Die Goldmänner

Die Goldmänner

Lob der Verschwörungstheorie: Wolfgang Streeck rückt den Kapitalverstehern zu Leibe

von Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung

Was ist unter sich selbstregulierenden Finanzmärkten zu verstehen? Offenkundig Märkte, die von Goldman Sachs selbst reguliert werden, sagte am Montagabend in einem fulminanten Vortrag der Soziologe Wolfgang Streeck. An der Berliner Schaubühne diskutierte er, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, mit seinem Kollegen Heinz Bude vom Hamburger Institut für Sozialforschung über «Doppelherrschaft im Kapitalismus». Während sonst in der deutschen Krisendebatte neben Rechthaberei und Moralismus vor allem Begriffsgespenster aufgeboten werden, fand Streeck eine Form soziologisch aufgeklärter Krisenerzählung, die es erlaubt, klarer zu sehen, statt angesichts der Komplexität der Welt zu resignieren.
Demokratische Schuldenstaaten müssten, so Streecks Ausgangspunkt, zwei Herren dienen, den Bürgern und den «Märkten». Wer aber sagt, was die «Märkte» wollen? Es sind Finanztechnokraten, die dafür sorgen, dass die Gläubiger nicht daran glauben müssen, dass die Staaten sich als gute Schuldner erweisen und alles getan wird, damit die nächste Generation bezahlen kann, was längst ausgegeben ist. In Griechenland und Italien stehen «Vertrauenspersonen der Märkte» bereits an der Spitze der Regierung.
Und damit ist man schon wieder bei Goldman Sachs, dem New Yorker Investmentbanking- und Wertpapierhandelsunternehmen, dem es über Jahre gelungen ist, poli­tische Spitzenpositionen mit Mitarbeitern und Freunden der Firma zu besetzen. Greifen wir nur ein paar Namen heraus: Robert Rubin, 26 Jahre bei Goldman Sachs, wurde unter Clinton Finanzminister und sorgte in dieser Funktion für die Befreiung der Märkte von beschränkenden Regeln. Ihm zur Seite stand Larry Summers, der auch sein Nachfolger als Finanzminister wurde. Die von beiden vorangetriebene Deregulierung gehörte zu den Voraussetzungen der Finanzkrise des Jahres 2008. Im Krisenjahr verdiente Summers, zuvor Präsident der Harvard Universität, nicht nur bei einem Hedgefonds, sondern auch 2,7 Millionen Dollar durch Vorträge bei JP Morgan Chase, Citigroup, Merrill Lynch und anderen Bankhäusern. 135 000 Dollar bekam Summers für einen Auftritt bei Goldman Sachs. Was wurde da bezahlt? Eine wunderbare Freundschaft? Oder handelte es sich, fragte Streeck, um «antizipatorische Korruption», getarnt als Unternehmensberatung?
Larry Summers wurde unter Obama, dessen Wahlkampf Goldman Sachs grosszügig unterstützt hatte, Direktor des National Economic Council. Kurz zuvor hatte der Finanzminister Henry Paulson, bis 2006 CEO bei – richtig – Goldman Sachs, mit Lehman Brothers den grössten Konkurrenten der Investmentbank pleitegehen lassen, den Versicherungsriesen AIG aber mit Steuergeldern gerettet, dort standen schliesslich Milliarden auf dem Spiel – für Goldman Sachs.
Man trifft sie immer wieder: Mario Draghi, heute an der Spitze der EZB, war zuvor Europa-Chef bei Goldman Sachs, dem Unternehmen, das Griechenland durch Anleitung in kreativer Rechnungsführung die Mitgliedschaft in der Währungsunion ermöglicht hat. Partner bei der griechischen Notenbank war damals Loukas Papadimos. Ein kurzer Blick nach Italien: Mario Monti hat als EU-Wettbewerbskommissar kräftig geholfen, das öffentliche Bankenwesen in Deutschland zu zerschlagen. Später beriet der Mann, dem die Märkte vertrauen, Goldman Sachs. (Ausführlich über die Geschichte von Goldman Sachs informiert der Rolling-Stone-Artikel «The Great American Bubble Machine», zu finden unter www.rollingstone.com.)
Verschwörungstheorien gelten als unfein. Aber es gibt doch, so Streeck, Verschwörungen. Wer die Krise verstehen will, muss die «geballte Präsenz» der «Goldmänner» in der amerikanischen Politik und inzwischen global ebenso zur Kenntnis nehmen wie die absurde Tatsache, dass man als Rettungssanitäter regelmässig die ruft, die den Wagen an die Wand gefahren haben. Man muss von den Machttechniken der Experten reden.
Worin besteht deren Expertentum? Es gründet zunächst in Mystifizierung durch Verwissenschaftlichung. Da wird Wirtschaft nahezu ausschliesslich mathematisch behandelt, aber wenn es kritisch wird, sprechen die Technokraten von den Märkten wie Psychotherapeuten von hilfebedürftigen Kindern: Da sind die Märkte dann «scheu», «ängstlich», neigen zu panischen Reaktionen. Intelligenz spricht Streeck den Experten nicht ab, aber ihr Wissen sei doch oft nur behauptet. Entscheidend sind gleichermassen Netzwerke, Strategien zur Plazierung wichtiger Leute und die Bereitschaft, systematisch an den Grenzen des Erlaubten zu operieren. Wo es um Abschöpfung statt um Wertschöpfung geht, spielen also Kenntnisse in der guten alten Staatskunst eine entscheidende Rolle. Intrigenkompetenz ist ebenso wichtig wie finanztechnisches Wissen. Die Experten verkörpern besondere Nähe zu den «Märkten», deren Wünsche sie in Sachzwänge übersetzen. Sie sind «Kapitalversteher», die erfolgreich die westlichen Demokratien belagern. Dagegen helfe, so Streeck im schwächeren, rebellionsromantischen Schlussteil, Empörung, «uneinsichtige Beharrlichkeit», die Weigerung, verachtet und abgeschöpft zu werden, kurz: Occupy. Die Angst der Experten vor der «Unvernunft der Massen» sei gross.
In einem Aufsatz für Lettre International (Heft 95, Winter 2011) hat Streeck die derzeitige Finanz- und Schuldenkrise in den «endemischen Konflikt zwischen kapitalistischen Märkten und demokratischer Politik» eingeordnet. In den Nachkriegsjahrzehnten ermöglichte Wachstum einen Ausgleich zwischen sozialen Rechten auf der einen Seite und «Grenzproduktivität nach Bewertung des Marktes» andererseits. Befristete Notlösungen in diesem Konflikt waren unter anderem die Tolerierung von Inflation, die Hinnahme von Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung, die Deregulierung des privaten Kredits. Jetzt sieht Streeck den «demokratischen Kapitalismus» in Gefahr, wenn die Staaten als «Inkassoagenturen im Auftrag einer globalen Oligarchie von Investoren» agieren.
Sind wir «Freunde der Mittelklasse» nicht alle darin verstrickt, fragte Heinz Bude, und mit unseren Rentenansprüchen, Vermögenswerten, Zukunftsinvestitionen am Funktionieren der Finanzmärkte interessiert? – «Sie werden in den nächsten zehn Jahren von Herrn Draghi enteignet werden», erwiderte Streeck. Politisch ist das keine Antwort, nur eine Drohung, wie ja auch die Experten stets mit dem Schlimmeren drohen.
Die Frage bleibt, ob es Occupy oder weniger romantisch Gestimmten gelingt, politische, gewerkschaftliche Forderungen jenseits der Systemfrage zu formulieren. Dass man Goldman-Sachs-Leute für lange Zeit nicht mehr in öffentlichen Ämtern sehen will, wäre eine.     •

Quelle: © Süddeutsche Zeitung vom 18.4.2012

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