von Franz-Joseph Huainigg, Abgeordneter zum Nationalrat, Medienpädagoge, Kinderbuchautor und ÖVP-Behindertensprecher
zf. Als einen Schlag ins Gesicht behinderter Menschen empfindet Franz-Joseph Huainigg die Vergabe des Ethikpreises im Juni 2011 an Peter Singer. Er fordert eine Neudefinierung der Ethik und mehr Menschenwürde.
Die Ethik ist in Schieflage geraten, in Deutschland wie auch in Österreich. Man möchte meinen, dass sich Ethiker auf der Seite des Lebens befinden und sich für diese Werthaltung engagieren. Dem ist aber nicht so! In Deutschland wurde dieser Tage der australische Moralphilosoph Peter Singer, Professor für Bioethik an der Universität Princeton, mit dem Ethik-Preis der Giordano-Bruno-Stiftung ausgezeichnet. Ein harter Schlag ins Gesicht behinderter Menschen, wenn man die Ethikvorstellungen von Singer kennt: Er stellt Kriterien für das Lebensrecht auf. Ein nichtbewusstes Wesen ist beispielsweise ein Fisch. Bewusste Wesen sind gleichermassen Tiere und menschliche Embryonen ab der 18. Schwangerschaftswoche. Selbstbewusste Wesen sind Menschen ab etwa 9 Monaten, sofern ein Verstand nachweisbar ist. Geistig behindert geborene Kinder verfügen gemäss Singer nicht über diesen Verstand, sind keine selbstbewussten Wesen, haben keinen Personencharakter und daher auch kein Recht auf Leben.
Während er behinderten Kindern das Lebensrecht abspricht, fordert er gleichermassen Menschenrechte für Tiere, wenn er schreibt, dass «deren Leben nach jedem Massstab wertvoller ist als das Leben gewisser Menschen. Ein Schimpanse, ein Hund oder ein Schwein etwa wird ein höheres Mass an Bewusstsein seiner selbst und eine grössere Fähigkeit zu sinnvollen Beziehungen mit anderen haben als ein schwer zurückgebliebenes Kind oder jemand im Zustand fortgeschrittener Senilität. Wenn wir also das Recht auf Leben mit diesen Merkmalen begründen, müssen wir jenen Tieren ein ebenso grosses Recht auf Leben zuerkennen oder sogar ein noch grösseres als den erwähnten zurückgebliebenen oder senilen Menschen.» (Singer, «Befreiung der Tiere», München 1982, S. 40)
Singer definiert als Utilitarist jegliches Glück eines Menschen mit dessen Nutzen für die Gesellschaft. In seiner Philosophie über Glück geht er sogar so weit, dass er die Tötung von schwerbehinderten Kindern in manchen Fällen als gerechtfertigt ansieht, etwa wenn man mit dem Geld, das für die Pflege eines schwerbehinderten Säuglings nötig ist, in anderen Weltgegenden das Leben vieler Kinder retten könne. Natürlich muss man durch die Entwicklungszusammenarbeit benachteiligten Kindern in anderen Ländern helfen. Aber ist das die Rechtfertigung dafür, ein behindertes Kind zu töten? Mit dieser Kosten-Nutzen-Rechnung muss Singer auf die gleiche Linie wie Euthanasie-Befürworter des Dritten Reiches gestellt werden.
Die nachfolgende Rechnung könnte von Peter Singer stammen, wurde aber von Psychiater Prof. Hoche Anfang der 1920er Jahre aufgestellt und bildete die Grundlage für die Vorgangsweise der Nationalsozialisten: «Es ergibt sich, dass der durchschnittliche Aufwand pro Kopf und Jahr für die Pflege der Idioten bisher 1300 Mark betrug. Die Frage, ob der für diese Kategorie von Ballastexistenzen gerechtfertigt sei, war ja in den verflossenen Zeiten des Wohlstandes nicht dringend, jetzt ist es aber anders geworden, und wir müssen uns ernstlich damit beschäftigen. Das moderne Streben, möglichst auch die Schwächlinge aller Sorten zu erhalten, muss man sich doch erst einmal leisten können.»
Wir erleben heute nicht nur einen meteorologischen Klimawandel, sondern auch einen bedenklichen gesellschaftspolitischen. Euthanasie wird offen diskutiert in Form der aktiven Sterbehilfe am Ende und am Beginn des Lebens. Ethikkommissionen stellen dagegen kein Bollwerk dar. So hat sich die österreichische Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt angesichts der Debatte rund um das «Kind als Schadensfall» nicht einmal getroffen, sondern hat sich in einem Umlaufbeschluss einstimmig gegen jegliche Gesetzesänderung ausgesprochen – ohne jedoch alternative Lösungsansätze vorzuschlagen. Solche Beschlüsse entstehen durch einseitig ideologisch geprägte Informationen und aus dem Bestreben, möglichst modern, liberal und zeitgeistig zu sein.
