Nach Fukushima ...

Nach Fukushima …

Temporärer Weiterbetrieb von Kernkraftwerken ohne Bedingungen?

von Dipl.-Ing. H. W. Gabriel

In den Kernkraftwerken Harrisburg, Tschernobyl und in vier Reaktoren von Fukushima haben verschiedene Unfallursachen die Barrieren für den Einschluss der Radioaktivität, entgegen den «Annahmen», teilweise bis vollständig zum Versagen gebracht. Grosse Mengen der in den Reaktorkernen produzierten Radioaktivität sind in den Lebensraum der Menschen freigesetzt worden.

Über die Menge der unkontrolliert entwichenen Radioaktivität, über die Zahl der Todesopfer und über den materiellen Schaden werden von den amtlichen Förderstellen der Kernenergie bzw. von ökonomisch unabhängigen Institutionen immer unterschiedliche Daten publiziert:

• Für Tschernobyl werden 90 000 bis 980 000 Todesopfer genannt.

• Bezüglich der Radioaktivität ist zumindest klar: Bei Harrisburg und Tschernobyl ist jeweils ein Reaktorkern, bei Fukushima sind quasi zeitgleich jedoch deren drei nebst Lagerbecken zerstört worden. In Harrisburg blieb die äussere Barriere (Containment) zum Teil intakt, bei den anderen Anlagen nicht.

• Der materielle Schaden um Tschernobyl wird auf 800 Milliarden Euro geschätzt, bei Fukushima kann das Mehrfache dieser Schadenshöhe erwartet werden. (Ergebnisse über die Auswirkungen eines extremen Reaktorunfalls in Deutschland sind in mehreren Studien schon vor Jahren, u. a. im «Spiegel», beschrieben worden.)

Auf Druck der Bürgermehrheit reagiert die Politik in Deutschland auf die aktuelle Lage mit dem «Ausstieg aus der Kernenergie in 10 Jahren bei sofortiger Abschaltung von 8 der insgesamt 17 Anlagen». Wenige Wochen zuvor sollte die Laufzeit der Anlagen noch um 8 bis 14 Jahre verlängert werden (ähnlich, wie auch in Japan geplant).

Der irrationale, bedingungsfreie Umgang mit der nuklearen Sicherheit und mit dem Begriff «Kernenergie» durch Politik, Verwaltung, Justiz und devote Schönungskommissionen war und ist eine wesentliche Ursache für die Fehlbewertung risikobehafteter, überalterter Technologien.

Bedingungen für einen 10jährigen Weiterbetrieb von KKW sind genauer zu betrachten. Ein 10-Jahres-Zeitrahmen im letzten Drittel der üblichen Laufzeit von etwa 30 Jahren ist aus Sicht der Materialzuverlässigkeit und damit der Sicherheit signifikant.

10 Jahre sind zudem 2 Legislaturperioden, in denen sich die heutigen Parlamentarier und Entscheidungsträger leicht der Verantwortung entziehen können.

1. Bedingung

Die Struktur der Atomaufsicht ist rechts-konform und wirkungsvoll zu gestalten

Atomgesetz und zugehörige Rechtsverordnungen werden bezüglich der Sicherheitsanforderungen nicht dem Wesentlichkeits- und Bestimmtheitsgrundsatz gerecht. Lebensbestimmende Anforderungen sind umfänglich auf die Ebene von Verwaltungsrichtlinien und Regelungen verschoben worden, welche keine rechtliche Bindewirkung besitzen.

So wird ausserparlamentarisch zum Beispiel ausgehandelt,

– was der «grösste anzunehmende Unfall» ist,

– gegen welche Erdbebenstärke Vorkehrungen zu treffen sind,

– ob auf Schutz gegen Flugzeugabsturz, kriegerische Einwirkungen und auf angemessene Evakuierungszeiten verzichtet werden kann.

Entsprechend entscheidet die Atomaufsichtsverwaltung über die vom Bürger zu tragenden Lebensrisiken und die Kosten für Schutzmassnahmen.

