Mehrfrontenkrieg gegen die Milizarmee gewinnen

Mehrfrontenkrieg gegen die Milizarmee gewinnen

Von Haltung, eidgenössischen Konstanten, Konkurrenz und Korrekturen

von Korpskommmandant aD Heinz Häsler, Gsteigwiler, Schweiz*

me. Es ist Heinz Häsler sehr zu verdanken, dass er Wesentliches aus seiner militärischen Lebenserfahrung zusammengefasst hat. Seine Bedeutung ist unvergänglich. Zwar kann bei gleicher innerer Haltung dies und das erneuert werden. Hauptsache ist jedoch, dass die eidgenössischen Konstanten, die unser Wehrwesen seit langer Zeit prägen und auszeichnen, erhalten bleiben. Das Prinzip der Neutralität oder das Versprechen an die Nachbarn, keinen Krieg zu beginnen, ist ein sinnvolles, realistisches Friedenskonzept mit Allgemeingültigkeit. Die Schweiz hatte zum Schutz stets ein Milizheer, nie ein stehendes. Der Bürger bestimmt über den Staat, nicht die Verwaltung. Die persönliche Waffe wird seit dem Mittelalter vom Bürger in Uniform zu Hause verwahrt. Die Armee hatte kaum angestellte Berufsoffiziere, aber viele waren aus Berufung Offizier. Immer war eine grosse Zahl von Bürgerinnen und Bürgern militärisch glaubwürdig ausgebildet, ausgerüstet und wehrwillig. All dem ist zu verdanken, dass die Schweiz mit Ausnahme der napoleonischen Jahre während 700 Jahren nie besetzt war und sich ein einzigartiges Staatswesen entfalten konnte, welches dem Mass und der freiheitlich-sozialen Natur des Menschen viel näher kommt als anderswo.
Nicht unterschätzt werden darf der innere Zusammenhalt des Landes, die sogenannte Kohäsion. Sie ist heute als Staatsziel in der Bundesverfassung verankert (Art.2 BV), und die Milizarmee trägt neben dem zwischenzeitlich verkümmerten staatsbürgerlichen Unterricht viel dazu bei, dass die Angehörigen der Armee Land und Leute kennenlernen, sich verbunden fühlen und in Landesgegenden kommen, die sie sonst nie sehen würden. Es entstehen und entstanden Freundschaften, die lebenslang wirksam waren.
Eine Volksinitiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» der Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) fordert die Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht. Darüber dürfte im Herbst 2012 oder 2013 abgestimmt werden. Wer sich jedoch für die Wehrpflicht einsetzt, erkennt bei einer Gesamtbetrachtung, dass wir uns in einem Mehrfrontenkrieg befinden. Dabei wollen grosse geopolitische Akteure wie die Hochfinanz oder die organisierte Kriminalität kleinere Staaten schwächen und Nationalstaaten zurückbinden, denn sie stören das Geschäft und die Willkür der Macht.
So wollen die EU und ihre einflussreichen Mitgliedstaaten die Schweiz anzapfen und schwächen. Deutschland braucht Geld. Die als Rettungspakete apostrophierten volkswirtschaftlichen Mühlsteine gehen zu Lasten der Bürger und reissen weit in die Zukunft reichende Löcher auf. Auch Frankreich braucht Geld, ebenso Italien, aber dort kann wenigstens die Mafia noch etwas anbieten. Die Schweiz wirkt da wie ein naiver Tresor, der von erotisch bezirzbaren Damen schlecht bewacht wird und nachgiebig gesichert ist. Wer die Schweiz tranchenweise schwächen, schleifen und so Bündnis-beitrittsfähig machen will, den würde eine gesunde Armee mit einem starken «Wir-Gefühl» nur stören. Im Land sind deshalb alle ins Auge zu fassen, die mit dem Staatsmodell Schweiz nicht verbunden sind oder deren Verbundenheit durch Versprechungen, Verlockungen und Kompromate von aussen gelockert/aufgeweicht wurde. Auch die vorgeblich «Utopischen» wie die GsoA und die internationalistischen Kreise in der SP stehen mit ihrer Forderung nach Abschaffung der Armee letztlich nicht hinter dem Staatsmodell und negieren die strategischen Interessengeflechte gegen diesen die Macht kontrollierenden, direktdemokratischen und wohlhabenden «Sonderfall».
Kollaborateure gibt es auch in der Verwaltung, so auch im VBS. Sie wurden noch nicht ausgewechselt, da der Departementsvorsteher genug zu tun hat, die Armee, die von seinen SVP-Vorgängern flügellahm geschlagen worden war, zu stabilisieren. Ebenso sind die militärischen Kader und Lehrkörper, die in der Ära der Bundesräte Ogi und Schmid herangezogen wurden, noch in ungenügendem Mass durch solche ergänzt worden, die zum Staatsmodell Schweiz stehen.
Ein weiterer Punkt ist die sogenannte Professionalisierung der letzten Jahre. Sie führt dazu, dass immer mehr hohe Offiziere sogenannte angestellte Berufsoffiziere sind. Sie erleben Wehrangelegenheiten nicht mehr als Bürger, sondern primär als Angestellte. Sie sind abhängig von Vorgesetzten, und die Beförderung ist entscheidend; dafür steckt man die eigene Meinung zurück. Bei Milizoffizieren ist und war das anders. Sie sind weder vom Staat abhängig noch diesem hörig, sondern sind frei im Denken und im Reden. Sie riskieren für ein offenes Wort möglicherweise einen Beförderungsstopp, aber ihren Beruf und ihr Fortkommen gefährdet dies nicht.
Die Berufsoffiziere und die Armeeabschaffer im links-grünen Lager, welche Auslandeinsätze fördern und das Völkerrecht «elastisch» handhaben wollen, sind mehr als punktuell in eine unheiligen Allianz eingebunden. Würde die Armee nämlich weiter verkleinert, ist der Berufsoffizier auf die Auslandeinsätze angewiesen, sonst verliert er seinen Arbeitsplatz. Die Berufsoffiziere erscheinen, so betrachtet, als die natürlichen Verbündeten der SP und der Grünen. Diese sichern ihnen ihre Stellen, dafür wehren sie sich nicht für die Milizarmee. Umgekehrt ist Milizpersonal, das primär dem Schutz des Landes verpflichtet ist, für sie eine Konkurrenz, die Vergleiche ermöglicht, was als unangenehm, ja geradezu störend empfunden wird. Überspitzt gesagt: Eine Milizarmee, wie sie Heinz Häsler schildert, ist nicht die Armee, die den Berufsoffizieren die Laufbahn ermöglicht.
Deshalb, aber nicht nur deshalb, ist auch das Verteidigungsdepartement kein sicherer Faktor im Mehrfrontenkrieg um die Milizarmee. Konnte man früher davon ausgehen, dort Verbündete zu haben, sind die Töne von heute nicht eindeutig.
Das VBS verätzt seit längerem die feinen Kontakte ins zivile Umfeld. Zwei Beispiele für viele sollen dies erhellen. Die Art und Weise, wie Schützenvereine im Ausserdienstlichen Schiessen behandelt werden, ist nicht mehr zumutbar. Man zieht die Schraube bei Sicherheitsvorschriften an, fordert von den ehrenamtlichen Vorständen und Schützenmeistern fast Übernatürliches, verlangt von den Vereinen eine höhere Zahl von ehrenamtlichen Funktionären «wegen der Sicherheit», erhöht aber die Zahl der Ausbildungskurse für diese Funktion nicht. Von den überwachenden Schiessoffizieren werden pedantische Kontrollen gefordert. Hinzu kommt, dass Vernehmlassungen dazu, die sauber, ernsthaft und sinnvoll formuliert waren, unbeachtet bleiben. Effekt ist: «Die Oben reichen uns den schwarzen Peter weiter und lassen uns damit allein. Die Armee ist ja heute eigentlich dafür verantwortlich, dass die Jungen mit dem Gewehr keine Routine mehr haben, und nicht wir.» So tönt es allenthalben. Die Schützenvereine werden ihrer Ohnmacht überlassen. Die Antennen an der Basis sind nicht zu fein. Sie nehmen richtig wahr. Das VBS hat Verbündete verstimmt.
Ein zweites Beispiel: Die teuer modernisierten Schützenpanzer M113 werden mit ihren neuen Motoren, Getrieben, Panzerungen etc. verschrottet. Das Lager der Raupenfahrzeuge in alten Flugzeugkavernen sei mit einigen tausend Franken pro Jahr zu teuer. Obwohl Private anbieten, diese Kosten zu übernehmen, und obwohl bei mehr als 80 Armeen auf dem Globus typengleiche Fahrzeuge viel schlechteren Standards noch lange im Einsatz bleiben werden, macht das VBS mit der Verschrottung weiter. Die Begründungen sind unhaltbar und widersprüchlich. Dank dem Milizprinzip kann man auf der Website der Gruppe Giardino die entlarvenden Kommentare zu den Aussagen aus dem VBS lesen. Die Basis merkt’s und ist verstimmt.
Dies sind nur zwei von leider sehr vielen solcher Rückmeldungen. Sie sind u.a. ein Effekt der «Professionalisierung» im VBS. Man verliert dort die Bodenhaftung und die Bürgernähe und vergisst, dass viele tausend Leute sich austauschen und die Handlungen und Aussagen des Departementes werten und bewerten.
Wie soll man aber die Bevölkerung für die Milizarmee und gegen die GsoA-Initiative mobilisieren, wenn überall liebloser und taktloser Umgang mit denen gepflegt wird, die noch zur Armee stehen? Wie soll man jene hinter dem Ofen hervorholen, die eben erst beobachtet haben, welch faule Ausreden die Spitzen des VBS zur Verschrottung der M113 abgaben? Wie soll man die Freude am neuen Kampfflugzeug aus dem neutralen Schweden erhalten, wenn das VBS selbst freudlos auftritt? Soll man noch glauben, was sie sagen, wenn man aus anderen Bereichen weiss, wie sie handeln? Hier müssen die Reihen geschlossen, besser noch zuvor ausgelichtet werden, damit kräftiger Jungwuchs eine Chance bekommt.
Trotzdem, die Bevölkerung steht zur Armee. Einigermassen. Aber einen Mehrfrontenkrieg gegen die GsoA, gegen die angestellten Berufsoffiziere, gegen die Manipulation und Desinformation in der Kommunikation, gegen unhaltbare Informationslecks und gegen den ätzenden Umgang des VBS mit der Miliz verträgt es nicht. Mit PR-Mödeli und «Professionellen» lässt sich der Erfolg der Entwaffnungsinitiative nicht wiederholen. Viele Schützen sind verstimmt. Es braucht im VBS eine Korrektur. Nur wenn die Glaubwürdigkeit wieder da ist, lässt sich das «Feu sacré» der Miliz wecken. In diesem Sinne sind die Ausführungen von Heinz Häsler ein wertvoller Referenzpunkt, der in den kommenden Auseinandersetzungen mit unserem Staatswesen von Bedeutung ist und den wir uneingeschänkt zur Lektüre empfehlen. Er leitet ein Nachdenken ein, welches das Vertrauen und den Willen zum gemeinsamen Gestalten unseres Staatswesens stärkt.


