«Jugend und Gewalt – Unsere Kinder und Jugendlichen brauchen Erziehung»

«Jugend und Gewalt – Unsere Kinder und Jugendlichen brauchen Erziehung»

Eine Broschüre für alle, denen unsere Jugend und das Gemeinwesen am Herzen liegen

von Erika Vögeli

Es sind nicht nur einzelne aufschreckende Ereignisse, welche die Jugendgewalt zu einer dringenden Frage für Eltern, Erzieher, Lehrer und jeden verantwortlichen Staatsbürger machen. Die St. Galler Studie zur Jugendgewalt hat deutlich gemacht, dass das Problem viel weiter verbreitet ist und sich nicht auf einzelne erschreckende Ereignisse beschränkt. Gerade die weniger offensichtliche oder zu wenig beachtete Gewalt zum Beispiel am Rande der Schule oder auf dem Schulweg kann für Kinder und Jugendliche schwere seelische Folgen haben. Und dies nicht nur bei den eigentlichen Opfern. Alle Kinder einer Klasse oder eines Schulhauses, die miterleben, dass ein Kind unter Mobbing oder tätlicher Gewalt leidet, sind davon absorbiert, damit beschäftigt und dadurch in ihrer seelischen und schulischen Entwicklung beeinträchtigt.
Die Meldungen über einen Rückgang der Jugendkriminalität sind zwar positiv – es scheint, dass die Diskussion um das Thema, das Bewusstsein über das Problem und damit die Entschlossenheit, den Dingen nicht einfach freien Lauf zu lassen, bereits zu wirken beginnt. Gelöst ist es aber noch nicht. So wird mittlerweile auch die Gewalt gegen Eltern, ein durchaus ernstzunehmendes Problem, thematisiert. («Kinder-Gewalt gegen Eltern nimmt zu: Polizei empfiehlt Strafanzeige», in: Der Sonntag vom 27.3.2011). Dass wir auch hier die seelische Entwicklung unserer Jugend nicht dem Schicksal überlassen dürfen, dass selbstverständlich auch der öffentliche Raum sicher sein muss und ein demokratisches Staatswesen nur funktionieren kann, wenn es sich grundsätzlich auf Mitbürger verlassen kann, die ein konstruktives Miteinander wollen und sich auch dafür verantwortlich fühlen, ist durch verschiedene Vorfälle wieder klarer geworden. Auch besteht darüber, dass Ereignisse, wie sie in München geschahen, «eigentlich undenkbar» sind,* weitherum Einigkeit. Dennoch sind viele Eltern, Erzieher und Lehrer, aber auch Menschen in staatlicher Verantwortung unsicher, wo eigentlich die Ursachen zu sehen sind, wie damit umzugehen ist und was es an Massnahmen braucht, um eine nachhaltige Wende herbeizuführen.
Die nun im Verlag Zeit-Fragen erschienene Broschüre «Jugend und Gewalt – Unsere Kinder und Jugendlichen brauchen Erziehung» von Alfred Burger und Eliane Gautschi gibt hier all jenen, die dazu beitragen möchten, sinnvolle und wirksame Lösungen zu finden, etwas an die Hand. In gut verständlicher Sprache werden die wesentlichen Forschungsergebnisse und Erfahrungen zu Ursachen von Gewalt zusammengetragen und in ihrer Bedeutung für Entstehung und Zunahme der Jugendgewalt dargelegt. Die – erstaunlich hohe – Zahl von Studien zur Wirkung von Gewaltdarstellungen in den Medien, wie zum Beispiel in Filmen, Spielen, Musik samt dazugehörigen Texten usw., und ihre eindeutigen Resultate kommen ebenso zur Sprache wie die Herkunft dieser Gewaltdarstellungen. Aber auch der Einfluss falscher Theorien über die menschliche Natur und die Wirkung gesellschaftlicher Einstellungen zur Gewalt auf das Erziehungsverhalten werden angesprochen. Dass zum Beispiel Frustration zu Aggression führe, ist eine ebenso weitverbreitete wie seit langem und klar widerlegte These, die aber bis heute ihre Auswirkungen hat.
Die Verunsicherung vieler Eltern und Pädagogen, ob und wie sie auf ihre Kinder und Jugendlichen erzieherischen Einfluss nehmen sollen, ist ein weiterer Faktor, der in seiner Bedeutung für die Entwicklung von Gewaltbereitschaft wohl noch sehr unterschätzt wird: Erzieherische, aber auch gesellschaftliche Passivität und Gewährenlassen von Gewalt sind – daran besteht nach der Lektüre der Broschüre kein Zweifel – ein wesentlicher Faktor des Problems. Wo Eltern, aber auch Lehrer wegschauen, aus Unsicherheit oder falsch verstandenem «Verstehen» der Jugend nichts oder zuwenig sagen anstatt sich einzuschalten und pädagogisch aktiv zu werden, setzen sie falsche Signale und bereiten oder überlassen der Gewalt den Boden. Kinder brauchen Erwachsene, die präsent sind, die sich als Menschen – als Erwachsene, die ihnen den Weg ins Leben zeigen – an ihre Seite stellen und sich ehrlich mit ihnen auseinandersetzen.
Die Broschüre legt dar, dass dazu auch gehört, dass Gewalt nicht toleriert wird und als Verstoss gegen die grundlegenden Regeln menschlichen Miteinanders Konsequenzen hat. Dazu vermittelt sie dem Leser Anregungen aus jahrelanger Erfahrung und Auseinandersetzung mit den vorhandenen Erkenntnissen aus Pädagogik, Psychologie und Sozialpsychologie. Obwohl kein leichtes Thema, macht die Lektüre auch Mut, zeigen die Autoren doch, dass sich unsere Kinder und Jugendlichen gerne anschliessen, wenn sie Erwachsene erleben, die entschieden gegen Gewalt eintreten, dabei aber immer im Auge behalten, dass Kinder und Jugendliche sehr viel zu einem sinnvollen und konstruktiven Miteinander beitragen können, wenn wir sie nicht nur als Spielkinder sehen, sondern als unsere zukünftigen Mitbürger ernst nehmen und einbeziehen. Dann gewinnen wir in ihnen Kameraden für den Aufbau und die Gestaltung des Zusammenlebens im Kleinen wie im Grossen.    •
*    Medienmitteilung des VSPB vom 11.6.2010
Alfred Burger und Eliane Gautschi. Jugend und Gewalt. Unsere Kinder und Jugendlichen brauchen Erziehung. Zürich, Verlag Zeit-Fragen 2011.
ISBN 978-909234-13-4, 56 Seiten, CHF 15.–

