«Gesundheits-Präventionismus» – ein neues Instrument etatistischer Arroganz

«Gesundheits-Präventionismus» – ein neues Instrument etatistischer Arroganz

«Corpus Delicti» von Juli Zeh*– ein erhellender Roman

Rechtzeitig zur Behandlung des Präventionsgesetzes in den eidgenössischen Räten ist ein Buch auf den Markt gekommen, welches aufzeigt, wohin es führt, wenn staatliche Instanzen meinen, besser zu wissen, was für die Menschen gut sei und was nicht, als die einzelnen Menschen selber. Was schönfärberisch daherkommt – wer möchte nicht schon gerne gesund sein, und wer kann schon gegen Prävention sein? –, entpuppt sich nämlich bei genauerem Hinsehen als totalitärer Zugriff auf die mündigen Bürger.
Waren die Massnahmen bei der Vogel- und Schweinegrippe ein Probelauf, der deutlich machte, was uns Bürgern blüht, wenn der Staat sich via «Prävention» anmasst, unser Verhalten zu steuern? Wie weit es den Pro­tagonisten in der WHO und hochbesoldeten und international vernetzten Chefstrategen von nationalen Gesundheitsämtern ums liebe Geld oder doch eher um den Aufbau einer «new world order» ging und immer noch geht, müsste eingehender untersucht werden.
Wohin das Äpfelchen rollen könnte, malt uns die Schriftstellerin Juli Zeh mit ihrem Roman «Corpus Delicti – ein Prozess» aus. Ist es Science-fiction? Heute vielleicht noch. Doch jeder, dem die Frage der Volkssouveränität, der direkten Demokratie und der Würde des Menschen ein Herzensanliegen ist, ist gut beraten, das Buch zu lesen.
Bevor der geneigte Leser sich nun diesem Artikel zuwendet, noch eine Bemerkung, quasi als Hinweis auf der «Packungsbeilage»: Selber denken ist erlaubt; Bezüge zu realen Abläufen herstellen sehr erwünscht; danach das Präventionsgesetz dorthin schicken, wo es hin gehört, nämlich auf den Misthaufen der Geschichte, Abteilung –«ismen»: Dies zu tun ist nichts anderes als vornehmste Bürgerpflicht!

ts. Der 1974 in Bonn geborenen und heute in Berlin lebenden Schriftstellerin Juli Zeh ist mit «Corpus Delicti – ein Prozess» in gewisser Weise eine Fortsetzung von «100 Stunden» des französischen Arztes und Diplomaten Jean-Christophe Rufin1 gelungen. Hatte Rufin in seinem Tatsachenroman zur wachsamen Abwehr gegen die Umtriebe der real existierenden Gefahr durch die Tiefenökologie aufgerufen, so lenkt Zeh unsere Aufmerksamkeit auf die Gefahren, die uns durch eine Art Gesundheitsdiktatur droht, in der eine anonymisierte Methodenherrschaft Weltregierung anstrebt. Die je national tätigen Gesundheitsämter mit ihren gefallsüchtigen Chefs bilden den Aufbau von unten her und benützen selbstverständlich die WHO. Die ehemalige Gesundheitsministerin von Indonesien Dr. med. Siti Fadilah Supari2 hat vor einigen Jahren auf diese gefährlichen Übernahmeversuche der WHO durch die USA aufmerksam gemacht. Bei solchen Vorgängen ist es Zeit, dass der Bürger aufmerksam wird und selber vor die Haustüre tritt, um zu sehen, was es gibt, wie es Gottfried Keller in seinem Bekenntnis zur direkten Demokratie und Volkssouveränität schon im 19. Jahrhundert formuliert hatte.

Der Kampf gegen Krankheiten wird zum Kampf gegen die Kranken

Zeigt Rufin auf, wie der Kampf gegen die Armut in den kranken Hirnen der Tiefenökologen um Arne Naess zum Kampf gegen die Armen mutiert, zum bewusst angelegten Massenmord durch Ausbringen von Cholera mit dem Ziel, die Weltbevölkerung auf eine Milliarde Menschen zu reduzieren, so legt Zeh ihren schriftstellerischen Finger auf den Gefahrenpunkt, dass der Kampf gegen Krankheiten zum Kampf gegen die Kranken werden könnte. Totalitär sind beide Ansätze: Setzen sich die Tiefenökologen als terroristische Hintergrundgruppe an die Stelle Gottes und nehmen sich heraus, über Leben und Tod zu entscheiden, so tun die Gesundheitsdiktatoren bei Zeh desgleichen, mit dem Unterschied, dass sie über die geballte Staatsmacht mit einem flächendeckenden Überwachungs- und Spitzel­apparat verfügen: Auf der Höhe der heutigen technologischen Möglichkeiten malt Zeh das Bild einer Diktatur, die abwechslungsweise an die Jakobinerherrschaft mit ihrem «Wohlfahrtssausschuss» unter Robespierre, dem «Tugendhaften», gemahnt, aber auch an das Dritte Reich mit dem «gesunden Volksempfinden», Blockwarten und deren Mentalität und einer Geheimpolizei, die foltert. Die Folterszene hingegen ist photographisch genau dem Bild aus Abu Ghraib nachempfunden, es riecht nach Homeland Security, false flag operations, dirty tricks – oder wer es lieber in den Kategorien des kalten Krieges haben will: Der Stasi-Staat mit seiner berühmten Richtlinie 1/76 zur Behandlung und Zersetzung feindlicher Gruppen und Umtriebe lässt auf jeder Seite grüssen. Nur, dass die Menschen hier alle einen Chip in der Mitte des Bizeps unter der Haut tragen müssen, alles mit Sensoren ausgestattet ist, inklusive Toilettenschüsseln, so dass die hinterste und letzte Körperfunktion und -aktivität gespeichert werden kann – vielmehr gespeichert werden muss: Denn wer nicht regelmässig seine Daten weiterleitet, läuft Gefahr, als Systemfeind und Gefahr für die Allgemeinheit in den Fokus einer gnadenlosen Justizmaschinerie zu geraten. Chips? Bei Menschen? Heute? Gut, die Hunde sind bereits gechipt, die Pferde sollen es bald sein und dann …?

Vom «grünen Adolf» zum «Gesundheits-Adolf»

Aber von vorne: Wie baute sich diese neue Gesellschaft auf? Der geneigte Leser mag sich dabei unsere heutige Situation immer dazu denken, um abzuschätzen, wie weit wir auf diesem Pfade in den Totalitarismus via Gesundheitsfrage schon gelangt sind.
Der zentrale Widerpart der Heldin Mia Holl ist Herausgeber der Zeitschrift «Gesunder Menschenverstand», ideologisches Sprachrohr des Systems, genannt «Die METHODE». Obwohl also eigentlich Journalist und Vertreter der vierten Gewalt, ist er zugleich eine Art Grossinquisitor, Gesundheitskommissar oder -vogt: Wissen Sie als Schweizer, wie viele Positionen unser Möchte-gern-Gesundheitsvogt sich in den USA schon «angelacht» hat? Im Buch heisst der moderne Robespierre, der Gesundheits-Adolf (Rudolf Bahro mit seinem «grünen Adolf» hätte Freude!) schlicht Kramer. Und Kramer erklärt der Leserschaft denn auch, wie sich das neue System aufgebaut hat: «Unsere Gesellschaft ist am Ziel. Im Gegensatz zu allen Systemen der Vergangenheit gehorchen wir weder dem Markt noch einer Religion. Wir brauchen keine verstiegenen Ideologien. Wir brauchen nicht einmal den bigotten Glauben an eine Volksherrschaft, um unser System zu legitimieren. […] Wir haben eine METHODE entwickelt, die darauf abzielt, jedem Einzelnen ein möglichst langes, störungsfreies, das heisst, gesundes und glückliches Leben zu garantieren. Frei von Schmerz und Leid. Zu diesem Zweck haben wir unseren Staat hochkomplex organisiert, komplexer als jeden anderen vor ihm.» (S. 36) Und, wie alle totalitären Systeme von sich behaupten, sei dieses System unfehlbar: «Unfehlbarkeit ist ein Grundpfeiler der METHODE. Wie sollten wir den Menschen im Land die Existenz einer Regel erklären, wenn diese Regel nicht vernünftig und in allen Fällen gültig, mit anderen Worten, unfehlbar wäre?» (S. 37)

Die Herrschaft der METHODE – WHO und BAG in einem?

Die METHODE steht also für einen zentralistischen Staat, der den einzelnen Menschen totalitär in den Griff nimmt, hier über die Verabsolutierung des Körpers. Eine Seele, ethische Prinzipien, Individualrechte, Gewaltentrennung gibt es nicht mehr. Der Staat ist der jakobinische «Wohlfahrtsausschuss», das «comité du salut public», nur in modernem Gewande. Man hat die Aussage «die Frage ist nicht, ob, sondern lediglich, wann» etwas geschehe, noch zu gut in den Ohren: In der Realität war es die WHO, die in den letzten paar Jahren nicht müde wurde, diese in Hinterzimmern ausgekungelte Parole bezüglich einer angeblich drohenden Pandemie von sich zu geben, im Roman von Zeh ist es der Sicherheitsminister, der die Formulierung für eine B-Waffe verwendet – eindeutig als Ablenkungs- und Einschüchterungsmanöver. Der WHO und anderen ging es, anders als im Roman, offensichtlich gerade auch um den Kommerz (Stichwort Tamiflu bzw. nach Rumsfelds Beteiligung auch Rumiflu).
Die Geschichtsepoche, welche durch die Herrschaft der METHODE abgeschlossen wurde, beschreibt Kramer so, dass die Leserschaft unschwer die heutige Zeit mit all ihren Problemen erkennen wird. Nur dass er verschweigt, dass der ganze Zerfall unserer heutigen Gesellschaften kein Naturereignis ist, sondern von eben jenen Kreisen initiiert wurde, welche ihr selbst veranstaltetes Chaos durch die Diktatur in Ordnung bringen wollen. Wieso die Menschen das nicht merken? Weil sie an nichts mehr glauben ausser an das, was in der Zeitung steht. Heisst es im Roman. Nun also Kramers Analyse der Jetzt-Zeit: «Nach den grossen Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts hatte ein Aufklärungsschub zur weitgehenden Entideologisierung der Gesellschaft geführt. Begriffe wie Nation, Religion, Familie verloren rapide an Bedeutung. Eine grosse Epoche der Abschaffung begann. […] Man redete ununterbrochen vom Werteverfall. Man hatte jede Selbst­sicherheit verloren und fing an, einander wieder zu fürchten. Angst regierte das Leben der Einzelnen, Angst regierte die grosse Politik. Es war übersehen worden, dass auf jede Abschaffung eine Neuschaffung folgen muss. Was waren die konkreten Folgen? Geburtenrückgang, die Zunahme stressbedingter Krankheiten, Amokläufe, Terrorismus. Dazu eine Überbetonung von privaten Egoismen, das Schwinden von Loyalität und schliess­lich der Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme. Chaos. Krankheit. Verunsicherung. Die METHODE hat sich der Probleme angenommen und sie gelöst. Daraus folgt logisch: Wer die METHODE bekämpft, ist ein Reaktionär. Er wendet sich nicht abstrakt gegen eine Idee, sondern ganz konkret gegen das Wohlbefinden und die Sicherheit eines jeden von uns. Anti-Methodismus ist ein kriegerischer Angriff, dem wir mit Krieg begegnen werden.» (S. 88f.) Wem da Erinnerungen an die Impfkampagnen und die mediale Ausgrenzung von Impfgegnern als Gesundheitsrisiko auftauchen, befindet sich nicht mehr im Roman, sondern in unserer Realität. Und es ist gerade dieser fliessende Übergang zwischen Romanhandlung und realer Welt von heute, der die Lektüre, wenn auch anstrengend und mühsam, so doch packend und äusserst erhellend gestaltet.

«Durch unsere Körper, nicht im Geiste, sind wir einander gleich»

