Gemeinsame Zeiten und Wendungen des Schicksals

Gemeinsame Zeiten und Wendungen des Schicksals

«… meinen Freund Bibi Netanjahu anrufen und fragen: ‹Würde es helfen, wenn ich das sage? Was möchtest du, dass ich tue?›»

von Michael Barbaro

zf. Gegenüber Obama wurde die Frage aufgeworfen, ob er von Israel bzw. den Stimmen jüdischer Wähler in den USA erpresst werde, um Netanjahu freie Hand zu geben für einen atomaren Erstschlag gegen Iran (siehe Zeit-Fragen Nr. 13, S. 4). Wenn nun der Mormone Mitt Romney Präsidentschaftskandidat der Republikaner werden sollte, dann hat die Beziehung zu Israel bzw. Netanjahu eine ganz andere – aktive – Qualität. Diese Kandidatur wäre ein hochgradiges Alarmzeichen für alle friedenswilligen Länder der Welt.
Nach dem Desaster des Zweiten Weltkrieges hat die Welt sich darauf geeinigt, Konflikte inskünftig am Verhandlungstisch zu lösen. Es gibt keine Begründung, um davon abzukommen!
Jeder Historiker weiss, dass grosse Kriege immer ihre Schatten vorausgeworfen haben. Das gilt für das vergangene Jahrhundert ebenso wie für den 30jährigen Krieg: Friedenssichernde Mechanismen wurden geschwächt, umgebaut oder schlicht ausser Kraft gesetzt. Die den Krieg wollenden Kräfte begannen einen geisterhaften Hochzeitsreigen. Alle diese Alarmzeichen dürfen nicht übergangen werden – auch und gerade in unseren europäischen Ländern, wo das Seilziehen um aktive Beteiligung und medienmässigen Flankenschutz auf Hochtouren läuft. Demokratie darf nicht zum Freipass für Manipulation mit «Spins» und Kriegstreiberei verkommen. Auch nicht zu Grossmachtpolitik mit Emotionen, eine Technik, auf die die Tiefen-Ökologen sich ebensogut verstehen, wie es beim neuen deutschen Bundespräsidenten der Fall zu sein scheint.

Die Freundschaft zwischen Mitt Romney, dem voraussichtlichen republikanischen Präsidentschaftskandidaten, und dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu ist Aussenstehenden kaum bekannt, nun aber reich an politischen Intrigen.
Die beiden jungen Männer hatten herzlich wenig gemeinsam: der eine ein vermögender Mormone aus Michigan, der andere mittelständischer Jude aus Israel.
Im Jahr 1976 jedoch kreuzten sich die Wege von Mitt Romney und Benjamin ­Netanjahu kurz, aber unauslöschlich, in den Büros auf der 16. Etage der Boston Consulting Group (B.C.G.), wo beide als Unternehmensberater eingestellt wurden. In der prägendsten Zeit ihrer Karriere checkten sie sich während der wöchentlichen Brainstorming-Sitzungen der Firma gegenseitig ab und sogen die gleiche, zutiefst analytische Sicht der Welt auf.
Diese gemeinsame Erfahrung vor Jahrzehnten führte zu einer herzlichen Freundschaft, die Aussenstehenden wenig bekannt, nun aber reich an politischer Intrige ist. ­Netanjahu, der Premierminister Israels, wirbt für eine Militäraktion gegen Iran, während Romney, der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Republikaner, die Regierung Obama dafür attackiert, dass sie Netanjahu nicht kräftiger unterstützt.
Die Beziehung zwischen dem 62jährigen Netanjahu und dem 65jährigen Romney – bei Mahlzeiten in Boston, New York und Jerusalem entwickelt, von einem Netzwerk gemeinsamer Freunde gefestigt und durch ihre konservativen Ideologien verstärkt – führte zu einem ungewöhnlich offenen Austausch von Ratschlägen und Erkenntnissen zu Themen wie Politik, Wirtschaft und Naher Osten.
Als Romney Gouverneur von Massachu­setts war, bot ihm Netanjahu Hinweise aus erster Hand, wie er die Grösse der Regierung verkleinern könnte. Als Netanjahu Rentenfonds dazu animieren wollte, sich von Unternehmen mit Verbindungen zu Iran zu trennen, beriet ihn Romney, welche US-Beamten er treffen sollte. Und als Romney erstmals für die Präsidentschaft kandidierte, fragte ihn Netanjahu vorausschauend, ob er glaube, dass Newt Gingrich das Rennen je aufnehmen werde.

