Mittel- und Osteuropa in der «neuen Weltordnung»

Mittel- und Osteuropa in der «neuen Weltordnung»

Globalisierung und neue Weltordnung wollen ihre Herrschaft mit privaten Schulen und Universitäten aufbauen

von Peter Bachmaier

Die Globalisierung im heutigen Sinn begann mit der Liberalisierung des Welthandels und mit der Einführung des Neoliberalismus durch die USA und Grossbritannien. Sie hängt mit dem Begriff «neue Weltordnung» eng zusammen, den Präsident Bush im September 1990 nach dem Zusammenbruch des Ostblocks in einer Rede vor dem amerikanischen Kongress prägte, und Bush fügte erklärend hinzu: eine «neue Weltordnung unter der Führung der USA». Das ist das internationale System, das wir bis heute haben.

Der Umsturz 1989 mit Hilfe des Westens

Die wesentliche Veränderung in der neuen Weltordnung war die Expansion des Westens nach Mittel- und Osteuropa, das bis 1989 zum Herrschaftsbereich der Sowjet­union gehörte, aber Gorbatschow «verzichtete» am 2. Dezember 1989 in der Konferenz von Malta mit Präsident Bush auf diese Länder, und deshalb sind sie heute ebenfalls ein Teil des westlichen Imperiums. Der Zusammenbruch des Ostblocks und der Umsturz im Jahr 1989 waren auf die innere Schwäche des Systems zurückzuführen, aber auch auf den «westlichen Faktor», vor allem auf die Offensive der USA unter Reagan. Die Revolution wäre in den meisten mittel- und osteuropäischen Ländern ohne den amerikanischen Einfluss nicht zustande gekommen. Die Charta 77 in der Tschechoslowakei und die Solidarnosc in Polen hätten ohne die Unterstützung Amerikas nicht überleben können.
Eine entscheidende Rolle spielte bei diesem Sieg der westliche kulturelle Einfluss, was man heute «soft power» nennt, vor allem der Einfluss der amerikanischen Popkultur, die teilweise völlig legal über Rundfunk, Fernsehen, Hollywoodfilme und Kulturaustausch eindrang und die «westlichen Werte» verbreitete. Das war aber nicht die klassische europäische Kultur, sondern: Liberalismus, Individualismus, Materialismus, Hollywood.

Die neue Weltordnung in Mittel- und Osteuropa nach 1989

Die neue Weltordnung, die nach der Wende in Mittel- und Osteuropa eingeführt wurde, bedeutete die Einführung des neoliberalen Modells, die Diktatur des Geldes, die folgende Merkmale hat: völlige Liberalisierung der Wirtschaft, Auflösung des Staatseigentums und Privatisierung, Abbau des Staates und Deregulierung, die Unterstellung des Landes unter die Kontrolle des ausländischen Kapitals und schliesslich die politische Eingliederung in das westliche System, in die EU, die Nato, in die Welthandelsorganisation WTO. Die Reform wurde vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank kontrolliert und an politische Bedingungen geknüpft.

Vorherrschaft der USA

Die geistigen Grundlagen und Ziele der neuen Weltordnung nach 1989 wurden vom «Council on Foreign Relations» ausgearbeitet, das sind Dokumente wie das «Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert», das 1997 unter der Leitung von William Kristol und Richard Perle ausgearbeitet wurde, um das Ende des «Zeitalters des Westfälischen Friedens» und des Völkerrechts zu begründen. Im Jahr 2001 kündigte Präsident Bush auf Empfehlung dieser Projektgruppe den ABM-Vertrag mit Russland, der eine Begrenzung der Raketenabwehrsysteme vorsah. Einer der Architekten der neuen Ordnung war auch Zbigniew Brzezinski, der in seinem ebenfalls 1997 erschienenen Buch «Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft» (Originaltitel: «The Grand Chessboard», 1997), die Aufteilung Russlands forderte oder Die Nationale Sicherheitsstrategie der USA 2002 und die vom CFR 2008 publizierte «Vision 2015».
Das Ergebnis war aber nicht die Entstehung einer produktiven, schöpferischen Mittelklasse als Rückgrat der neuen Gesellschaft, sondern einer «abhängigen ausländischen Elite» (Brzezinski), einer Klasse von «nouveaux riches», die unter der Kontrolle des IWF stehen. Ihre Kinder studieren heute an Elite­universitäten in England und Amerika, um von dort mit einem «neuen Bewusstsein» wieder zurückzukehren.