Weitere Literatur zu dem Thema:

Alsaker, Françoise D. Quälgeister und ihre Opfer. Mobbing unter Kindern – und wie man damit umgeht. Bern, Huber, 2003/2004. ISBN 3-456-83920-0

Olweus, Dan. Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten – und tun können. Bern, Huber. 3., korrigierte Auflage 2002. ISBN 3-456-83923-5

Das 16seitige Leporello im CD-Format Mobbing? Ohne uns! von Francoise D. Alsaker und Marianne Kauer enthält in aller Kürze die wichtigsten Grundinformationen für Eltern zu Mobbing unter Kindern. Es gibt einige grundlegende Anregungen für den Umgang mit dem Thema Mobbing in der Familie sowie betreffend die Zusammenarbeit mit dem Kindergarten oder der Schule. (ISBN 3-292-00326-1)

Ebenfalls im Schulverlag erschienen ist das Arbeitsheft Mobbing ist kein Kinderspiel. Arbeitsheft zur Prävention in Kindergarten und Schule von Stefan ­Valkanover, ­Françoise D. Alsaker, Andreas Svrcek, Marianne Kauer. (ISBN 3-292-00185-4). ­Anleitung zur Mobbing-Prävention in Kindergarten und Schule mit vielen Ideen zur Praxisumsetzung. Zu beziehen bei: LCH, Ringstrasse 54, Postfach, 8057 Zürich. lchadmin@lch.ch