Mit dem Fall der Berliner Mauer und der Auflösung der Sowjetunion änderte sich die sicherheitspolitische Lage nach 1991 radikal, auch in unserem Land.
Der wohl nie realisierbare Wunschtraum vom «ewigen Frieden» fand auf einmal ungezählte Verkünder: Gutgläubige, Pazifisten, Systemveränderer, aber auch Vertreter von Kirchen und Parlament. Wie sagte ein Nationalrat in der Diskussion über das Rüstungsprogramm 1991: «So weit das Auge reicht, weit und breit kein Feind.» Und ein Teil der Medien wusste: «Der Armee ist der Feind abhanden gekommen.» Die Gegnerschaft unserer Armee sah auf einmal Morgenröte.
Allerdings wurde die Milizarmee schon bereits seit Beginn der sechziger Jahre mit Problemen konfrontiert, mit deren Lösung sie sich zum Teil bis heute schwer tut und die nicht dazu geeignet waren und sind, dass ihre Forderungen erhört werden.

Sicherheitspolitische Illusionen und verpasste Chancen

In die Quere kam einmal die Geisteshaltung der sogenannten achtundsechziger Generation. Von dort her kam der Ruf nach einem zivilen Ersatzdienst für das verhass­te Militär. Ein harter Kern dieser Phantasten lehnt aber auch den bis heute ab.
Zudem: Das «Gleichgewicht des Schreckens» zwischen den beiden Machtblöcken Ost – West, das Jahrzehnte andauerte, ohne dass für unser Land vordergründig eine Bedrohung sichtbar war, liess in unserem Volk eine gewisse Interesselosigkeit gegenüber der Armee entstehen. Linke Kreise bezeichneten Wehranstrengungen von Regierung und Parlament als unnötig oder mindestens als völlig überrissen. Heute steht in ihrem Parteiprogramm sogar die Abschaffung der Armee.
Sie waren es nun auch, welche die ersten Rufe für den Verzicht der allgemeinen Wehrpflicht verlauten liessen, der inzwischen durch eine gefährliche Initiative konkretisiert wurde. Eine viel billigere und vor allem kleinere Berufstruppe solle ihr Ersatz sein.
Erste Zweifel an unserer Milizarmee entstanden früh auch im bürgerlich dominierten Parlament. Die Armee unterliess es leider in dieser Zeit des Wertewandels, Überholtes abzuschaffen oder zu aktualisieren. Dies beabsichtigte man dann Anfang der siebziger Jahre auf Grund des Berichts «Oswald», den das eidg. Militärdepartement erstellen liess.
Berechtigte Empfehlungen in diesem Bericht zur Steigerung der Effizienz in Ausbildung und Führung wurden vorerst jedoch nicht beachtet. Sie blieben dem Volk unbekannt.
Dagegen befasste sich die Armeeleitung überstürzt mit den Änderungen der ebenfalls kritisierten Formen. Das erhielt man ohne zusätzliche Belastung des Militärbudgets!

