Wiener Neustädter Tierschützerprozess: Was ist falsch gelaufen?

Wiener Neustädter Tierschützerprozess: Was ist falsch gelaufen?

lb. Am 2. Mai ging am Landesgericht Wiener Neustadt der Prozess gegen 13 österreichische Tierschützer nach 14 Monaten mit Freisprüchen für alle Angeklagten zu Ende. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Für demokratiepolitisch bewusste Bürger bleibt ein schaler Geschmack in jeder Hinsicht. Wieso?
Grundsätzlich ist in dieser Causa, die Medien und Öffentlichkeit wohl noch weiter beschäftigen wird, zu unterscheiden zwischen den von Tierschützern angerichteten Schäden, den polizeilichen Ermittlungen und dem eben abgeschlossenen Prozess nach § 278a des Österreichischen Strafgesetzbuches.

2006 – 2007: Tierschützer-Kampagne gegen Bekleidungshaus

Mehrere österreichische Tierschützer-Organisationen (unter ihnen der Verein gegen Tierfabriken VGT und die Offensive gegen die Pelzindustrie OGPI) lancierten im Jahr 2006 eine Kampagne gegen das Modehaus Kleider Bauer, das seit 2000 im Besitz der Graf-Gruppe ist und 29 Geschäftsfilialen in mehreren Bundesländern unterhält.
Kleider Bauer ist kein auf Pelz spezialisiertes Geschäft, verkauft aber z.B. Winterjacken mit Echtfell-Einsätzen und ähnliches. Ins Visier der Tierschützer war das Unternehmen gekommen, nachdem massive Kampagnen dazu geführt hatten, dass ähnlich strukturierte Modehäuser aus dem Pelzhandel ausgestiegen waren (z.B. Peek und Cloppenburg, C&A; in Österreich z.B. Turek).
Die OGPI, die etwa an der P&C-Kampagne massgeblich beteiligt war, gibt an, dass nicht so sehr lang anhaltende geschäftsstörende Protestaktionen in und vor den Geschäften als viel mehr systematische persönliche Belästigung und Bedrohung von leitenden Mitarbeitern («Homedemos») für ihren «Erfolg» ausschlaggebend gewesen seien.1
Ähnlich wurde daher gegen Kleider Bauer vorgegangen. Zunächst erhielten Mitglieder der Geschäftsführung Mails, in denen sie aufgefordert wurden, ihre Filialen in den nächsten Tagen «pelzfrei» zu machen.2 Man arbeitete auf verschiedenen Ebenen: Erstens wurden Dauerstände vor den Betriebsfilialen aufgestellt (als Kundgebungen gesetzlich abgesichert), bei denen Infomaterial über Pelze und Tierquälerei verteilt wurde. Weiter fanden teils spektakuläre Aktionen in den Filialen statt. So liefen Aktivisten durch die Regale in den Geschäften, während sie laut «Mörder! Mörder!» riefen. Nachdem sich die Geschäftsführung durch diese Anfänge nicht einschüchtern liess, gab es weitere Drohbriefe, eingeschlagene Scheiben und im Dezember 2006 Buttersäureanschläge in Wien und Graz. Diese führten zu vorübergehenden Geschäftsschliessungen und insgesamt zu hohen materiellen Schäden. Schliesslich wurden die PKW von Geschäftsleiter Peter Graf und dessen Bruder sowie der Wagen einer Mitarbeiterin schwer beschädigt (mit Lack besprüht, Reifen aufgestochen …). Besonders widerlich waren ausserdem die sogenannten Homedemos, bei denen vermummte Tierschützer Mitglieder der Kleider-Bauer-Geschäftsführung vor ihren privaten Wohnhäusern während der Nachtstunden durch lautes Schreien usw. belästigten.
Im April 2007 wurde es Geschäftsführer Peter Graf zu viel, und er verlangte vom Innenministerium, eine Sonderkommission zur Causa Kleider Bauer einzurichten, da die ­Polizei offensichtlich nicht in der Lage war, die Belästigungen und Beschädigungen abzustellen.

Soko Kleider Bauer

Erik Buxbaum, damals Direktor für die öffentliche Sicherheit in Wien, kam Grafs Wunsch nach, vor allem weil dieser die von ihm behaupteten Vorwürfe durch eine Mappe mit genauem Dokumentationsmaterial belegen konnte.
Im April 2008 wurden neun Tierschutzaktivisten auf Grund der Verdachtslage in Untersuchungshaft genommen und erst im September wieder auf freien Fuss gesetzt. Die Anschläge auf Kleider-Bauer-Filialen hatten zu diesem Zeitpunkt übrigens bereits aufgehört.
Man versuchte, die Verdachtsmomente derart zu erhärten, dass es schliesslich für eine Anklage im Sinne der Strafrechtsprozessordnung reichen würde. Obwohl man Sturmhauben und Spraydosen fand, Listen mit Namen und Adressen von Kleider-Bauer-Mitarbeitern – und auf Balluchs USB-Stick Bekennerschreiben der Animal Liberation Front (ALF), war die strafrechtlich relevante Beweislage letztendlich zu dünn.
Mangels konkreter Beweise, dass die verdächtigten Personen tatsächlich selbst an strafbaren Handlungen aktiv beteiligt waren, entschied die Staatsanwaltschaft schliess­lich auf Anklageerhebung nach dem § 278a des Österreichischen Strafgesetzbuches, der schon die Mitgliedschaft in kriminellen Vereinigungen unter Strafe stellt.

März 2010 – März 2011: Der Prozess

Unter der Zuständigkeit von Staatsanwalt Wolfgang Handler und unter der Leitung von Richterin Sonja Arleth begann der Prozess gegen die Tierschützer schliess­lich am 2. März 2010 und zog sich bis Ende März 2011 hin, bevor er mit dem Freispruch aller Angeklagten schliesslich zu einem – vorläufigen – Ende geführt wurde.
Nun ist ein Freispruch grundsätzlich alles andere als eine «Schande für den Rechtsstaat», wie verschiedentlich in der Öffentlichkeit behauptet wurde. Und doch scheint der Prozess in verschiedener Hinsicht problematisch.
Erstens stellt sich die Frage, ob Österreich einen «Mafia» -beziehungsweise «Terrorismus»-Paragraphen überhaupt braucht. An diesem Gesetz entzündete sich hauptsächlich die Kritik. Obwohl der Paragraph, seinem Wortlaut nach, weit davon entfernt ist, «harmlose NGOs» zu kriminalisieren, stellt sich doch die Frage, ob nicht Bedrohung, Sachbeschädigung und Geschäftsschädigung ohnehin Bereiche sind, die auch ohne den umstrittenen Paragraphen rechtlich verfolgt werden könnten.

Grosser Schaden – schwammige Anklage

Den Tierschützern, konkret dem Hauptangeklagten Martin Balluch, Obmann des Vereins gegen Tierfabriken, war vorgeworfen worden, ein doppeltes Spiel zu betreiben: Einerseits an der Oberfläche den friedlichen Tierfreund zu spielen, andererseits Aktionen von gewaltbereiten Gruppen und Personen zu decken. Dass z.B. auf Balluchs persönlichem Computer Bekennerschreiben der Animal Liberation Front (ALF), einer militanten britischen Tierrechtsgruppe, abgespeichert waren, rechtfertigte dieser mit Dokumentationszwecken. Dass er einen ALF-Aktivisten nach Abbüssung von dessen mehrjähriger Gefängnisstrafe auf Grund von Brandanschlägen wiederholt zu Vorträgen in Österreich eingeladen hatte und als interessanten Menschen bezeichnete, mochte zwar ein Licht auf sein Umfeld werfen, strafrechtlich relevant ist so etwas nicht … Hnat, ebenfalls Mitglied in Balluchs Verein, bestritt gar nicht, Droh-Mails an Peter Graf und andere KB-Mitarbeiter versandt zu haben, bestritt aber, tatsächlich gewalttätige Aktionen, wie sie in diesen Schreiben durchklangen, geplant zu haben.
Nun, nach allen Informationen über die österreichische Tierschützerszene, die die polizeilichen Untersuchungen ans Licht gebracht hatten, hatten sich die Gründe erhärtet, als deren Folge die Untersuchungen durchgeführt worden waren.
Andererseits: Wenn keine stichhaltigen Anklagepunkte vor Prozessbeginn vorhanden waren, hätte man die Anklage nicht lieber fallen lassen sollen?