Übergriffe auf die Polizei sind immer auch Angriffe auf den Rechtsstaat

ev. «Es reicht!» – so lautet die Resolution, welche rund 180 Delegierte des Verbandes Schweizer Polizei-Beamter VSPB an dessen 90. Delegiertenversammlung vom 10./11. Juni 2010 in Luzern verabschiedet haben.1 Nicht zum erstenmal fordern sie eine politische Diskussion zu einer prekären Entwicklung, die uns alle betrifft: Die zunehmende Gewalt gegen Ordnungshüter, aber auch gegen Rettungssanitäter und Feuerwehrleute, die zu gewissen Einsätzen nicht mehr ohne Polizeischutz ausrücken können, macht gesellschaftliche Fehlentwicklungen deutlich, die uns alle fordern. Kraftausdrücke gröbster Art, manchmal schon von Elfjährigen, bisweilen aber auch von Siebzigjährigen, Bespucken,2 Autofahrer, die bei Polizeikontrollen aufs Gas drücken und der Beamte sich nur mit einem schnellen Sprung zur Seite retten kann:3 die Skala der hemmungslosen Attacken reicht von groben Beschimpfungen, verbalen Bedrohungen, körperlichen Angriffen, Bedrohungen mit Waffen bis zu tätlichen Angriffen mit einer Waffe.4
Die Zunahme ist unübersehbar und nicht, wie manchmal unterstellt wird, einfach auf eine Zunahme von Anzeigen zurückzuführen – es ist unlogisch, dass Polizeibeamte früher Übergriffe gegen sich selber weniger häufig angezeigt haben sollen. Vermutlich trifft, wenn überhaupt, eher das Gegenteil zu: Angesichts einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, in der Gewalt immer mehr als Symptom sozialer oder psychologisch bedingter «Defizite» zu erklären versucht wurde, nahm die Neigung, gewalttätiges Verhalten als Folge irgendwelcher negativen Einflüsse oder Erfahrungen verstehen zu wollen, in allen Kreisen der Gesellschaft deutlich zu.5 Deutlich wird die Entwicklung unter anderem bei Sportanlässen: «Früher», so der VSPB, «waren Einsätze bei Sportveranstaltungen selten, und sie verliefen friedlich. Heute sind sie zu einem festen Bestandteil im Polizeialltag geworden. Und es sind oft Grossaufgebote nötig.»6
Zu Recht fordern Polizeiverbände heute eine breite politische Diskussion und ein gesellschaftliches Umdenken, denn «Polizistinnen und Polizisten wollen nicht mehr die Prügelknaben für die Versäumnisse von ­Politikern und gesellschaftlichen Fehl-Entwicklungen sein!»7 Das eingeschlagene Schweizerkreuz auf dem Plakat, das der Verband zu dieser Problematik hat drucken lassen, symbolisiert die Tatsache, dass gewalttätige Übergriffe auf die Polizei immer auch Angriffe auf den Rechtsstaat darstellen, als dessen Beamte und Vertreter sie im Auftrag von uns allen die Sicherheit des öffentlichen Raumes, die Achtung von Recht und Gesetz und letztlich den dadurch gesicherten Schutz des Schwächeren vor dem Faustrecht gewährleisten sollen.

1    Medienmitteilung des VSPB vom 11.6.2010
2    vgl. «Täglich beschimpft und bespuckt – jetzt wehren sich die Polizisten.»
In: Tages-Anzeiger vom 20.10.2009
3    Vgl. «Kapo registriert eine Zunahme von Gewalt gegen Polizisten» von Seraina Etter. In: Südostschweiz am Sonntag vom 14.3.2010.
4    Ergebnisse einer Untersuchung bei der Stadtpolizei Zürich (Manzoni 2003). Aus: Patrik Manzoni. Kriminologe/Soziologe am Kriminologischen Institut der Universität Zürich. Gewalt gegen die Polizei. Referat anlässlich des 11. Forums «Innere Sicherheit» des Verbands Schweizerischer Polizei-Beamter VSPB, Freitag, 6.11.2009, im Kulturcasino Bern.
5    Vgl. dazu Interview mit Yvan Perrin. Nationalrat und Polizei-Inspektor (Neuenburg). <link http: www.vspb.org __ frontend handler>www.vspb.org/__/frontend/handler/document.php
6    Medienmitteilung des VSPB vom 11.6.2010
7    Resolution «Es reicht» der Delegierten des VSPB vom 6. Juni 2010

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