Was hat EHEC mit Föderalismus zu tun – oder eben nicht?

Was hat EHEC mit Föderalismus zu tun – oder eben nicht?

ab. «Die Wehrpflicht am Ende. Atom-Ausstieg: unumkehrbar. Muss jetzt auch noch der Föderalismus daran glauben? Zwar darf die bundesstaatliche Ordnung sogar durch einstimmige Verfassungsänderung nicht abgeschafft werden. Aber in Zeiten wie diesen scheint alles möglich, auch eine Neugründung Deutschlands als autoritärer Zentralstaat», schreibt Reinhard Müller in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» vom 8. Juni.
Wie bitte? Deutschland muss seinen Föderalismus verteidigen, damit nicht mehr über das neue Bakterium gesprochen wird, das immerhin alle Kriterien einer Biowaffe erfüllen würde? Woher kommt denn dieser Ton? Wer in der Schweiz über die «FAZ» die ganze EHEC-Entwicklung verfolgt hat, der hat grosse Hochachtung vor der Leistung der Ärzte im Norden Deutschlands und vor der Sorgfalt, mit der die verschiedensten zuständigen Stellen diese schwierige Sache angegangen sind. Von dem Tage an, als der BND mitgeteilt hat, dass er «sehr besorgt» sei über dieses bakterielle Novum, konnte jeder selber weiter überlegen, ob es entstanden «by nature» oder «man-made» sei. Bei der Vogelgrippe hat darüber eine internationale Debatte stattgefunden, die bis zum Schluss offenblieb. Im Nachgang nun den Föderalismus anzuschuldigen, löst bei Schweizern einen «Déjà-vu»-Reflex aus: Bei der Schweinegrippe war das Vertrauen in Thomas Zeltners Impfstoff-Vorgaben schon auf einem derartigen Tiefpunkt, dass ein grosser Teil der Bevölkerung nicht an der Impfung teilnehmen wollte. Um von diesem Vertrauens-Debakel abzulenken, wusste der Leiter unseres BAG sogleich, dass die föderalistische Struktur der Schweiz schuld daran sei. Die kantonalen Gesundheitsdirektoren hätten eben nicht genügend getan und nicht mit einer Stimme gesprochen. Sie mussten ihm energisch kontern, dass sie sehr wohl in jedem Kanton ihre Verantwortung sehr sorgfältig wahrgenommen hatten und im übrigen die Bevölkerung im jeweiligen Kanton und ihre unterschiedlichen Bedürfnisse genauer kennen als ein Büro in Bern. (Die Tagesschau, Schweizer Fernsehen DRS berichtete darüber am 14. November 2009.)
Übrigens hat die Bundesverwaltung am Dienstag, 26. April, folgende Pressemitteilung machen müssen: «Ende dieses Jahres wird der Bund die letzten 3,4 Millionen Dosen des nicht benötigten Impfstoffs gegen die Schweinegrippe zerstören. Damit hat die Schweiz gesamthaft Impfstoffe im Wert von 56,4 Millionen Franken vernichtet.» (Quelle: Bundesamt für Gesundheit und sda vom 26. April) Alles Steuergelder.
Reinhard Müller weist zu Recht darauf hin, dass Strukturen nur geändert werden müssen, «wenn eine echte Sicherheitslücke besteht – wie sie etwa bei der Abwehr von Gefahren durch den grenzüberschreitenden Terrorismus festgestellt wurde.»
Georg Paul Hefty greift das Thema von einer anderen Seite her noch einmal auf («FAZ» vom 9. Juni: «Ein erster Erfolg»): «Denn bei der langen Inkubationszeit von bis zu 10 Tagen nach der Infektion noch die Gemeinsamkeiten der Patienten herauszufinden, ist angesichts der Zahl von fast 2000 Erkrankten eine beachtliche Leistung. Dazu braucht es viele Mitarbeiter, nicht nur an den Krankenbetten, sondern auch bei den Agrarerzeugern an vielen Stellen. Das wäre von einem ‹zentralen Regierungskoordinator›, der nun gefordert wurde, ohnehin nicht zu leisten.»
Und genau das ist der Punkt, der einem bei diesen Auseinandersetzungen keine Ruhe lässt: Die enorme menschliche und fachliche Leistung zu würdigen und dafür dankbar zu sein, dass das Unglück so gut bewältigt werden konnte – das ist es, was wir als Generation der bisherigen Hochkonjunktur und der Bedingungen eines gepflegten Erste-Welt-Landes offenbar wieder lernen müssen.
«Das im Föderalismus angelegte ‹Vier-Augen-Prinzip› ist allemal besser als die Maxime ‹Alles hört auf mein Kommando.› Auch die besten Fachleute können betriebsblind werden; da hilft es, wenn mehrere die Berechtigung haben, am Nachdenken und Forschen teilzunehmen. Der EU-Kommissar Dalli, der vor seiner Teilnahme am deutschen Spitzentreffen noch Kritik geübt hatte, war voll der Anerkennung, als er die Vielfalt der Untersuchungen und den geregelten Informationsaustausch in Berlin sah», gibt Hefty weiter zu bedenken. Und Reinhard Müller erklärt sehr entschieden, dass Bund und Länder nun in Deutschland selber prüfen werden, ob ein Handlungsbedarf besteht oder nicht. «Unsere europäischen Nachbarn geht das nur begrenzt etwas an. Sie werden weiter ebenso mit dem deutschen Föderalismus leben müssen wie wir mit ihrem Zentralismus. So ist Europa.»
Ein wohltuend sicherer Ton, wie wir Schweizer ihn uns von diversen Politikern schon lange wünschen! Und für die Bewältigung des Unglücks im Norden Deutschlands aus dem südlichen Nachbarland noch einmal: «Chapeau!»    •

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