km./rr. Am 7. September hat das deutsche Bundesverfassungsgericht 2 Klagen gegen die im Frühjahr 2010 vom Deutschen Bundestag beschlossene sogenannte Griechenlandhilfe und den sogenannten Euro-Rettungsschirm entschieden. Auch wenn es formal – wie schon beim Maastricht-Urteil – die Klage zurückgewiesen hat, enthält der Richterspruch deutliche Sätze zur Stärkung des Nationalstaates. Das Gericht verweist im wesentlichen darauf, dass der Gesetzgeber, somit der Deutsche Bundestag, handeln muss und die Verantwortung für sein Handeln trägt. Regierung, Bundestag, der einzelne Abgeordnete und die Bürger können sich eben nicht hinter dem Gericht verstecken. (Für Schweizer, die ausdrücklich kein Bundesverfassungsgericht wollen, weil der Bürger über allem steht, eine Selbstverständlichkeit).
Nach dem Gericht ist auch der Austritt aus dem Euro möglich. EU und Euro sind keine Schicksalsgemeinschaft. Das Gericht hält fest, dass es Sache des deutschen Parlaments ist, die Politik im Lande festzulegen. Das Gericht übernimmt hierfür die politische Verantwortung nicht.
Zu Recht wird kritisiert, dass das Gericht den Schutz des Eigentums, Artikel 14 Grundgesetz, des einzelnen Bürgers verweigert. Insoweit hält das Gericht die 170 Milliarden Euro für zulässig, wenn es denn die Parlamentarier so beschliessen. Eurobonds und eine europäische Wirtschaftsregierung sind dagegen nicht zulässig. Das dürften nicht einmal die deutschen Parlamentarier beschliessen, weil sonst die Souveränität Deutschlands verletzt wäre.
Der bislang geplante ESM verträgt sich nicht mit Punkt 3b der Leitsätze des Urteils. Dort heisst es nämlich: «Es dürfen keine dauerhaften völkervertragsrechtlichen Mechanismen begründet werden, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind. Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmassnahme des Bundes grösseren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im einzelnen bewilligt werden.» Gleich zu Beginn seiner mündlichen Urteilsbegründung hatte der Präsident des Gerichts gesagt, das Urteil dürfe «nicht fehlgedeutet werden in eine verfassungsrechtliche Blanko-Ermächtigung für weitere Rettungspakete».
Am 5. September, 2 Tage vor dem Urteil, berichtete die Zeitung «Die Welt» über eine aktuelle Umfrage des Forschungsinstituts Emnid. Deutsche Bürgerinnen und Bürger wurden gefragt: «Sind Sie der Meinung, dass die Euro-Schuldenkrise mit immer grösseren Rettungsschirmen dauerhaft gelöst werden kann?» 89 Prozent der Befragten antworteten mit «Nein».
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die am 29. September dem Gesetz zur Erweiterung der deutschen Garantiesumme und zur Ausweitung der Befugnisse der EFSF nicht zustimmen wollen, haben deshalb eine breite Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger des Landes. Am 5. September haben CDU/CSU und FDP in ihren Fraktionen probeweise abstimmen lassen. Das Ergebnis dieser Abstimmung war, dass Kanzlerin und Finanzminister für ihre Pläne im Bundestag keine Mehrheit finden werden, die sich auf ihre Koalition stützt. Von vielen deutschen Bürgern ist zu hören, wie wichtig es gerade jetzt sei, die Abgeordneten, die gegen eine weitere Ausweitung des sogenannten Euro-Rettungsschirms sind, zu unterstützen.
Auch in anderen europäischen Ländern wächst die Kritik an immer grösseren «Rettungsschirmen», der Politik der EU und der deutschen Regierung. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» veröffentlichte am 7. September ein Interview mit dem Vorsitzenden der slowakischen liberalen Regierungspartei «Sloboda a Solidarita» (drittstärkste Fraktion im Parlament) und derzeitigen slowakischen Parlamentspräsidenten, Richard Sulík.
