehörde IAEA im Jahre 2010 geleitet hatte. Sie hatte Boden, Wasser und Vegetation in vier Gebieten – unter anderem Basra, aber nicht Falludjah – untersucht und kam zum Schluss, «die Strahlendosen von DU stellen für die Bevölkerung an den vier untersuchten Orten im Südirak keine radiologische Gefährdung dar». Der Bericht setzt stillschweigend voraus, dass auf dem ganzen Kriegsschauplatz DU tatsächlich eingesetzt wurde.
Interessanterweise haben sowohl die IAEA als auch die Armee bestätigt, wie wichtig es ist, Waffenfragmente und Fahrzeugschrott als radioaktiven Müll zu behandeln. «Sie haben uns ausdrücklich angewiesen, nicht auf Panzer zu klettern, die bombardiert worden sind», sagt Geoff Millard, der im Jahr 2000 als junger Soldat eine kurze Warnung erhielt.
Die genaue Zusammensetzung der Munition, die während der Kämpfe in Falludjah Ende 2004 ausgebracht wurde, ist weiterhin unbekannt. Aber das Ausmass der Verseuchung kann anhand des Umfangs des Bombardements abgeschätzt werden. Laut Rebecca Grant, die für das Air Force Magazine schreibt, haben die USA in der ersten Schlacht von Falludjah von März bis September 2004 unaufhörlich Luftangriffe geflogen und im November 2004 eine zweite Phase lanciert. Sie beschreibt ein «kontinuierliches Tempo der Luftangriffe» in einer zumeist städtischen «Menschenjagd», bei der AC-130-Kampfflugzeuge und Starrflügelflugzeuge zum Einsatz kamen, selbst nachdem die Kommandanten auf Grund politischer Erwägungen zu den Kollateralschäden schon frühzeitig angewiesen worden waren, das Ganze zurückzufahren. F-15-Jets würden herabstürzen und Aufständische im Tief­angriff bombardieren, um Bodendeckung zu geben, während Marines zugezogen wurden, um mit GPS-gelenkten Raketen wie der neuen 500-lb GBU-38 JDAM (Joint Direct Attack Munition), welche Gebäude «mitten aus sehr dichtbesiedelten Gebieten» «herauspflücken» könne, Schläge gegen in die Enge getriebene Aufständische zu führen.
Was in Grants Darstellung fehlt, ist der Einsatz von DU und sogar Weissem Phosphor, der, wenn ein Mensch damit in Kontakt kommt, das Fleisch richtiggehend vom Knochen wegsengt. Ein Jahr nachdem Ärzte in Falludjah über die verräterischen Verbrennungen zu berichten begannen, gab ein Sprecher des Pentagon gegenüber BBC zu, dass dieser Weisse Phosphor 2004 tatsächlich «als Brandwaffe gegen feindliche Kombattanten eingesetzt wurde». (Anfänglich hatte das Militär darauf bestanden, er sei nur für die Ausleuchtung des Schlachtfeldes gebraucht worden.)
«Als sie einmarschierten, haben sie grundsätzlich alle Register gezogen», sagte der Investigativ-Journalist Dahr Jamail, der Ende 2004 in Falludjah vor Ort war. Er erklärte dem TAC, er sei nicht überrascht von den heutigen Geburtsgebrechen in Falludjah, nachdem er die Nachwirkungen der angenommenen «massiven Mengen» von DU-Einsatz gesehen hatte.
Was die Entwicklung im Bereich der Fortpflanzung in Falludjah betrifft, besteht kein Konsens unter den Forschern, aber es steht eine Menge an Material zur Verfügung, in das man sich vertiefen kann. [DU-]Kritiker in der wissenschaftlichen Gemeinschaft können auf ein Jahrzehnt an Studien über die nachteiligen Auswirkungen von DU auf die Gesundheit hinweisen – unter anderem auf einen Bericht, der feststellte, dass DU-Exposition bei Laborratten zu Gen-Brüchen führte und auf ähnliche Experimente, die darauf hinweisen, dass eine solche Exposition zu niedrigem Geburtsgewicht und zu Missbildungen des Skeletts führen können.