Die bislang fehlende parlamentarische Kontrolle der Atomaufsicht ist in den nächsten 10 Jahren wirkungsvoller zu gestalten!

2. Bedingung

Versicherung bzw. Deckungsvorsorge gegen Schäden aus Unfällen ist neu zu regeln

Die Auswirkungen auf Gesundheit, Leben, Land und Wirtschaft erreichen bei Unfällen eine Dimension, die durch keine private Haftpflichtversicherung gedeckt werden kann. Dem Steuerzahler wurde ungefragt die Haftpflicht bei extremen Unfallfolgen aufgebürdet. Die Gewinne aus dem Betrieb der Anlagen fallen jedoch den betreibenden Kapitalgesellschaften zu (überwiegend Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder AG), deren Kapital bei weitem nicht zur Schadensregulierung ausreicht.

Da der Staat nach heutiger Finanzlage gleichfalls kein Cash zur Befriedigung der Geschädigten besitzt, ist zu klären, auf welche Rücklagen im Bedarfsfall überhaupt zurückgegriffen wird. Wann sollen zudem die Gewinne aus dem KKW-Betrieb an den Steuerzahler zurückgeführt werden?

Soll der Bürger um weitere 10 Jahre gefährdet und betrogen werden?

Bei rund 440 weltweit in Betrieb gegangenen Kernkraftwerken ist die Zerstörung von 7 Reaktorkernen bekanntgeworden.

Die Wahrscheinlichkeit liegt entsprechend innerhalb der Betriebsdauer im Bereich von 0,015.

Als an sich notwendige jährliche Versicherungsprämie kann man einen Betrag von 400 Millionen Euro abschätzen.

3. Bedingung

Reduzierung der Radioaktivität und
Toxizität des Reaktorkerns

Der Giftinhalt eines Systems bestimmt wesentlich die Höhe eines möglichen Schadens.

Durch Reduktion der Leistung sinkt proportional die Menge an produzierter Radioaktivität.

Ein ähnlicher Effekt entsteht durch häufigere Beladung mit frischen Brennelementen und zwingenden Verzicht auf den Einsatz von höher toxischem Plutoniumbrennstoff (MOX).

Es können so Reduktionsfaktoren von etwa 3 erreicht werden.

4. Bedingung

Die Sicherheitsfaktoren gegen das Versagen von Barrieren gegen Freisetzung von Radioaktivität sind zu vergrössern (nur einige Beispiele)

Durch Reduktion der Leistungsdichte (auch Leistungsminderung) in den Brennelementen wird der Sicherheitsfaktor gegen Hüllrohrversagen und Kernschmelzen vergrössert. Die Zeit bis zur Freisetzung von Radioaktivität verlängert sich, interne Eingriffsmassnahmen und externe Evakuierung werden erleichtert.

Die Wand des Druckgefässes wird durch schnelle Neutronen versprödet. Die Zeitgrenzen für Sprödbruch sind für jede Anlage zu bestimmen!

Thermoschocks des Druckgefässes infolge von Kaltwasser sind zu untersuchen. Kann kaltes Wasser aus dem höherliegenden Lagerbecken das 270–300° C heisse Druckgefäss erreichen (Versagen der Beckenschleuse)?

Die Ausstattung des Containments mit einem Vented-System (über Sandfilter) kann den Druckaufbau reduzieren. Mittels Spülung wird die Bildung von Knallgas respektive die Wahrscheinlichkeit des Versagens des Containements gesenkt.

Mit derartigen und weiteren Sicherheitsmassnahmen sollten sich die unabhängigen Institutionen der Wissenschaft auseinandersetzen, um ihrer Mitverantwortung für künftige Generationen gerecht zu werden.

Den Parlamentariern stünde es gut zu Gesicht, die weitere 10jährige Nutzung der Kernenergie (gegenwärtiger technischer Prägung) nicht nur mit schönen Worten zu rechtfertigen, sondern mit konkreten Sicherheitsmassnahmen und mit der Übernahme von Verantwortung. •

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