Pakistans Alptraum

Pakistans Alptraum

 

Afghanistan, Pakistan, Indien: Warum der Krieg am Hindukusch noch lange währen wird

von Jürgen Rose*

«AFPAK», so lautet im Jargon der Geostrategen die Bezeichnung für den Kriegs­schauplatz am Hindukusch, die auf zwei in diesem Konflikt eng mit­ein­­ander verwobene Akteure, nämlich Afghanistan und Pakistan, verweist. Weniger getrennt denn verbunden sind diese beiden Staaten durch eine 2640 Kilometer lange Grenze, welche mitten durch den Lebensraum von 40 Millionen Paschtunen verläuft, die entlang dieser Linie in 65 Stämmen leben. Tagtäglich wird diese Grenze von etwa 200 000 dieser Menschen überquert. Wie die sprichwörtlichen Fische im Wasser können sich in der Deckung dieses unaufhörlichen Menschenstroms all jene irregulären Kombattanten zwischen ihren Operations­gebieten in Afghanistan und ihren Rückzugsräumen in Pakistan hin und her bewegen, die den internationalen Besatzungstruppen im Guerillakrieg am Hindukusch seit Jahren steigende Verluste zufügen.
Diese Konstellation bildet den Hauptgrund dafür, dass schon US-Präsident George W. Bush Kommandoaktionen seiner Special Forces sowie Angriffe unbemannter Kampfdrohnen auf pakistanisches Territorium anordnete. Frisch ins Amt gelangt, liess der in Oslo gekürte Friedensfürst Barack Obama die aus fernab des Kriegsschauplatzes in den USA gelegenen, von unan­greifbaren Gefechtsständen gesteuerten feigen und verheerenden US-Drohnenangriffe der CIA auf Pakistan, denen unbeteiligte Zivilisten in grosser Zahl zum Opfer fallen, mit gesteigerter Intensität fortführen. Zudem übt der Kriegsherr im Oval Office immer stärkeren Druck auf Islamabad aus, mit der eigenen Armee die Widerstandsnester und Ruheräume der Guerilla in den Stammesgebieten der North West Frontier Province (NWFP) und Waziristans auszuräuchern, um den Konflikt in Afghanistan zu befrieden.
Gleichwohl erscheint eine solche Strategie, die auf einen militärischen Sieg gegen die Guerilla setzt, zum Scheitern verurteilt. Denn sie ignoriert fundamentale Parameter, welche die pakistanische Politik determinieren. Hierzu zählt vor allem die unhaltbare strategische Zwangslage, in der Pakistan sich zwischen Af­gha­nistan im Westen und Indien im Osten gefangen sieht – «AFPAKIND» lautet demnach das weitaus zutreffendere Akronym für die realexistierende Konfliktkonstellation. Dieses «Sandwich-Dilemma» resultiert aus dem existentiellen Konflikt, in dem sich Pakistan seit seiner Gründung mit der nuklearen Grossmacht Indien befindet und dessen sichtbarsten Ausdruck der in drei Kriegen ausgetragene, indes weiterhin ungelöst schwelende Streit um Kaschmir bildet.
Aus Sicht der pakistanischen Generalität, die ihr Land ohnehin an seiner «Ostfront» einer permanenten Bedrohung ausgesetzt sieht, muss das in den letzten Jahren intensivierte indische Engagement in Afghanistan alarmierend wirken. Dort, sozusagen im Rücken Pakistans, spannte Indien nämlich nicht nur ein Netzwerk von Residenzen seines Geheimdienstes RAW auf, die offiziell als «Konsulate» und «Information Center» firmieren. Von dort aus werden unter anderem separatistische Aufständische in der pakistanischen Provinz Belutschistan unterstützt und Angriffe auf Ziele in Pakistan gesteuert. Darüber hinaus lässt Delhi seine Militärberater auch die afghanischen Streitkräfte (ANA) ausbilden und investiert darüber hinaus bemerkenswerte Summen in den Wiederaufbau und die Entwicklung des zentralasiatischen Landes. Zu diesem Behufe kooperiert Indien vornehmlich mit jenen Kräften der Nord­allianz, welche die USA 2001 an die Macht gebombt und dabei zugleich das vom pakistanischen Geheimdienst «Inter Services Intelligence» (ISI) und dem Militär unterstützte paschtunische Taliban-Regime, das als Sachwalter der strategischen Interessen Pakistans fungierte, beseitigt hatten.
