«Wasser gehört uns allen – Wasser ist ein Menschenrecht»

Der erste erfolgreiche Berliner Volksentscheid «Für Offenlegung der Geheimverträge» – und der Berliner Wahlkampf

von Sophie Lessing

Am 12. März 2011 wurde es im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin veröffentlicht – das «Gesetz für die vollständige Offenlegung von Geheimverträgen zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe» trat damit in Kraft. 666 235 stimmberechtigte Berliner Bürger hatten im Volksentscheid «Unser Wasser» am 13. Februar 2011 bei «Ja» ihr Kreuz gesetzt. Mit diesem «Ja» war der Gesetzentwurf über die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge bei den Berliner Wasserbetrieben angenommen. Es regelt Umfang und Art der Offenlegung der im Jahre 1999 getroffenen Vereinbarungen und setzt dafür Fristen.

Sechs Monate haben Senat und Abgeordnetenhaus nun Zeit, das Gesetz umzusetzen. Im Vorfeld der im September 2011 stattfindenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus, dem Landesparlament des Landes Berlins, droht nun eine gewisse Gefahr, dass das eigentliche Anliegen des Volksentscheids im Wahlkampf zerredet wird.

Ein historisches Ereignis

Der Volksentscheid selbst gestaltete sich zum historischen Ereignis: Zum ersten Mal gelang es in Berlin, die Hürde des gesetzlich vorgegebenen Beteiligungsquorums von 25 Prozent der stimmberechtigten Wähler zu überspringen. «Die Berliner haben Geschichte geschrieben», so Gerlinde Schermer, SPD-Politikerin aus dem Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain. Als Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus (das Parlament des Landes Berlin) hatte sie 1991 – 1999 die Privatisierungswelle der kommunalen Betriebe miterlebt und Widerstand geleistet, noch ohne grosses politisches Echo. Inzwischen war jedoch eine breite Bürgerbeteiligung gewachsen. Unter dem gemeinsamen Thema «Wasser gehört uns allen – Wasser ist ein Menschenrecht» fand sich ein lokales Netzwerk von Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Gruppen und Initiativen sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern am «Berliner Wassertisch» zusammen. Eine besondere Rolle in diesem Zusammenhang spielen die beiden christlichen Kirchen, die mit grossem Engagement für das Volksbegehren aktiv geworden sind und in vorbildlicher Weise für eine gemeinwohlorientierte öffentliche Daseinsvorsorge eintreten.

Privatisierung kommunaler Betriebe

Worum ging es im Kern des Volksentscheids? Nicht nur die Stromversorgung, ehemals Bewag, und Gasversorgung, Gasag, waren in den 90er Jahren privatisiert worden – 1999 hatte das Land Berlin unter der Finanzsenatorin und Bürgermeisterin* Annette Fugmann-Heesing, SPD, auch 49 Prozent der Berliner Wasserbetriebe an die privaten Investoren RWE, Vivendi und Allianz verkauft – gesamte Kaufsumme 1,68 Mia. Euro. In der Zwischenzeit sind die Anteile Vivendis an Violia übergegangen, einen französischen Energiekonzern. Der zweitgrösste Energieversorger Deutschlands, RWE, hält 24,95 Prozent.
Das komplizierte Vertragswerk war massgebend von Frau Fugmann-Heesing, damalige Finanzsenatorin und Bürgermeisterin, SPD, entwickelt worden. Mit der Zeit sickerte in die Öffentlichkeit durch, dass Teile des Vertragswerks nicht veröffentlicht, also geheim geblieben waren. In diesen Teilen war eine Gewinngarantie zugunsten der privaten Teilhaber und zu ungunsten der öffentlichen Hand und damit der Berliner Bürger fixiert worden. Nach Schätzungen des «Berliner Wassertischs» fiel die Gewinnverteilung in den vergangenen 10 Jahren folgendermassen aus: 1,3 Mia. Euro für die Konzerne RWE und Veolia, 696 Mio. Euro dagegen für die Mehrheitseignerin, das Land Berlin.
Auffälligste Folge der Teilprivatisierung wurde eine erhebliche Steigerung der Berliner Wasserpreise in den letzten 10 Jahren, nämlich um rund ein Drittel. Weniger auffällig war der besorgniserregende Abbau der Instandhaltung, was vor allem eine Gefährdung der künftigen Wasserversorgung bedeutet, verbunden mit einem Abbau der Anzahl an Beschäftigten.