Gemeinsame Erfahrungen und eine ähnliche Sicht

Am 6. März lieferte Netanjahu Romney telefonisch ein persönliches Briefing zur Lage in Iran. «Wir können beinahe in Stichworten miteinander sprechen», sagte Romney in einem Interview, «wir teilen gemeinsame Erfahrungen, und wir haben eine Betrachtungsweise und Grundlage, die ähnlich ist.»
Netanjahu schrieb ihre «einfache Kommunikation» dem, wie er es nannte, «intellektuell rigorosen Erziehungslager von B.C.G.» zu. «Trotz unserer unterschiedlichen Herkunft habe ich daher das Gefühl, dass wir dieselben Methoden benutzen, um Probleme zu analysieren und Lösungen dafür zu finden», sagte er via einen persönlichen Berater.
Die Verbundenheit zwischen Romney und Netanjahu sticht heraus, denn es gibt kaum ein zweites Beispiel von zwei Politikern ihres Formats, deren Eintritt in die Regierung eine solch gemeinsame Geschichte voranging. Und diese Geschichte könnte sehr wohl Einfluss auf die Entscheidungsfindung nehmen, wenn die Vereinigten Staaten vor der entscheidenden Frage stehen, ob sie Irans Atom­anlagen angreifen oder Israel bei einer solchen Aktion unterstützen sollen.

«Bibi … was möchtest du, dass ich tue?»

Romney hat darauf hingewiesen, dass er keine wesentlichen Grundsatzentscheidungen bezüglich Israel treffen werde, ohne Netanjahu zu konsultieren – ein Grad an Beflissenheit, der angesichts von Netanjahus polarisierendem Ruf Stirnrunzeln auslösen könnte, während es den Neokonservativen und evangelikalen Christen gefällt, die Israel heftig in Schutz nehmen.
In einem aufschlussreichen Austausch im Zuge einer Debatte im Dezember kritisierte Romney eine verächtliche Bemerkung, die Gingrich über die Palästinenser gemacht hatte, und erklärte: «Bevor ich eine Stellungnahme dieser Art abgeben würde, würde ich ans Telefon gehen und meinen Freund Bibi Netanjahu anrufen und fragen: ‹Würde es helfen, wenn ich das sage? Was möchtest du, dass ich tue?›»

USA-Nahostpolitik als Untervertrag an Israel

Martin S. Indyk, US-Botschafter in Israel während der Clinton-Regierung, sagte, Romneys Aussage impliziere, ob absichtlich oder nicht, dass er «die Nahostpolitik als Untervertrag an Israel abgibt». Und fügte bei: «Das wäre natürlich nicht angebracht.»
Netanjahu besteht darauf, bezüglich Präsidentenwahl neutral zu sein, aber zu Präsident Barack Obama hat er im besten Fall eine angespannte Beziehung. Über Jahre hat der Premierminister viele jüdische Gruppen und republikanische Kongressabgeordnete geschickt mobilisiert, um die Regierung Obama zu einer konfrontativeren Haltung gegenüber Iran zu drängen.
Indyk fügte weiter an: «In dem Mass, wie ihre persönliche Beziehung Netanjahu Zugang zum Weissen Haus unter Romney geben würde, wie er ihn jetzt zum Weissen Haus unter Obama nicht hat, würde der Premier­minister das sicher als wesentlichen Vorteil erachten.»
Dass sich die beiden Männer überhaupt trafen, war eine Laune der Geschichte. In den 1970er Jahren entschieden sich beide für den Besuch der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Boston – Romney in Harvard, ­Netanjahu am Massachusetts Institut of Technology. Nachdem sie an der Spitze ihres Jahrgangs abgeschlossen hatten, konnten sie sich Stellen bei den grössten und renommiertesten US-Beratungsfirmen aussuchen. Die Boston Consulting Group hatte sich noch als keines von beidem qualifiziert. Ihr Gründer, Bruce D. Henderson, galt als brillant, aber eigenwillig; seine unorthodoxen Theorien – den Erfolg einer Firma an ihrem Marktanteil zu messen und Unternehmen in Goldesel und wenig erfolgreiche («cash cows» und «dogs») einzuteilen – galten damals als ausserhalb des Mainstream der Unternehmensberatung stehend.
Wie sich Romney erinnert, machten sich die Studenten regelmässig über die Anwerbungsplakate der Firma lustig. «Boston Consulting war damals eine Firma, die etwas unter Belagerung zu sein schien», sagte er. Aber dass die Stellung der Firma als pionierhafter Emporkömmling den grösseren Blue-Chip-Firmen wie McKinsey und Boos Allen dicht auf den Fersen war, förderte eine tiefe Kameradschaft unter ihren jungen Angestellten, die in den Vereinigten Staaten herumreisten und Kunden wie General Foods und Mead Corp. berieten.
Selbst in einer Firma mit 100 MBA [Master of Business Administration] schafften es Romney und Netanjahu, sich abzuheben, sowohl was ihre Biographie als auch was ihren Intellekt betraf. Romneys Vater, ein ehemaliger Gouverneur von Michigan, bewarb sich einige Jahre zuvor um die Nomination für die Präsidentenwahl bei den Republikanern. Netanjahu hatte seinen eigenen exotischen Lebenslauf: Er hatte gerade einen Einsatz bei einer Elite-Sondertruppe der israelischen Armee beendigt.
«Beide umgab eine Aura», sagte Alan Weyl, der von 1975 bis 1989 für das Unternehmen arbeitete.
Obwohl sie nie enger in einem Projekt zusammenarbeiteten, machten Romney und Netanjahu, von Haus aus konkurrierend, sich gegenseitig tiefen Eindruck, der nur noch grösser geworden zu sein scheint.
Romney, nicht gerade bekannt für einen Mangel an Selbstvertrauen, erinnert sich noch heute an das Gefühl von Neid, wenn er Netanjahu dabei beobachtete, wie er während der Montagmorgen-Meetings der Firma unangestrengt Hof hielt – wenn die Berater ihre Arbeit vorstellten und die Fragen der Kollegen parierten. Die Sitzungen waren berühmt für ihre manchmal äusserst strapaziösen Befragungen.
«Er war eine starke Persönlichkeit mit einem ausgeprägten Standpunkt», sagte Romeny. «Ich strebte nach derselben Art von Perspektive.»
Wie persönliche Berater schildern, habe Netanjahu bei einem Abendessen die eigene Tiefe seines Punktezählens offenbart, als er mit grösstenteils scherzhafter Enttäuschung sagte, dass Romney «Hendersons Favorit» war. «Sein Stern», sagte der Premierminister über Romneys Zeit bei Boston Consulting, «war schon aufgegangen.»
Romney arbeitete von 1975 bis 1977 in der Firma; Netanjahu war von 1976 bis 1978 dort engagiert. Aber einen Monat, nachdem Netanjahu gekommen war, kehrte er nach Israel zurück, um eine Anti-Terror-Stiftung zum Andenken an seinen Bruder zu gründen, der ums Leben kam, als er als Offizier die Geiselbefreiungseinheit in Entebbe, Uganda, führte.
Romney wechselte später zu Bain&Co, einer Konkurrenz von Boston Consulting. Sie hielten aber eine wichtige Verbindung aufrecht: Bei Bain arbeitete Romney eng mit Fleur Cates, Netanjahus zweiter Frau, zusammen. Fleur Cates und Netanjahu liessen sich Mitte der 80er Jahre scheiden, sie blieb aber mit Romney in Kontakt.

Netanjahus langer Arm in die US-Politik

Die Männer traten, kurz nachdem Romney 2003 Gouverneur von Massachusetts geworden war, wieder in Beziehung. Netanjahu stattete ihm einen Besuch ab, erpicht darauf, Geschichten über das Regierungsleben auszutauschen. Netanjahu, der kurz davor als israelischer ­Finanzminister zurückgetreten war, unterhielt Romney mit Geschichten darüber, wie er in der Tradition von Margaret Thatcher und Ronald Reagan gewerkschaftlich organisierte Arbeiter durch Kontrolle ihrer Renten herausgefordert, Steuern gesenkt und zuvor staatlich geführte Industrien privatisiert habe, indem er den staatlichen Einfluss auf private Unternehmen abgebaut habe.
Er ermunterte Romney, nach Wegen zu suchen, um das gleiche zu tun. Wie Romney sich erinnert, erzählte ihm Netanjahu eine Lieblingserinnerung aus der Grundausbildung von einem Soldaten, der mit einem dicken Mann auf den Schultern mit seinen Kameraden um die Wette läuft. Natürlich verliert er. Romney erinnert sich, dass Netanjahu sagte: «Die Regierung, das ist der Kerl auf deinen Schultern.»
Als Gouverneur, sagte Romney, wiederholte er die Geschichte oft gegenüber den Leitern verschiedener Abteilungen und erinnerte sie daran, dass ihr Job als Regulierungsbehörde darin bestehe, «die Bösen zu erwischen, aber auch die Guten zu ermutigen und das Geschäft in unserem Staat erfolgreicher zu machen».
Einige Jahre später ass Romney mit Netanjahu in dessen Privathaus im jüdischen Quartier der Altstadt von Jerusalem zu Abend, wobei die beiden stundenlang über die Wirtschaft der USA und Israels diskutierten. Als Netanjahu Romney über die persönliche Kampagne informierte, um amerikanische Rentenfonds zu überzeugen, bei Unternehmen, die mit Iran verbunden sind, ihre Investitionen abzuziehen, opferte Romney seine Rolodex [Rotationskartei].
Bevor er Israel verliess, vereinbarte er für seinen alten Kollegen verschiedene Treffen mit Regierungsbeamten der Vereinigten Staaten. «Ich erkannte die Weisheit seines Denkens sofort», sagte Romney.
Zurück in Massachusetts verschickte Romney Briefe an Abgeordnete, in denen er sie darum ersuchte, dass die von ihnen kontrollierten Rentenfonds ihre Investitionen bei Unternehmen, die mit Iran Geschäfte tätigen, abstossen.
Auch wenn Netanjahu, der die US-Politik eifrig verfolgt, versucht hat, bei der Präsidentenwahl jeden Hinweis auf eine Bevorzugung zu vermeiden, schenkte er nach Aussage von Freunden in dieser Kampagnenzeit dem politischen Schicksal Romneys besonders scharfe Aufmerksamkeit.
Und der Premierminister hält die Kommunikationskanäle zum Kandidaten offen. Als Gingrich in den Umfragen an die Spitze trat, wurde Netanjahu im Januar von einem Artikel aufgeschreckt, der erläuterte, warum Sheldon G. Adelson, ein milliardenschwerer Casino-Manager und ausgesprochener Unterstützer Israels, Millionen von Dollars zur Unterstützung Gingrichs aufgewendet hatte. Der Artikel bezeichnete Netanjahu und Adelson als enge Freunde. Netanjahus Büro übermittelte Dan Senor, einem leitenden Berater Romneys, eiligst eine Meldung: Der Premierminister hatte bei Adelsons Entscheidung zur Finanzierung von Romneys Rivalen keine Rolle gespielt.    •

Quelle: The International Herald Tribune vom 9.4.2012
(Übersetzung Zeit-Fragen)

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