Staatsverträge vors Volk

Staatsverträge vors Volk

Zur Abstimmung vom 17. Juni

«Der gesunde Menschenverstand hätte uns bereits X Millionen an Ausgaben und einen weiteren Verlust an Souveränität erspart»

Interview mit Nationalrat Pirmin Schwander, Präsident der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS)

thk. Am 17. Juni stimmen die Bürger und Bürgerinnen der Schweiz über die Volksinitiative «Staatsverträge vors Volk» ab. Diese Initiative hat das Ziel, Staatsverträge, deren Inhalt Auswirkungen auf die Schweizer Rechtssetzung haben und damit im gleichen Range wie eine Verfassungsänderung stehen, obligatorisch dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Damit können Sololäufe der Bundesräte, wie wir sie in der Vergangenheit immer wieder erlebt haben, verhindert werden. Der jüngste Auftritt von Bundesrat Didier Burkhalter bei der Nato in Chicago zeigt, wie wenig sich unsere Bundesräte an den Grundmaximen unserer demokratischen Verfassung orientieren. Als neutraler Staat haben wir nichts bei einem Kriegsbündnis zu suchen, das vor allem den Macht- und Wirtschaftsinteressen der USA dient und seit mehr als einem Jahrzehnt vor allem als Angriffsbündnis funktioniert. Niemand weiss, was Bundesrat Burkhalter dort zu suchen hat, und niemand weiss, was für Versprechungen er gegenüber der in Finanznot geratenen Nato gemacht hat.
Bei einem obligatorischen Staatsvertragsreferendum werden solche Sololäufe unserer Bundesräte der demokratischen Kontrolle durch das Volk unterstellt. Damit spielt auch in diesem sensiblen Bereich die direkte Demokratie.
Welche Argumente noch für die Annahme dieser Initiative sprechen, können Sie dem folgenden Interview mit dem Präsidenten der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS), Nationalrat Pirmin Schwander, entnehmen.

Zeit-Fragen: Warum hat die AUNS sich entschlossen, die Initiative «Staatsverträge vors Volk» zu lancieren?

Pirmin Schwander: Die AUNS hat im Zusammenhang mit den Bilateralen I und II festgestellt, dass Verträge mit der EU oder bilateral mit Deutschland oder Frankreich immer mehr die Innenpolitik beherrschen. Dabei haben wir innenpolitisch fast keinen Handlungsspielraum mehr, denn wir müssen innenpolitisch das umsetzen, was in den Verträgen steht und können kein Wort mehr daran abändern. Das hat uns bewogen, die Initiative zu lancieren. Wenn wir einen Staatsvertrag abschliessen, der uns zwingt, unsere Gesetze anzupassen, dann ist der Staatsvertrag auf der gleichen Ebene wie eine Verfassungsänderung. Wenn wir einen neuen Verfassungstext haben, der bestimmt, dass die Gesetze angepasst werden müssen, dann müssen Volk und Stände zustimmen. Und ein Staatsvertrag, der uns zwingt, die nationalen Gesetze anzupassen, ist auf der gleichen Ebene wie die Verfassung, also müssen Volk und Stände darüber abstimmen. Bei der Verfassungsänderung fragen wir uns auch nicht, ob das jetzt dringend notwendig ist, dass das Volk abstimmen muss, sondern das ist selbstverständlich. In den letzten Jahren hat es sich aber so entwickelt, dass immer mehr Staatsverträge auf Verfassungsebene stehen. Der Bundesrat hat das erkannt und dem Anliegen, hier die Volksrechte auszubauen, auch zugestimmt.

Zum Beispiel Schengen-Dublin

Welche Verträge, die der Bundesrat abgeschlossen hat, haben so weitreichende Auswirkungen gehabt?

Das Schengen-Dublin-Abkommen ist das deutlichste, das in den letzten Jahren abgeschlossen wurde. Hier hat sich gezeigt, dass wir laufend Gesetze anpassen müssen. Nicht einmal die Bundesverfassung schreibt uns vor, dass wir laufend Gesetze anpassen müssen. Beim Staatsvertrag Schengen-Dublin haben wir seit 2005 über 130 Anpassungen vornehmen müssen. Es war uns nicht erlaubt, nur ein Wort zu ändern. Als Parlamentarier hat man keinen Abänderungsantrag stellen können, wenn man mit einem Artikel im Abkommen nicht einverstanden war. Es hiess immer, entweder das Ganze annehmen oder nicht. Wenn die Bundesverfassung vorschreibt, eine Gesetzesrevision zu machen, kann man bei jedem Gesetzesartikel noch Änderungsanträge stellen. Der Bundesrat kann nicht sagen, das geht nicht. Aber ein Staatsvertrag kann uns dazu zwingen, Regeln genau so zu übernehmen wie im Vertrag festgehalten, ohne dass dazu noch Änderungsanträge gestellt werden können.