Sulík rechnete vor, wie die Banken durch ihren vermeintlichen «Verzicht» bei der erneuten «Griechenlandhilfe» jährlich mehr als 500 Millionen Euro verdienen werden und dass die geplanten Milliardenbeträge nichts mit einer Solidarität mit Griechenland zu tun haben, sondern mit der Finanzierung von Banken. Zur desolaten Situation des Euro fügte er hinzu: «Der grösste Fehler ist, dass der Klub der Euro-Zone die eigenen Regeln missachtet – den Lissabon-Vertrag, die Maastricht-Kriterien, das Statut der EZB. Ich wundere mich darüber, wie frech man sich über diese Regeln hinwegsetzt und dass das so einfach durchgeht.»
In den ehemaligen Ostblockländern wächst die Ablehnung gegen eine nach immer mehr Macht strebende EU: «Die Regelungswut ist ja jetzt noch grösser als im RGW [der RGW war der Wirtschaftsblock des Ostblocks], und in den ehemaligen Ostblockländern steigt der Widerstand. Die EU wäre gut beraten, wegen einer Wirtschaftsregierung nicht alle Sympathien zu verspielen. Europa schöpft seine Kraft aus der Vielfalt und dem Wettbewerb. Jetzt wird versucht, alles zu vereinheitlichen. Wir sind aber nicht alle gleich.» •
1. Art. 38 GG schützt die wahlberechtigten Bürger vor einem Substanzverlust ihrer verfassungsstaatlich gefügten Herrschaftsgewalt durch weitreichende oder gar umfassende Übertragungen von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages, vor allem auf supranationale Einrichtungen. Die abwehrrechtliche Dimension des Art. 38 Abs. 1 GG kommt in Konstellationen zum Tragen, in denen offensichtlich die Gefahr besteht, dass die Kompetenzen des gegenwärtigen oder künftigen Bundestages auf eine Art und Weise ausgehöhlt werden, die eine parlamentarische Repräsentation des Volkswillens, gerichtet auf die Verwirklichung des politischen Willens der Bürger, rechtlich oder praktisch unmöglich macht.
2a) Die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand ist grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat. Der Deutsche Bundestag muss dem Volk gegenüber verantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheiden. Das Budgetrecht stellt insofern ein zentrales Element der demokratischen Willensbildung dar.
b) Als Repräsentanten des Volkes müssen die gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch in einem System intergouvernementalen Regierens die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten.
3a) Der Deutsche Bundestag darf seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen. Insbesondere darf er sich, auch durch Gesetz, keinen finanzwirksamen Mechanismen ausliefern, die – sei es auf Grund ihrer Gesamtkonzeption, sei es auf Grund einer Gesamtwürdigung der Einzelmassnahmen – zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne vorherige konstitutive Zustimmung führen können.
b) Es dürfen keine dauerhaften völkervertragsrechtlichen Mechanismen begründet werden, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind. Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmassnahme des Bundes grösseren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im einzelnen bewilligt werden.
c) Darüber hinaus muss gesichert sein, dass hinreichender parlamentarischer Einfluss auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln besteht.
4. Die Bestimmungen der europäischen Verträge stehen dem Verständnis der nationalen Haushaltsautonomie als einer wesentlichen, nicht entäusserbaren Kompetenz der unmittelbar demokratisch legitimierten Parlamente der Mitgliedstaaten nicht entgegen, sondern setzen sie voraus. Ihre strikte Beachtung gewährleistet, dass die Handlungen der Organe der Europäischen Union in und für Deutschland über eine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die vertragliche Konzeption der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes.
5. Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, für Gewährleistungen einstehen zu müssen, kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zu, der vom Bundesverfassungsgericht zu respektieren ist. Entsprechendes gilt auch für die Abschätzung der künftigen Tragfähigkeit des Bundeshaushalts und des wirtschaftlichen Leistungsvermögens der Bundesrepublik Deutschland.
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