Ein Europa von grenzüberschreitenden Clustern?

Ein Europa von grenzüberschreitenden Clustern?

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Zündstoff / Nationalrat 9. Juni

von Dr. iur. Marianne Wüthrich, Zürich

Am 9. Juni wird der Nationalrat darüber entscheiden, ob er der fortschreitenden Zergliederung der Nationalstaaten Europas in grenzüberschreitende Rechtsgebilde Einhalt gebieten will.
In der Frühlingssession hat der Ständerat, unbemerkt von der Bevölkerung, ein Zusatzprotokoll zu einem Abkommen der Mitgliedstaaten des Europarates einstimmig genehmigt (Protokoll Nr. 3 zum «Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften oder Behörden betreffend Verbünde für euroregionale Zusammenarbeit [VEZ]» vom 16. November 2009, vgl. www.admin.ch/ch/d/ff/2010/8243.pdf). Was auf den ersten Blick harmlos aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als weniger harmlos. Der Nationalrat hat nun die Möglichkeit, diesen Entscheid zu korrigieren.
Die Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinaus ist von jeher eine Selbstverständlichkeit. Es entspricht der Natur der Menschen, sich weder von Gemeinde- noch von Staatsgrenzen davon abhalten zu lassen, mit Nachbarn zusammenzuarbeiten und Lösungen für gemeinsame Anliegen und Probleme zu suchen. Dagegen hat kein vernünftig denkender Bürger etwas einzuwenden.
Das vorliegende Protokoll geht jedoch weit über eine alltägliche Zusammenarbeit unter Nachbarn hinaus. Vielmehr ebnet es den Weg für «Verbünde für euroregionale Zusammenarbeit» (VEZ) mit eigener Rechtspersönlichkeit (Artikel 1 und 2), das heisst mit «weitestgehender Rechts- und Geschäftsfähigkeit» (Artikel 2, Absatz 2). Mitglieder des Verbunds sind gemäss Artikel 3 «Gebietskörperschaften oder Behörden der Vertragsparteien; zu ihnen können auch die betreffenden Mitgliedstaaten des Europarats gehören».
Protokoll Nr. 3 bereitet der fortschreitenden Auflösung der Nationalstaaten, die durch die EU vorangetrieben wird, den Weg. Zeit-Fragen berichtete am 10. Januar (Nr. 2/2011) über den Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ), der wie die VEZ des Europarats eine neue politische Ebene über die Landesgrenzen hinweg anstrebt, so dass die gewählten politischen Behörden entmachtet werden. Laut Botschaft des Bundesrates wurde Protokoll Nr. 3 – wie könnte es anders sein! – «unter Berücksichtigung der EU-Regelung ausgearbeitet».
Im Klartext handelt es sich um neue Rechtsgebilde, deren Mitglieder zum Beispiel Schweizer Gemeinden und Kantone sowie deutsche Gemeinden und Bundesländer und französische Gemeinden und Départements sein können, aber auch die Staaten selbst, also die Schweiz, Frankreich oder Deutschland. Es geht also vermutlich nicht nur um «Chüngelizüchter»-Vereine, sondern um bedeutendere Fragen. Statt Gemeinden oder Kantonen können auch nur deren Behörden Mitglieder sein, nach bekannter Manier also die Exekutiven, die sich über die Grenzen hinaus zu Grossregionen zusammen­schliessen sollen, ohne durch ihre Bürger behindert zu werden.

Entrechtung der Gemeinden und Kantone

Neu an Protokoll Nr. 3 – auf jeden Fall für Nicht-EU-Staaten – ist, dass anstelle blosser Vereinbarungen zwischen souveränen Staaten oder autonomen Gemeinden plötzlich rechtlich selbständige Gebietskörperschaften über die Landesgrenzen gebildet werden sollen, die in eigener Kompetenz «Verträge schliessen, Personal einstellen, bewegliches und unbewegliches Vermögen erwerben und vor Gericht stehen» können. (Artikel 2, Absatz 5) Supranationale Grossregionen könnten also wie eine Aktiengesellschaft oder eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung schalten und walten, Verträge schliessen, Land kaufen und Prozesse führen – über die Köpfe der Bevölkerung hinweg. Besonders zu denken gibt Artikel 2, Absatz 4: «Der Verbund hat das Recht auf einen eigenen Haushalt und die Befugnis zu dessen Umsetzung.» Mit anderen Worten: Der Cluster aus Gemeinden, Gliedstaaten und Staaten könnte Geld ausgeben und Schulden machen. Seine Mitglieder, also zum Beispiel die Gemeinden, müssten also dem Verbund ihre Steuergelder zur Verfügung stellen, hätten aber nichts zu deren Verwendung zu sagen, denn die «Befugnis zur Umsetzung des eigenen Haushalts» wird dem Verbund zugeschrieben. Dafür dürften die Gemeinden dann für die Schulden des Verbundes gradestehen: «Der Verbund haftet gegenüber Dritten für seine Handlungen, auch für Schulden jeglicher Art, selbst wenn diese Handlungen nicht in seinen Aufgabenbereich fallen; reicht das Vermögen des Verbunds nicht aus, haften seine Mitglieder gemeinschaftlich.» (Artikel 9, Absatz 1).