Si tacuisses – wenn du geschwiegen hättest …

Die Initiative hat eigentlich eine historische Tradition. Es war in der Geschichte der Schweiz immer ein Kampf gegenüber den Regierenden, mehr Volksrechte durchzusetzen. Wie hat der Bundesrat auf diese Initiative reagiert?

Als wir die Initiative vor der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats vorgestellt haben, hat man eigentlich anerkannt, dass man auf dieser Ebene etwas machen sollte. Den direkten Gegenentwurf des Bundesrats hat man als gangbaren Weg gesehen. Der Bundesrat wollte nicht so weit gehen wie die Initiative, sondern der Bundesrat hat in der Botschaft an das Parlament vorgeschlagen, einen direkten Gegenentwurf zu machen, und zwar mit der Formulierung, dass alle Staatsverträge mit Verfassungsrang obligatorisch Volk und Ständen vorlegt werden müssen. Der Bundesrat hat diese Version eigentlich schon sehr früh diskutiert, dann aber wieder verworfen. Er hat immer wieder gute Gründe gefunden, warum man das Volk nicht fragen soll. Aber in der Botschaft vom 1. Oktober 2010 hat er an mehreren Stellen da­rauf hingewiesen, dass es gut wäre, wenn man die Volksrechte ausbauen würde. Der Nationalrat als Erstrat hat das noch unterstützt, aber der Ständerat hat das gegen die Stimmen der SVP abgelehnt, und diesem Schritt ist der National­rat nachher leider gefolgt. Es erstaunt mich sehr, dass jetzt einzelne Bundesräte nicht mehr die ursprüngliche Position, die sie gehabt haben, einnehmen, sondern jetzt voll die Gegenposition ergreifen. Natürlich müssen sie das – das Gesetz schreibt vor, dass sie nichts anderes vertreten dürfen als das, was das Parlament beschlossen hat. Ich könnte das nicht, einfach die Meinung des Parlaments übernehmen, ich würde dann lieber schweigen.

Wo lag der Unterschied zwischen der AUNS-Initiative und dem Vorschlag des Bundesrates?

Der Bundesrat hat im direkten Gegenvorschlag gewollt, dass Staatsverträge, die auf der gleichen Ebene anzusiedeln sind wie die Verfassung, dem obligatorischen Referendum unterstellt werden. Da ist natürlich ein Interpretationsspielraum. Bei der Umsetzung der Initiative muss man einen gewissen Spielraum geben, das haben wir versucht. Jetzt macht man uns das zum Vorwurf.
Aber der Bundesrat hat gesehen, dass die Staatsverträge, insbesondere die zukünftigen, viel mehr Einfluss auf unsere Gesetzgebung haben, als dies vor zwanzig Jahren noch der Fall war. Deshalb wollte der Bundesrat neu ein obligatorisches Referendum für Staatsverträge mit Verfassungsrang schaffen. Im Parlament gab es dann eine Diskussion darum, was eigentlich Verfassungsrang sei. Ich habe weder im Nationalrat noch im Ständerat eine juristische oder eine praktische Begründung gefunden, warum die Initiative ein Problem sein sollte. Als Begründung für eine Ablehnung kam, die bestehenden Volksrechte genügten, man wolle das Volk nicht noch mehr belasten, oder man könnte die Politik­verdrossenheit fördern, aber nichts Substantielles. Die Bürger verneinen dieses Argument.

Was wären denn Abkommen, die man zwingend dem Volk hätte unterbreiten müssen?