Die EU – ein amerikanisches Projekt

Eine Säule der neuen Ordnung ist die Europäische Union, die ursprünglich ebenfalls ein amerikanisches Projekt war, ausgearbeitet von Jean Monnet, der in Wirklichkeit ein amerikanischer Bankier und ein Lobbyist der Wall-Street war. Der Plan sah die Vereinigten Staaten von Europa unter amerikanischer Führung und die Auflösung der Nationalstaaten vor. In den Verträgen von Maastricht 1992, Kopenhagen 1997 und Lissabon 2007 wurden folgende Bestimmungen festgelegt: im wesentlichen der Neoliberalismus mit den vier Freiheiten und Auflösung der Nationalstaaten. Die Entscheidungen werden nicht vom Europäischen Parlament getroffen, sondern von der EU-Kommission, also einem nicht gewählten Beamtenapparat. Das Ziel ist nach wie vor ein zentralisierter Superstaat mit einheitlicher Verfassung, die in Lissabon beschlossen wurde, und einer Wirtschaftsregierung.
Mittel- und Osteuropa wurden durch die Nato und die EU in das westliche System eingegliedert. Die Ost-Erweiterung wurde durch die EU-Programme PHARE, Tempus und vor allem durch die Beitrittsverträge zur EU von 2004 und 2007 zustande gebracht, und heute gibt es die «Östliche Partnerschaft» für Länder ausserhalb der EU.

Der Wertewandel: Erziehung für die «offene Gesellschaft»

Die neue Weltordnung will auch eine neue Kultur schaffen, die das traditionelle Wertesystem mit seiner Betonung der nationalen Ideale, der Geschichte, der Religion und der Familie ersetzt: Sie setzt sich zum Ziel, eine liberale, säkulare und multikulturelle Gesellschaft durchzusetzen. Der amerikanische Politologe Joseph Nye prägte dafür 2005 den Begriff «soft power». Sein Buch hat den Untertitel «The Means to Success to World Politics». Die EU hat ihre Werte in der Charta der Grundrechte von 2000 niedergelegt, die seit 2007 von der Agentur der EU für Grundrechte mit Sitz in Wien überwacht wird. Die Agentur widmet sich vor allem der Überwachung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und der Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, der Religion und der sexuellen Ausrichtung. Kultur ist längst nicht mehr Sache der Nationalstaaten, es gibt dafür eine Generaldirektion der EU-Kommission für Kultur, Medien und Bildungswesen, die die Fünfjahresprogramme für Kultur und das Programm «Fernsehen ohne Grenzen» verwaltet.

Der Einfluss westlicher Konzerne auf die Medien

Die Medien in Mittel- und Osteuropa sind faktisch von westlichen Medienkonzernen gesteuert: von der News Corporation von Rupert Murdoch, von der Bertelsmann AG (der in Polen die grösste Tageszeitung «Gazeta Wyborcza» und das grösste Boulevardblatt Fakt gehört), vom Springer-Konzern (dem die prestigeträchtigste Tageszeitung Polens «Rzeczpospolita» gehört), der WAZ-Gruppe, dem Schweizer Medienkonzern Ringier und vom österreichischen Styria Verlag, der in Südosteuropa aktiv ist. Die westlichen Medienhäuser sind in erster Linie markt­orientiert und haben einen Journalismus durchgesetzt, der wenig mit Information, aber viel mit bildlastiger Sensation zu tun hat. Auch das Bildungswesen wird durch die PISA-Studien und den Bologna-Prozess gesteuert, die das Ziel haben, das Bildungswesen im Sinne einer Ausbildung für den Markt zu vereinheitlichen.