Andere Schadstoffe

Versucht man den Stoff zu finden, der die Geburtsschäden im Irak primär verursacht, besteht das Problem darin, dass das Land ein Herd der Verseuchung ist. Abgesehen vom verseuchten Wasser sind da die allgegenwärtigen giftigen Schadstoffahnen aus der Abfallverbrennung auf den US-Basen genauso wie die Öl- und Gasbrände, die sich überall in der Landschaft finden. (Zwischen 2003 und 2008 wurden nicht weniger als 469 Ereignisse von Öl- und Gasfeuern dokumentiert, die meisten als Folge des Sprengens von Pipelines durch Aufständische.) Militärwissenschaftler haben sich ausserdem mit Schwermetallen befasst – sowohl mit natürlich vorkommenden wie mit anderen – im Staub, der in der Wüste durch unzählige kriegsbedingte Risse in der Erde aufgewirbelt worden ist.
Saddam selber setzte Chemiewaffen gegen sein eigenes Volk ein und hat angeblich seine Leute angewiesen, auf der Flucht vor der Invasion von 2003 die alte Wasseraufbereitungsanlage bei Qarmat Ali, unmittelbar nördlich von Basra, wo Eurphrat und Tigris zusammenfliessen, dadurch zu sabotieren, dass sie Rostschutzpulver hineinwarfen, das Unmengen hexavalentes Chrom enthält, eine Chemikalie, die bekanntermassen krebserregend ist.
Einige Soldaten der Nationalgarde von Oregon, die später bei der Anlage arbeiteten und lebten – von Kellogg Brown & Root, einer Vertragsfirma des Verteidigungsministeriums versichert, dass Qarmat Ali sicher sei – sind heute so krank, dass sie kaum mehr gehen können. «Das ist unser Agent Orange,» äusserte der Veteran Scott Ashby 2009 gegenüber «The Oregonian», indem er sich auf das Unkrautvernichtungsmittel bezog, das die US-Streitkräfte von 1961 bis 1971 über riesige Landstriche Vietnams versprühten. Eine Studie der Columbia University von 2003 schätzt, dass über 4,5 Millionen Menschen davon betroffen waren; bei den Folgen schätzte die vietnamesische Regierung 480 000 Todesopfer und 500 000 Menschen, die mit Geburtsschäden geboren wurden. Amerikanische Veteranen mussten dafür prozessieren, dass man Krankheiten in Zusammenhang mit Agent Orange Beachtung schenkte.
In gewissem Sinne ist das, was heute im Irak geschieht, das Agent Orange des 21. Jahrhunderts. So wie eine Generation früher in Vietnam hatten es die Amerikaner eilig, sich gefühlsmässig vom Irak zurückzuziehen, sie verbuchen den Krieg als Fehlleistung, die man am besten den Geschichtsbüchern anvertraut. Die amerikanische Öffentlichkeit ignoriert das «konstante Heulen» ihres moralischen Geigerzählers und versteckt die Fotografien von missgebildeten irakischen Babys neben den schwindenden Erinnerungen an die vietnamesischen Kinder und die amerikanischen Veteranen, die von Chemikalien des Schlachtfeldes gezeichnet sind. Das kollektive Leugnen hat sich als bester Freund des Imperiums erwiesen, indem ein südostasiatisches aussenpolitisches Desaster den Platz räumte für eine 30jährige Katastrophe im Nahen Osten.    •

Quelle: Dieser Artikel erschien zuerst in The American Conservative (<link http: www.amconmag.com>www.amconmag.com)
(Übersetzung Zeit-Fragen)

*Kelley Beaucar Vlahos ist als freie Reporterin in Wa­shington D.C. tätig. Sie schreibt Kolumnen für Antiwar.com.

Die Kosten des Krieges

ef. In seiner Rede an die Nation vom 28. März sagte der US-Präsident Obama, der seit 2003 dauernde Krieg gegen den Irak habe die USA rund eine Billion US-Dollar gekostet. Eine Summe, die nicht für einen neuen Krieg ausgegeben werden könne.
Aber er liess offen, welche Kosten er berücksichtigt hatte und ob die Kosten eines Krieges überhaupt berechnet werden können.
Kann man den Wert von Menschenleben, von Verletzungen, von Demütigungen, von Angst und Schrecken, von auf ewig zerstörter Kultur und Natur, von verlorenen Lebenschancen für die jetzige und für kommende Generationen … kann man hierfür «Kosten» veranschlagen und diese in US-Dollar angeben?
Was man angeben kann, sind die Gelder, die in den Staatshaushalten unmittelbar für den Krieg, für  Kriegsmaterial und für den Sold der Soldaten, für fremde Söldner ausgegeben wurden, auch die unmittelbaren Ausgaben für die zu versorgenden Angehörigen der Toten, für die Versorgung der Verletzten und der Veteranen. Man muss auch berechnen: Die Kosten, die die USA als Kriegsschuldige zu tragen hätten – die unmittelbaren Werte des Zerstörten, die Kosten für den Wiederaufbau usw. usw.
Man darf sich nicht wundern, wenn die Angaben über die Kosten des Irak-Krieges sehr unterschiedlich sind. Das US-amerikanische «Center for Defense Information» schätzt die Ausgaben der US-Regierung in den Haushaltsjahren von 2003 bis 2011 auf 802 Milliarden US-Dollar. Das «Center for Stategic and International Studies» (CSIS) aus Washington, dessen Zahlen im US-Kongress gehandelt werden, hat in einer Studie vom Oktober 2010 («Grand Strategy in the Afghan, Pakistan, and Iraq War: The End of State Fallacy») für die Jahre 2001 bis 2011 853 Milliarden US-Dollar an Kosten für die USA berechnet. Die US-amerikanische «Brookings Institution» kommt in ihrem «Iraq Index» vom 31. März 2011 auf bislang mehr als 1 Billion US-Dollar … Joseph E. Stiglitz und Linda J. Bilmes kamen 2008 in ihrem Buch «Die wahren Kosten des Krieges. Wirtschaftliche und politische Folgen des Irak-Konflikts» auf 2 Billionen US-Dollar.
Als George W. Bush 2001 Präsident der USA wurde, betrug die Staatsverschuldung 5,7 Billionen US-Dollar. Bis heute ist dieser Schuldenstand auf 14 Billionen Dollar angestiegen. Mehr als eine halbe Billion US-Dollar geben die USA seit vielen Jahren für ihr Militär und für ihre Kriege aus. Vernünftige Sparvorschläge für einen total an die Wand gefahrenen Staatshaushalt lägen also auf der Hand. Das Ergebnis wäre kein sozialer Kahlschlag, sondern eine Wohltat für die Menschheit. Wann wird darüber nachgedacht?

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