Bezüglich der Vergangenheit ist es wichtig, daran zu erinnern, dass die Ratifizierung der EMRK, der Europäischen Menschenrechtskonvention, nicht einmal dem fakultativen Referendum unterstellt wurde. Das Volk durfte sich dazu nicht äussern, obwohl die Auswirkungen massiv sind. Man muss Gerichtsentscheide in unserem Land zwingend umsetzen, und das Volk hat hier nichts zu sagen gehabt. Die Stimmbürger konnten nicht einmal die 50 000 Unterschriften für ein Referendum sammeln. Das ist eigentlich einer Demokratie nicht würdig. Ich bringe das Beispiel deshalb, weil mittlerweile Bundesrichter aus allen Lagern von links bis rechts den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kritisieren, weil er die ursprüngliche Idee verlassen hat und direkt in die Rechtssysteme der Staaten eingreift. Das wird kritisiert. Das ist die Folge davon, wenn man etwas unterschreibt und das Volk nicht befragt wird. In der Vergangenheit hatten wir natürlich, wie schon erwähnt, das Schengen-Dublin-Abkommen. Wir konnten darüber abstimmen, aber es mussten erst einmal 50 000 Unterschriften gesammelt werden. Das kostet Geld und Zeit. Der einzelne Bürger, der nicht das entsprechende Geld hat, kann das kaum durchführen. Das heisst, der Stimmbürger ist den Launen der politischen Parteien oder Verbände ausgesetzt. Denn nur die grösseren Verbände und Organisationen haben Zeit und Geld, das Referendum zu ergreifen. Eine Einzelperson hat das normalerweise nicht. Es gibt einzelne Persönlichkeiten, die ein Referendum oder eine Initiative zustande gebracht haben, zum Beispiel gegen Kinderpornografie oder die Verwahrungsinitiative. Zum Glück gab es diese Einzelpersonen, aber das sind die grossen Ausnahmen.

Was treibt Didier Burkhalter bei der Nato in Chicago?

Seit 1996 ist die Schweiz Mitglied in der Nato-Unterorganisation PfP [Partnership for Peace], ohne dass das Volk je dazu befragt wurde. Bundesrat Didier Burkhalter war am Nato-Gipfel in Chicago und hat sich für eine Annäherung der Schweiz an die Nato ausgesprochen. Was treibt hier der Bundesrat in Chicago? Von wem hat er den Auftrag bekommen, so weit zu gehen? Ist das nicht auch so ein Fall, bei dem eine obligatorische Volksabstimmung verhindern könnte, dass der Bundesrat hier weitere Schritte in Richtung Nato unternimmt?

Hier würde die Initiative ganz klar greifen. Denn ein weiterer Schritt Richtung Nato ist ein Verstoss gegen den Neutralitätsartikel der Verfassung. Hier muss ganz klar das Volk gefragt werden. Ob der Bundesrat das von sich aus tut, ist zu bezweifeln. Wenn er das obligatorisch dem Volk vorlegen muss, wird er sich solche Schritte dreimal überlegen. Das Volk würde ihm hier sicher einen klaren Stopp setzen. Grundsätzlich ist der ganze Vorgang äusserst problematisch. Was hat die Schweiz mit der Nato zu tun? Wir sind ein unabhängiger Staat, kein Mitglied bei der Nato und wollen dort auch nicht mitmachen. Schon die Mitgliedschaft bei der PfP hat katastrophale Auswirkungen auf unsere Armee gehabt.

Und dann Diktator EU?

Was für Staatsverträge stehen in Zukunft an?

Die EU sagt, und das ist sehr wichtig, der bilaterale Weg sei zu Ende, so könne es nicht mehr weitergehen. Jetzt redet man über sogenannte «Rahmenverträge». Ausser den EU-Befürwortern weiss niemand so richtig, worum es dabei eigentlich geht. Es wird aber immer von einer «institutionellen Vertiefung» gesprochen, was nichts anderes bedeutet, als automatisch das Recht der EU zu übernehmen. Das wollen wir nicht. Dann steht noch das Energieabkommen an. Das geht doch jeden einzelnen etwas an, ob der Strom teurer oder billiger wird.
Ein weiteres wichtiges Abkommen ist der Agrarfreihandel. Wollen wir in unserem Land eine eigene landwirtschaftliche Produktion, die die Landesversorgung sicherstellen kann, oder wollen wir das nicht mehr und damit noch mehr abhängig vom Ausland sein? Es ist ganz klar! So günstig wie das Ausland können wir wegen unserer speziellen Topographie nicht produzieren. Dann haben wir den ganzen Lastwagentransit. Die Alpenschutzkonvention, die das Schweizer Volk schon lange gutgeheissen hat, müssen wir einhalten. Diese Konvention wird nicht nur verwässert, sondern schlichtweg nicht eingehalten. Das Landverkehrsabkommen – das hat man dem Volk auch nicht gesagt – setzt eigentlich die Alpenschutzkonvention ausser Kraft, das heisst ein Verfassungsartikel wird wegen eines Staatsvertrages ausser Kraft gesetzt. Das sind alles Beispiele dafür, was in Zukunft auf uns zukommen wird, die sehr wichtig sind und praktisch über unsere Verfassung gestellt werden und somit unsere Verfassung ausser Kraft setzen: In solchen Fällen möchten wir, dass das doppelte Mehr entscheidet, nämlich Volk und Stände.

