Verschiedene Moral- und Wertvorstellungen treiben ein Volk auseinander

Verschiedene Moral- und Wertvorstellungen treiben ein Volk auseinander

 

«Bildung ist immer noch kantonale Hoheit»

Interview mit Nationalrat Werner Messmer, FDP Thurgau

thk. Nationalrat Werner Messmer, ­Mitglied der FDP/TG, wurde 1999 erstmalig in den Nationalrat gewählt. Er ist diplomierter Baumeister, führt eine Baufirma und präsidiert seit mehreren Jahren den Schweizerischen Baumeisterverband. Werner Messmer gehört dem Petitionskomitee «gegen die Sexualisierung der Volksschule» (vgl. «Zeit-Fragen» vom 26.9.2011) an und ist entschieden gegen die schleichende Einführung eines Sexualkundeunterrichts, der sich nicht an den ethischen Grundsätzen unserer Kultur orientiert. Ohne öffentliche Debatte und demokratische Abstimmung darf solch ein Unterricht auf keinen Fall eingeführt werden. Im folgenden Interview legt er seine Beweggründe dar.

Zeit-Fragen: Herr Nationalrat Messmer, Sie gehören zum Petitionskomitee gegen den geplanten Sexualkundeunterricht und wehren sich gegen dessen Einführung. Was stört Sie daran?

Werner Messmer: Es ist interessant, wie heute in einer immer grösseren Breite über Werte, über Ethik und Moral geredet wird. Dabei stelle ich fest, dass immer weniger Leute wissen, welchen Massstab man anlegen will, wenn man über Werte und Moral redet. So existieren verschiedene Moral- und Wertvorstellungen, und das treibt ein Volk, ein Land auseinander. Ich gehöre zu denjenigen, die sagen, wir hatten eine erfolgreiche Vergangenheit, die auf der christlichen Kultur und auf der christlichen Moral und Ethik aufbaut. Das ist für mich nach wie vor das Fundament, auf welchem wir uns finden sollten, auf das wir uns einigen müssen. Das ist unsere Kultur, und darauf bauen wir auf. Das heisst natürlich, dass wir die Werte und die Ethik auch übernehmen und leben sollen. Wenn ich das von dieser Seite aus betrachte, dann sind so Vorstellungen wie «die freie Sexualität» und «jeder kann sich entwickeln, wie er will» – das hängt natürlich auch mit der antiautoritären Erziehung zusammen – ganz klar abzulehnen. Das müssen wir verhindern. Da müssen wir versuchen, wieder etwas zurückzugehen zu einer Ordnung, in der wir Leitplanken aufstellen. Innerhalb dieser Leitplanken hat sich eine Lebensentwicklung bewährt, und diese Lebensentwicklung wollen wir auch fördern.

Da spielt doch die Erziehung eines jungen Menschen eine entscheidende Rolle.

Dazu gehört natürlich die Frage, wie wir unsere Kinder erziehen. Sicher ist es schade, dass hier immer mehr Eltern versagen. Aus diesem Grund hat die Schule eine um so wichtigere Aufgabe. Ich bin 16 Jahre Schulpräsident gewesen und habe immer wieder den Standpunkt vertreten, die Schule sei nicht nur dazu da, Wissen zu vermitteln, sondern sie muss auch ein grosses Stück dazu bereit sein, eine Erziehungsaufgabe zu übernehmen. Keine andere Institution ausser dem Elternhaus hat das Kind so lange Zeit bei sich und kann es so stark beeinflussen. Darum stellt sich doch die Frage: Wollen wir die Schule sich so entwickeln lassen, wie es ein paar wenige wollen, oder nehmen wir dort unsere demokratischen Rechte wahr und verlangen hier unsere Mitsprache, und zwar darüber, wie die Schule ihre Aufgabe wahrnimmt. Dabei geht es nicht nur um den vermittelnden Bereich von Wissen, sondern auch um den erzieherischen Bereich. Dazu gehört dann auch die Frage, nach welcher Grundphilosophie wir unsere Kinder aufwachsen lassen wollen. Wenn ich auf unsere christlichen Werte und Grundhaltungen zurückgehe, dann gehört Erziehung im wahrsten Sinne des Wortes dazu. Wir müssen unsere Kinder mit Moral und Ethik erziehen, die unseren christlichen Grundwerten entsprechen. Wie weit man mit seinem Glauben gehen will, ist Sache jedes einzelnen. Das muss jeder selbst wissen, aber als Fundament muss das für uns Geltung haben. Darum setze ich mich ein und unterstütze die Petition.

Welche Gefahren sehen Sie?

Bei der antiautoritären Erziehung heisst es doch, jeder soll sich seinen Neigungen entsprechend entwickeln. Das führt zu einem Egoismus und dazu, dass man nicht mehr aufeinander Rücksicht nimmt und dass ich nur noch das mache, was ich gerade empfinde. Das spüren wir natürlich auch ein Stück weit in der Politik. Die Schweiz ist das, was sie ist, weil man immer miteinander das Ziel erreicht hat. Man hat gesagt, jeder muss bereit sein, auf den anderen zuzugehen. Diese Art von Erziehung, bei der ich erst einmal herausfinden muss, ob ich eher zu den Mädchen oder zu den Buben neige – und je nachdem, was ich empfinde, probiere ich mal ein bisschen aus, da bleibe ich halt links oder rechts hängen –, führt zu einem Menschenbild, das sich selbst nicht mehr einordnen und nicht mehr orientieren kann. Das führt zu einer Gesellschaft, die damit auch ihren Zusammenhang verliert. Das ist jetzt zwar ein grosser Bogen, aber letztlich ist es genau das.