Ebenso liest man in vorauseilendem Gehorsam den machthabenden Politikern die Wünsche von den Augen ab. Der Schauspieler Tobias Moretti hielt 2007 auf Schloss Hartheim eine viel beachtete Rede zu «Sinn und Schuldigkeit», in der er vor der «neuen Ethik» warnt: «[…] das, was früher Sozialhygiene hiess, ist heute Gesundheitsökonomie – überspitzt formuliert. […] Solange die Menschen von einem christlich-humanistischen Weltbild getragen werden, sollte man über das Lebensrecht eines Menschen nicht diskutieren müssen, weder eines alten noch eines behinderten, es gibt keinen Rechtfertigungs-, also keinen Erklärungszwang. – Aber mittlerweile gibt es ihn eben doch. Der, der nicht unmittelbar glücklich ist, vermindert das Glück von uns, der Gesellschaft. […] Wie soll man heute der Zukunftsgeneration, die selber um ihre Existenzberechtigung kämpft, weil sie nur kostet, erklären, dass es eine Gesellschaft reicher macht, Platz zu haben für das nicht Normale.» (zit. aus: Franz-Joseph Huainigg, «Auf der Seite des Lebens», Wien 2007, S. 99)
Die Preisverleihung an Peter Singer ist kein einmaliger Unfall. Es «singert» landauf und landab, und damit ist europaweit eine schleichende Aushöhlung der Menschenwürde verbunden. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist Fundament der Menschenrechte. Stabilisieren wir diese Säule der Demokratie, indem wir die Menschenwürde in der österreichischen Bundesverfassung verankern, indem wir im Gedenken an die Nazi-Zeit auch deren Vernichtungsprogramm von behinderten Menschen stärker in Erinnerung rufen und indem wir Sorge treffen, dass unser Bildungssystem den Jugendlichen den Wert des Lebens vermittelt. Last but not least muss auch die Besetzung der Bioethikkommission auf neue Beine gestellt werden: nicht mehr das Bundeskanzleramt sollte die Mitglieder nominieren, sondern der Menschenrechtsausschuss des Parlaments, der Verfassungsgerichtshof sowie die Volksanwaltschaft. •
sf. Unter Schirmherrschaft des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler zeigte das Deutsche Hygiene-Museum Dresden im Jahre 2007 eine Ausstellung des United States Holocaust Memorial Museums mit dem Titel «Tödliche Medizin:
Rassenwahn im Nationalsozialismus». Auszüge aus dem Begleittext zur Ausstellung1 sollen zeigen, wohin ideologische und/oder ökonomische Instrumentalisierung von Naturwissenschaft führen kann. Was relativ harmlos begann und euphemistisch verschleiert wurde, entpuppte sich binnen weniger Jahre als mörderischer Ausrottungsprozess gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft. Ein Vorgang, der sich in der heutigen krisengeschüttelten, vom falschen materialistischen Menschenbild des Homo oeconomicus ausgehenden Zeit je nach Zuspitzung der Lage wiederholen könnte – siehe die obenstehenden Ausführungen von Franz-Joseph Huainigg zur menschenverachtenden Ideologie eines Peter Singer –, wenn die Bürger in Kenntnis der historischen Präzedenzfälle dies nicht frühzeitig stoppen!
Die Ausstellungsmacher des United States Holocaust Memorial Museums nennen die historischen Zahlen: «Von 1933 bis 1945 ermordeten die Nationalsozialisten mehr als 200 000 Menschen im Zuge sogenannter ‹Euthanasie›-Massnahmen, 400 000 wurden Opfer von Zwangssterilisationen.» Und fahren dann wie folgt fort: «Mit der Hilfe von Ärzten, Medizinern und Anthropologen wurde eine Gesundheitspolitik entwickelt, die mit der Sterilisation von vermeintlich ‹erblich minderwertigen› Menschen begann, zum Massenmord an ‹lebensunwertem Leben› führte und zugleich die Voraussetzungen für die Ermordung der europäischen Juden schuf.» Nach der Feststellung, dass in den zwanziger Jahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern die Vorstellung von «Rassenhygiene» unter dem Begriff «Eugenik» breiten Zuspruch fand, wird betont: «Nach 1929 führte die wirtschaftliche und politische Krise in der Weimarer Republik dazu, dass auch eine ‹negative› Ausrichtung der Eugenik Zustimmung fand. Eugenisch begründete Sterilisationen stiessen trotz kontinuierlicher Proteste aus verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen zunehmend auf das Interesse der Regierung. Zugleich gewann die Vorstellung von der ‹nordischen Rasse› als dem eugenischen und rassischen Ideal immer mehr Anhänger und wurde insbesondere von der Nationalsozialistischen Partei Hitlers verstärkt propagiert.