Bundesrat Schneider-Ammann hat am Radio verkündet, bei Annahme der Initiative gebe es 30 Prozent mehr Abstimmungen. Stimmt das und wenn ja, was würde das bedeuten?

Wenn man die letzten 12 Jahre als Vergleich heranzieht, hat es durchschnittlich 8 Abstimmungen im Jahr gegeben. Diese 8 Vorlagen waren verteilt auf 4 Abstimmungstermine. Wenn sich das jetzt um 30 Prozent erhöhen würde, dann hiesse das doch eine Abstimmung pro Abstimmungstermin mehr. Nach der Botschaft des Bundesrats gäbe es 8–10 Abstimmungen mehr, das hiesse 2–3 Abstimmungen pro Abstimmungssonntag zusätzlich. Statt über 2–3 müsste man jetzt über 4–5 Vorlagen abstimmen. Also, das Volk ist doch nicht dumm. Es kann in meinen Augen diese Vorlagen beurteilen. Und alle Staatsverträge, die ich bisher kenne, sind sicher einfacher zu beurteilen als die «Managed Care»-Vorlage, über die wir am 17. Juni abstimmen werden.

Der Bundesrat macht immer den Hinweis auf das fakultative Referendum, das für das Volk viel mehr unnötige Arbeit mit sich bringt …

Ja, dazu muss ich erst einmal 50 000 Unterschriften sammeln. Das ist allerdings nicht der Punkt. Der Bundesrat sagt gleichzeitig in der Botschaft, dass viele Staatsverträge in der Vergangenheit und auch in der Zukunft mit einer Verfassungsänderung gleichzusetzen sind, weil Staatsverträge verlangen, dass wir zwingend unsere Gesetze anpassen. Wenn der Bundesrat in seiner Argumentation konsequent wäre, dann müsste er erst einmal sagen, dass er das doppelte Mehr grundsätzlich nicht mehr möchte. Dann diskutieren wir aber die Grundpfeiler der direkten Demokratie. Dann soll er doch bitte sagen, dass er das Ständemehr abschaffen will.

Ein Argument der Gegner, Sie hatten es vorhin erwähnt, besagt, das Volk wolle gar nicht so viele Abstimmungen. Sie unterstellen der Bevölkerung, dass das zu Politikverdrossenheit führe. Es ist völlig absurd, aber man hört es immer wieder.

Lassen Sie mich kurz die Vergangenheit analysieren. Wann hat es hohe Stimmbeteiligungen gegeben? Die Stimmbeteiligung in den letzten 20 Jahren ist dann am höchsten gewesen, also über 55 Prozent, wenn es um Fragen mit dem Ausland gegangen ist: Bei der Abstimmung zu EWR, Uno, zur Initiative «Ja zu Europa» oder Schengen. Es hat sonst nie eine so hohe Stimmbeteiligung gegeben. Wenn es um Fragen mit dem Ausland geht, hat man ein besonderes Interesse. Ich bin der Meinung, das Interesse wird in Zukunft wachsen, wenn man das erwähnte Energieabkommen oder den Agrarfreihandel betrachtet. Auch hat es immer dann eine hohe Stimmbeteiligung gegeben, wenn viele Vorlagen zur Abstimmung gekommen sind. Die Argumentation des Bundesrates ist damit völlig verfehlt.
Tiefe Stimmbeteiligungen gab es zum Beispiel beim Bildungsartikel 2006. Keine Partei war dagegen, es gab keine grössere Sachdiskussion dazu, und dann nehmen die Menschen die Sachen auch nicht wahr. Es fehlte eine Diskussion darüber. Und das deutet daraufhin, dass wir in Zukunft die Dinge pro und kontra in der Öffentlichkeit diskutieren müssen. Dann geht das Stimmvolk auch an die Urne.