Sie haben es bereits angedeutet, dass die Familie etwas Wichtiges für die Wertesetzung ist. Diese Haltung, diese egoistische Einstellung, wie Sie sie vorher beschrieben haben, führt letztlich zu einer Zerstörung der traditionellen Familie und damit auch zur Zerstörung wichtiger kultureller Grundlagen.

Wir müssen natürlich feststellen, dass immer mehr Eltern nicht mehr in der Lage sind, sich genügend Zeit für ihre Kinder zu nehmen, und das ist eine tragische Entwicklung. Obwohl das so ist, dürfen wir dem nicht nachgeben. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass allen klar wird, wenn man Kinder auf die Welt stellt, gehört es zum Leben eines Elternteils, sich vorwiegend den Kindern anzunehmen. Es ist fraglich, ob beide Elternteile unbedingt arbeiten gehen sollen. Es gibt natürlich auch Situationen, in welchen das nötig ist. Aber sich so zu organisieren, dass man weiss, 10 bis 15 Jahre haben die Kinder Priorität, muss wieder zum Normalfall werden. Die Familie ist und bleibt das Fundament und der Kern einer gesunden Gesellschaft. Ich bin nicht einer, der modernen Entwicklungen im Weg steht, wenn beide Elternteile Arbeit suchen, aber es wird häufig übertrieben. Ich habe etwas dagegen, wenn beide Teile 100 Prozent arbeiten, das Kind am Morgen abgeben und am Abend wieder holen. Man muss dann auch nicht erstaunt sein, wenn das Kind sozusagen keine Werte von zu Hause mitbekommt. Die Familie hat für mich nach wie vor die zentrale Funktion in der Gesellschaft.

Bei der geplanten Sexualerziehung haben wir doch die Situation, dass der Staat in eine ­familiäre Aufgabe, letztlich in die Privatsphäre eingreift. Wie sehen Sie das?

Ich habe nichts dagegen, dass der Staat sich immer wieder Gedanken macht. Er hat sogar die Pflicht, sich zu überlegen, ob wir grundsätzlich auf dem richtigen Kurs sind, wo es Anpassungen braucht und wo nicht. Aber in diesem delikaten Bereich muss das demokratisch ablaufen. Das ist auch der Grund, warum ich mich dort engagiere. Es darf nicht an den ordentlichen demokratischen Rechten vorbeigehen. Das heisst, die kantonale Regierung muss das Thema behandeln, es muss im Kantonsrat behandelt werden. Bildung ist immer noch kantonale Hoheit. Und dadurch kann ein demokratischer Prozess in Gang kommen, in dem die Bevölkerung am Ende zu entscheiden hat. Ich habe nichts dagegen, wenn jemand vorausdenkt. Aber das, was er denkt, muss durch die Demokratie getestet werden. Es darf nicht sein, dass es an der Demokratie vorbeigeschleust wird und am Schluss ein Schulprogramm besteht, das wir Eltern nicht haben wollen.
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Sexualaufklärung in die Familie und nicht in die Schule gehört. Doch was geschieht in Familien, wo das nicht mehr geleistet wird? Da glaube ich, muss die Schule die Grösse und die Geschicklichkeit haben und die Lücken füllen, nicht um die Führung zu übernehmen, sondern um die Mängel auszugleichen. Das ist anspruchsvoller als zu sagen, wir übernehmen die Führung und wir sind dazu da, auch Sexualaufklärung zu machen.

Das Konzept des Sexualkundeunterrichts orientiert sich nicht im geringsten an den Eltern, die nicht in der Lage sind, ihren Kindern eine Orientierung zu geben. Hier wird versucht, den Eltern das Heft aus der Hand zu nehmen. Soweit dürfen wir es nicht kommen lassen.

Nein, das ist klar, grundsätzlich bleibt die Sexualaufklärung bei Vater und Mutter. Aber wir müssen auch an die denken, die das nicht leisten können. Deshalb besteht diese delikate Aufgabe, die wir lösen müssen, damit die Schule im Sinne des Lückenfüllers sich überlegen kann, wie gestalten wir, ohne uns dort einzumischen, wo es in der Familie noch funktioniert. Und das ist eine sehr schwierige Aufgabe.
Ich bin nach wie vor der Meinung, die Mehrheit wird noch gesund erzogen, es ist nur eine Minderheit, die hier Unterstützung braucht.

Aber die Unterstützung darf nicht so aussehen, wie es für den Sexualkundeunterricht geplant ist.

Nein, auf keinen Fall. Wir müssen uns, wie ich es schon vorher gesagt habe, auf unsere christlichen Grundwerte zurückbesinnen und uns einigen, dass das die Ausgangslage ist. Dann steht auch die Familie wieder im Mittelpunkt. Dann ist auch wieder Sinn und Zweck eines Menschen im Mittelpunkt. Und die Sexualität steht dann im Zentrum dieser Familienpolitik und trägt zum Erhalt der Familie bei.

Herr Messmer, vielen Dank für das Gespräch.    •

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