Trotz allem – hervorragende Leistungen

Die Lockerung der Disziplin nahm die Truppe als zeitgemäss und fortschrittlich auf. Kommandanten und Kader der untern Stufen wurden infolge fehlender gründlicher Orientierung, Anweisung und Unterstützung von oben verunsichert. Sie wagten meistens nicht, bei Verfehlungen entschieden einzugreifen. Das Erscheinungsbild der Truppe vermittelte gegen aussen bald den Eindruck von fehlender Ordnung.
Dass diese Truppe im Dienst nach wie vor hervorragende Leistungen erbrachte und immer noch erbringt, sieht man am nachlässigen Daherkommen im Ausgang ja nicht.
So wurde der Bericht «Oswald» bei unsern Bürgerinnen und Bürgern zu Unrecht für mangelnde Disziplin, Schlendrian und Unordnung in der Armee verantwortlich gemacht. Die Schuld dafür lag jedoch bei der Armeeführung.
Im Ausland, besonders in Staaten der dritten Welt, waren inzwischen unzählige bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen ausgebrochen. Militante Gruppierungen verschiedenster politischer oder religiöser Ideologien und Ziele führten und führen immer noch Krieg – gegeneinander – oder gegen die offiziellen Machthaber. Für die Medien der ganzen Welt ein sich nie erschöpfendes Thema!
Ob von Freiheitskämpfern, Freischärlern, Rebellen oder Terroristengruppen zu berichten ist, man subsumiert alles unter dem Begriff «Miliz». Das häufige Erscheinen der Schreckensbilder dieser herumschiessenden Massen wilder Kämpfer und Kindersoldaten in sämtlichen Medien führte zu einer begrifflichen Gleichstellung mit unserer Miliz.
Meine Damen und Herren, unsere Bürgerinnen und Bürger im Wehrkleid haben mit diesen zusammengewürfelten Horden nun aber wirklich nichts gemeinsam.
Trotzdem mag das, zusammen mit einem wenig überzeugenden Auftreten unserer Soldaten in der Öffentlichkeit, den Eindruck erweckt haben, mit solchem Gelegenheitsmilitär seien bisherige und künftige Bedrohungen nicht zu meistern.
Dieser Auffassung waren plötzlich leider auch Repräsentanten aus Wirtschaft und Industrie, die aus volkswirtschaftlichen Gründen ein Interesse daran haben, ihre Mitarbeiter aller Funktionen nicht mehr über Wochen und Monate ins Militär abgeben zu müssen. Fand man früher noch Wirtschaftsführer und Politiker der obersten Stufen als hohe Offiziere, so wurden diese mit den Jahren immer seltener. Viele erstklassig qualifizierte Anwärter werden für die Weiterausbildung nicht mehr zur Verfügung gestellt, und wer dies trotzdem möchte, dem wird der Drohfinger des Stellenverlusts aufgehalten. Sogar Chefs mittlerer und kleiner Unternehmen, die bis anhin ihre persönlichen dienstlichen Abwesenheiten und auch die ihrer Mitarbeiter ohne weiteres in Kauf genommen hatten, argumentieren heute ebenfalls, dass wirtschaftliche Ausfälle das Hauptproblem des Milizdienstes seien. Selbstverständlich erhalten sie Zustimmung von denjenigen Kreisen unseres Volkes, denen dies auf Grund ihres permanent gestörten Verhältnisses zur Armee nur recht sein kann.

«Das ist doch alles weitab von uns ...»

Es steht ausser Zweifel, dass die heutige Wohlstandsgesellschaft diese Haltung noch verstärkt. Es ist schon so, dass man sich an vielen Orten ständig bekriegt. Das ist aber weitab von uns. Bei uns ist die sicherheitspolitische Lage ja entspannt, und es geht uns gut. Wozu soll man seine Zeit in einem Militärdienst vertun?
Militär ja, meinetwegen, aber dafür finanziell nur noch so viel Aufwand, dass bei den andern Departementen des Bundes möglichst keine Sparmassnahmen anfallen; und dass weder Wirtschaft noch Industrie fühlbare Konzessionen zu machen haben.
Es heisst nicht mehr: Welche Armee ist nötig, um die Sicherheit von Volk und Land zu gewährleisten? Heute lautet es: Wieviel soll man für die Armee noch ausgeben?
Der Auftrag der Armee, wie er in der Verfassung steht, wird zur Nebensache. Wenn er die ökonomischen Überlegungen stört, kann man ihn ja nach unten anpassen, so weit bis Volkswirtschaft und die Bundeskasse damit wieder «leben können».
So vernahm man letzthin: Sollten sich die vom Parlament für die Armee bewilligten Finanzen weiter nach unten bewegen, müsste man halt den Auftrag neu formulieren oder die Truppenverbände verkleinern. Diese Geisteshaltung ist, bewusst oder unbewusst, bereits im heutigen Parlament präsent. Die letzte Konsequenz würde der Verzicht auf eine Armee sein.
Wie weit dieser Weg nach unten bereits betreten ist, zeigt der Antrag des Bundesrates, eine Armee von 80 000 Mann zu planen. Angesichts der heutigen sicherheitspolitischen Lage genüge eine bestandesmässig kleine Armee als schweizerische Streitkräfte ohne weiteres.
Unbeantwortet bleibt dabei, wie im Falle einer Eskalation der Lage der Schutz vor Attentaten und Terrorakten irgendwelcher politischer oder religiöser Aktivisten rund um die Uhr und über eine lange Dauer zu gewährleisten ist.
Der Schutz unserer Energie-Infrastrukturen, vom Stausee bis zu den KKW, der internationalen Flugplätze, der Steuerungszentren von Eisenbahnen und Kommunikationen, von Radio und Fernsehen, aber auch der Regierungs- und Parlamentsgebäude. Wer kann bei landesweiten Naturkatastrophen auf den unzähligen Schadenplätzen der dortigen Bevölkerung rasch nachhaltige Hilfe leisten?