Bis Ende der 80er Jahre war das ja auch selbstverständlich, dass jede Abstimmungsvorlage von den verschiedenen Partei- und Verbandsstandpunkten her pro und kontra diskutiert wird – und zwar in der Sache. Diese Debatte muss wieder ermöglicht werden. Ein weiterer Punkt: Gegner der Initiative bemühen immer das Kostenargument. Es werde zu teuer, wenn das Volk so oft über einzelne Vorlagen abstimmen muss. Wenn es aber mit den bisherigen Abstimmungsterminen «mitläuft», dann stimmt dieses Argument nicht. Eine Diktatur mag billiger sein …

Hier muss man einmal grundsätzlich darüber nachdenken. Wenn man das Kostenargument bringt, dann müsste man die direkte Demokratie generell abschaffen, dann kostet es nichts mehr. So eine Diskussion führt doch zu gar nichts und ist absurd. Was soll das?
Die Schweiz wendet für Bildung, Infrastruktur, für alle Aufgaben, die dem Staat unterliegen, bei gleicher Qualität nur halb so viel auf wie die umliegenden Länder. Dadurch, dass bei uns das Volk mitbestimmen darf, sind wir viel effizienter. Je mehr die Menschen mitbestimmen können, desto weniger verschuldet ist der Staatshaushalt. Gemeindeschulden haben in den letzten 20 Jahren, seit 1990, um 20 Prozent zugenommen. Auf der Ebene der Gemeinden hat das Volk praktisch überall eine direkte Mitsprache. Das Gemeindebudget wird dem Volk zur Annahme oder Ablehnung an der Gemeindeversammlung vorgelegt. Hier hatten wir also eine ganz geringe Verschuldungszunahme. Auf der Ebene der Kantone, wo das Volk weniger Mitsprache hat, haben sich die Schulden verdoppelt. Auf der Bundesebene, wo das Volk noch weniger gefragt ist, haben sich die Schulden verdreifacht. Der Staat ist also um so effizienter, je mehr das Volk mitsprechen und mitentscheiden kann, das heisst, es gibt viel weniger Schulden.
Wenn wir die einzelnen Vorlagen anschauen und zum Beispiel dem IWF 18 Milliarden bezahlen, dann müssen wir doch ganz klar sagen, das ist Geld, das niemandem nützt. Der Bundesrat und das Parlament haben das beschlossen, das Volk hat nichts dazu sagen dürfen.

Trickreiche Argumente

Würde sich das jetzt mit der Initiative ändern?

Hier stehen wir noch mal vor einem anderen Problem. Als es im Parlament um die Erhöhung des IWF-Kreditrahmens auf 18 Milliarden ging, haben Bundesrat und Parlament gesagt, die Nationalbank müsse darüber befinden. Aber wenn das Argument richtig ist, dann müssen wir auch wissen, dass die Nationalbank unabhängig ist. Dazu braucht es gar keinen Bundesbeschluss. Wenn dem so ist, es also keinen Bundesbeschluss braucht und Parlament und Volk nichts dazu sagen dürfen, dann haftet der Bund auch nicht. Das mit der Nationalbank ist ein fauler Trick. Auf meine Frage, wozu es dann einen Bundesbeschluss brauche, kam die Antwort, wenn man das Geld dann tatsächlich brauche, dann müsse der Bund das bezahlen. Und weil es nur eine Garantieverpflichtung des Bundes ist, unterliegt es dann auch nicht der Staatsvertragsinitiative. Der Trick dabei ist, dass man den Bundesbe­schluss als einseitige Verpflichtung seitens der Schweiz formuliert. Die Gegenseite ist damit offiziell gar nicht im Spiel. Also ist es auch kein Staatsvertrag. Das heisst aber konsequenterweise auch, wir haben keine Zahlungsverpflichtung und das Parlament und der Bundesrat könnten diese einseitige Verpflichtung jederzeit wieder aufheben. Dann darf der Bundesrat aber auch gegenüber dem IWF nie eine Verpflichtung eingehen, denn sie ist nur einseitig.
Ein weiteres Beispiel ist das Schengen-Abkommen. Es hat immer geheissen, wir bräuchten das für unsere Sicherheit und ganz wichtig sei das Schengener-Informations-System II. Bei der Abstimmung 2005 gab es das noch nicht, aber es sollte 2007 bis 2008 eingeführt werden. Das SIS II funktioniert immer noch nicht, die Einführung ist bereits auf 2013 verschoben. Man hat 2005 gesagt, die Investition für das System koste uns 7 bis 8 Millionen Franken, bisher haben wir 150 Millionen ausgegeben. Das sind wohlgemerkt nicht die jährlichen Kosten, sondern nur die Investitionskosten. Das sind Gelder, die wir aus Steuermitteln bezahlen. Wenn ich mir überlege, dass Schengen statt der angenommenen 7 Millionen uns nun schon 150 Millionen gekostet hat, dann könnten wir damit noch einige Abstimmungssonntage bestreiten. Das Schengen-Abkommen wäre nicht zustande gekommen, wenn das Ständemehr, das wir beim obligatorischen Referendum gehabt hätten, gegolten hätte. Der gesunde Menschenverstand hätte uns bereits X Millionen an Ausgaben und einen weiteren Verlust an Souveränität erspart.

Bundesrat muss sich im Sinne des Volkes verhalten

Die Vorbeugung gegen Rebellion à la Tahrir-Platz ist eine sorgfältige, vorausgehende Abstimmung mit den Interessen des Volkes. Das ist demokratische Gesinnung. Wenn das Volk in der Aussenpolitik mitreden kann, was bedeutet das für die Schweiz?

Wenn der Bundesrat weiss, dass er sich auf jeden Fall vor dem Volk rechtfertigen muss und nicht erst, wenn 50 000 Unterschriften zusammengekommen sind, dann wird er viel mehr als heute die Kommissionen beiziehen und sich mit den Parteien besprechen, bevor die Verhandlungen beginnen. So kann er den Rahmen viel besser abstecken, worüber verhandelt werden darf und worüber nicht. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Der Bund müsste eigentlich vom Parlament ein Verhandlungsmandat einholen, in dem klar enthalten ist, was er verhandeln darf und was nicht. Bei der Abgeltungssteuer und bei den Doppelbesteuerungsabkommen hat die Öffentlichkeit nie gewusst, wo die Verhandlungen jetzt genau stehen. Es liegen den Kommissionen jetzt drei Abgeltungssteuerabkommen vor, aber darin ist nichts genau definiert. Es ist alles sehr verwässert und schwammig formuliert. Der Bundesrat wäre gezwungen, das Parlament mehr einzubeziehen, und das braucht eine Verhaltensänderung. Nach dieser Initiative muss sich der Bundesrat anders verhalten, nämlich im Sinne des Volkes. Die Initiative stärkt auch die Verhandlungspositionen. Wenn der Bundesrat dem Verhandlungspartner sagen kann, ihr müsst uns einen Schritt entgegenkommen, denn wir müssen noch das Volk fragen, dann können Deutschland oder Frankreich nicht sagen, das interessiert uns nicht. So etwas kann nur ein Diktator sagen. Aber ein demokratischer Staat kann doch nicht sagen, das Volk interessiert mich nicht. Ich denke, das ist eine Stärkung unserer Position. Wenn das Volk einmal etwas beschlossen hat, stärkt das künftig die Verhandlungen. Wenn die EU oder wer auch immer etwas ändern will, dann hat das Volk beschlossen, und es ist nicht möglich, nach zwei Jahren wieder eine Änderung vorzunehmen wie beim Schengen-Abkommen, bei dem es bereits über 130 Änderungen gegeben hat. Bei den Anpassungen konnte man das Referendum nicht mehr ergreifen. Die einzige Möglichkeit wäre, eine Initiative zur Kündigung von Schengen zu lancieren. Dann müsste man in die Verfassung nehmen, dass das Schengen-Abkommen gekündigt werden muss. Für den Bürger ist es also nicht mehr möglich, etwas dazu zu sagen. Der Bürger ist auf Gedeih und Verderb dem Parlament ausgeliefert, da nur dieses vom Bundesrat verlangen könnte, das Abkommen zu kündigen. Und welcher Staatsvertrag ist jemals gekündigt worden? Da müssen Sie weit zurück in der Geschichte und finden dann einen Staatsvertrag mit Österreich-Ungarn, der seinerzeit gekündigt wurde.
Wenn wir unsere direkte Demokratie erhalten wollen, müssen wir die Staatsvertragsinitiative annehmen, nur so können wir verhindern, dass Bundesrat und Parlament zu eigenmächtig handeln, wie wir es leider immer wieder feststellen müssen. Gerade bei der Personenfreizü­gig­keit mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass das Parlament die zwei Fragen der Weiterführung der Personenfreizügigkeit und der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien widerrechtlich und verfassungswidrig in eine einzige Vorlage packte.