Nach der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 und der Errichtung der von Polizeigewalt gestützten NS-Diktatur wurden Regimekritiker zum Schweigen gebracht. Die Ideen der Eugenik wurden in einem nie vorher gesehenen Umfang in der nationalsozialistischen Gesundheits- und Rassenpolitik umgesetzt. Neue Sterilisations- und Ehegesetze griffen auf früheres Gedankengut zurück. Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen oder mit Krankheiten, die man als vererbbar und als eine Bedrohung für die ‹Volksgesundheit› ansah, wurden registriert und ausgesondert. Ins Visier der Rassenhygieneprogramme gerieten zugleich auch Juden und andere Minderheiten, die als ‹fremdrassig› galten. […]
Als erste grosse rassenhygienische Massnahme erliess das NS-Regime am 14. Juli 1933 das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Dr. Arthur Gütt, Arzt und Leiter der Abteilung Volksgesundheit im Reichsministerium des Innern, und Dr. Ernst Rüdin, Psychiater und Mitbegründer der deutschen Rassenhygienebewegung, halfen bei der Formulierung dieses Zwangssterilisationsgesetzes. Als Grundlage diente ein früherer Gesetzesentwurf zur freiwilligen Sterilisation.
Schätzungsweise 400 000 Deutsche wurden zwischen 1933 und 1945 zwangssterilisiert. Die Entscheidung zur Sterilisation wurde mit einem von neun Leiden begründet, die im Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses aufgeführt wurden: ‹angeborener Schwachsinn›, Schizophrenie, manische Depression, erbliche Epilepsie, Huntington-Krankheit (eine vererbbare Nervenkrankheit), genetisch bedingte Blind- und Taubheit, schwere angeborene körperliche Missbildung und chronischer Alkoholismus.»
Mit Ausbruch des Krieges und in dessen Schatten begann dann das, was sich in «normalen» Zeiten kaum jemand vorstellen mag, auch nicht die Deutschen und die westlichen Appeasement-Politiker damals zwischen 1933 und 1939: der gross angelegte Massenmord an den zuvor statistisch erfassten Schwächsten der Gesellschaft: «Der Zweite Weltkrieg diente als Vorwand und Deckmantel für die Tötung ‹Unerwünschter›, die man zuvor aus der Gesellschaft ausgesondert und an der Familiengründung gehindert hatte. Unter Berufung auf die schon in den 1920er Jahren von Ärzten und Juristen benutzten Argumente rechtfertigten die Nationalsozialisten die Mordaktionen als ‹Euthanasie› oder ‹Gnadentod›. Hunderte von Anstaltsdirektoren, Kinderärzten, Psychiatern, Hausärzten und Krankenschwestern beteiligten sich an der Durchsetzung dieser Programme.
Die ersten Opfer waren die schwächsten Mitglieder der deutschen Gesellschaft: körperlich oder geistig behinderte Neugeborene und Kinder. Das Reichsinnenministerium wies Hebammen und Ärzte an, schwere Geburtsfehler zu melden. Drei Fachärzte begutachteten jeden Fall und entschieden über Leben oder Tod der Kinder. Zwischen 1939 und 1945 wurden mehr als 5000 Jungen und Mädchen in über 30 sogenannten ‹Kinderfachabteilungen› in Anstalten und Kliniken von Ärzten und Pflegepersonal ermordet. […]»
Die ersten Opfer waren die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, schreiben die US-Forscher. Die Folgen, das millionenfache Ermorden unschuldiger Menschen auf Grund rassistisch motivierter Wahnideen, wie sie unter anderen Timothy Snyder in seinem Werk «Bloodlands» eindringlich schildert, sind bekannt.
Und heute? Aus der Geschichte zu lernen, heisst das nicht, Ansätze von Inhumanität frühzeitig erkennen zu können? Um ihnen einen Stopp zu setzen und es gar nie wieder so weit kommen zu lassen?
1 Deutsches Hygiene-Museum Dresden, <link http: dhmd.de external-link-new-window>dhmd.de/index.php
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