Offenlegung aller Geheimverträge

Hier setzten nun die Initiatoren des Volksentscheids, der «Berliner Wassertisch», an: Mit Annahme des entsprechenden Gesetzentwurfs durch den Volksentscheid am 13. Februar 2011 und der vier Wochen später erfolgten Veröffentlichung im «Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin» trat das «Gesetz für die vollständige Offenlegung von Geheimverträgen zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe» in Kraft. Eine zunehmend deutlicher werdende Forderung ist zudem die Rekommunalisierung, das heisst der Rückkauf der privatisierten Anteile der Wasserbetriebe von 49 Prozent durch das Land Berlin.

Ein sinnvolles Anliegen wird im Wahlkampf instrumentalisiert

Berlin wird von einer rot-roten Koalition aus Sozialdemokraten und den Linken regiert. Der Wirtschaftssenator, Harald Wolf (Die Linke), ist als Senator für die Umsetzung des Volksentscheids, die Entscheidung für einen reellen Wasserpreis und gemeinsam mit dem Finanzsenator für einen eventuellen Rückkauf zuständig – er ist aber auch Vorsitzender des Aufsichtsrats der Berliner Wasserbetriebe und damit im selben Boot wie Veolia und RWE. Diese Doppelfunktion ergibt rechtliche Befangenheit und muss beanstandet werden. Eine Senkung des Wasserpreises wäre einerseits gegen die Interessen der Anteilseigner, würde andererseits jedoch den Preis für den Rückkauf der Anteile von RWE und Veolia durch das Land Berlin drücken.
Dass die Berliner Wasserpreise zu hoch sind, hat kürzlich erst das deutsche Bundeskartellamt in einer Vergleichsstudie festgestellt, sie liegen bis zu 25 Prozent höher als in anderen Städten. Der Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit, SPD, war recht eilig, den Berlinern zu erklären, der Wasserpreis werde quasi «automatisch» sinken im kommenden Jahr, die Planungen der Berliner Wasserbetriebe würden dies bereits aufweisen. Sein Wirtschaftssenator ist vorsichtiger und spricht nur von 6 bis 8 Prozent, und das nur, wenn die Zustimmung aller Anteilseigner vorläge. Als Aufsichtsratsvorsitzender der Berliner Wasserbetriebe lasten ihm die Kritiker hier einen Interessenkonflikt an – zu Recht.
Inzwischen machte die RWE ein Angebot, für 800 Millionen Euro ihren Anteil zu verkaufen – praktisch für derselben Betrag, mit dem sie vor 10 Jahren ihren Anteil von 24,95 Prozent gekauft hatte. Nach Schätzungen des «Berliner Wassertischs» hat alleine die RWE seit 1999 aus den Berliner Wasserbetrieben 650 Millionen Euro Gewinn gezogen.
In dieser brisanten Lage veröffentlicht die Industrie- und Handelskammer Berlins eine von ihr in Auftrag gegebene Studie mit dem Schluss: Eine Rücküberführung der Berliner Wasserbetriebe in Landeseigentum brächte kaum Erleichterungen für die Verbraucher, gleichzeitig würden die Schulden des Landes stark steigen. Die vor kurzem begonnene – und mit dem Volksentscheid vom 13. Februar entscheidend vorangebrachte – Debatte um die Rekommunalisierung müsse aufhören, fordert die IHK. «Alle Verhandlungen mit RWE und Veolia finden trotz Volksentscheid wieder hinter verschlossenen Türen statt», kritisiert dagegen die Bürgerbewegung.
Diese Situation nutzt die Partei Bündnis 90/Die Grünen, einen nicht unproblematischen Antrag in das Abgeordnetenhaus einzubringen: Der Rückkauf von Anteilen an den Berliner Wasserbetrieben solle nicht hinter dem Rücken von Bevölkerung und Parlament verhandelt werden, und die bisher eingeleiteten Verkaufsverhandlungen sowie die Verkaufsangebote zu den RWE-Anteilen und alle weiteren Schritte von Rekommunalisierungsverhandlungen sollten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Das Abgeordnetenhaus lehnt diesen Antrag mit den Stimmen von SPD, Linken, CDU und FDP ab. In der Aussprache machen Abgeordnete dieser vier Parteien aber auch deutlich, dass sie grundsätzlich für Geheimverhandlungen eintreten und nicht gewillt sind, weitere – bisher noch geheime – Verträge, Beschlüsse und Nebenabreden offenzulegen oder die Verträge juristisch anzufechten. CDU und FDP üben ausserdem Kritik an einer möglichen Rekommunalisierung der Wasserbetriebe.