Herr Nationalrat Schwander, vielen Dank für das Gespräch!     •

83 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer gegen EU-Beitritt

Gemäss einer in diesem Jahr von der ETH-Zürich durchgeführten Umfrage sind nur noch 17 Prozent der Schweizer Bevölkerung für einen EU-Beitritt. Das heisst 83 Prozent sind dagegen.

95 Prozent der Schweizer für die Beibehaltung der Neutralität

Gemäss einer in diesem Jahr von der ETH-Zürich durchgeführten Umfrage sind 95 Prozent der Schweizer Bevölkerung für die Beibehaltung der Neutralität und damit gegen jede weitere Annäherung an die Nato.

Ausbau der Volksrechte führt zur Verbesserung der Aussenpolitik

Am 17. Juni 2012 stimmen wir über die Volksinitiative «Staatsverträge vors Volk» ab. Das Volk soll bei wichtigen aussenpolitischen Fragen die oberste Entscheidungsinstanz sein. Ziel ist, die Gewichtsverlagerung hin zum internationalen Recht durch einen Ausbau der direktdemokratischen Mitsprache auszugleichen. Verfassungsgerichtsbarkeit, EU-Rahmenabkommen, Rückweisungsklausel für Volksinitiativen: Elitär gesinnte Politiker versuchen, den lästigen Bürger zu entmündigen ganz nach dem Vorbild von EU-Brüssel. Gerade in einer Zeit der Dauer­angriffe auf die direkte Demokratie setzt die Initiative einen wichtigen Gegenakzent. Volksabstimmungen decken Widersprüche zwischen Politikern und Wählern auf. Diplomaten geben sich in der Folge mehr Mühe, die Anliegen der Bürger einfliessen zu lassen. Wenn sie den Wählerwillen missachten, folgt ein negativer Volksentscheid. Internationale Abkommen, welche nicht im Interesse der Schweiz sind oder einen schleichenden EU-Beitritt vorantreiben, können so verhindert werden. Die Transparenz wird erhöht. Im stillen Kämmerlein internationale Verträge mit grosser Tragweite für das Land zu unterzeichnen, geht nicht mehr. Sogar innerhalb der EU zeigt sich, dass Kleinstaaten mit direktdemokratischen Elementen (zum Beispiel Dänemark, Irland) vorteilhafte Ausnahmen erstritten. Der Staatsvertrag ACTA führte weltweit zu heftigen Protesten, da Bürgerrechte mittels drakonischer Überwachung angegriffen würden. Mit «Staatsverträge vors Volk» bekommt das Volk die weltweit einmalige Möglichkeit, über ACTA abzustimmen, was eine vielbeachtete Signalwirkung hätte und dem Abkommen den Todesstoss verpassen könnte. Die Initiative verlangt, dass einmalige Ausgaben über einer Milliarde und wiederkehrende Ausgaben über 100 Millionen zwingend vors Volk kommen. Direktdemokratische Elemente führen in der Finanzpolitik zu tieferen Staatsausgaben. Gerade die IWF-Milliardenzusicherungen zwecks Euro-Rettung zeigen eindrücklich, dass gewisse Eliten das Volk «schweigen und zahlen lassen» wollen. Der Bundesrat rechnet mit jährlich drei zusätzlichen Vorlagen, die bei den bestehenden Abstimmungen mitlaufen und für niemanden eine Belastung sind. Der Ausbau der Volksrechte und die Verbesserung der Aussenpolitik hin zu einer Interessenpolitik für die Schweiz muss uns dies wert sein.

Quelle: <link http: young4fun.ch external-link-new-window>young4fun.ch

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