Berufsarmeen – teuer und gefährlich für die Demokratie

Die wenigen tausend Berufsmilitär oder auch die gleiche Anzahl Freiwillige einer kleinen Rumpfmiliz, von denen ein Teil für solche Dienste kaum geeignet wäre, könnte die Lösung nicht sein.
Überhaupt, wer würde sich als bezahlter Söldner melden? Frauen und Männer in einer gesicherten beruflichen Stellung kaum. Schaue man in die Bunderepublik Deutschland. Dort bringt man schon nach einem Jahr Berufsarmee die Mannschaftsbestände nicht mehr zusammen.
Wer steht zur Verfügung? Berufslose, Arbeitsscheue und Rambo-Figuren. Misstrauen und Argwohn unseres Volkes gegenüber einer solchen Mini-Armee, dieser neuen isolierten Kaste, müssten die Folge sein. Misstrauen auch gegenüber der Regierung, welche nun absolute Macht über die Armee hätte und bei Einsätzen im Landesinnern auf Militär zählen könnte, das nach dem unguten Grundsatz handeln würde: Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing!
Zudem, was würde mit solchen Söldnern nach dem Ausscheiden aus der Armee geschehen, mit ihnen, die ausser dem Kriegshandwerk nichts gelernt hatten? Die Eingliederung in einen geregelten Arbeitsprozess wäre kaum möglich. Wir haben solche Beispiele im Ausland, obschon man dort nicht gern darüber berichtet.
Zum Finanziellen: Viele Vertreter einer Berufsarmee wollen einen Bestand von 30 000 Angehörigen. Aufwand für Lohn, Sozial-, Kranken- und Unfallausgaben werden mit je 100 000 Franken veranschlagt, was allein Personalkosten von 3 Milliarden Franken ergibt. Und dies für einen Söldnerhaufen, der als Armee kleiner ist als die Zuschauerzahl im Berner Stade de Suisse bei einem Match YB gegen Basel.
Gemäss heutigem VBS-Budget blieben höchstens 2 Milliarden Franken übrig. Die Erstellung der Infrastruktur und der Betrieb der neuen Armee würden die ersten Jahre wohl alles und später mindestens die Hälfte dieses Betrages benötigen.
Und weiter: Wo wären diese stehenden Verbände stationiert, die aus allen Teilen unseres Landes rekrutiert würden? Wir haben keine Waffenplätze mit der Möglichkeit, dort einige tausend Familien von Berufssoldaten unterzubringen. In stehenden Heeren des Auslandes sorgt der Staat für die entsprechenden Unterkünfte auf den jeweiligen Waffenplätzen.
Dass Schweizer Berufssoldaten täglich aus allen Teilen der Schweiz zu ihrem Arbeitsplatz, auf ihre Basis reisen und abends wieder zurück oder dass sie, wie bei Urlauben der Miliz, ihre Familien nur an Wochenenden zu Gesicht bekommen, das kann es doch nicht sein. Ein ungelöstes und von Befürwortern umgangenes Problem.
Was tun Söldnerverbände nach Abschluss ihrer Ausbildungszeit in unserem Lande, eben gerade in Zeiten sicherheitspolitischer Entspannung, wie sie heute propagiert wird?
Würden diese isolierten Fremdkörper, damit sie unserem Volk aus den Augen kämen, mehrheitlich zu Dienstleistungen in Konfliktländer entsandt, wo sie irgendeiner ausländischen Kommandantur unterstellt wären?
Das würde bedeuten: Aufgabe der immerwährenden bewaffneten Neutralität.
Allerdings zur Freude derjenigen, welche sie mit der Abschaffung der Armee auch gerade erledigen wollen.
Diese wenigen Hinweise mögen zeigen, worauf man sich einliesse, wenn den Unkenrufen nach einer Berufsarmee nachgegeben würde.
Meine Damen und Herren: Eine Söldnertruppe oder eine marginale Freiwilligenmiliz kann und darf nicht die künftigen Streitkräfte unseres Landes bilden. Sie wäre die Vorstufe des völligen Verzichtes auf unsere Wehrhaftigkeit. Ich gebrauche diesen Ausdruck absichtlich.

Keine Berufsarmee weist nur annähernd das Niveau der Schweizer Armee auf

Für unser Land als unabhängiger Kleinstaat kommt nur die auf der allgemeinen Wehrpflicht aufgebaute Milizarmee in Frage.
Ihre Vorteile sind offensichtlich: Keine Berufsarmee der Welt kann das nur annähernd gleich hohe Niveau der zivilen Schul- und Berufsbildung bei Kadern und der Truppe aufweisen wie die Schweizer Armee.
Der rechte Mann am rechten Platz hiess eine überlieferte Redensart für die richtige Verwendung eines Soldaten in unserer Armee. Es hatte schon damals und hat auch heute in unserer Milizarmee viel mehr «rechte» (sprich gut ausgebildete) Männer und Frauen als rechte – sprich anspruchsvolle – Arbeitsplätze für sie. Wenn zum Beispiel beruflich hochqualifizierte Kanoniere im Einsatz als Geschosszuträger am Geschütz eingesetzt werden, darf kaum behauptet werden, diese Soldaten seien geistig überfordert.
Der Dienstbetrieb bringt es mit sich, dass viele Aufgaben in einer Armee weder dem Können noch dem intellektuellen Niveau unserer Dienstleistenden entsprechen.
Auf der andern Seite: Die vielen zivilen Kenntnisse, welche Kader und Soldaten mitbringen, verkürzen die Ausbildungszeiten auch für anspruchsvollere militärische Funktionen beträchtlich.
Ein Beispiel von vielen aus meiner Dienstzeit möge das zeigen: Anlässlich eines jährlichen Treffens aller in der Schweiz akkreditierten Verteidigungsattachés wurde die Pz Trp Schule Thun besucht. Die im ersten Drittel ihrer Dienstzeit stehenden Rekruten präsentierten das Geländefahren und unterkalibriertes Schiessen mit der Kanone des Panzers Leopard 2. Die Trefferquote betrug hundert Prozent!
Schon während der Vorführung bemerkte ein Attaché aus der dritten Welt etwas spöttisch, da werde ihnen eine eingedrillte Elite junger Berufssoldaten präsentiert. Als die Rekruten versammelt wurden und der Zugführer die Angaben über ihren zivilen Beruf in gutem Englisch übersetzte, schien der Oberst in seiner Ansicht bestärkt zu sein. Beinahe zornig erklärte er, es sei vollkommen unmöglich, gesamthaft beruflich so gut ausgebildete Soldaten in einem einzigen Panzerzug zu haben und in wenigen Wochen Dienstzeit den gezeigten Ausbildungsstand zu erreichen. Aufgebracht bestieg er als erster den Bus für die Weiterfahrt und war nicht mehr ansprechbar.
Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, wenn gewisse «Armee-Experten» zum Besten geben, durch die Miliz seien unserer Armee im heutigen strategischen und operativen Umfeld empfindliche Grenzen gesetzt. Der Vergleich mit Berufsmilitär, die meisten ohne Zivilberuf, belehrt uns eines andern.
Das wertvollste Kapital unserer Milizarmee sind die Bürgerinnen und Bürger in Uniform.
Dieses wird in der heutigen Armee nicht voll ausgenützt. Wenn die Wehrpflicht im Alter von 30 Jahren und diejenige der Durchdiener bereits mit 19 oder 20 Jahren erfüllt ist, gehen der Armee Tausende von Angehörigen verloren, die grösstenteils erst Jahre danach den Höhepunkt ihrer beruflichen Karriere erreichen oder in politische Ämter treten.

Bürgerinnen und Bürger in Uniform – das wertvollste Kapital unserer Milizarmee

Es ist nicht einzusehen, wieso das Wehrpflichtalter so tief angesetzt wird, wenn man gleichzeitig feststellt, dass die demographische Entwicklung unseres Volkes zu einem Manko beim militärischen Nachwuchs führe und zulässt, dass nur etwa 50% der Wehrdienstpflichtigen Militärdienst leisten.
Es gibt Möglichkeiten, dieses Manko auszugleichen.
1.    Man kann das Wehrpflichtalter hinaufsetzen.
Wenn Angehörige der Armee nach der Absolvierung ihrer Wiederholungsdienste noch einige Jahre als Aktive eingeteilt bleiben, vergibt sich der Staat nichts. Man argumentiert etwa, dass die militärischen Kenntnisse dann rasch auf null sinken würden. Das lasse ich nicht gelten. Für die Bedienung moderner Waffensysteme und Geräte wären in einem aktiven Dienst jüngere Leute ja vorhanden. Die vielen weniger anspruchsvollen Arbeiten würden vorerst durch diese Älteren erledigt. Unzählige unter ihnen würden nach einigen Diensttagen auch an neuen Waffen und Geräten wieder voll einsatzfähig sein. Bei Katastropheneinsätzen zum Beispiel ziehe ich einen 35jährigen erfahrenen Baggerführer einem Durchdiener vor, dem man die Bedienung des gleichen Geräts in einigen Rekrutenschullektionen beigebracht hat.
2.    Man kann die Tauglichkeitsrate erhöhen.
Einmal, durch Wiedereinführung der differenzierten Tauglichkeit. Wir machten in den achtziger Jahren damit den Anfang. Später liess man sie wieder fallen. Man habe in der kleineren Armee genügend Nachwuchs, hiess es.
Aber, es ist doch nicht nötig, dass heute jeder Soldat die Kampfbahn in Rekordzeit bewältigt. Für Angehörige mit leichten körperlichen Defiziten gibt es genügend Chargen.
3.    Man soll die unzähligen Dispensempfehlungen nicht mehr zulassen, welche gewisse Ärzte ohne weiteres ausstellen. Der künftige Soldat ist durch Ärzte militärischer Untersuchungskommissionen auf seine Tauglichkeit, inklusive differenzierter Tauglichkeit, zu untersuchen. Dafür sind medizinische Kriterien festzulegen, die hieb- und stichfest sind, auch wenn das etwas kostet.
Die Tauglichkeitsquote betrug früher über 85%, die heutige infolge der verschiedenen Schlupflöcher 30% weniger.

Vertrautheit mit Land und Gegebenheiten

Ein weiterer grosser Vorteil unserer Milizarmee:
Sie kann sich im aktiven Dienst, sei es Verteidigung, sei es Bevölkerungsschutz, bei Naturkatastrophen oder Einsätzen unterhalb der Kriegsschwelle auf eine hochstehende Infrastruktur des Landes stützen.
Unsere Truppen müssen nicht mit allem versehen sein wie eine Armee des Auslandes, die – aus welchen Gründen auch immer – Einsätze oft weit von ihrem Land entfernt zu leisten hat. Unsere Armee disloziert nicht. Sie muss den Gegebenheiten unseres Landes entsprechen und darf deshalb nicht zu einer Minikopie fremder Streitkräfte werden. Das geflügelte Wort der sechziger Jahre:«Wir wollen keine kleine hochtechnisierte Armee im Westentaschenformat», muss seine Bedeutung wieder erhalten.
Wenn diese Einsicht bei der Führung vorhanden ist, übt die Truppe, wie sie das immer getan hat, in unserem starken Gelände, sind schon heute die Dispositive für die zu sichernden und zu schützenden Objekte und Einrichtungen im Detail erstellt und können mit der Truppe vor Ort eingeübt werden. Ebenso ist die Zusammenarbeit mit kantonalen und Gemeindeinstanzen klar festgelegt.
Mit Eigentümern regelt die Armee, dass sie in einem aktiven Dienst zivile Einrichtungen zum Beispiel der Logistik und viele andere Infrastrukturen mitbenützen und dies in Wiederholungskursen üben kann. Versorgungsformationen arbeiten zusammen mit den Belegschaften von Klein- und Grossbetrieben der Fleischverarbeitung oder von Bäckereien, so dass die gesamte Versorgung von Volk und Armee sichergestellt ist. Für Stäbe und Einheiten wird in Hotels gekocht, da deren Küchen durch das Fehlen von Touristen ungenützt sind. So kann auf weitere mobile Luxus-Feldküchen für je 280 000 Franken verzichtet werden. All diese Möglichkeiten scheinen bei der heutigen Armee kaum ein Thema zu sein.
Es wird auch bei Beschaffungen und in andern Bereichen das Ausland kopiert. Man fragt nicht, ist das für uns nötig, sondern rechtfertigt es zum Beispiel mit: Die US-Streitkräfte verfügen auch darüber. Wie etwa – dies zur Erheiterung – der 50-Liter-Wassersack der Ausrüstung unserer Fernspäher. Auf meine Frage, ob man über der Wüste Gobi abzuspringen gedenke, antwortete an einem Armeetag ein Offizier, es könnte doch sein, dass das Trinkwasser in unserem Land vergiftet sei. Ach ja, alle Flüsse, Bäche, Gräblein, Reservoirs und Brunnen. Da hätten wenigstens die Fernspäher als einzige noch 3 bis 4 Tage zum Überleben.
Unsere Milizarmee hat die vorhandenen Ressourcen unseres Landes auszunützen und sich bei Beschaffungen und beim Ausbau auf Nötiges zu beschränken.
Wo höchste Technologie gefragt ist, hat man sie anzuschaffen. Bei weniger anspruchsvollen Ausrüstungsteilen hat man sich an Genügendes zu halten. Für Luxus-Ausführungen dürfen in diesem Bereich die Mittel nicht vergeudet werden. Auch nicht für Schritte unbekannter Grösse in nicht ausgereifte Technologien. Wie etwa in ein «weltmeisterliches» Führungs- und Informationssystem, das noch nach über 700 Millionen Franken Kosten kein truppentaugliches Resultat erbrachte. Mit den knappen Finanzen sparsam umzugehen ist keine Schande, sondern eine Tugend und für unsere Milizarmee ein Muss.

Gemeinsame Dienstzeit schafft Vertrauen und Verlässlichkeit

Gemeinsame Dienstzeit und personelle Zusammensetzung der Verbände ergeben weitere Vorteile der Milizarmee. Bei allen Armeeorganisationen vor der Armee XXI wurden Rekruten sowohl für die kantonalen als auch für die eidgenössischen Truppen bei der Aushebung nach regionalen Kriterien eingeteilt. Bei der Armee 95 liess man die Heeresklassen Auszug und Landwehr fallen. Die Armeeangehörigen hätte man also bis zum Austritt aus der Wehrpflicht mit 40 Jahren in der gleichen Einheit belassen. Bei Berufswechseln waren zur bessern Ausnützung der Kapazitäten Umteilungen möglich. Es kam leider durch die Planer der Armee XXI zum Verzicht auf diesen Vorteil.
Das Zusammensein von Kadern und Truppe, herkommend aus der gleichen Region über lange Dienstjahre, führte zu einer grossen Verbundenheit, zu einer Schicksalsgemeinschaft, weil man sich vom Zivilen her kannte. Zum Beispiel blieben eine Geschützbedienung und ihr Chef über mehrere Jahre zusammen. Änderungen erfolgten nur, wenn ein Chef oder Kanonier seine WK-Pflicht erfüllt hatte. Der Neue war bald einmal integriert. Innerhalb einer Batterie ergab sich eine gesunde Rivalität. Jede Gruppe, jede Gerätebedienung, aber auch jede Einheit wetteiferte innerhalb des Einsatzverbandes, die beste zu sein.
In der Felddivision 3 hatten die Einheitskommandanten Listen der besten Könner an den Kollektivwaffen, zum Beispiel am Raketenrohr, am MG, am Funkgerät oder am Richtaufsatz des Motorwagens oder des Geschützes zu führen. Diese Listen gehörten zu den Kommandoakten und waren jeden WK zu überprüfen und nachzuführen. Das war perfekte Planung für die maximale Kampfkraft der Truppe.
Dieses gegenseitige Kennen von Charakter, Stärken und Schwächen der Kameraden, ja von ihren zivilen Verhältnissen würde, zusammen mit gründlicher militärischer Ausbildung, in Zeiten der Gefahr bei Kadern und Truppe in jeder Art von aktivem Dienst zu einer Kraft von unschätzbarem Wert.
Die Diensterlebnisse waren auch im Zivilen ein Thema. Daheim, am Arbeitsplatz, in der Dorfwirtschaft, wurde kritisiert, gerühmt und geprahlt. Die Gedanken und Erinnerungen an die Dienstzeit von Abertausenden «militärischer Fachleute», von Soldaten wie von Offizieren und Unteroffizieren wurden von Zuhörern jeden Alters aufgenommen.
Durch seine langjährige Dienstpflicht fühlte sich auch der aus der Wehrpflicht Entlassene zeitlebens mit der Milizarmee verbunden. Er hatte nicht einfach in der Armee gedient, sondern in seiner Füsilierkompanie III/33 oder Sappeurkompanie I/3.
Hier habe ich die Einladung für das Zusammentreffen der Kameraden der Batterien in der Hb Abt 9. Es findet am 27. April dieses Jahres statt. Ich war dort in der Bttr II als Offizier eingeteilt. Meine Damen und Herren, diese Abteilung wurde bei der Truppenordnung Anfang der sechziger Jahre aufgelöst, vor 50 Jahren. Für alle diese Kameraden war die Miliz nicht mit dem letzten Tag des Durchdienerjahres oder des 6. Wiederholungskurses zu Ende, nein sie endet erst am Grabe.
Sich zeitlebens mit der Armee verbunden fühlen und dies auch den andern Bürgerinnen und Bürgern, besonders aber auch der Jugend, zu zeigen, erzeugte Vertrauen in diese Armee, welches ihr die überwiegende Mehrheit des Volkes entgegenbrachte.
Wenn diese Verankerung der Miliz im Volk in den letzten Jahren geschwunden ist, mögen da schon der Zeitgeist und geänderte Verhältnisse eine Rolle gespielt haben. Anteil daran haben leider auch diejenigen Armeeplaner, welche sich der tragenden Bedeutung der Milizarmee für die Wehrhaftigkeit unseres Landes nicht bewusst waren oder schlimmer, sie als überholt betrachteten und ausser acht liessen.
Eine Milizarmee jedoch, in welcher auf Grund einer willkürlich festgelegten kurzen Dienstpflicht keine Vertreter der Politik auf Gemeinde-, kantonaler oder eidg. Ebene zu finden sind, wo keine Selbständigerwerbenden, keine erfahrenen Handwerker und Arbeiter, keine Unternehmer und Industriellen, keine Bauern mit einem eigenen Hof, aber auch keine Familienväter mit heranwachsenden Kindern gemeinsam Dienst leisten: Diese Milizarmee hat es schwer, das Verständnis für die Einzigartigkeit von allgemeiner Wehrpflicht und Miliz im Volk zu erhalten.
Nun aber: Auch unsere Milizarmee hat sich, wie alle Streitkräfte des Auslandes auf veränderte sicherheitspolitische Lagen einzurichten und auf künftige Bedrohungsszenarien zielgerichtet zu entwickeln. Bei Berufs-Streitkräften des Auslandes können Kehrtwendungen innert Monaten erfolgen. Ihre Kader und Truppen sind ja permanent mobilisiert. Eine neue Einsatzdoktrin wird festgelegt und danach wird entsprechend ausgerüstet und gearbeitet.
Ich war 1975 das ganze Jahr an der Militärakademie der US-Artillerie. Im Juni ging damals der Vietnam-Krieg zu Ende. Bis dahin wurde der Einsatz isolierter, aus der Luft versorgter Artillerieformationen gelehrt. Anfang August war die neue Doktrin für ein European War-Theatre erstellt und die Schulung an den Ausbildungsbasen erfolgte sowohl für das Kader als auch für die Truppe anhand völlig neuer Vorschriften strategischer, operativer und taktischer Stufe. Dazu waren beinahe gleichzeitig Geräte und Ausrüstungen verfügbar, die dem Wechsel aus dem Dschungel in das Klima Europas Rechnung trugen. Beeindruckend!
Hier kann die Schweizer Armee nicht mithalten. Das braucht sie in vielen Teilen auch nicht.

