von Michael F. Scheuer*
Zwei einfache Binsenwahrheiten scheinen in diesen Tagen der Diskussion über den Afghanistan-Krieg angebracht: «Wenn du deinen Feind nicht verstehst, wirst du gegen ihn verlieren.» Und: «Wenn du deine Feinde nicht umbringst, werden sie dich umbringen.» Die Führungskräfte der US-Politik, des Militärs und des öffentlichen Dienstes haben weder versucht zu verstehen, was die Taliban und ihre Verbündeten motiviert, noch haben sie versucht sie weitgehend zu töten. Infolgedessen stehen sie nun am unausweichlichen Endpunkt – an der Schwelle einer ungeheuer beschämenden Niederlage, die nicht verschleiert werden kann.
Die folgenden vier Punkte sollte man im Gedächtnis behalten, wenn man dem Unsinn über eine «Verhandlungslösung» in Afghanistan zuhört, den nun Obama, Brennan, Clinton, Levin, Petraeus und die Premierminister Cameron (Grossbritannien) und Harper (Kanada) von sich geben.
Einen letzten Punkt sollte man noch erwähnen, wenn es um die kommende Niederlage der USA und der Nato in Afghanistan geht, ein Punkt, der die muslimische Welt als Ganze und besonders ihre jungen Männer betrifft – zu der nun auch Nordamerika und Europa gehören. Als die Rote Armee im Februar 1989 aus Afghanistan abzog, hatte dies eine mitreissende Wirkung auf die jungen Männer der Generation von Osama bin Ladin. Zum ersten Mal seit mehreren Jahrhunderten hatte Allah den Muslimen ermöglicht, eine westliche Macht zu besiegen, und noch dazu eine der beiden Supermächte der Welt. Ein grosser Teil der Inspiration, welche die Mudschaheddin auf das Schlachtfeld gegen den Westen und Israel führte, ergab sich aus der Niederlage der Roten Armee und dem daraus folgenden Glauben der muslimischen Welt, die Mudschaheddin hätten das Sowjetreich zerstört.
Aber selbst nach diesem Sieg und sogar nach dem Sieg von 9/11 stellten bin Ladin, seine Stellvertreter und ihre Verbündeten fest, dass sie unter den Muslimen noch immer einem tiefverwurzelten Defätismus begegneten. Die Rhetorik von bin Ladin, al Zawahiri und anderen islamistischen Führern enthält ein klares und durchgängiges Thema: solcher Defätismus muss zuerst in jedem Muslim überwunden werden, bevor Allah seine Getreuen mit dem Sieg über die restlichen Feinde belohnen wird. Mit anderen Worten lautet die Botschaft der Islamisten an ihre muslimischen Gefährten, dass Allah jenen, die ihren Hintern nicht in Bewegung setzen und sich selber helfen, auch nicht helfen wird. Die Kontinuität dieses Themas in der Periode nach bin Ladin wird im 100minütigen Motivationsvideo von al-Kaida vom 3. Juni 2011 offenkundig, das den Titel «Du wirst nur für dich selbst verantwortlich gemacht» («You are held responsible only for thyself») trägt.
Es wird selbstverständlich schwierig sein, das Ausmass des weltweiten elektrisierenden Einflusses abzuschätzen, den die US-Nato-Niederlage gegenüber den Taliban-geführten Mudschaheddin in Afghanistan und die dortige Wiedereinsetzung eines islamistischen Emirates haben werden. Aber könnte diese Wirkung überhaupt geringer sein als jene, welche die Niederlage der Sowjets nach sich zog? 1989 gab es immerhin noch kein Internet und keine 24stündige Fernsehreportage über die Demütigung der Roten Armee; heute ist solche Berichterstattung intensiv und allgegenwärtig. Ausserdem werden die Mudschaheddin die zweite Supermacht und ihre mächtigsten militärischen Verbündeten nicht nur in Afghanistan, sondern auch im Irak geschlagen haben – etwas, was keine andere Macht der Welt je vollbracht hat. Am wichtigsten ist, dass diese Leistung quer durch die islamische Welt sowohl als Folge von Allahs Wille als auch als seine Belohnung für jene Muslime aufgefasst werden wird, die ihren Hintern in Bewegung gesetzt haben und seine und des Islams ungläubige Feinde besiegten.
Insgesamt wird die Entscheidung der führenden Politiker des Westens, zuzulassen, dass ihre Armeen in Afghanistan so leicht und billig geschlagen werden, für sie und ihre Völker sehr unglückliche und blutige Langzeitfolgen haben. •
Quelle: Michael F. Scheuer. «Here’s how Afghanistan ends – America loses, Islam wins, and a new Muslim generation joins the jihad»<link http: non-intervention.com external-link-new-window> non-intervention.com vom 10.6.2011
(Übersetzung Zeit-Fragen)
* Michael F. Scheuer war 22 Jahre lang, bis 2004, Mitarbeiter der CIA und leitete dort von 1995 bis 1999 die Sondereinheit, die sich mit Osama bin Ladin befasste. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 fungierte er als deren Berater. Er ist einer der exponiertesten Persönlichkeiten der Terrorismusbekämpfung in den USA. Öffentlich bekannt wurde er 2004 als Anonymous, der Autor des Buches «Imperial Hubris», einer Abrechnung mit der US-Aussenpolitik. Scheuer lebt in der Nähe von Washington D.C. Er arbeitet dort als Dozent an der Georgetown-University und als Sicherheitsexperte für verschiedene Fernsehsender. Er ist Autor von:
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