Die multikulturelle Gesellschaft

Die multikulturelle Gesellschaft wird unter anderem durch die Rahmenkonvention für den Schutz der nationalen Minderheiten 1995 festgelegt, die eine Aufwertung der Minderheiten und faktisch ihre Gleichstellung mit der Mehrheitsbevölkerung vorsieht. Ein Beispiel dafür ist die Albanische Universität Tetovo in Makedonien, die Albanisch als Unterrichtssprache hat und Hochschulabsolventen produziert, die in einem Staat mit einer slawisch-orthodoxen Bevölkerung ihr Studium auf Albanisch abgeschlossen haben. Das ist das Programm der Sezession, die genauso kommen wird wie in Kosovo, wo es auch so begonnen hat, als die Albaner nur mehr albanische Schulen besucht und nicht mehr Serbisch gelernt haben.

Die Rolle der NGO

Eine grosse Rolle in diesem kulturellen Wandel spielen nichtstaatliche Organisationen (NGO), auch der «dritte Sektor» genannt, wie die «offene Gesellschaft» von Soros (eine Hauptagentur der Globalisierung, die in allen mittel- und osteuropäischen Ländern Institute eröffnete, in Budapest bereits 1984), die für eine von nationalen Traditionen losgelöste globalisierte Gesellschaft eintritt, amerikanische Stiftungen wie das National Endowment for Democracy, die Europäische Kulturstiftung in Amsterdam und viele andere. Der Westen errichtete private Eliteinstitute wie die Mitteleuropäische Universität in Budapest, die Neue Schule für Sozialforschung in Warschau, die Amerikanische Universität in Blagoevgrad bei Sofia in Bulgarien, die eine neue Elite heranbilden sollten. Eine Besonderheit des neuen Bildungswesens ist die Errichtung von privaten Schulen und Universitäten. In Polen gibt es heute etwa 200 private Hochschulen, meist Wirtschaftshochschulen, die Studiengebühren erheben und ihren Studenten dafür ein Diplom garantieren.

Die Rolle Österreichs

Österreich hatte seit jeher enge wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa, aber es wurde auch als Brückenkopf des Westens benutzt. Nach 1989 spielte die Expansion der österreichischen Banken (Raiffeisen) nach Osten eine grosse Rolle. Österreich hat von der EU die Aufgabe erhalten, die moderne westliche Kultur über die Organisation «Kulturkontakt» in diesen Ländern zu verbreiten.
Österreich spielt auch eine Rolle in der Informationspolitik: Das offizielle Österreich unterhält ausschliesslich Beziehungen zu den prowestlichen Massenmedien der mittel- und osteuropäischen Länder. Es gibt daher keine unabhängige Information. Auch an den Instituten wie IDM, IWM, Diplomatische Akademie usw. werden immer nur Personen eingeladen, die einen politisch korrekten Standpunkt vertreten. Ein antiglobalistischer oder EU-kritischer Standpunkt ist nicht vorgesehen, z.B. wurde Richard Sulík, obwohl er Parlamentspräsident war, nie nach Österreich eingeladen. Es wird der Eindruck erweckt, dass die öffentliche Meinung dieser Länder ausschliesslich für die EU und für Amerika ist.

Orangene Revolutionen

In Wirklichkeit ging die Ost-Erweiterung aber nicht überall so glatt vor sich. Dort, wo es nicht funktioniert hat, wurden orangene Revolutionen in Gang gesetzt wie in Serbien 2000 (wo man sich der Organisation Otpor bedient hat), in Georgien 2003, in der Ukraine 2004, in Weissrussland 2006. Dort hat die Revolution allerdings nicht gesiegt, und deshalb hat Obama im Dezember 2011 neue Sanktionen gegen das Land verhängt, und die EU hat sich angeschlossen.

Fortgesetzter Widerstand gegen die EU-Politik

Die Menschen waren 1989 gegen die Diktatur der Nomenklatura und für Europa, aber haben heute ihre Illusionen verloren und wollen nationale Unabhängigkeit, sie sind gegen den Brüsseler Zentralismus. Sie sind vom Regen in die Traufe gekommen. Mittel- und Osteuropa ist heute die verlängerte Werkbank des Westens.
Es gibt einen verstärkten Widerstand gegen die Politik der EU, vor allem gegen die zunehmende Zentralisierung. In der Euro-Krise gab es Widerstand gegen den Rettungsschirm und die Fiskalunion in der Slowakei (Parlament unter dem Vorsitz des Parlamentspräsidenten Sulík lehnte Oktober 2011 den Rettungsschirm ab), in Tschechien, das die Fiskalunion nicht unterzeichnet hat, in Ungarn unter Orbán, in Slowenien lehnte die konservative Oppositionspartei von Janez Janša den Rettungsschirm ab, und starke Widerstandsbewegungen gibt es auch in Serbien, wo die Serbische Radikale Partei, die grösste Partei des Landes, am 29. Februar eine grosse Protestkundgebung gegen den EU-Beitritt abhielt, in Polen, wo die Partei Recht und Gerechtigkeit einen EU-kritischen Standpunkt vertritt, und in den baltischen Ländern. Auch in Kroatien war die EU-kritische Stimmung so stark, dass eine Mehrheit bei der Volksabstimmung nur dadurch zustande kam, dass die Hälfte der Wähler zu Hause blieb.
In den letzteren dominieren schwedische Banken, die aber ihrerseits wieder mit dem IWF zusammenhängen. Die Schocktherapie, das heisst, das neoliberale Experiment, kommt in den baltischen Ländern langsam zu einem Ende, denn das BIP geht zurück und die Arbeitslosigkeit liegt bei 15%, und in Lettland ist die grösste Partei wieder die russische Partei, die man allerdings nicht regieren lässt. Die Regierungen der drei Länder setzen alles auf den Beitritt zum Euro, von dem sie sich die Heilung aller Probleme erwarten.

Eurobarometer-Umfrage über Beurteilung der Wirtschaft

Nach der Eurobarometer-Umfrage, die die Stimmungslage der Bevölkerung in den einzelnen Ländern erhebt, hatten 2008 Tschechien, Ungarn, Lettland und Estland weniger als 50% Zustimmung zur EU, und auch Polen, die Slowakei und Litauen hatten nur wenig Zustimmung über 50%, und die Stimmung hat sich seither bestimmt nicht verbessert.1
In der letzten Eurobarometer-Umfrage vom Dezember 2011 wurde die Zustimmung zur EU nicht mehr erhoben, aber auf die Frage «Wie beurteilen Sie die Lage der Wirtschaft Ihres Landes?» antworteten in allen zehn östlichen Mitgliedsländern der EU zwischen 60 und 90% der Befragten mit «schlecht» und auf die Frage «Glauben Sie, dass auf dem Arbeitsmarkt das Schlimmste erst kommt?» ebenso viele mit «Ja».2
Die Arbeitslosigkeit liegt mit Ausnahme von Tschechien und Slowenien in allen östlichen EU-Ländern zwischen 10% und 15%.3

Alternative: nationaler Widerstand

Die Alternative ist deshalb das Festhalten am Nationalstaat, ein Widerstand gegen die Globalisierung und eine Zusammenarbeit mit Russland und anderen osteuropäischen Ländern. Österreich, das über eine lange Tradition von Beziehungen mit den mittel- und osteuropäischen Ländern verfügt, sollte als neutraler Staat ebenfalls ein Bündnis mit diesen Ländern als Gegengewicht zum Westen aufbauen.    •

Vortrag anlässlich des Informations- und Diskussions­abends «Ungarn versus Globalisierung». ­Initiative Heimat und Umwelt, Kolpinghaus,
6. März 2012

1    Die Presse, 26.06.2008.
2    Eurobarometer, Dezember 2011.
3    Eurostat, 1.3.2012.

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK