von Erika Vögeli
Am 17. Juni werden die Stimmberechtigten in der Schweiz über zwei Vorlagen abstimmen, die auf den ersten Blick nicht sehr viel gemein haben: Zum einen über die Volksinitiative «Für die Stärkung der Volksrechte in der Aussenpolitik (Staatsverträge vors Volk!)» (vgl. S. 4 f.), zum anderen über die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung («Managed Care»). Dennoch bestehen hier Verbindungen, die an die Substanz unserer direkten Demokratie, der Demokratie überhaupt gehen.
Es gehört zu den zentralen Errungenschaften der Aufklärung, dass die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens auch im politischen Bereich von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller Menschen auszugehen hat. Eine Frucht dieser Erkenntnis ist der demokratische Rechtsstaat. Der demokratisch verfasste Staat – die Res publica –, der seine Legitimation nur aus der Verpflichtung auf das Gemeinwohl erhält, basiert auf der Würde des Individuums, auf der Bürgerlichkeit des Menschen: der Wille der Staatsbürger konstituiert den Staat, und das Recht, das sie sich geben, bestimmt die Spielregeln ihres Zusammenlebens.
Die Schweiz ist dabei weiter gegangen als andere Länder: An historischen Erfahrungen und Auseinandersetzungen gewachsen, hat sich hier in Form der direkten Demokratie etwas entwickelt, was diesen Grundsätzen mehr Rechnung trägt als andere Staats- und Regierungsformen. Der föderale Aufbau, der seinerseits zum inneren Ausgleich und der selbstverständlichen Respektierung sprachlicher und kultureller Minderheiten beigetragen hat, die bewusste Nichtteilnahme an Machtpolitik in Form unserer Neutralität, die humanitäre Schweiz, die Konkordanzdemokratie und ihre tragfähigeren, weil breit abgestützten Lösungen – sie alle hängen direkt und indirekt auch mit der direkten Demokratie zusammen und haben dazu beigetragen, unserem Land und den hier lebenden Menschen – bei allen auch hier herrschenden Mängeln und Problemen – die Voraussetzungen für ein Leben in Frieden und Freiheit zu schaffen.
Demokratie kann aber nur auf der Grundlage einer ehrlichen Diskussion bestehen, sie braucht die Darlegung aller Fakten, die für einen Entscheid von Bedeutung sind, die offene Auseinandersetzung der verschiedenen Interessengruppen, in der sie ihre Anliegen, ihre Argumente, Begründungen, Bedenken, ihr Für und Wider in einem offenen Dialog austragen können – wir verfügen in der Schweiz dazu über gut entwickelte Mechanismen, die viel dazu beitragen, dass Entscheidungen nachhaltiger und besser abgestützt sind als anderswo. Das Gejammer darüber, dass solche Entscheide länger dauern, ist angesichts des Resultates nicht nachvollziehbar. Dies sollte erst recht in der Aussenpolitik gelten – wer dem Gemeinwohl verpflichtet ist und den Wert unserer Demokratie kennt, braucht keine Hauruck-Entscheide und hat keine Probleme, die Anliegen der eigenen Bevölkerung, deren Interessen man zu schützen hat, vor ein paar Diplomaten zu vertreten.
Ausserdem erweisen sich viele Verträge und Reformen als Produkte sonderbarer Herkunft. Geht man der Frage nach der Reformflut der letzten Jahre in verschiedensten Bereichen – Gesundheitswesen, Bildungswesen, Militär, in den Bereichen der Gemeindeorganisation (Fusionen) und Regionalpolitik (Metropolitanräume und Naturpärke), in der Verwaltung und anderen mehr – einmal von einer anderen Seite her nach, stellt man Gemeinsamkeiten fest, die ihren Ursprung nicht in der Schweiz haben, sondern auf gezielte Einflussnahme von aussen zurückzuführen sind. Die «Managed Care»-Programme sind keine Schweizer Erfindung, sie gehen nicht auf hier entwickelte Lösungen für hier entstandene Probleme zurück, sondern sind OECD-Import, und dies obwohl unser Gesundheitswesen nach wie vor als eines der besten gilt. Wie kommen wir dazu, Modelle zu importieren, deren Scheitern wir eigentlich anderswo bereits studieren können?
Es ist sehr erhellend, der Herkunft all dieser Reformen auf den Grund zu gehen – und festzustellen, dass sie aus einem ziemlichen Einheitstopf internationaler Organisationen (IO) stammen – zum Beispiel der EU-Kommission und der OECD, die Europa in den Ruin getrieben haben. Mittlerweile wird offen darüber gesprochen und geschrieben, wie solche IOs lediglich Instrumente von «soft power» sind und unter Umgehung der Demokratie ihre «hidden agenda» verfolgen.
«Soft governance» und «soft power» sind zwar weniger offensichtlich als «hard power» – im Durchsetzen von Interessen mit Gewalt und Macht. Sie sollen besser manipulieren, weil sie weniger Widerstand erzeugen. Sie sind aber genauso undemokratisch, hinterhältig und ohne jede Legitimation. Sie ruinieren die Grundlagen von Zusammenarbeit und brechen Vertrauen – was nicht mehr zurückgeholt werden kann. Beide Vorlagen betreffen den Kern der Demokratie und brauchen den mündigen Bürger mit einem Nein zu «Managed Care» und einem Ja zur Weiterentwicklung des Staatsvertragsreferendums. •
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