Dass Anhänger der METHODE und heutige WHO- und Gesundheitskommissare von Bundesämtern letzten Endes nichts anderes als Fanatiker sind, macht Kramer mit folgenden Worten deutlich: «Ich bin ein Überzeugungstäter. Das sollten Sie wissen. Ich bin überzeugt, dass sich aus dem natürlichen Lebenswillen ein politisches Recht auf Gesundheit ergibt. Ich bin überzeugt, dass ein System nur dann gerecht sein kann, wenn es an den Körper anknüpft – denn durch unsere Körper, nicht im Geiste sind wir einander gleich. Und ich bin überzeugt, dass das Menschenbild der METHODE allen andern historisch überlegen ist.» (S. 180) Der Kult der Jugendlichkeit, der Schönheit, der Pfirsichhaut junger Models, das Facelifting von korrupten ­Politikern, die sich mit 50 Jahre jüngeren Frauen zeigen, die Herabstufung der Menschen durch die Medien auf das tiefe Niveau geistloser Wesen: alles Realität oder nur Romanphantasie? Dass unserer Welt Werte wie Mitgefühl, gegenseitige Hilfe, Achtung vor der Würde eines jeden Menschen, insbesondere auch von alten, kranken und hilfsbedürftigen Menschen, immer mehr ausgetrieben werden – zu nennen wären da die Angriffe der geheimdienstlich gesteuerten Frankfurter Schule mit ihrem OSS/CIA-Agenten Herbert Marcuse, die Verrohungskampagnen durch die US-GB-Israel-Kriegsallianz, die menschenverachtenden Thesen eines Peter Singer und der wie Pilze aus dem Boden schiessenden Neomalthusianer – und dass statt dessen mit primitiven, mechanistischen und reduktionistisch-utilitaristischen Systemen hantiert wird, wird auch in der folgenden Aussage von Kramer deutlich: «Jahrhunderte lang hat man die Schwäche angebetet, man hat sie sogar zum Kern einer Weltreligion erhoben. Man kniete vor dem Bild eines magersüchtigen, bärtigen Masochisten, der eine Stacheldrahtrolle auf dem Kopf trug, während ihm das Blut übers Gesicht lief. Der Stolz der Kranken, die Heiligkeit der Kranken, die Selbstliebe der Kranken. Das waren die Übel, die den Menschen von innen frassen.» (S. 180f.) Mitgefühl für die Kranken? Nein, blanker Hass auf das Christentum und seine Maxime «Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst, auf dass es Dir wohlergehe und Du lange lebest auf Erden.» Und da wird der Kampf gegen Krankheiten dann eben zur Verhöhnung, Verächtlichmachung und letztlich zum Kampf gegen die kranken Menschen.

Kommen Ihnen «Naturpärke» und «Metropolitanräume» in den Sinn?

In dieser «schönen, neuen Welt» darf nicht mehr geweint werden, setzen Tränen doch Lipide und Mucine frei. Liebe ist nur dann zulässig, wenn in der gleichen Immunsystemgruppe ausgelebt, ansonsten liegt der Tatbestand der Verbreitung von Seuchen vor. Menschen mit Depressionen sind gefährlich, da von ihnen zersetzende Wirkungen ausgehen. «Einmal krank, immer krank», lautet die Devise: Was in der persönlichen Datenspur einmal gespeichert ist, lässt sich nie mehr löschen und ist vom Methodenschutz jederzeit abrufbar. Stösst Ihnen da als Mutter oder als Vater auch ungut auf, dass jede Beobachtung an Ihrem Kindergartenkind in irgendeinen zentral sammelnden Hintergrundcomputer eingespiesen werden muss? Widerstandsrecht gibt es im Roman von Juli Zeh keines mehr, weder für Gruppen noch für Individuen; wer der Idee der persönlichen Freiheit anhängt, gilt als reaktionär. Schmerzen sind keine Privatangelegenheiten, sondern Staatsaffäre. Wer etwas auf sich hält, wohnt in zertifizierten Wächterhäusern, keimfrei und mit Rabatt auf die Strom- und Wasserrechnung. Neben den hygienischen Städten gibt es den unhygienischen Wald, die unhygienische Landschaft mit Infektionsrisiko, grossen Bakterien aus Fell und Hörnern. An den Zonengrenzen sind Warnschilder angebracht mit folgenden Inschriften –, wer dabei an «Naturparks» mit Parkzonen, Parkreglementen und Eingangspforten denkt, daneben an «Metropolitanräume», die die volle staatliche Förderung bekommen sollen, der ist kein Verschwörungstheoretiker, sondern stellt ganz realistische Zusammenhänge her. Im Roman also heisst es: «Hier endet der nach Paragraph 17 Desinfektionsordnung kontrollierte Bereich. Verlassen des Hygienegebiets wird nach Paragraph 18 Desinfektionsordnung als Ordnungswidrigkeit zweiten Grades bestraft.» (S. 90)

Die «Terrorgruppe» R.A.K. steht ein für das «Recht auf Krankheit»