Bewährtes erhalten und auf eigene Bedürfnisse angepasst erneuern …

In unserem Milizsystem sind Einsätze ausserhalb unserer Grenzen – abgesehen von kleinen Peacekeeping-Elementen – kein Thema – zumindest, so lang wir unsere Neutralität hochhalten. Unsere Truppen können sich in jedem strategischen Fall in unserem Land auf die erwähnten Vorteile abstützen.
Man muss und darf deshalb unsere Armee bei veränderten sicherheitspolitischen Lagen nicht einfach total neu erfinden und alles Bisherige ungeachtet als veraltet und unbrauchbar bezeichnen und über Bord werfen.
Selbstverständlich sind die strategischen und operativen Stossrichtungen der Armeen des Auslandes laufend zu studieren und mit unseren Bedürfnissen und Möglichkeiten zu vergleichen. Strategische und operative Inzucht würde verhängnisvoll sein.
Man muss überprüfen, was als Bewährtes weiterzuführen und, wo nötig, zu verbessern ist und in welchen Bereichen Überholtes liqui­diert und gegebenenfalls durch Neues ersetzt werden muss.
Wer aber vorgeht, wie es mir einer der verantwortlichen jungen Planer im Vorfeld der A XXI prophezeite, der muss scheitern. Der betreffende höhere Stabsoffizier meinte mit süffisanter Überheblichkeit: «In der neuen Armee bleibt kein Stein auf dem andern.» – Man hat dies nun inzwischen auch gemerkt.
Mit grossem Tamtam und medienträchtigem Aufmarsch wurde die neue Armee, die Armee XXI, eingeführt. Die sogenannten Experten waren des Lobes voll darüber. Endlich habe die Armee den Weg zur Moderne gefunden. Wer nur die geringsten Zweifel am neuen Produkt anzubringen wagte, wurde als Ewiggestriger, als«Kalter Krieger» bezeichnet.

… anstatt ganze Handbücher der US-Armee abschreiben

Ganze Kapitel von Manualen der US Army wurden«helvetisiert», unter anderem wollte man das Modularprinzip einführen, welches je nach Auftrag verschiedene Truppenverbände zu Kampfformationen formiert. Für eine Milizarmee völlig ungeeignet. Obwohl Peanuts, trotzdem bezeichnend für das Vorgehen der Planer.
Es erschienen plötzlich, getreu der US-Gradstruktur als höhere Unteroffiziere, neben dem Fourier, sechs neue Feldweibelgrade, vom gewöhnlichen Feldweibel zum Chefadjutanten. Der Wachtmeister erhielt einen oberen Kameraden, den Oberwachtmeister. Schliesslich kam neben dem Gefreiten auch noch der Obergefreite dazu, wahrscheinlich hatte man ihn bei der ehemaligen Deutschen Wehrmacht entdeckt. Dabei störte nicht, dass diesen Grad im Ersten Weltkrieg ein gewisser Adolf Hitler besessen hatte, der später als «der Führer» sein Volk und grosse Teile Europas ins Verderben führte.
Nun: Inzwischen ist die Anzahl Begeisterter für die Armee XXI merklich geringer geworden. Viele haben sich klammheimlich von dieser Armee verabschiedet und propagieren dafür nun als das Nonplusultra und als Ersatz für sie eine Berufsarmee.

Unbeantwortete Fragen und Probleme der Armee XXI

Man hat bei der Planung der Armee XXI Grundsätzliches und Wesentliches über Bord geworfen, ungeachtet der Schäden am schweizerischen Sonderfall Milizarmee und unbedarft der anstehenden finanziellen Bedürfnisse bei diesem Neubeginn. Beispiele mögen dies belegen:
Die Kompetenzen der Milizkommandanten wurden durch die Trennung von Führung und Ausbildung arg beschnitten. Ein fataler Fehler, den man allerdings inzwischen zu flicken versucht.
Das Mobilmachungssystem wurde fallengelassen. Wie die Armee oder Teile davon rasch zu mobilisieren wären, wird verschwiegen. Die ersten, die anzutreten hätten, seien Zeitmilitär, Berufsmilitär und Durchdiener. Nach wieviel Wochen RS diese letzteren zu einem Ernstfalleinsatz fähig wären, bleibt dahingestellt. Man rechnet mit Wochen und Monaten, bis die Armee vollständig einsatzbereit wäre. Man faselt weiter von Aufwuchs der Streitkräfte nach Jahren. Wie die zusätzlich benötigten Ausbildungsplätze geschaffen und woher das nötige Lehrpersonal und die Milizkader kommen sollen, bleibt unbeantwortet. Zudem würde allein die Beschaffung der zusätzlichen Ausrüstung und Bewaffnung Milliarden verschlingen. Wer spricht diese Mittel und wann?
Angesichts dessen, dass schon in der heutigen Armee ganze Brigaden über keine Schützenpanzer mehr verfügen, sind auch hier Zweifel angebracht.
Wie war es doch in den früheren Armee-Organisationen: Jeder Wehrmann wuss­te, wo er für den aktiven Dienst einzurücken hatte. Jede Einheit besass ihre eigenen schweren Waffen, ihr gesamtes Gerät, eingelagert in Einheitsverschlägen im Zeughaus. Bis zur letzten Rak-Rohrbrille war alles vorhanden und jederzeit verfügbar. Das ganze Jahr abdeckend war im WK jeweils ein Infanterie-Regiment in Bereitschaft, ein Bataillon innert zwei Stunden, die andern in einem halben Tag. Mit speziellen Aufgeboten hätten je nach Auftrag Teilmobilmachungen eingeleitet werden können. Die Mobilmachung wurde geleitet und überwacht durch die Angehörigen der Mobilmachungsplätze, deren Chefs erfahrene frühere Bataillons- oder sogar Regimentskommandanten gewesen waren. Mobilmachung wurde geübt. Im ersten Armeeleitbild unserer Armee stand Mitte der 80er Jahre die Forderung: Die Organisation der Mobilmachung muss weiterhin verbessert werden.
Die Planer der Armee XXI verzichteten auf sie, statt zu überprüfen, was an dieser Organisation, wenn überhaupt, zu aktualisieren sei. Es bestand überhaupt kein Grund, diese bis ins Detail funktionierende Organisation aufzugeben. Einen Ersatz dafür hatte man ja nicht geplant.
Die Euphorie, eine völlig neue moderne Schweizer Armee zu schaffen, führte auch in der Logistik zu unverständlichen Entscheiden. Mit der Begründung, das Bisherige sei veraltet und nichts mehr wert, setzte man auf Neues. So erhielt ein Teil der Kampfbrigaden schwedische Schützenpanzer. Der andere Teil sollte mit weiteren Tranchen ausgerüstet werden. Dieses Vorgehen der Modernisierung ist auch in andern Armeen der Fall. Es gibt wohl keine Armee auf der Welt, die ihre Streitkräfte gleichzeitig mit neuem, teurem Gerät auszurüsten vermag. Jedoch, bis diese Modernisierung erfolgen kann, haben bisheriges Gerät und Fahrzeuge ihren Dienst weiterhin zu ­leisten. Nicht so in unserer Armee XXI.
Da versteckt man mehrere hundert kampfwertgesteigerte Schützenpanzer M 113 in einer verlassenen Flugzeugkaverne und lässt sie dort vergammeln. Eine weitere Tranche neuer Panzerfahrzeuge ist aber nicht in Sicht, weil die Finanzen fehlen oder die Rüstungsprioritäten geändert wurden.
Dieser Tage nun rollen die ersten Kontingente M 113, nicht etwa zu den noch ohne Schützenpanzer dastehenden Brigaden, sondern zur Verschrottung. Begründungen für diesen Schildbürgerstreich werden etwa gegeben: «In 10 Jahren wären die M 113 ohnehin veraltet», oder, noch skurriler: «Da die Höchstgeschwindigkeit des Panzers Leopard II 68 km/h ist, diejenige des M 113 nur 64 km/h, kann dieser den Panzern im Einsatz nicht folgen!»

Verluderung von Material und Ausrüstung

Ich will Ihnen nun nicht länger weitere Klagelieder Jeremias’ auftischen. Es wären noch weitere verfügbar. Eines lässt sich festhalten: Die Armee XXI ist gescheitert.
Das stellen nicht nur die sogenannten «kalten Krieger» fest, sondern sogar diejenigen, welche diese Armee geschaffen haben. Sie basierte auf unerfüllbaren Wunschvorstellungen, was zu Fehlentscheidungen führte. Diese versucht man nun rückgängig zu machen: auf allen Stufen.
Sogar an der Spitze der Armee findet dieser Tage eine Doktrinkonferenz statt, was aufzeigt, dass man sogar 10 Jahre nach dem pompösen Armee-XXI-Start immer noch auf der Suche nach Grundsätzlichem ist.
Dabei stellt der Chef der Sicherheitspolitik des VBS in der letzten Auflage der ASMZ lakonisch fest:«Die Aufgaben der Armee haben sich in den letzten 20 Jahren kaum verändert.» Aber wenigstens versucht man nun eine Doktrin zu schaffen. Lieber spät als nie.
Allerdings zeigt sich schon beim Betrachten der neuen sogenannten «Kopfstruktur» – welch eine Namensschöpfung – und der damit verbundenen Ordre de Bataille, dass man weder das Gesetz der Einfachheit noch dasjenige der Einheitlichkeit im Kommando beachtet.
Das neue Gebilde ist kompliziert und undurchsichtig. Es trennt die Armee in Kräfte für Verteidigung und solche für subsidiäre Einsätze, also in eine Zweiklassenarmee, deren Teile sich gegenseitig nicht nachhaltig unterstützen können.
Und was besonders negativ auffällt, sind die vorgesehenen Wechsel in der Führung bei verschiedener Einsatzarten und sogar bei deren Eskalation, also in Krisensituationen. Hier darf das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.

Unsere Milizarmee ist aktuell – wenn wir sie wollen

Es steht mir nicht an, mich mit Doktrin oder Truppenordungs- oder Beschaffungsfragen auseinanderzusetzen.
Was ich Ihnen hier heute darzulegen versuchte, war, dass unsere Milizarmee auf der Basis der allgemeinen Wehrpflicht weder eine Antiquität noch ein Auslaufmodell ist.
Sie ist aktuell, weil in kaum einem andern Land die Perspektiven für sie so hochstehend sind wie in der Schweiz. Allerdings nur, wenn man die vorhandenen Kapazitäten kennt, würdigt und sie als Grundlage für den Weiterausbau in die nähere und weitere Zukunft mit einbezieht.
Dass dies die heutigen und künftigen Planer unserer Streitkräfte nach den bitteren Erfahrungen mit der Armee XXI tun werden, darf man annehmen.
Beim Ausbau der Armee sind aber nicht nur die Verantwortlichen der Armeespitze und des Departements gefragt. Auch das Parlament muss in die Pflicht genommen werden. Bei der gegenwärtig noch bürgerlichen Mehrheit müsste das vollziehbar sein.
Unser Volk müsste wieder sehen, dass diese Mehrheit unserer Parlamentarier die Sicherheit unserer Heimat und der Bürgerinnen und Bürger als erstrangiges Ziel betrachtet.
Wenn dem so ist, wird unsere Milizarmee auf der Basis der allgemeinen Wehrpflicht die Kurve nehmen können und auf dem einzuschlagenden Weg gestärkt in die Zukunft voranschreiten. Dies ist die feste Überzeugung und der Wunsch von einem der letzten alten «kalten Krieger».
Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.    •

*Heinz Häsler wurde 1930 als Sohn eines Bergbauern und Bannwarts in Gsteigwiler, Kanton Bern, geboren. Er schloss 1950 das Lehrerseminar Hofwil ab und war Primarlehrer in Merligen. 1952 heiratete er Edith Irene Lenz, Tochter eines Tiefbautechnikers. Später wurde er Instruktionsoffizier der Artillerie. 1975 besuchte er den US Army Officers Advance Course in Fort Sill in Oklahoma. Später übernahm er die Leitung der Abt. Organisation und Ausbildung. 1981 wurde er Divisionär und Unterstabschef Planung im Stab der Gruppe für Generalstabsdienste. 1986 übernahm er das Kommando über die Felddivision 3 und von 1988 bis 1989 kommandierte er als Korpskommandant das Feldarmeekorps 2. Von 1990 bis 1992 war er Generalstabschef der Schweizer Armee.
Nach seiner Pensionierung betätigte sich Häsler als Mundartautor. Seine Erzählungen sind im Gsteigwiler Dialekt verfasst. 1997 erschien «Der Franzos un ander Gschichti u ­Gedicht», 2001 «Buobezyt. Heiters un o weniger Schöös us junge Jahren», 2012 «Vo Lliebi u Trüwwi» (zugleich auch als Hörbuch, Sprecher: Heinz Häsler).
Der Vortrag wurde an der Generalversammlung der Gruppe Giardino am 3.3.2012 gehalten mit dem Titel «Wehrmodell Miliz und Wehrpflichtarmee».

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