Verletzung der parlamentarischen Demokratie

Verletzung der parlamentarischen Demokratie

Stellungnahme zur Position von Prof. Schachtschneider in «Zeit-Fragen» Nr. 33

von Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Heinrich Scholler

zf. Gerade in Zeiten (grosser) Krisen sind rationaler, sachbezogener Dialog, Stärkung und Erhalt der Demokratie für ein Volk die einzig wirkliche Möglichkeit, seine Lebensformen zu erhalten und seinen Willen durchzusetzen. Auch in Zeiten sich scheinbar überschlagender grosser Ereignisse ist daran zu erinnern, dass die Verfassungen der einzelnen Staaten, insbesondere das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, nach den schrecklichen Erfahrungen zweier Weltkriege in seiner Gesamtheit so abgestimmt und angelegt wurden, undemokratische und unmenschliche Abläufe und Veränderungen zu verhindern. In diesem Sinne ist in der derzeitigen Diskussion um die Euro-Zone und die EU sowie die Souveränität der Staaten die grundsätzliche Bedeutung der Demokratie mit allen ihren Möglichkeiten nicht aus dem Auge zu verlieren. Immerhin hat das Deutsche Bundesverfassungsgericht ebenfalls in diese Richtung entschieden. Das Haushaltsgesetz ist dabei immer schon – auch historisch – von grösster Bedeutung gewesen. Seine Ausgestaltung im Deutschen Grundgesetz kommt nicht von ungefähr. Hierauf weisen Professor Scholler und andere zu Recht hin. Es liessen sich viele weitere Aspekte und Möglichkeiten allein aus dem Deutschen Grundgesetz einbringen, die als Stärkung der Demokratie und des Staates gedacht sind und gerade jetzt darauf warten, von den Bürgern gebraucht zu werden. Wir stellen dazu ab der nächsten Ausgabe jede Woche eine Möglichkeit vor. Nächste Woche folgt die Gemeindeversammlung Art. 28 Abs. 1 GG.

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Grundsätzlich ist den schweren Bedenken hinsichtlich der Griechenlandhilfe des staats- und verfassungsrechtlichen Kollegen zuzustimmen, doch sind sie präziser zu begründen und sollten nicht einfach als generell demokratieproblematisch bezeichnet werden oder auch im wesentlichen als Verletzung der Eigentumsgarantie anzusehen sein, obwohl natürlich auch hier die geltend gemachten Bedenken bestehen. Entscheidend ist vielmehr die Verletzung der parlamentarischen Demokratie, insbesondere des durch Artikel 110 geschützten Haushaltsgesetzes. Auch für die Aufnahme sogenannter Rettungsschirme gilt nichts anderes als das in Artikel 110 vorgeschriebene Haushaltsgesetz, für das diese Verfassungsbestimmung folgendes vorschreibt:
«(1) Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind in den Haushaltsplan einzustellen; […]»
Der Haushaltsplan wird auf Anregung des Kabinetts vom Finanzminister und dem nahezu beratenden Parlamentsausschuss vorbereitet, um dann im Parlament wie ein Regelgesetz nach Art. 76 GG beschlossen zu werden. Es handelt sich bei diesen Haushaltsgesetzen um «staatsleitende Gesamtakte», wie dies in der Verfassungslehre formuliert wurde. Sie müssen daher vom Parlament beraten werden. Im Rahmen des europäischen Zusammenschlusses auf der Grundlage des Lissabon-Vertrages kommt es offenbar ständig zu Verfassungsbeschränkungen oder -verletzungen, weil bald einzelne europäische Regierungen oder europäische Finanzminister in Wettstreit und Konkurrenz zu den nach deutschem Recht zuständigen Organen treten, so dass ein schleichender Abbau deutscher Verfassungsrechtlichkeit zu beobachten und zu beklagen ist. Diesem Problem versuchte unlängst der Bundestagspräsident Lammert abzuhelfen, indem er ein Minimum an parlamentarischer Kontrolle anscheinend akzeptieren will. Hierzu lautet seine Auffassung nach Meinung der «Süddeutschen Zeitung» (27./28.8.2011) wie folgt: «Weder könne sich der Bundestag damit begnügen, eine unbefristete ‹Generalermächtigung› für die Mittelverwendung des Fonds zu erteilen, noch könnten vor jeder kleinen Einzelentscheidung im operativen Geschäft die Parlamente aller 17 Euro-Staaten gefragt werden.» Dadurch würde man aber doch die Kontrolleure, also das vom Volk gewählte Parlament, aus der Erfüllung der wichtigen staatsleitenden Aufgabe des zu kontrollierenden Gesamtaktes ausschalten. In der Praxis hat man dies getan und die Zustimmung mehr oder weniger auf einen Ausschuss übertragen oder abgewälzt, was natürlich einen eklatanten Verfassungsverstoss darstellt. Auch der Wunsch, eine Wirtschaftsregierung einzuführen, würde gerade diese Kontrollfunktion des Parlaments weiter schwächen und die ständige Überhöhung der administrativen Interventionen noch weiter verstärken. Es kann aber nicht nur dabei bleiben, das Parlament auf rein punktuelle Kontrollaufgaben zu beschränken. Ein staatsleitender Gesamtakt, der nur punktuell leitet, ist ein Widerspruch in sich selbst.
Natürlich gilt Artikel 110 auch für Fallschirme, weil Bürgschaften jederzeit auch in Anspruch genommen werden können, weshalb es auch nicht möglich ist, sich auf Solidarität zu berufen. Auch die Berufung auf Solidarität kann dort nicht eine Rolle spielen, wo die Verfassung eine strikte Bilanzierung von Einnahmen und Ausgaben vorschreibt. An dieser Stelle möchte ich auch dem Bundespräsidenten Wulff für seine Äusserung über die Unzulässigkeit des Verhaltens der Europäischen Zentralbank danken, der entgegen einer verkrampften Angst vor staatspräsidentieller Meinungsäusserung sich deutlich gegen den Ankauf von Staatsanleihen vor den Nobelpreisträgern in Lindau ge­äussert hat. Die Neutralität der Europäischen Zentralbank ist eine Garantie für die Solidarität gerade auf Gebieten der Geldpolitik, ohne welche eine Sicherung der europäischen Geldwirtschaft nicht möglich ist. Er hat auch zutreffend die Einführung der Euro-Bonds kritisch beurteilt, zumal sie sehr einseitig gerade Deutschland benachteiligen würden.    •

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