Der «Berliner Wassertisch» arbeitet weiter

Unter dem Motto «Klärwerk» widmet sich der «Berliner Wassertisch» der Klärung der nun veröffentlichten Teile des Vertragswerks von 1999. In öffentlichen Sitzungen wird derzeit am § 23 des Konsortialvertrages gearbeitet, der die Renditegarantie für die Konzerne RWE und Veolia beinhaltet und die Verpflichtung des Landes Berlin festschreibt, bei Unterschreitung der garantierten Rendite einen Gewinnausgleich an RWE und Veolia zu leisten.

Was Berlin von Paris lernen kann

Ob Berlin den Weg einschlagen wird, den Paris vorgebahnt hat? 1986 hatte auch dort, ähnlich wie später in Berlin, Vivendi (heute Veolia) mit der Stadt Paris eine Gesellschaft gebildet, der dritte Partner war der ebenfalls französische Wasserversorger Suez. Wie in Berlin hatten auch die Pariser festgestellt, dass es nach der Teilprivatisierung der Wasserbetriebe zu einem Mangel an Transparenz und Demokratie gekommen sei, berichtete die derzeitige stellvertretende Bürgermeisterin von Paris und Vorsitzende der dortigen Wasserbetriebe, Anne Le Strat, im April 2011 auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Seit dem 1. Januar 2010 sind die Pariser Wasserbetriebe wieder in städtischem Besitz. Erstmals seit 25 Jahren senkte Paris die Preise – um 8 Prozent. In den 25 Jahren zuvor waren die Preise um 260 Prozent gestiegen. Im Vergleich zu Berlin sind die Pariser Wasserpreise aber generell niedrig. Derzeit zahlen die Pariser 96 Cent je Kubikmeter Wasser. In Berlin kostet der Kubikmeter Trinkwasser dagegen derzeit 2,16 Euro.
Bis zu gemeinwohlorientierter Ehrlichkeit ist es noch ein weiter Weg.     •

* Im Land Berlin die Stellvertreterin des Regierenden Bürgermeisters

Unterlagen zum Volksentscheid am 13. Februar 2011:
<link http: berliner-wassertisch.net index.php external-link-new-window>berliner-wassertisch.net/index.php (22. Mai 2011)
<link http: www.morgenpost.de berlin article1634987 wasser-was-berlin-von-paris-lernen-kann.html>www.morgenpost.de/berlin/article1634987/Wasser-was-Berlin-von-Paris-lernen-kann.html , 10. Mai 2011, (22. Mai 2011)
<link http: en.wikipedia.org wiki veolia_environnement>en.wikipedia.org/wiki/Veolia_Environnement  (22. Mai 2011)

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK