von Dr. iur. Marianne Wüthrich
Im März 2012 hat EU-Kommissionspräsident Barroso den nach Brüssel bestellten Bundesräten Eveline Widmer-Schlumpf und Didier Burkhalter den Tarif durchgegeben: Die EU verlangt, dass die Schweiz im Bereich der bilateralen Abkommen zukünftige Änderungen des EU-Rechts übernimmt und die EU-Rechtsprechung anwendet. Eine «unabhängige Instanz» soll die Umsetzung der Verträge in schweizerisches Recht überprüfen, und die Schweiz soll eine übergeordnete Gerichtsinstanz (den EuGH) akzeptieren. Auf diese ultimative Aufforderung hin haben sich die Bundesräte und ihr EU-Integrationsbüro eilfertig hingesetzt und innert eines Monats einen Vorschlag aus dem Hut gezaubert. Am 25. April 2012 hat der Bundesrat sein Ergebnis den Medien vorgestellt und anschliessend eine Vernehmlassung bei den Aussenpolitischen Kommissionen des National- und Ständerats, bei der KdK (Konferenz der Kantonsregierungen) sowie den Sozialpartnern durchgeführt. Die Vernehmlassungsantworten liegen nun vor, und die Vorlage wurde moderat angepasst.
In Wirklichkeit versucht hier der Bundesrat die Quadratur des Kreises: Wie kann man es einerseits der EU recht machen und andererseits den Vorschlag am Schluss durchs Parlament und durch eine Referendumsabstimmung bringen? Der Bundesrat weiss sehr gut, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen wird. Dann lassen wir es doch einfach! Wir haben bereits genug bilaterale Verträge mit der EU und können es problemlos ein paar Jahre ohne neue Verträge aushalten.
«Auf dem Papier scheint es, dass die vorgeschlagene neue institutionelle Architektur […] zu keinem Verlust der politischen Souveränität der Schweiz führen wird. In Wirklichkeit ist die Schwächung der Souveränität der Schweiz durch dieses institutionelle Konstrukt wohl eher zu erwarten.» (Vernehmlassungsantwort des Schweizerischen Gewerbeverbandes sgv vom 1. Juni 2012)
Dass das differenzierte direktdemokratische Schweizer System nicht ins undemokratische EU-System passt, ist inzwischen bekannt. Automatische Übernahme des Acquis Communautaire kennen die EU-Mitgliedsländer zur Genüge: Brüssel setzt Recht, die Mitgliedstaaten müssen es umsetzen, ohne darüber entscheiden zu dürfen, ob sie es wollen oder nicht. Das von Schweizer EU-Turbos gepriesene Mitspracherecht haben nämlich nicht die Völker, nicht einmal die Parlamente, sondern nur die Staatschefs sowie ein paar nicht vom Volk gewählte Minister und EU-Kommissare.
So etwas käme beim Schweizer Volk nie und nimmer durch, also schlägt der Bundesrat vor, dass die Übernahme von Änderungen des Acquis, die einen unserer Bilateralen Verträge betreffen, dem gewohnten Gesetzgebungsverfahren unterstellt sein sollen: Verhandlungen und Abstimmungen im Stände- und Nationalrat, danach Möglichkeit des fakultativen Referendums, mit Einräumung der notwendigen Fristen. (Viele erinnern sich daran, dass die EU bereits einmal ohne Rücksicht auf das Schweizer Gesetzgebungs-Procedere auf Inkrafttreten eines der Verträge drängte, obwohl die Referendumsfrist noch nicht abgelaufen war.) Die Vernehmlassungsteilnehmer zeigen sich mit dem Vorschlag des Bundesrates einverstanden – aber ob die demokratieungewohnten EU-Spitzen das schlucken werden? Also lassen wir’s doch einfach!
Übrigens tun die Befürworter einer institutionellen Regelung mit der EU immer so, als ob die EU die Anpassung des Schweizer Rechts an EU-Vorgaben nur für künftige Verträge verlangen werde. In Wirklichkeit weiss jeder, dass die EU-Kommission nicht dabei stehen bleiben würde.
«Autonomie: Es besteht ein hohes politisches Risiko, dass wegen diesen Automatismen in der Rechtsentwicklung nicht nur zukünftige, sondern in absehbarer Frist unter dem Druck der EU rückwirkend auch die geltenden Abkommen tangiert werden. Dieses Vorgehen würde in der Folge zu einer automatischen Übernahme des Acquis Communautaire führen.»
Vernehmlassungsantwort sgv
vom 1. Juni 2012
Das Bundesgericht bezieht bei seiner Entscheidfindung bereits heute EuGH-Entscheide ein, um die Einheitlichkeit von Anwendung und Auslegung der bilateralen Verträge zu gewährleisten. Dies tut es aber in eigener Kompetenz: Es hat die Freiheit, auch einmal anders als die EU-Richter zu entscheiden. Die EU-Mitgliedstaaten sind bekanntlich daran gewöhnt, dass sie fremden Richtern unterstellt werden, aber auch für sie wird dadurch die Souveränität ihrer Nationalstaaten in schwerwiegender Weise eingeschränkt.
Laut Tagespresse setzt der Bundesrat in seinem Regelungsvorschlag «auf den ‹Dialog der Gerichte›, um Einheitlichkeit herzustellen». Und der Journalist setzt die Bemerkung dazu: «Diesen ‹Dialog› gibt es bereits, allerdings hört Lausanne [Sitz des schweizerischen Bundesgerichts, Red.] vor allem zu». («Neue Zürcher Zeitung» vom 16.6.2012)
«Rechtssicherheit: Die Rechtssicherheit ist eine fundamentale Voraussetzung zur Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für KMU. Die Vorschläge des Bundesrates schwächen die Rechtssicherheit der KMU, da sie eine verstärkte Einmischung des EU-Gerichtshofs in das schweizerische Recht ermöglichen.»
Vernehmlassungsantwort sgv
vom 1. Juni 2012
So der Titel der Medienmitteilung der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK-N) vom 31.5.2012: «Im Mittelpunkt der Diskussionen stand der neue Vorschlag des Bundesrates vom 25. April 2012, eine unabhängige nationale Behörde zu schaffen, die die Anwendung der mit der EU geschlossenen Abkommen überwachen soll. Die Kommission beurteilte die Rechtsnatur und Kompetenzen einer solchen Behörde […] mit grossmehrheitlicher Skepsis.»
Die meisten Vernehmlassungsteilnehmer teilten diese Skepsis bis hin zur klaren Ablehnung. Eine neue Bundesbehörde, vom Parlament gewählt, die bei mangelnder Umsetzung der bilateralen Abkommen vor Bundesgericht klagen könnte … gegen das Parlament? Gegen das Volk? So weit kommt’s noch!
Der Bundesrat nahm die Ablehnung einer derart hochgradig undemokratischen Kontrollinstanz über die demokratisch legitimierten Staatsorgane zur Kenntnis und änderte seinen Vorschlag: Die Behörde soll Vertragsverletzungen nicht aufheben oder einklagen, sondern nur feststellen können.
Die Tatsache bleibt aber bestehen, dass eine solche Überwachungsbehörde quer zu unserem Staatsverständnis stehen würde. Ausserdem hat Brüssel bisher eine nationale Selbstkontrollinstanz stets zurückgewiesen – der Bundesrat weiss sehr wohl, dass die EU nur eine EU-Kontrollbehörde akzeptieren würde.
Der Bundesrat könnte sich zurücklehnen und in Ruhe abwarten, im Bewusstsein, dass an den nächsten von ihm geplanten Abkommen mit der EU, nämlich dem Strommarkt- und dem Agrarabkommen, in erster Linie die EU und die Grosskonzerne interessiert sind – nicht aber unsere Klein-Stromkonsumenten und sicher nicht unsere Bauern. Müssen wir ihn daran erinnern, dass nicht nur die Schweizer Wirtschaft auf die EU-Staaten als Handelspartner angewiesen sind, sondern dass umgekehrt auch die Schweiz ein wichtiger Wirtschaftspartner für die EU ist? (siehe auch Vernehmlassungsantwort sgv). Es besteht keinerlei Anlass für den Bundesrat, der EU Regelungsvorschläge aufzudrängen, die diese mit Sicherheit ablehnen wird. Dann wird die Mannschaft im EU-Integrationsbüro sagen: «Wir haben versucht, unsere Interessen einzubringen; die EU will aber nicht, jetzt müssen wir Kompromisse eingehen.» Und zuletzt landen wir, wie wir es von den bisherigen Verhandlungen mit der autoritären Grossmacht EU hinreichend gewohnt sind, genau dort, wo die EU uns haben will, nämlich immer enger angebunden und immer abhängiger – eine Milchkuh, die der überschuldete und im Chaos versinkende Koloss bis zum letzten Tropfen melken will.
Wir fordern vom Bundesrat, dass er die Schweizer Interessen vertritt und nicht diejenigen der EU! •
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