Mängel in der Prozessführung

Statt dessen leisteten sich Innenministerium, Polizei sowie Richterin Arleth Ungenauigkeiten und Fehler in Beweiserbringung und Prozessführung, die mittlerweile dazu geführt haben, dass der Prozess von verschiedenen NGOs und Medien als eine Bestätigung dafür dargestellt wird, dass Österreich «auf dem Weg zum Polizeistaat» sei oder die Rechte der Zivilgesellschaft zumindest gefährlich eingeschränkt seien. Balluch und Co. sind durch diese Entwicklung zu Helden beziehungsweise Märtyrern aufgestiegen, die von einer breiten Öffentlichkeit als Opfer eines Justizirrtums gesehen werden.
So hat Richterin Arleth Prozessbeobachtern zufolge belastende Aussagen stärker gewichtet als Aussagen der Verteidigung. Eine verdeckte Ermittlerin der Polizei, die als Spitzel im Kreis um VGT-Obmann Balluch belastendes Material hätte sammeln sollen, wurde nicht von Prozessbeginn an als Informantin angegeben, sondern erst durch die Verteidiger der Tierschützer aufgedeckt. Obwohl sie ursprünglich als Belastungszeugin hätte aussagen sollen, wurde sie schliesslich als Entlastungszeugin einvernommen.
Die Beschuldigten seien über einen monatelangen Zeitraum gezwungen worden, immer wieder vor Gericht zu erscheinen, was sie in berufliche und finanzielle Schwierigkeiten gebracht habe. Trotz der Freisprüche trügen daher alle hohe persönliche Belastungen aus dem Prozess davon, d.h. «Strafen» ohne Schuldspruch! Obwohl freigesprochen, werde ihnen nur ein kleiner Teil ihrer hohen Anwaltskosten vom Staat ersetzt.
All das verdeckt die schweren Einschüchterungen und Schäden, von denen sich weder Balluch noch die anderen Tierschützer je distanziert haben. Keiner spricht mehr von Drohbriefen und Homedemos, von Ultimaten und eingeschlagenen Fensterscheiben.
Die Sympathie der medialen Öffentlichkeit liegt derzeit eindeutig bei den Tierschützern als den «Opfern» des Prozesses, von den Opfern der «pelzfrei»-Kampagnen redet derzeit kaum noch jemand. Was ist falsch gelaufen?     •

1     www.tierbefreier.de/pelz/interview_tb53.html
2     Quelle der Direkt-Informationen von Peter Graf ist der Beitrag «Der Terror gegen Peter Graf». (Florian Klenk, Falter, 10.9.2008)
    Wortlaut § 278a – Kriminelle Organisation
    § 278a. Wer eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer grösseren Zahl von Personen gründet oder sich an einer solchen Verbindung als Mitglied beteiligt (§ 278 Abs. 3),
    1. die, wenn auch nicht ausschliesslich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist,
    2. die dadurch eine Bereicherung in grossem Umfang oder erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft anstrebt und
    3. die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmassnahmen abzuschirmen sucht, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen. § 278 Abs. 4 gilt entsprechend.

Quelle: <<link http: www.ris.bka.gv.at external-link-new-window>www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe= NOR40033827&WxeFunctionToken=50671908-36e0-449d-bdc4-f080c6e49c5b> 

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