von Brian M. Downing*
Der Krieg in Afghanistan steckt nun seit einigen Jahren in der Sackgasse, und man richtet den Blick auf eine Verhandlungslösung. Gespräche zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban kamen und gingen in den letzten Wochen, aber sie werden so gut wie sicher wiederkehren.
So willkommen solche bilateralen Gespräche auch sind, so ignorieren sie doch die vitalen Interessen regionaler Akteure wie Russland, China, Indien, Iran und was möglicherweise am wichtigsten ist: die Pakistans. Sie alle werden ihre Interessen einfliessen lassen, direkt oder indirekt, klug oder ungeschickt.
Die pakistanische Armee und der pakistanische Geheimdienst Inter-Intelligence Service (ISI) haben beträchtlichen Einfluss auf die Taliban und viele andere militante Gruppen entlang der Durand-Linie [der Demarkationslinie], die Afghanistan und Pakistan trennt. Da diese Sicherheitsorgane den USA und der Internationalen Afghanistan Schutztruppe Isaf die Nachschublinien durch ihr Land abschnitten, haben sie das Gefühl, die USA fachmännisch in die Ecke manövriert zu haben.
Wenn die Verhandlungen dereinst wieder beginnen, werden die Generäle in einer massgeblichen Position sein, aber es steht in den Sternen, wie kunstvoll sie diese nutzen werden und was eine Vereinbarung bringen wird. Verhandlungen und eine Regelung könnten den Generälen in ihren Stützpunkten in Rawalpindi grössere Probleme bescheren.
Die Taliban traten Mitte der 1990er Jahre in Erscheinung, inmitten der chaotischen Nachwirkungen des sowjetischen Rückzugs von 1989 und des Zusammenbruchs der kommunistischen Regierung im Jahre 1992, als sich ehemalige Mudschahedin-Gruppen aus Koranschulen formierten, um die Warlords und Banditen zu bekämpfen. Mit ihrem Erfolg gewannen sie die Unterstützung vieler kriegsmüder Afghanen, aber auch von pakistanischen Generälen. Die Generäle wünschten einen strategischen Partner im Norden, der den indischen Einfluss hinausdrängen und den Handel zwischen den zentralasiatischen Republiken und den pakistanischen Häfen absichern würde.
Gemeinsam war den Generälen und Mullahs das Amalgam aus religiösen und politischen Überzeugungen, die in den Madrassen von Deoband gelehrt werden [dem zweitgrössten theologischen Zentrum des Islam, das für eine strenge und klassische Auslegung des sunnitisch-hanafitischen Islam steht], und das Hindus genauso bekämpfte wie die Schiiten und das die nationale Sicherheit Pakistans mit einer religiösen Aura umgab. In Wirklichkeit waren die Aufstände gegen die sowjetisch unterstützte Regierung im Jahre 1979 in beträchtlichem Ausmass von der pakistanischen Armee gemeinsam mit der Central Intelligence Agency der Vereinigten Staaten inszeniert worden. Dies führte zum sowjetischen Einmarsch und zu Jahrzehnten von periodischem Krieg und Instabilität.
Die Generäle sind in der Lage, die Taliban zu beeinflussen, sei es durch das Zurückhalten von Nachschub, durch das Verhaften von Mitgliedern der Gruppe in Quetta und Karachi oder, als drastischste Massnahme, durch die Bekanntgabe der Aufenthaltsorte von Anführern an den US-Geheimdienst und dem Erwarten des Unvermeidlichen. Die Generäle werden zweifellos eine Regelung anstreben, welche die pakistanische Vorherrschaft in Afghanistan und den lukrativen Handel mit Zentralasien wiederherstellt. Sie werden darauf bestehen, dass die Taliban am anti-hinduistischen Programm festhalten und dass Indien aus dem Norden verdrängt oder zumindest auf Unternehmen beschränkt wird, die Pakistan nützen, so etwa auf den Export von Erzen via Karachi.
Indien hat Unterstützung von nicht-paschtunischen Völkern im Norden erhalten, denn sie hassen die Taliban und sehen Pakistan als Unterstützung des Aufstandes und der Mordkampagne gegen nördliche Führer. Indien wird Unterstützung von Russland erhalten, das sich darum bemüht, die islamische Militanz entlang der Durand-Linie und den chinesischen Einfluss in Zentralasien aufzuhalten. Auch Iran wird Indien unterstützen, da es die Taliban als sunnitische Sekte mit Verbindungen nach Saudi-Arabien sieht, das mit ihm um die Dominanz im Persischen Golf konkurriert.
Das könnte bedeuten, dass die pakistanischen Interessen, wie sie von seinen Generälen verstanden und vorangetrieben werden, Verhandlungen komplizieren und sie möglicherweise sogar in eine Sackgasse führen. Eine weitere erschwerende, wenn nicht ruinöse Angelegenheit ist die Kaschmir-Frage, die für den pakistanischen Nationalismus zentrale Bedeutung hat. Nachrichten und Schulunterricht machen geltend, dass Indien die Teile Kaschmirs, die heute von Neu Delhi kontrolliert werden, gestohlen habe und Pakistan ganz Kaschmir der hinduistischen Vorherrschaft entreissen müsse. Nur wenige Historiker ausserhalb Pakistans stimmen mit dieser Position überein, und nur wenige Angehörige der kaschmirischen Bevölkerung möchten die Herrschaft Indiens gegen diejenige Pakistans eintauschen. Aber dessen ungeachtet bleibt Kaschmir eine fixe Idee in der pakistanischen Vorstellung.
Die Loslösung Kaschmirs aus indischer Kontrolle ist ein regelrechtes Glaubensbekenntnis in der pakistanischen Armee. Es vermengt sich mit Vorstellungen institutioneller Ehre und nationaler Mission, was die Inbrunst, mit der man dem Glaubensbekenntnis ergeben ist, noch verstärkt. Die Armee trainiert verschiedene militante Gruppen auf Operationen in Kaschmir und führt Ablenkungseinsätze, um deren Infiltration über die Grenze zu decken. Sie hat wegen Kaschmir zwei Kriege geführt (1965 und 1971) und sie beide verloren, was ihr Glaubensbekenntnis mit der Notwendigkeit tränkte, die Demütigung zu rächen.
Die Generäle sehen ihre Unterstützung für die Taliban, ihr Eingrenzen der US-Nachschublinien und ihre Unterredungen mit China so gut wie sicher als meisterhafte Schachzüge, die in einer Regelung der Kaschmir-Frage zu ihren Gunsten kulminieren werden. Ein Misserfolg brächte zusätzliche Schmach. Überdies würde es die militanten Gruppen, die zur Befreiung Kaschmirs trainiert wurden, dazu veranlassen, sich gegen ihre staatlichen Geldgeber zu wenden. Viele Mitglieder dieser Gruppen, wie Lashkar-e-Toiba, sind derart fanatisch, dass sie bei einer Empfehlung der Generäle zur Zurückhaltung, ihre Freilassung verlangen und ihrem Zorn sogar durch Angriffe auf pakistanische Generäle und Politiker Luft machen.
Bei aller strategischen und religiösen Geistesverwandtschaft sind die Taliban und die Generäle in Rawalpindi eigenständige Gebilde, die teilweise und zumindest für eine gewisse Zeit gemeinsame Interessen haben, aber nicht identisch sind. Risse könnten schon zum Vorschein gekommen sein. Vor zwei Jahren hatte Pakistan eine Handvoll Talibanführer verhaftet und inhaftiert, die kurz davor waren, nicht genehmigte Gespräche mit den USA zu führen.
Pakistans Sorge über die Präsenz Indiens im Norden könnte grösser sein als die diesbezügliche der Taliban, obwohl sie gegen die Hindu sind. Das könnte zu einer härteren Linie führen als die Shura [der Rat] der Taliban es möchte. Pakistan könnte danach streben, dass die afghanischen Ressourcen überwiegend von seinen Häfen am Arabischen Meer verschifft werden (anstatt im Norden nach Russland oder im Westen nach Iran) und ausserdem saftige Transitgebühren verlangen.
Ausserdem betrachten die pakistanischen Generäle die Taliban-kontrollierten Gebiete im Süden und Osten Afghanistans als Zufluchtsort im Falle eines Krieges mit Indien und werden sich darum bemühen, dort präsent zu sein. Die Generäle werden diese Provinzen als eine Art autonome Region sehen, die von ihren Hauptquartieren in Rawalpindi stark beeinflusst wird.
Die Taliban sind von fast allen Mächten als paschtunische Bauerntölpel verkannt worden, die in Fragen der Welt rund um sie herum naiv seien. Ihre geschickten Kommuniqués und ihre wirksamen Kampagnen lassen etwas anderes durchblicken. Pakistan ist vielleicht die letzte Macht, die sie leichtfertig behandelt.
Die drei Jahrzehnte des Kampfes gegen ausländische Armeen und nicht-paschtunische Völker hat ein stärkeres Zusammenwirken und eine etwas stärkere paschtunische Identität bewirkt. Die Paschtunen in Afghanistan haben gegen die Russen, die Tadschiken, die Usbeken und nun gegen die Amerikaner und deren Alliierte gekämpft, obwohl sie sich auch gegenseitig bekämpft haben.
Einige paschtunische Stämme dienten bei den Russen gegen die Mudschahedin, später waren sie mit der Nordallianz gegen die Taliban verbündet und befürworten nun die vom Westen unterstützte Regierung von Hamid Karzai in Kabul. Nichtsdestoweniger haben die Taliban eine beträchtliche Ansammlung von Stämmen im Süden und Osten vereinigt – durch Unterredungen, mittels Zwang oder weil es ganz offensichtlich unvermeidlich ist.
Die Paschtunen jenseits der Grenze in Pakistan sehen, wie ihre Sprache in Zeitungen und Schulen gewaltsam verdrängt wird durch Urdu [die pakistanische National- und Amtssprache] – ein Rezept für ethnische Verbitterung. Viele paschtunische Stämme südlich der Durand-Linie haben gegen die Präsenz Islamabads und seine Allianz mit den USA revoltiert. Sie haben die Tehrik-e-Taliban (Pakistan Taliban, TTP), eine Dachorganisation paschtunischer Stämme, gegründet, welche die pakistanische Armee in die Enge getrieben hat und regelmässig schreckliche Bombenanschläge durchführt.
Die Kriege haben zu Stammesabsprachen und -allianzen geführt, die einigen der ungleichen Stämme, aus denen sich das paschtunische Volk auf beiden Seiten der Grenze zusammensetzt, ein gewisses Mass an gemeinsamen Zielen gebracht haben. Zurzeit bilden die Taliban keine paschtunische Nationalbewegung, auch wenn ihre Bewegung von nicht-paschtunischen Völkern im Norden wenig Unterstützung erhält und ihre nicht-paschtunischen «Landsleute» sogar die entschiedensten einheimischen Feinde der Taliban sind – ein Rezept für nationalistische Gefühle.
Die Taliban nehmen für sich in Anspruch, eine islamistische Bewegung zu sein, die über kleinlichen Forderungen und profanen Vorurteilen von Tribalismus und Nationalismus steht. Eine Regelung würde sie allerdings der offiziellen Kontrolle zumindest einiger paschtunischer Regionen überlassen – und sie dazu zwingen, mit den dortigen kleinlichen Forderungen und profanen Vorurteilen fertig zu werden. Die islamistische Ideologie bietet keine sinnvolle Anleitung zur Verbesserung der Ernten, zur Erschliessung mineralogischer Ressourcen oder zum Ausfindig-Machen von Exportrouten.
Die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan ist eine willkürliche Schöpfung der Briten, die punktuell abgegrenzt ist und kaum respektiert wird. Ältere, erfahrene Paschtunen und Angehörige des Bürgertums werden sich an Afghanistans vehementen, aber ohnmächtigen Widerstand dagegen erinnern, Pakistan Ländereien der Paschtunen zugestehen zu müssen. Sie werden als integrale Bestandteile Afghanistans betrachtet, die ihnen vor langer Zeit von der britischen Armee unrechtmässig entrissen wurden und heute von deren Sepoys [Bezeichnung für die indischen bzw. heute pakistanischen Soldaten der britischen Armee während der Kolonialzeit] zurückgehalten werden. Viele würden es vorziehen, Teil des Hindu-dominierten Indien zu sein, anstatt Teil eines pandschabisch dominierten Pakistan.1
Nach der Teilung Indiens im Jahre 1947 unterstützten die afghanischen Regierungen offiziell die Bildung eines unabhängigen Paschtunistans auf dem Gebiet des heutigen Khyber Pakhtunkhwa (bis 2010 als nord-westliche Grenzprovinz bekannt), der Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) und eigentümlicherweise der westpakistanischen Provinz Belutschistan. Die Belutschen sind keine Paschtunen; Kabul spielte lediglich mit der Verbitterung der Belutschen über den Verlust ihrer Autonomie an den pakistanischen Staat.
Pakistan erkennt in den Ansprüchen der Paschtunen und Belutschen eine doppelte Gefahr. In Belutschistan existiert auf niedriger Stufe bereits Auflehnung gegen die pakistanische Verwaltung, die um den Gewinn von Ressourcen und brutale Unterdrückung kreist. Angriffe der Belutschen waren mit ein Grund für die Zurückhaltung Chinas, in Gwadar eine Marinebasis zu bauen und mit wirtschaftlichen Projekten voranzumachen, – so reich Belutschistan an Gold und Kohlenwasserstoffen auch sein mag.
Weiterbestehende afghanische Forderungen, eine aufkommende paschtunische Bewegung und zunehmend feindliche und unter Umständen rachsüchtige USA sorgen in Pakistan für Angst, denn Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan umfassen etwa 60 Prozent der Fläche des Landes. Und die territoriale Integrität war seit dem Verlust von Ostpakistan, dem heutigen Bangladesch, im Jahre 1971 von höchster Bedeutung.
Diese Befürchtungen könnten auch Hintergrund für die missbilligende Reaktion der pakistanischen Armee darauf gewesen sein, dass die USA als Teil ihrer Truppenaufstockung im Jahre 2009 Truppen in die südafghanischen Provinzen, unmittelbar nördlich von Belutschistan, verlegten. Die pakistanische Armee protestierte, die Aufstockung würde Streitkräfte der Taliban nach Belutschistan treiben, was eine Truppenverlegung von der indischen Grenze nach Belutschistan erforderlich machte.
Insofern als die pakistanische Armee nur die pakistanischen, nicht aber die afghanischen Taliban bekämpft, offenbaren die Proteste Besorgnis über die US-Überfälle auf die Zufluchtsorte der Taliban in Belutschistan und mögliche Verbindungen der USA zu belutschistanischen Separatisten – auch wenn man das ausserhalb Rawalpindis für unwahrscheinlich hält.
Paradoxerweise, im Kontext der Sicherheitsbefürchtungen Pakistans jedoch gut verständlich, fürchtet die Armee auch, dass die Talibantruppen, die in Belutschistan sichere Rückzugsorte geniessen, Gemeinsamkeiten mit den balutschistanischen Separatisten feststellen werden. Diese Sorge führt noch zu einer weiteren: dass sich die Paschtunen und Belutschen abspalten und für einen eigenen Weg sorgen werden, auf dem der zentralasiatische Handel das Arabische Meer unabhängig von pakistanischer Kontrolle erreichen kann – über ein belutschistanisches Gwadar, nicht ein pakistanisches Gwadar oder über Karachi.
Seit langem bestehende Feindseligkeiten, und Hoffnungen könnten ein zumindest nominell vereinigtes Paschtunistan herbeiführen, das Gebiete auf beiden Seiten der Durand-Linie umfasst. Ob es ein autonomer Teil von Pakistan sein würde wie Khyber Pakhtunkhwa oder ein autonomer Teil Afghanistans oder ein völlig eigenständiger Staat ist von grosser Bedeutung und grossem Interesse.
Scharfsinnigere Mitglieder des hohen Rates der Taliban müssen sich der Verhältnisse in Pakistan bewusst sein und was diese für die Zukunft ihrer Bewegung nach einer Regelung bedeuten. Pakistan ist instabil, dies zu keinem geringen Anteil wegen der pakistanischen Taliban, aber auch auf Grund ethnischer Antagonismen, der ungeheuren Armut und der Unfähigkeit pandschabischer Generäle und Politiker. Andere Länder der Region trauen Pakistan nicht, und selbst China nimmt von militärischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit Abstand.
Pakistan wird für die Taliban folglich weniger von Nutzen sein, wenn erst einmal eine Regelung erreicht sein wird. Die Taliban wissen, dass sie es versäumten, das Land unter ihrer Herrschaft zu entwickeln, und dass das zu Unzufriedenheit, vereinzelten Aufständen und einem Mangel an öffentlicher Unterstützung führte; das zeigte sich sehr deutlich, als die USA intervenierten und sie in kurzer Zeit verdrängten. Die Taliban werden sich nach breiterer internationaler Unterstützung umsehen, als Pakistan sie geben kann – oder will, dass sie erhalten.
Es ist unwahrscheinlich, dass die USA aus Spaltungen zwischen den Taliban und Pakistan Nutzen ziehen können, so willkommen ihnen das wäre. Welcher Art die Vorbehalte der Taliban gegenüber Pakistan auch sind – sie verblassen im Vergleich zur Feindschaft, die sie gegenüber den USA hegen, die ihr Land seit über einem Jahrzehnt besetzt halten und zahlreiche ihrer Kämpfer und auch viele Zivilisten töteten. Die USA könnten jedoch wirtschaftliche Hilfe zur Verfügung stellen und könnten, unter gewissen Umständen, vielleicht sogar bei der Schaffung einer autonomen paschtunischen Region behilflich sein, was von den Bewohnern des nördlichen Afghanistan zurückhaltend aufgenommen würde und für die Generäle von Pakistan alarmierend wäre.
Menetekel eines US-Rückzuges
Pakistan muss sich auch mit den Folgen einer Regelung, welche die USA verdrängt, befassen. Je schmachvoller der US-Abzug, um so besorgniserregender für die pakistanischen Generäle.
Die USA werden dafür kritisiert, ihrem angeblichen Verbündeten dieses Jahr 1,7 Milliarden Dollar Militärhilfe und weitere 1,5 Milliarden Wirtschaftshilfe zu leisten. Kürzungen der Militärhilfe und vielleicht deren gänzliche Aufhebung könnten sich abzeichnen, obwohl Wirtschaftshilfe und Handelsvorteile wahrscheinlich weitergeführt werden, um die Zivilregierung in ihrem andauernden Machtkampf mit der Armee zu unterstützen. Ausserdem könnten sich die USA Indien weiter annähern. Die beiden kooperieren bei der Bekämpfung des chinesischen Einflusses entlang der Seestrassen zu den Ölvorräten des Persischen Golfes, und beide blicken argwöhnisch auf Pakistan.
Die Generäle in Rawalpindi hatten lange das Gefühl, die Dreiecksbeziehung mit China und den USA verschaffe ihnen Einfluss gegenüber beiden und dass die USA sie aus Angst vor einem glorreichen Einsatz der «China-Karte» nicht zu sehr unter Druck setzen würden. Das Oberkommando in Rawalpindi kann sich nicht länger darauf verlassen. China hat Zurückhaltung signalisiert, was den Ausbau einer Marinebasis in Gwadar betrifft, obwohl die Stadt nur 800 Kilometer von der Strasse von Hormus entfernt liegt.
China hat auch von der Finanzierung einer iranisch-pakistanischen Pipeline Abstand genommen. Das war vielleicht eine widerwillige Konzession an die internationalen Sanktionen gegenüber Teheran, aber es ist, und das ist wohl wichtiger, ein Überdenken des Nutzens von Pakistan. Das Land ist geplagt von verschiedenen Formen der Instabilität, nicht die geringste darunter ist der Separatismus in der westlichen Provinz Belutschistan, in dem Gwadar liegt und durch das eine iranisch-pakistanische Pipeline führen würde. Belutschistanische Separatisten nehmen oft chinesische Ingenieurteams ins Visier, um die Ausbeutung durch Pakistan einzuschränken. Ausserdem überlegt sich China, dass Pakistans Unzuverlässigkeit gegenüber den USA sich eines Tages ihm gegenüber wiederholen könnte.
Ein Abzug aus Afghanistan würde den USA freie Hand geben, um die pakistanische Armee bezüglich ihrer Verbindungen zu verschiedenen militanten und terroristischen Gruppen unter Druck zu setzen – ein Projekt, das viele Staaten unterstützen werden. Jeder weniger als huldvolle US-Abzug aus Afghanistan würde sie in diesem Bemühen bestärken. Die internationale Unterstützung dafür wäre beträchtlich. Bemühungen in diese Richtung könnten vor kurzem signalisiert worden sein.
Die USA haben eine Prämie von 10 Millionen Dollar ausgesetzt für die Mithilfe bei der Verhaftung und Verurteilung von Hafiz Saeed, dem Führer der Lashkar-e-Toiba (LeT), jener militanten pandschabischen Gruppe, die hinter dem tödlichen Anschlag von 2008 in Mumbai steht. Die Wahl von LeT ist insofern bedeutsam, als der Anschlag von Mumbai in punkto globaler Bedeutung wohl nur von den Anschlägen vom 11. September übertroffen wird.
Es gibt zwei überlebende Komplizen des Anschlages, einen Anstifter und ein Mitglied des Angrifftrupps, die beide bezeugt haben, von pakistanischen Armeeoffizieren finanziert und trainiert worden zu sein. Ebenfalls von internationaler Bedeutung sind die Verbindungen von LeT zu al-Kaida und den Anschlägen von 2005 in London. Die beiden Gruppen arbeiten Seite an Seite in Ostafghanistan, geben sich ihre tödlichen Fertigkeiten weiter und teilen dieselben salafistischen Glaubensüberzeugungen.
Saeed hat in aller Öffentlichkeit im Volk Unterstützung gesammelt. Er operiert frei innerhalb Pakistans, auf dem gut eingericheteten Gelände der LeT. Er muss sich weder in der Nähe einer abgelegenen Armeebasis verstecken noch müssen seine Anhänger in den Bergen von Nord-Waziristan und Paktia herumschleichen, selbst wenn das einige tun. Saeeds öffentliche Stellung macht allen deutlich, dass er von Pakistan geduldet wird.
Pakistan könnte auf dem Weg sein, als staatlicher Förderer des Terrorismus bezeichnet zu werden und internationale Sanktionen ertragen zu müssen, obwohl es ein Jahr oder länger brauchen würde, um die Argumente dazu für die Welt zusammenzutragen. Die ruinösen Auswirkungen solcher Sanktionen können unmittelbar westlich in Iran beobachtet werden, und Pakistan hat keine Ölressourcen, um deren Auswirkungen abzumildern. Sorgen machen müssen sich die Generäle darüber, was allenfalls auf den Festplatten war, welche die USA auf dem Gelände von Usama bin Ladin in Abbottabad beschlagnahmt haben.
Die pakistanische Armee
und ihre Vasallengruppen
Die Androhung von Sanktionen oder deren tatsächliche Verhängung mitsamt anderen internationalen Pressionen zielen darauf ab, die pakistanische Armee zu zwingen, mit ihren militanten Vasallen entlang der Durand-Linie zu brechen und eine professionelle Streitkraft zu werden, die auf nationale Verteidigung ausgerichtet ist und in Einklang mit dem Völkerrecht steht. Das wird Pakistans Weg zurück zur Weltordnung. Obwohl wünschbar und in gewisser Weise unvermeidlich, wird der Bruch mit den Vasallengruppen schwierig und gefährlich sein.
Eine Regelung in Afghanistan würde wahrscheinlich dazu führen, dass sich die LeT und gleichartige Gruppen wie die Jaish-e-Mohammad, gegen Pakistan wenden, vor allem wenn die Kaschmir-Frage nicht zufriedenstellend gelöst wird – und das wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Verrat witternd werden militante Gruppen ihre Aufmerksamkeit auf die Armee richten – die früheren Mentoren werden dann als Verräter gesehen.
Einige Mitglieder der LeT haben schon geahnt, dass das Engagement für die Sache Kaschmirs erlahmt und haben an Attentatsversuchen auf den damaligen Präsidenten Pervez Musharraf teilgenommen. Würde die ganze Gewalt der LeT, deren Elemente in Ostafghanistan und pandschabischen Städten sitzen, gegen die Armee und den Staat losgelassen, wäre das fürchterlich. Es gibt in der pakistanischen Armee Tausende von Offizieren – lange im Credo von Kaschmir indoktriniert –, die sie unterstützen würden.
Selbst im unwahrscheinlichen Fall eines befriedigenden Abschlusses der Kaschmir-Frage bestünde noch immer das Problem trainierter und leidenschaftlicher Kämpfer, die weiterhin im Bann islamistischer Militanz stehen und einer Rückkehr zu unattraktiven zivilen Beschäftigungen abgeneigt sind. In dieser Hinsicht gleichen sie vielleicht den arabischen Mudschahedin nach dem Afghanistan-Krieg von 1989 oder den Tuareg nach dem Sturz Muammar Gaddafis letztes Jahr in Libyen. Sie werden für andere Dinge zur Verfügung stehen, die ihre besonderen Fertigkeiten erfordern. Die Welt wird ihr Angebot kaum ausschlagen.
Ohne Rücksicht auf Pakistans Einstellung zu seinen Vasallengruppen wird internationaler Druck auf Islamabad ausgeübt werden – und zwar dahingehend, dass es nicht nur mit ihnen brechen, sondern auch gegen sie aktiv werden soll. Entsprechend wird jede afghanische Regelung darauf bestehen, dass die Taliban mit den verschiedenen Gruppen, die in Ostafghanistan agieren, brechen, wenn nicht sogar zu vernichten suchen. Sieg oder Niederlage in Afghanistan: Eines Tages wird die pakistanische Armee die tödlichen Gruppen bekämpfen müssen, die sie hervorbringen half und die sie immer sicher kontrollieren zu können glaubte. •
1 vgl. dazu auch: Amin Tarzi. Political Struggles over the Afghanistan-Pakistan Borderlands. In: Shahzad Bashir and Robert D. Crews, eds. Under The Drones: Modern Lives in the Afghanistan-Pakistan Borderlands. (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 2012).
*Brian M. Downing ist politisch-militärischer Analyst und Autor von «The Military Revolution and Political Change» und «The Paths of Glory: War and Social Change in America from the Great War to Vietnam». Er ist zu erreichen unter brianmdowning@gmail.com.
Quelle und ©: Asia Times Online (Holdings Ltd. 2012)
(Übersetzung Zeit-Fragen)
«Der Autor Brian Downing hat hier eine sachkundige, anständige und richtige Analyse vorgelegt.»
Prof. Mohammed Daud Miraki, Autor von «Afghanistan after Democracy»
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