«Die Amerikaner wollen alles haben, ohne etwas zu geben»

«Die Amerikaner wollen alles haben, ohne etwas zu geben»

Interview mit Dmitri Rogozine, dem russischen Botschafter bei der Nato, geführt von Boris Mabillard

Die Russen drohen lautstark, ihrerseits geostrategische Raketen aufzustellen, wenn die Amerikaner nicht auf ihren Raketenabwehrschild verzichten. Die ganze Woche über haben sich erregte und beruhigende Erklärungen abgewechselt. Ende 2010 beschlossen, gewinnt dieses ehrgeizige amerikanische Programm nun zusehends an Schlagkraft. Ziel ist es, den Raketenabwehrschild 2018 in Betrieb zu nehmen. Mehrere Länder in der Nähe Russlands haben sich kürzlich bereit erklärt, auf ihrem Territorium Radarschirme oder Abwehrraketen aufzustellen. Die Aufstellung eines Radars in der Türkei, der einen Teil des russischen Territoriums abdecken könnte, ist der Tropfen, der für Moskau das Fass zum Überlaufen bringt. Als Vergeltungsmassnahme hat Russland gedroht, neue Raketen in der Enklave Kaliningrad zu stationieren. Eine Rhetorik, die uns in den kalten Krieg zurückführt.    
    Dmitri Rogozine, russischer Botschafter bei der Nato in Brüssel, der sich derzeit anlässlich eines vom Zentrum für Sicherheitspolitik Genf (GCSP) organisierten Kongresses, in Genf aufhält, hat sich zu einem Gespräch mit «Le Temps» bereit erklärt. Dieser Diplomat, ein freundlicher und höflicher Hüne, ist eine bedeutende Persönlichkeit: Da er Wladimir Putin sehr nahesteht, gilt er als eventueller nächster Verteidigungsminister nach den Präsidentschaftswahlen im März nächsten Jahres.

Le Temps: Sind Sie auf dem Weg zu einer Einigung im Hinblick auf den Raketenabwehrschild?

Dimitri Rogozine: Unsere Verhandlungspartner verlangen von uns Kompromisse, obwohl wir nicht die Initianten des Projekts sind. Wenn französische Architekten mitten im See einen riesigen blauroten, mit Kanonen bestückten Turm bauen würden, wären dann die Genfer zufrieden? Als Architekten eines umstrittenen Projekts müssen die Amerikaner der Meinung der betroffenen Länder Rechnung tragen, in diesem Fall derjenigen Russlands. Wir wollen auf unsere Fragen echte Antworten, nicht nur herablassendes Lächeln.

Hillary Clinton hat geantwortet, dass der Abwehrschild nicht gegen Russland, sondern gegen Iran gerichtet sei.

Was immer wir auch tun, unsere europäischen Nachbarn spenden uns nie Applaus, genauso wenig verlieren sie nette Worte über uns. Ich habe die Art und Weise, wie man uns karikiert, studiert, es ist immer dieselbe: ein ungehobelter Bär. Wir haben uns bereits an den Gedanken gewöhnt, dass Moskau von Bären bevölkert ist. Aber wir wollen wenigstens nicht für dumm verkauft werden. Wieso also geben die Amerikaner vor, dass sie sich mit tausend Raketen in der Ostsee vor der iranischen Bedrohung schützen? Unsere amerikanischen Freunde – und in diesem Kontext lässt mich das Wort Freunde schmunzeln – machen aus ihrem Abwehrschild eine Anakonda, die den russischen Bären erwürgen soll; dieser wird sie aber in Stücke reissen und fressen.

Haben Sie begonnen, in Kaliningrad Raketen zu stationieren?

Nein, aber wir sind bereit, es zu tun, wenn die Amerikaner unseren Standpunkt nicht einbeziehen.

Welche Auswirkung wird diese Uneinigkeit auf die anderen Nato-Angelegenheiten haben?

Unsere ganze Zusammenarbeit mit der Nato hängt vom Abwehrschild ab. Wenn wir uns da nicht einigen, werden wir uns über gar nichts einig. Was Afghanistan betrifft, zeigen die Amerikaner uns gegenüber keinerlei Respekt: Sie wollen alles haben, ohne etwas zu geben. Wir wollen wissen, was nach dem Abzug der Nato-Truppen 2014 geschieht. Werden die Amerikaner Militärbasen behalten? Auch da antworten sie nur mit einem Lächeln. Wir helfen der Nato, ihre Truppen zu versorgen, indem wir den Transit und den Überflug über unser Territorium erlauben. Wir wollen als echter Partner der Nato angesehen werden. Das Versagen der Politik zur Vernichtung des Mohnanbaus in Afghanistan hat Konsequenzen für Russland, wo es 30 000 Drogensüchtige gibt. Aber die Amerikaner begnügen sich damit, unsere legitimen Fragen mit einem Lächeln zu quittieren. Der Bär ist das unberechenbarste Tier: Man kann lange vor ihm Faxen machen. Irgendwann schlägt er zu.

Die syrische Opposition bittet die internationale Gemeinschaft, mehr gegen Bachar el-Assad zu tun. Hätte eine militärische Operation die Unterstützung Russlands?

Das, was in Libyen passiert ist, kommt einer Tragödie und einem Verbrechen gleich. Wir sympathisierten nicht mit Muammar Gaddafi, aber darum ging es nicht. Wozu eine Resolution annehmen und der Nato ein Mandat geben, wenn dann doch alle Inhalte der Resolution missachtet werden? Sie hatten versprochen, keine Waffen zu liefern, sie haben es getan. Sie hatten versprochen, keine Bodentruppen einzusetzen, sie haben es getan. Sie hatten versprochen, sich strikt an den Schutz der Zivilbevölkerung zu halten, sie haben es nicht getan.

Und wenn die internationale Gemeinschaft Ihnen Garantien gäbe?

Wie soll man der Nato wieder vertrauen, wenn sie in Libyen ihre Versprechen nicht gehalten hat? Russland will nicht zwischen den Tyrannen und al-Kaida wählen. Der arabische Frühling bietet keine anderen Alternativen.    •

Quelle: Le Temps vom 10.12.2011
(Übersetzung Zeit-Fragen)

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