Was Wunder, dass sich gegen diese keimfreie, sterile, gläserne, hirn- und seelenleere Welt Widerstand formiert? Staatsfeind Nr. 1 ist die R.A.K., die Gruppe «Recht auf Krankheit». Dazu stossen Menschen, die nicht darauf verzichten wollen, sich in der freien Natur zu bewegen, das Wasser eines Flüsschens in der Sperrzone an den nackten Füssen zu spüren, die fischen, Feuer machen und das Selbstgefangene verzehren wollen, die empfinden wollen, dass die schuppigen, verkohlten, schlecht ausgenommenen Fische besser schmecken als jede Protein-Konserve aus dem Supermarkt. (S. 91)
Ohne hier die Geschichte der Protagonistin und ihres Bruders zu verraten – letzterer wird durch eine DNA-Analyse, die als unfehlbar gilt, es aber nicht ist, als Vergewaltiger verurteilt – eine überraschende Wende am Ende sei hier nur angetönt – sollen aber doch die Worte des Widerstands gegen dieses mörderische System, das unter dem Deckmantel der Prävention daherkommt, zitiert werden. Es ist die Protagonistin Mia Holl, die Kramer, dem Gesundheitskommissar, ein eigentliches Manifest für die menschliche Freiheit und gegen die Bevormundung und Knechtung durch staatliche Instanzen in die Feder diktiert:
«Ich entziehe einer Gesellschaft das Vertrauen, die aus Menschen besteht und trotzdem auf der Angst vor dem Menschlichen gründet. Ich entziehe einer Zivilisation das Vertrauen, die den Geist an den Körper verraten hat. Ich entziehe einem Körper das Vertrauen, der nicht mein eigenes Fleisch und Blut, sondern eine kollektive Vision vom Normalkörper darstellen soll. Ich entziehe einer Normalität das Vertrauen, die sich selbst als Gesundheit definiert. […] Ich entziehe einer Moral das Vertrauen, die zu faul ist, sich dem Paradoxon von Gut und Böse zu stellen und sich lieber an «funktioniert» oder «funktioniert nicht» hält. Ich entziehe einem Recht das Vertrauen, das seine Erfolge einer vollständigen Kontrolle des Bürgers verdankt. Ich entziehe einem Volk das Vertrauen, das glaubt, totale Durchleuchtung schade nur dem, der etwas zu verbergen hat. Ich entziehe einer Methode das Vertrauen, die lieber der DNA eines Menschen als seinen Worten glaubt. Ich entziehe dem allgemeinen Wohl das Vertrauen, weil es Selbstbestimmtheit als untragbaren Kostenfaktor sieht. […] Ich entziehe einer Politik das Vertrauen, die ihre Popularität allein auf das Versprechen eines risikofreien Lebens stützt. Ich entziehe einer Wissenschaft das Vertrauen, die behauptet, dass es keinen freien Willen gebe. […] Ich entziehe Eltern das Vertrauen, die ein Baumhaus ‹Verletzungsgefahr› und ein Haustier ‹Ansteckungsrisiko› nennen.» (S. 187)

Nur ein totalitärer Staat «weiss», was für die Bürger gut ist

Punkte genug, die die geneigte Leserschaft in Ruhe reflektieren möge: Wie weit sind wir auf diesem Wege schon fortgeschritten? Können unsere Kinder und Jugendlichen noch echte Erfahrungen machen, auch mit Schmerz, mit Erde und Schlamm und Erlebnissen in der realen Natur? Wie ernähren wir uns? Wie ist das mit dem Ansteigen der Allergien bei Stadtkindern? Wie mit der Würde und Selbstbestimmung, nicht nur kranker Menschen? Wie mit der elektronischen Überwachung?
Am Ende ihres Manifests bringt es die Protagonistin auf den Punkt, der schon heute unseren selbsternannten Gesundheitsvögten und -kommissaren ins Stammbuch geschrieben gehörte: «Ich entziehe einem Staat das Vertrauen, der besser weiss, was gut für mich ist, als ich selbst.» Und: «Ich entziehe jenem ­Idioten das Vertrauen, der das Schild am Eingang unserer Welt abmontiert hat, auf dem stand: «Vorsicht! Leben kann zum Tode führen.» (S. 187)
Noch eine Empfehlung zum Schluss: Nicht vor dem Einschlafen lesen! Und für National-und Ständeräte: Nach der Lektüre zu Schillers «Wilhelm Tell» greifen!    •

*    Juli Zeh. Corpus Delicti – ein Prozess. Frankfurt am Main 2009. ISBN 978-3-442-74066-6

1    Jean-Christophe Rufin. 100 Stunden. Frankfurt am Main 2008. ISBN 978-3-596-17891-9
2    Dr. med. Siti Fadilah Supari. It’s Time for the World to Change. Jakarta 2007.
ISBN 978-979-24-3342-5

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