Es vermag daher nicht zu verwundern, dass Islamabad das zunehmend mit Indien verbandelte Regime in Kabul mit dem Aufbau einer «Westfront» zur Unterstützung des Terrorismus jenseits der Grenze in Pakistan assoziiert und als feindselig einstuft. Die daraus entspringende erstrangige Bedrohung seiner strategischen Interessen resultiert zwangsläufig darin, dass das pakistanische Militär mit Hilfe des Geheimdienstes ISI getreu der Devise «Der Feind meines Feindes ist mein Freund» weiterhin nach Kräften den afghanischen Widerstand unterstützt. Der renommierte US-Analyst Robert D. Blackwill merkte hierzu in einem Beitrag für Foreign Affairs kürzlich an: «Das pakistanische Militär, beherrscht durch sein Feindbild Indien und den Drang nach strategischer Tiefe, wird weder aufhören, die viele Jahre als seine Interessenwahrer fungierenden afghanischen Taliban zu unterstützen und ihnen ein Sanktuarium zu bieten, noch ein wirklich unabhängiges Afghanistan akzeptieren.» Dieser Widerstand, gebildet vorwiegend aus den Taliban, dem Haqqani-Netzwerk und den Kämpfern Gulbuddin Hekmatyars, rekrutiert sich vor allem aus den beiderseits der afghanisch-pakistanischen Grenze beheimateten Paschtunen. Hinter vorgehaltener Hand räumen pakistanische Militärs unumwunden ein, dass man natürlich mit diesen Gruppierungen zusammenarbeite, denn man brauche in Afgha­nistan Verbündete, auf die man sich verlassen könne.
Aus Sicht Islamabads besteht das Fatale dieser Konstellation indes darin, dass es einerseits den Kampf der afghanischen Widerständler gegen die internationalen Besatzungstruppen unterstützen muss, bis diese endlich abziehen, damit in Kabul wieder jene Kräfte an die Macht gelangen können, die für ein Bündnis gegen Indien taugen. Der ehemalige ISI-Chef Generalleutnant Asad M. Durrani gab diesbezüglich in einem mit dem Autor geführten Interview zu Protokoll: «Natürlich versucht man, mit allen Kräften des Widerstandes und insbesondere mit den Taliban, seit diese 1995 in Afghanistan an die Macht gekommen waren, Kontakt zu halten. Persönlich aber wäre ich sehr dankbar dafür, wenn der ISI den afghanischen Widerstand unterstützen würde. Denn nur wenn der afghanische Widerstand – die sogenannten neuen Taliban, das sind nicht die ‹Mullah-Omar-Taliban› – stark genug bleibt, nur dann existiert eine Möglichkeit, dass sich die fremden Truppen aus Afghanistan zurückziehen; andernfalls bleiben sie dort. […] Auch wenn das seit 2001 nicht mehr der offiziellen Haltung der pakistanischen Regierung entspricht, so führen die Taliban in Afghanistan, die gegen die Besatzung Selbstverteidigung üben, meiner Meinung nach unseren Krieg, und zwar in dem Sinne, dass wenn sie Erfolg haben, die fremden Truppen abziehen. Wenn sie aber scheitern und wenn Afghanistan unter Fremdherrschaft bleibt, werden wir weiter Probleme haben. Wenn sich die Nato, die stärkste Militärmacht der Welt, wegen ökonomischer und geopolitischer Interessen – denken Sie an das sogenannte New Great Game – praktisch an der pakistanischen Grenze festsetzt, dann erzeugt das in Pakistan enormes Unbehagen.»
Andererseits jedoch sehen sich die pakistanischen Streitkräfte, um noch umfassendere militärische Interventionen der US-Streitkräfte auf pakistanischem Territorium zu verhindern, als sie Drohnenkrieg und Kommandoaktionen der Special Forces derzeit ohnehin schon darstellen, als Verbündete der USA im sogenannten «Krieg gegen den Terror» gezwungen, immer wieder auch selbst militärisch gegen die irregulären Kämpfer vorzugehen. Dieses Konfliktgemenge bietet die tödliche Gewähr dafür, dass der Krieg am Hindukusch so lange weitertoben wird, wie die westlichen Besatzungstruppen im Lande bleiben und der existentielle pakistanisch-indische Konflikt nicht gelöst wird, wobei letzteres freilich auch nicht unbedingt im vorbehaltlosen Interesse der pakistanischen Generalität liegt, da ein Frieden mit Indien deren traditionelle Vorherrschaft in Staat und Gesellschaft nachhaltigem Legitimationsdruck aussetzen sowie die üppig sprudelnde Rüstungshilfe seitens des US-Verbündeten gefährden würde. Auf Grund dieser Tiefengrundierung wird auch der als grosser politischer Erfolg der Obama-Administration bejubelte Lynchmord an Terroristenchef Usama bin Ladin den Afghanistan-Krieg nur marginal beeinflussen, zumal die Besatzungspolitik der «einzigen Supermacht» auf Grund ihrer langfristigen geostrategischen und geoökonomischen Interessenlagen in Zentralasien – aller Truppenabzugsrhetorik zum Trotz – ohnehin auf unbe­grenzte Dauer angelegt ist. Alles spricht demnach dafür, dass auch in den kommenden Jahren weiterhin gründlich krepiert und tüchtig gemordet werden darf am fernen Hindukusch – unter vasallentreuer Beteiligung der Bundeswehr, versteht sich.    •

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