Abschaffung der direkten Demokratie

Wie auch immer dies in anderen Mitgliedstaaten des Europarates oder in der EU geregelt sein mag – in der Schweiz bestimmen die Stimmbürger in den Kantonen und Gemeinden darüber, welche Rechte die Zweckverbände haben sollen, die sie zur Lösung gemeinsamer Aufgaben miteinander abschliessen. Vor allem die Verwendung von Steuergeldern untersteht in den Gemeinden dem Beschluss der Gemeindeversammlung, denn die Bürger wollen das Sagen haben über die Ausgaben- und Schuldenpolitik, gerade deshalb, weil die Gemeinde selbstverständlich auch die Haftung dafür übernehmen muss.
Keinesfalls geht es an, dass eine Schweizer Gemeinde oder ein Kanton Mitglied eines supranationalen Rechtsgebildes werden soll, in dem Exekutivmitglieder das Sagen haben. Was wir für die Metropolitanregionen von EU’s Gnaden einfordern, gilt noch viel mehr für derartige juristische Personen, an der auch ausländische Rechtseinheiten beteiligt sind: Nicht am Volk vorbei!
Übrigens steht in Protokoll Nr. 3 keine Silbe davon, auf welche Weise eine Schweizer Gemeinde Mitglied eines Verbundes würde: «Der Verbund wird durch eine schriftliche Vereinbarung zwischen seinen Gründungsmitgliedern errichtet.» (Artikel 4, Absatz 1). In Schweizer Gemeinden und Kantonen sowie im Bund müsste – wenn schon – eine Volksabstimmung die Grundlage einer solchen Vereinbarung sein. Unsere Erfahrung mit der Gründung von Metropolitankonferenzen lehrt uns jedoch, dass solche Aktionen nach dem Vorbild aus Brüssel in Nacht- und Nebelaktionen unter glatter Umgehung des Stimmvolkes erfolgen.

Bertelsmann & Co. als Mitglieder der neuartigen Rechtsgebilde?

Übrigens können nicht nur staatliche Gebietskörperschaften, sondern «alle juristischen Personen, die ausdrücklich zur Befriedigung von im öffentlichen Interesse liegenden Bedürfnissen errichtet wurden und keinen industriellen oder gewerblichen Charakter haben», Mitglieder der Cluster werden. Also zum Beispiel die Bertelsmann-Stiftung, die sich bekanntlich ungeachtet der von ihr umgesetzten Milliardenbeträge als gemeinnützige Stiftung ausgibt.

Fazit: Hände weg von VEZ!

Die Schweizerinnen und Schweizer wollen ihre Souveränität und ihre direktdemokratischen Rechte nicht preisgeben. Unseren Parlamentariern kann nur empfohlen werden, dem Souverän das Protokoll Nr. 3 über Verbünde für euroregionale Zusammenarbeit (VEZ) nicht zuzumuten. Also ein klares Nein zu diesem internationalen Vertrag. Sonst muss das Referendum ergriffen werden. Der Beschluss des Parlaments untersteht dem fakultativen Staatsvertragsreferendum, da Protokoll Nr. 3 gemäss der Botschaft des Bundesrates «wichtige rechtsetzende Bestimmungen» enthält, also nicht so nebensächlich ist, wie man angesichts der kurzen Abhandlung im Ständerat den Eindruck haben könnte:
«Mehrere Bestimmungen des Protokolls, namentlich betreffend Errichtung von Verbünden, Mitgliedschaft, Inhalt von Satzungen oder Haftung, sind rechtsetzend und als wichtig zu erachten, so dass der Bundesbeschluss zur Genehmigung des Protokolls Nr. 3 auf Grund von Artikel 141, Absatz 1, Buchstabe d, Ziffer 3 BV dem fakultativen Staatsvertragsreferendum zu unterstellen ist.»    •

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