Blair wollte Saddams Sturz

Blair wollte Saddams Sturz

Eingeständnisse vor der Irak-Kommission in London

pra. London. Während kaum noch jemand vom abgewählten Premierminister Brown spricht, zieht dessen Vorgänger Blair die britische Öffentlichkeit weiterhin in seinen Bann. Am Freitag musste sich Blair zum zweiten Mal der unabhängigen Expertenkommission zum Irak-Krieg stellen. Während mehr als vier Stunden wurde er von einer diesmal gut informierten und hartnäckigeren Kommission befragt. Im Zentrum stand erneut die Frage, warum Blair im März 2003 an der Seite des amerikanischen Präsidenten Bush in jenen Krieg gezogen war, den heute viele Briten als demütigendes Debakel empfinden.
Frühzeitig und eigenmächtig
Zwar liess der Politiker dank seiner Erfahrung, dem rhetorischen Talent und einer gründlichen Vorbereitung alle juristisch gefährlichen Fragen an sich abprallen. Doch die Befragung erhärtete den Eindruck, dass Blair unter dem Einfluss Bushs den Kriegseintritt frühzeitig und eigenmächtig beschlossen hatte.
Dieser Eintritt musste später dem Kabinett, dem Parlament und den Medien vermittelt werden, wobei nicht immer mit offenen Karten gespielt wurde. Darauf deuteten unter anderem zwei neue Erkenntnisse hin. Erstens kam ein internes Memorandum von Blair an seinen damaligen Stabschef Jonathan Powell zum Vorschein, das vom April 2002 datiert, als Blair Bush auf dessen Ranch in Texas möglicherweise die später stets abgestrittene bedingungslose Zusage zur Kriegsbeteiligung gab. Blair erklärte, Labour müsste im «Sinne der Fortführung einer politischen Philosophie, die sich um andere Nationen kümmere – zum Beispiel Kosovo, Afghanistan, Sierra Leone – fanatisch für eine Entmachtung Saddams» sein. Zudem räumte Blair ein, Bush habe seit dem Anschlag vom 11. September 2001 einen Regimewechsel im Irak angestrebt. Er bestätigte auch, er habe Bush zugesichert, Grossbritannien werde an der Seite Amerikas stehen, und er, Blair, werde sich nicht durch interne politische Bedenken davon abhalten lassen. Allerdings betonte Blair, er habe gleichzeitig darauf gedrängt, vor einem Angriff eine entsprechende Resolution des Uno-Sicherheitsrates anzustreben. Die zweite Enthüllung betrifft die Aussage des damaligen Generalstaatsanwalts Gold­smith, er habe noch im Januar 2003 Blair warnend darauf hingewiesen, ein Kriegseintritt ohne neues Uno-Mandat wäre illegal. Blair behielt diese Einschätzung für sich. Während die Kriegsvorbereitungen auf Hochtouren liefen, erklärte er dem Kabinett und dem Parlament, es gebe keine Bedenken. Erst kurz vor Kriegsbeginn, vermochten Blair und die amerikanische Regierung Goldsmith umzustimmen. Blair wischte am Freitag diesen Makel mit dem Hinweis weg, er sei eben überzeugt gewesen, dass Goldsmith falsch liege und sich noch korrigieren werde.
Veto gegen Veröffentlichung
Was Blair genau Bush versprochen hatte, wird der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Die Expertenkommission wollte die private Kommunikation zwischen den beiden Staatsführern, in welche sie Einblick hatte und die sie als bedeutend einstufte, veröffentlichen, doch Blair und die Verwaltung legten ein Veto ein. Die Rolle Blairs vor dem Irak-Krieg dürfte deshalb umstritten bleiben. Ein letzter Beweis für Blairs Eigenmächtigkeit wird aber fehlen.    •

Quelle: Mit freundlicher Genehmigung der
«Neuen Zürcher Zeitung» vom 22.1.2011

Pro Memoria

zf. Gemäss den nach dem Zweiten Weltkrieg formulierten und dann von den Vereinten Nationen beschlossenen «Nürnberger Prinzipien» haben sich die Verantwortlichen für den Angriffskrieg auf den Irak im Jahr 2003 schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Zu den Verantwortlichen gehört der ehemalige britische Premierminister Tony Blair. Blair hat sich in Anhörungen, zuletzt vor ein paar Wochen vor einer Kommission des britischen Parlaments, dazu bekannt, den Krieg gegen den Irak gewollt zu haben. Daran und an die Chuzpe, das damit begangene Verbrechen zu leugnen, erinnern die beiden folgenden Texte. Pro memoria: Bis heute wurden die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen – weder Tony Blair in Grossbritannien noch George W. Bush in den USA – und auch nicht die anderen Verantwortlichen in anderen Staaten, die diesen völkerrechtswidrigen Krieg unmittelbar oder mittelbar unterstützt haben.

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