Schuldenabwälzung auf Steuerzahler – nicht mit den Isländern

Schuldenabwälzung auf Steuerzahler – nicht mit den Isländern

gk. Der Umgang der Regierungen und der Völker Europas mit den Auswirkungen der Finanzkrise ist nicht «alternativlos». Ein EU-Land wie Irland hat – am Volk vorbei – die Spekulationsschulden seiner grossen Finanz-institute mit Steuergeldern übernommen und ist dadurch in eine Staatsschuldenkrise getrudelt. Dann wurde es von der EU genötigt, sich in einen als «Rettungsschirm» bezeichneten politischen und finanzwirtschaftlichen Käfig zu begeben. Island, das nicht in der EU ist, ist einen anderen Weg gegangen.

Infolge der Finanzwirtschaftskrise von 2008 waren auch die drei isländischen Banken Kaupthing, Glitnir und Landsbanki in den Sog des amerikanischen Finanzdebakels geraten. Jahrelang hatten sie sich – von Analysten und Wirtschaftspolitikern hochgelobt – an den unsäglichen Finanzspekulationen beteiligt und erreichten so ein immenses Umsatz-/Spekulationsvolumen. Und dies – wie bisher üblich – mit geringsten Eigenmitteln. Innerhalb weniger Tage waren die drei Banken zahlungsunfähig. Ihre Konkurse wurden zu den siebt-, neunt- und zehntgrössten der Welt. Zusammen kamen sie auf 100 Milliarden Isländische Kronen Schulden, eine Summe, die achtmal so hoch ist wie das Bruttoinlandsprodukt der 311 000 Isländer. Die Regierung sah keinen anderen Ausweg, als die drei Banken zu verstaatlichen, um so wenigstens den Zahlungsverkehr aufrechtzuerhalten. Jedoch sah man sich ausserstande, auch die horrenden Schulden der Banken zu übernehmen. Zahlreiche mittelständische Unternehmen gerieten ebenfalls in Konkurs, die Arbeitslosigkeit vervierfachte sich auf über 8 Prozent.

Von einem Regierungswechsel und einem baldigen Beitritt zur EU versprachen sich die Isländer einen Ausweg aus dieser Misere. Zum Glück halfen die Nachbarländer Norwegen und Schweden mit langfristigen Krediten. Auch die Unterstützung des IWF wurde notgedrungen in Anspruch genommen. Ausserstande sah sich zunächst auch die neue sozialdemokratische Regierung, weiterhin für die Schulden der drei überdimensionierten Banken einzustehen. In der Folge übten europäische Spekulanten – vor allem aus Grossbritannien und den Niederlanden – Druck aus. Jahrelang hatten sie vor allem über die Internet-Bank der privaten Landsbanki «Icesave» hohe Spekulationszinsen abgeschöpft, nun wollten sie nicht einsehen, dass sie die Folgen für ihre Spekulationen auch selber tragen müssten. In Grossbritannien und den Niederlanden verfügten sie über so viel Einfluss, dass beide Staaten ihnen ihre Spekulationseinlagen zurückzahlten und diese nun vom isländischen Staat zurückverlangten. Wenn Island diese Spekulationsgelder in Höhe von insgesamt 3,8 Milliarden Euro nicht zurückzahlte, wollten sie verhindern, dass Island in die EU aufgenommen wird. Grossbritannien griff gar zu den Antiterrorgesetzen und drohte, über diesen Weg den internationalen Zahlungsverkehr Islands zu blockieren und isländische Guthaben zu beschlagnahmen. Die isländische Regierung und das Parlament gaben nach und wollten das Geld zurückzahlen.

Dies hätte für jeden Isländer bedeutet, dass er zusätzlich zu dem grossen Staatsschuldenberg seines Landes für die Spekulationsgeschäfte privater isländischer Banken umgerechnet 18 000 Euro an Schulden sowie entsprechend anfallende Zinsen zu zahlen hätte. Die 3,8 Milliarden Euro entsprechen etwa 40 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts und übersteigen den kompletten Staatshaushalt Islands. 90 000 Isländer reichten hiergegen eine Petition ein und verlangten mit Erfolg eine Volksabstimmung über diese Frage. Die Übernahme der ausländischen Spekulationsschulden wurde dabei im März 2010 von den Bürgern Islands mit einem wuchtigen «Nein» von 93 Prozent abgelehnt.

Nun gaben Grossbritannien und die Niederlande ein wenig nach, kamen Islands Regierung entgegen, streckten die Zahlungsfristen bis 2046 und senkten die Zinsen auf 3,2 Prozent. Trotz der Volksabstimmung gaben die isländische Regierung und das Parlament erneut nach und stimmten diesem Angebot zu – immer noch in der Absicht, der EU beitreten zu wollen.

Die Stimmung in Island brodelte, namhafte Persönlichkeiten lehnten diese Perspektive trotz aller Drohungen der sozialdemokratischen Regierung mit der Gefahr eines wirtschaftlichen und sozialen Chaos ab. «Wir können es uns nicht leisten, unsere Ressourcen wie Fischbestände und Thermalenergie in den Rachen des internationalen Kapitals zu werfen», protestierte etwa der Schriftsteller Einar Már Gudmundsson gegen das scheinbar ausweglose Vorgehen der Regierung. Völlig unerwartet überraschte Präsident Olafur Ragnar Grimmsson die Regierung am 5. Januar 2010 damit, dass er sich weigerte, das neue von Regierung und Parlament beschlossene Schuldenübernahmegesetz zu ratifizieren. Er forderte statt dessen erneut eine Volksabstimmung, die auch im April 2011 stattfand. Die Perspektive, unter EU-Diktat die volkseigene Energiewirtschaft und die Fischerei verkaufen zu müssen, fand trotz aller Versprechungen und Drohungen keinen Anklang bei der Bevölkerung – 60 Prozent der Isländer wiederholten ihr «Nein» zur Übernahme von Spekulationsschulden.

Grossbritannien und die Niederlande blieben bei ihrer Kumpanei mit den Spekulanten und drohen nun, Island vor dem Efta-Gericht einzuklagen. Der Prozess ist offen. Bisher konnten keine Belege, die den Spekulanten staatliche Garantien für ihre Geschäfte zugesichert hätten, vorgelegt werden.

Dem isländischen Volk geht es langsam wirtschaftlich besser, die Arbeitslosigkeit sinkt, das Fischereigeschäft und der Tourismus boomen wieder. Das Abfallen der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts auf den Tiefpunkt von minus 7 Prozent im Jahre 2010 konnte gebremst werden. Die Inflationsrate ist von ihrem Anstieg auf 19 Prozent im Jahre 2009 auf 1,9 Prozent im vergangenen Februar gefallen. Auch die Industrieproduktion ist im vergangenen Jahr um ungefähr 9 Prozent wieder angestiegen. Ökonomen sprechen bereits von dem isländischen «Nachkrisen-Wunder». Ein Grund dafür ist auch: Island hat die Hoheit über seine Währung.  •

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK