Schweigen oder aufrecht hinstehen?

Schweigen oder aufrecht hinstehen?
mw. Was sollen aufrechte Bürger tun, wenn sie auf Missstände im Staatswesen stossen? Die Schweiz ist wie jedes andere Land auf die konstruktive Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen, deren grosse Mehrheit ihr Brot durch ehrliche Arbeit erwirbt und die mit ihren Steuern das Funktionieren des Staates überhaupt erst ermöglicht. Es gehört gerade zu den Bürgerpflichten, sich zu Wort zu melden, wenn eine Staatsstelle nicht sorgsam und haushälterisch mit den Steuergeldern umgeht. Wir leben in einer Zeit, in der die westliche Welt mit aus dem Nichts geschaffenen Milliardenbeträgen um sich wirft, um immer grössere Staatsschuldenlöcher zu stopfen, die trotzdem weiter wachsen. Wir leben in einer Zeit, in der man sich als Familienvater, der mit seinem Arbeitslohn eine Familie zu ernähren hat, oder als sparsame Hausfrau beinahe etwas merkwürdig vorkommt, wenn man sich darum bemüht, sein Haushaltsbudget einzuhalten und noch etwas für schlechtere Zeiten auf die Seite zu legen, während Grossfinanzkonzerne und Hedgefonds durch Spekulationseinsätze unserer Spargelder Riesengewinne anhäufen oder aber enorme Summen verlieren und sich diese durch die Steuerzahler ersetzen lassen. Was also sollen aufrechte Bürger angesichts dieser fast unentwirrbaren Lage tun? Resigniert wegschauen, wenn sie im Kleinen auf Misswirtschaft im Staatswesen stossen – oder mutig hinstehen und sich nicht zum Schweigen bringen lassen?
Die Geschichte der beiden Controllerinnen im Sozialamt der Stadt Zürich rauschte im Jahre 2007 durch den Schweizer Medienwald. Über Jahre hatten die zwei Mitarbeiterinnen versucht, ihre Arbeit seriös zu verrichten, die darin bestand, die bezogenen Sozialleistungen zu überprüfen und Ungereimtheiten sowie missbräuchliche Bezüge den zuständigen Stellen im Sozialamt zu melden. Dabei muss­ten sie feststellen, dass zahlreiche der von ihnen entdeckten Mängel – bis gegen 80% der Fälle waren mangelhaft! – in einer Schublade landeten und nie untersucht wurden. Die Unklarheiten, die vom Sozialamt hätten geklärt werden müssen, reichten von fehlenden Belegen über versteckte Vermögenswerte der Sozialbezüger (teure Autos, lange oder häufige Auslandreisen, Liegenschaften im Ausland) bis zu Arztrechnungen, die vom Sozialamt bezahlt wurden, obwohl der Versicherte die Leistungen der Krankenkasse bezogen hatte. Viele Sozialgeldbezüger lebten in Wirklichkeit gar nicht in Zürich, sondern im Ausland, andere verschwiegen, dass sie nebenbei noch ein Arbeitseinkommen bezogen – um nur eine kleine Auswahl der im Buch ausführlich beschriebenen Fälle zu nennen.
Nach vielen vergeblichen Versuchen der beiden Mitarbeiterinnen, eine seriöse Abklärung der Missstände zu fordern, und nachdem sie sich mehrmals ohne Erfolg bei ihrem Vorgesetzten beschwert hatten, wendeten sie sich schliesslich in der Not an einen Weltwoche-Redaktor und übergaben diesem Aktenbeispiele mit unkenntlich gemachten Personalien. Dieser, Alex Baur, veröffentlichte 2007 mehrere Artikel unter Verwendung dieser Akten. Unmissverständlich zeigte der Autor auf, dass nicht nur das Erschleichen und Missbrauchen von Sozialgeldern aus der Steuerkasse an den Pranger zu stellen sei, sondern insbesondere auch die Tatsache, dass die Damen und Herren im Sozialamt den Mängeln nur sehr unzulänglich nachgegangen sind. Statt dass Monika Stocker (Grüne Partei) sich für die Zustände in ihrem Amt entschuldigte, wurden die beiden Frauen fristlos entlassen.
Alex Baur: «Eigentlich ging es mir weniger um den Missbrauch der Fürsorge, der nun in aller Munde war, sondern vielmehr um deren Gebrauch. Der Unterschied mag semantisch anmuten, doch er ist fundamental. Der Fürsorgegedanke ist in der Schweiz tief verwurzelt und hat eine lange Tradition. Dafür ist auch die Sozialhilfe da. Fatal ist aber ein System, das im Namen des Sozialen asoziales Verhalten fördert und schützt. Die Betrüger sollten ihre gerechte Strafe erhalten (was leider selten passiert). Besser wäre es aber, dass man es nicht so weit kommen liesse.» (Seite 17)
Was also ist nicht recht daran, wenn zwei aufrechte Bürgerinnen dazu beitragen wollen, «dass man es nicht so weit kommen lässt»?     •
Quelle: Störfall im Sozialamt, Ulm 2011,
ISBN 978-3-907668-88-7

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